Hansi Flicks Bitte um die Auflösung seines Vertrags beim FC Bayern zum Saisonende war geradlinig, konsequent und logisch. Überraschend war lediglich der Zeitpunkt der Verkündung. Sie offenbart aber auch ein großes Defizit in der Führung des Rekordmeisters. Ein Kommentar.
Für den FC Bayern München ist es die größte Niederlage seit sehr langer Zeit: Den Verantwortlichen ist es nicht gelungen, Hansi Flick die Atmosphäre und die Arbeitsbedingungen zu schaffen, dass der erfolgreichste Trainer der Vereinsgeschichte seinen Vertrag zumindest erfüllen möchte. Für die Verantwortlichen bedeutet diese Niederlage auch, dass sie die Kontrolle verloren haben.
Hansi Flick hat richtig gehandelt. Seine Entscheidung ist selbstbewusst, geradlinig, konsequent und logisch. Überraschend und auch mit einem gewissen Risiko verbunden war lediglich der Zeitpunkt der Verkündung.
Hätte der Sextuple-Trainer seiner Mannschaft und der Öffentlichkeit auch nach einer Niederlage in Wolfsburg mitgeteilt, was er wenige Tage zuvor nach dem Viertelfinal-Aus in der Champions League den Bossen gesagt hatte? Hätte Flick den Flurfunk von einer Mannschaft weghalten können, deren letztmöglicher Titel der Saison dann alles andere als sicher gewesen wäre?
Doch das ist Spekulation. Die vermeintlichen Rivalen im Titelkampf haben an diesem 29. Spieltag wieder einmal alles dafür getan, nicht viel mehr als Sparringspartner zu sein auf dem Weg zu Bayerns 30. Meisterschaft in der Bundesliga (zur 31. insgesamt), der neunten in Serie.
FC Bayern: Flick geht nicht zum ersten Mal vorzeitig
Sicher ist: Hansi Flick hat so gehandelt, wie Hansi Flick eben handelt, wenn er merkt, dass er mit seinen Ideen und Wünschen nicht durchdringt oder Absprachen nicht eingehalten wurden.
2006 warf er nach nur zwei Monaten als Co-Trainer von Red Bull Salzburg hin, als der Klub ihm und Lothar Matthäus plötzlich Giovanni Trapattoni vor die Nase setzte.
2017 legte der Weltmeister-Co-Trainer von 2014, ermüdet von den langen Entscheidungsprozessen im Verband, seinen Posten als Sportdirektor beim DFB nieder.
2018 bat er die TSG Hoffenheim bereits nach 241 Tagen um die Auflösung seines Fünfjahresvertrags als Sportchef - wieder, weil er mit seinen Ideen nicht durchkam.
Wenn man es unbedingt böse meinen will mit Flick, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Verantwortlichen gar keine andere Wahl hatten, als Flick bei Fragen der Kaderplanung in die Schranken zu weisen. Warum sollte man einem Trainer entgegen der eigenen Überzeugung größere Entscheidungsgewalt zubilligen, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass dieser seine Verträge erfüllt?
FC Bayern: Die Fragen an die Verantwortlichen
Wenn man es unbedingt böse meinen will mit Flick, kann man das schon so sehen. Ein Trugschluss wäre es trotzdem. Die richtigen Fragen müssten nämlich lauten:
- Wieso haben die Verantwortlichen nicht mal versucht, dem Trainer, der in Rekordzeit eine dysfunktionale und unter Trainer Niko Kovac ihrer Identität beraubten Mannschaft in Rekordzeit zu den maximalen Erfolgen führte, seine Wünsche zu erfüllen?
- Wieso wurden seine dem Vernehmen nach alles andere als utopischen Wünsche nach Verstärkungen ignoriert?
- Wieso holte Hasan Salihamidzic stattdessen Spieler wie Alvaro Odriozola, Alexander Nübel, Bouna Sarr und Marc Roca, mit denen der Trainer nichts anfangen kann und die in der Mehrzahl den Nachweis ihrer Bayern-Klasse nicht einmal ansatzweise erbringen konnten?
- Wieso hatte man nie das Gefühl, alle Verantwortlichen würden um ihren Trainer kämpfen?
- Wieso scheint sich Vorstand Oliver Kahn aus dem Konflikt zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic vor allem herauszuhalten?
- Und wieso hat auch Flick-Fürsprecher Karl-Heinz Rummenigge zugelassen, dass Salihamidzic Flick und Jerome Boateng vollends vor den Kopf stieß, als er das Aus des Verteidigers beim FC Bayern nach zehn Jahren unmittelbar vor dem CL-Spiel gegen PSG verkündete?
FC Bayern: Ein Trainer muss glücklich und dankbar sein
Die Antworten auf all diese Fragen lassen sich verkürzt so zusammenfassen: Weil beim FC Bayern München jeder sein Ego hat - und diese Egos den Klub seit Jahren daran hindern, endlich konsequent den Übergang in die Moderne zu schaffen. Der FC Bayern ist erfolgreich, verdient Geld und verwöhnt nicht nur seine Fans immer wieder mal mit Fußball für die Lehrbücher.
Doch eine weitsichtige Strategie, eine übergreifende Idee hinter allem, wie sie etwa Red Bull hat, geht den Münchnern noch immer ab. Bayerns Bosse haben nie verstanden, dass "Mia san Mia" allenfalls ein Slogan, aber keine Strategie ist.
Die über Jahrzehnte aufgebaute fragile Machtbalance zwischen Team Hoeneß und Team Rummenigge fußte auch auf dem selbst erschaffenen Naturgesetz, dass ein Trainer beim FC Bayern München die Mannschaft trainieren und Titel gewinnen darf, ansonsten aber vor allem glücklich und dankbar darüber sein muss, beim FC Bayern München trainieren und Titel gewinnen zu dürfen. Wer dieses Naturgesetz auch mal hinterfragte, wurde entweder bald entlassen (man frage nach bei Louis van Gaal) oder ließ seinen Vertrag auslaufen (man frage nach bei Pep Guardiola).
Dass ein Trainer sein Amt freiwillig und vorzeitig zur Verfügung stellen könnte, kam in der Welt der Bayern-Bosse nicht vor. Es war überfällig, dass sie diese Erfahrung gemacht haben. Mit den Konseqzenzen, sich nun auf die nicht ganz triviale Nachfolgersuche zu machen, müssen sie zudem leben.
FC Bayern München: Hansi Flicks Trainerstationen
Jahre | Verein | |
1996-2000 | FC Victoria Bammental | |
2000-2005 | TSG 1899 Hoffenheim | |
2006 | FC Red Bull Salzburg (Co-Trainer) | |
2006-2014 | Deutschland (Co-Trainer) | |
2019 | FC Bayern München (Co-Trainer) | |
seit 11/2019 | FC Bayern München |