Cholerischer Despot oder herzlicher Weltklassetrainer: Kaum jemand polarisiert derart wie Bayerns neuer Coach Louis van Gaal. Frits Barend, in den Niederlanden einer der bekanntesten Gesichter im Sportjournalismus, kennt van Gaal seit 20 Jahren und erlebte ihn als Freund wie auch Intimfeind.
"Wir beide sind uns ähnlich. Wir kommen aus ärmlichen Verhältnissen und sind auf der Straße aufgewachsen. Deswegen streiten wir uns so oft. Wenn van Gaal mich attackiert, attackiere ich ihn. Wir sind wie Zehnjährige", sagt Barend. "Das Problem bei van Gaal ist, dass er gerne diskutiert - dies aber nur unter einer Bedingung: Man muss ihm zustimmen."
Im Interview spricht Barend über die Angst der Journalisten, fatale Stresssituationen und van Gaals frostige Beziehung zu Johan Cruyff.
SPOX: Die deutschen Journalisten haben Respekt vor Louis van Gaal und seiner ausgeprägten Abneigung gegen die Medien. Zu Recht?
Frits Barend: Ja - wenn man bedenkt, dass selbst in den Niederlanden fast jeder Journalist Angst vor seiner cholerischen Art hat. Aber es kommt auf den Einzelnen an. Ich habe mich noch nie gefürchtet, mittlerweile muss ich sogar eher lachen, wenn er wieder einen Ausbruch hat.
SPOX: Die Schauergeschichten über van Gaal stimmen demnach?
Barend: Es hat sich fast schon zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung entwickelt, wenn sich van Gaal mit Journalisten unterhält. Er ist der felsenfesten Überzeugung, dass im Grunde jeder Journalist inkompetent ist und daher eigentlich kein Recht hat, mit ihm über Fußball zu reden. Das wissen natürlich die Journalisten, die dadurch nervöser werden und so das Interview mit ihm vermasseln - was van Gaal wiederum in seiner Meinung bestätigt.
SPOX: Geht van Gaal mit Ihnen ähnlich um?
Barend: Van Gaal differenziert nicht. Für ihn sind alle Journalisten gleich inkompetent - und damit hat er häufig auch recht. Die meisten Journalisten haben keine Ahnung.
SPOX: Was sein Verhalten erklärt, aber nicht entschuldigt.
Barend: Van Gaal ist ein ambivalenter Mensch. Wer ihn als Privatperson trifft, erlebt einen intelligenten, witzigen und freundlichen Menschen, mit dem man wunderbare Gespräche führen kann. Doch wenn er in eine Stresssituation gerät, springt ein Schalter um und irgendetwas passiert in seinem Kopf.
SPOX: Was?
Barend: Ich glaube, selbst er kann es nicht erklären. Sein Problem ist, dass er davon ausgeht, dass hinter jedem Baum ein Feind lauert und die ganze Welt gegen ihn ist.
SPOX: Klingt nach Paranoia.
Barend: Ich bin kein Psychologe, daher kann ich es nicht bejahen. Aber es geht auf jeden Fall in die Richtung. In der Öffentlichkeit zelebriert van Gaal regelrecht sein vermeintlich großes Selbstvertrauen, aber womöglich ist es nur eine Fassade, weil er sich seiner Schwächen bewusst ist.
SPOX: Was dazu führt, dass er sich nicht nur über Journalisten, sondern auch über Trainerkollegen und Schiedsrichter beschwert.
Barend: Das hängt wahrscheinlich mit seiner Unsicherheit zusammen. Vor zwei, drei Jahren, als van Gaal in Alkmaar war, haben wir uns bei einem Interview gestritten, nachdem er bei der Schiedsrichter-Kritik über die Stränge geschlagen hat. Ich habe gefragt: "Haben Sie denn vergessen, dass Sie in der ersten Hälfte bevorzugt wurden? Oder in den Spielen zuvor?" Er antwortete lautstark: "Was wissen Sie denn? Sie haben keine Ahnung! Sie haben keine Hausaufgaben gemacht!" Dabei war er es gewesen, der sich nicht erinnern konnte, wie oft seine Mannschaft die Wochen zuvor von Fehlentscheidungen profitiert hatte.
