Jadon Sancho könnte bei Manchester United bald als Außenverteidiger auflaufen. Der Durchbruch oder eine Schnapsidee? Ein Blick auf andere exotische Außenverteidiger der jüngeren Vergangenheit zeigt: Nichts ist unmöglich.
David Alaba: Von der Übergangs- zur Dauerlösung
David Alaba schoss die B-Junioren des FC Bayern noch als Mittelstürmer ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, ein paar Monate später fand sich der damals 17-Jährige dann plötzlich hinter Franck Ribery als linker Verteidiger der Bayern-Profis wieder. In der Bundesliga und in der Champions League.
Louis van Gaal waren die Vorzüge des Österreichers nicht verborgen geblieben und Van Gaal hatte die Chuzpe und das Selbstvertrauen, es mit dem Teenager in einer sich findenden Mannschaft zu versuchen. Im Nachgang kann man wohl ohne Übertreibung von einer für alle Seiten mehr als gelungenen Rochade sprechen. Die Bayern hatte eine große Baustelle geschlossen und für mehr als ein Jahrzehnt einen Spieler, der jederzeit links hinten einsetzbar war.
Alaba schaffte auf der Position den Durchbruch zum Weltklassespieler, wurde zum besten österreichischen Spieler der letzten Dekade. Auch wegen der über die Jahre erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten rückte der Spieler im Herbst seiner Karriere sogar noch in die Defensivzentrale ein und spielt nun bei Real Madrid.
Kingsley Coman: Die Ein-Mal-Lösung
Was sich wie eine verrückte Idee las, war am Ende gar nicht mehr so verrückt: Didier Deschamps setzte Kingsley Coman in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan als rechten Schienenspieler ein. Nicht als Außenverteidiger, wie oft und falsch zu lesen war. Bei einem zu erwartenden Ballbesitz von um die 80 Prozent und einem Gegner, der sich mit zwei Ketten am und um den eigenen Strafraum verschanzen würde, war es selbst für den konservativen Deschamps kein Problem, sich mit einem gelernten Flügelangreifer eine Linie tiefer zu versuchen.
Kasachstan belegt aktuell Platz 125 der Weltrangliste, vor Äquatorial-Guinea und hinter Guatemala - da war selbst der Defensivfanatiker Deschamps bereit, mit Coman ein überschaubares Risiko einzugehen. Coman bewegte sich letztlich so hoch im Feld wie gegen andere Gegner auch, weil die Kasachen sich einfach so weit zurückzogen. Im Prinzip gab es also keinerlei Anpassungsschwierigkeiten.
Und mögliche Defensivprobleme konnte Kasachstan gegen die Franzosen auch nicht aufdecken. Gegen Finnland testete Deschamps dann unter etwas erschwerten Bedingungen gegen einen besseren Gegner, ließ Coman aber nur eine halbe Stunde ran. Es ist trotzdem eher unwahrscheinlich, dass Comans alternative Verwendung eine echte Option für die Zukunft der Equipe wäre oder sogar eine Dauerlösung. "Für einen Offensivspieler verteidige ich so gut ich kann, defensiv bin ich aber nicht der Stärkste", sagte Coman. "Das ist definitiv nicht meine Position."
Alphonso Davies: Die perfekte Lösung
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und das auch noch unter dem richtigen Trainer - das ist ein viel zu wenig beachtetes Rezept im Profi-Fußball. Viele gute Ideen scheitern nämlich schon am schlechten Timing. Bei Alphonso Davies war das ganz anders. Den Kanadier holten die Bayern als Außenbahnspieler für die Offensive, Davies machte seine ersten Schritte in der Bundesliga auch links oder rechts auf der offensiven Außenbahn.
Dann stellte ihn Nico Kovac auch ein paar Mal links in die Viererkette. Und als Kovac kurz darauf Geschichte war bei den Bayern, übernahm Hansi Flick die Idee und entwickelte daraus ein überragendes Erfolgsmodell. Seit zwei Jahren spielt Davies im Prinzip auf der Position durch, wurde zwischenzeitlich nur gestoppt von einem Bänderriss und einer Rot-Sperre.
Davies' Versetzung eine Linie tiefer hat sich für die Bayern und den Spieler als Glücksgriff erwiesen, aktuell dürfte Davies zu den fünf besten Linksverteidigern der Welt gehören und er erfährt unter Julian Nagelsmann nochmal neue Perspektiven: Als Schienenspieler kann Davies noch eine Spur höher spielen und mehr Druck nach vorne entfachen.
Jonas Hofmann: Die deutsche Lösung
Mit Jonas Hofmann taucht bei der deutschen Nationalmannschaft seit einigen Monaten eine etwas überraschende Personalie rechts in der Abwehrkette auf. Hansi Flick hat für den Gladbacher, der weder im Mittelfeld noch auf dem offensiven Flügel eine große Chance auf viel Einsatzzeiten gehabt hätte, eine alternative Position gefunden.
"Er hat gezeigt, dass er in der Offensive eine hohe Qualität hat. Er war in der Defensive gewillt, zu arbeiten. Das war ein hohes Pensum von ihm. Das hat mir gefallen, er hat es gut gemacht", sagte Flick nach Deutschlands wichtigstem und engsten Qualifikationsspiel gegen Rumänien (2:1) über seinen Rechtsverteidiger Hofmann. Der scheint also auch bei den bald schon kommenden schwereren Gegnern eine echte Option rechts hinten zu bleiben.
Hofmann zeigt im DFB-Team derzeit eindrucksvoll, wie aus einer scheinbar kruden Idee etwas entstehen kann, das allen Beteiligten hilft - nur nicht Hofmanns neuer Konkurrenz. Seit der Gladbacher auf Geheiß des Bundestrainers seinen Wirkungsbereich nach hinten verlagert hat, ist es es für Spieler wie Robin Koch, Marcel Halstenberg oder Lukas Klostermann noch schwerer, sich zu zeigen und wieder in die Mannschaft zu spielen.
Jadon Sancho: Die letzte Lösung
Manchester United und Jadon Sancho: Das ist bislang ein einziges großes Missverständnis. Trainer Ole Gunnar Solskjaer bekommt Sancho nicht in sein Konzept eingebunden, was wiederum zweierlei Gründe haben könnte: Entweder ist Sancho nicht gut genug, um sich gegen die namhafte Konkurrenz durchzusetzen. Oder Solskjaers Konzept ist schlecht. Dass der Trainer nun angeblich über eine Luftveränderung für Sancho nachdenkt, beantwortet die Frage zumindest indirekt.
Sanchos Stärken sind unbestritten und in einer halbwegs funktionierenden Mannschaft mit einer halbwegs tragfähigen Spielidee ist er auch eine Waffe. Aber schon bei der Europameisterschaft traute Nationaltrainer Gareth Southgate dem Spieler nicht so richtig, in Englands eher reaktivem Spiel mit der Dreierkette und Schienenspielern auf den Außen war Southgate im Zweifel die defensive Absicherung wichtiger als ein Dribbler auf dem Flügel.
In Dortmund hat Sancho im Laufe der Jahre zwar gelernt, in den Momenten des Ballverlustes sofort dagegen zu arbeiten. Aber eine ausgesprochene Defensiv-Expertise darf man dem 21-Jährigen deshalb noch lange nicht attestieren. Der Versuch mit Sancho als Außenverteidiger wäre ein hochgradig riskantes Experiment - mit der Tendenz zum Scheitern.