SPOX: Nicht Ihre einzige Auseinandersetzung mit van Gaal.
Barend: Das Problem mit ihm ist seine Unberechenbarkeit. Direkt nachdem die Niederlande die Qualifikation für die WM 2002 verpasst hatte, habe ich ihn für das niederländische Fernsehen interviewt. Ich war besonders zurückhaltend, weil ich ihn nicht unnötig provozieren wollte, und fragte ihn, warum es mit der Qualifikation nicht geklappt und ob er womöglich Fehler begangen hat. Er schrie mich an: "Ich mache niemals Fehler!" Damit war das Gespräch quasi beendet.
SPOX: War Ihr Kontakt zu van Gaal schon immer so frostig?
Barend: Ganz im Gegenteil. Ich habe ihn kennengelernt, als 1989 in Barcelona das Endspiel des Landesmeisterpokals zwischen dem AC Milan und Steaua Bukarest stattfand. Van Gaal war noch ein Trainerlehrling und wollte sich weiterbilden. Wir haben uns zufällig getroffen, und weil ich mich in Barcelona gut auskenne, habe ich ihm die Stadt gezeigt und wir haben wie Freunde den ganzen Tag zusammen verbracht.
SPOX: Mittlerweile gelten Sie jedoch als van Gaals Intimfeind.
Barend: Es ist seltsam, wie er sich verändert hat. Am Anfang gab er gerne Interviews und wir hatten eine sehr gute Beziehung, aber dann bekam er 1991 den ersten Cheftrainer-Job bei Ajax. Ab diesem Zeitpunkt änderte er sein Verhalten komplett, nicht nur zu mir, sondern auch zu den anderen Journalisten.
SPOX: Wie zeigte es sich?
Barend: Schon bei seinem ersten Interview zur Amtseinführung bin ich mit ihm aneinander gerasselt. Er sagte von sich, dass er immer ehrlich ist - worauf ich nachgefragt habe, was daran denn besonders sei, denn jeder behauptet wohl von sich, ehrlich zu sein. Daraufhin wurde er böse - und boykottierte mich daraufhin mehrere Jahre.
SPOX: Immerhin wurde darüber spekuliert, dass Sie eine Kampagne gestartet hätten, um van Gaal durch Johan Cruyff zu ersetzen.
Barend: Das ist totaler Nonsens. Ich habe lediglich hin und wieder van Gaal mit Cruyff verglichen, weil sie eine ähnliche Vita haben. Beide haben bei Ajax ihre Spieler- wie auch Trainerkarriere gestartet. Und warum hätte ich van Gaal vertreiben wollen? Wegen Cruyff? Die beiden haben sich damals gut verstanden.
SPOX: Hat sich die Beziehung der beiden verändert, nachdem Cruyff van Gaals Arbeit in Barcelona kritisiert hat?
Barend: Über die Jahre wurde das Verhältnis schlechter und schlechter. Es ist nicht Cruyffs Art, in Kategorien wie Freund und Feind zu denken und private Fehden zu führen, dafür ist er zu groß. Van Gaal hingegen hatte und hat wohl noch Probleme zu akzeptieren, dass der Trainer nie der Star einer Mannschaft ist. Er will dennoch ein Star sein, so wie früher Cruyff oder Maradona als Spieler, und auch so behandelt werden.
SPOX: Was sein Verhalten erklären dürfte. Warum haben sich die Bayern dennoch für ihn entschieden?
Barend: Man darf nicht vergessen, dass van Gaal ein ausgezeichneter Trainer ist. Ein Vorzeige-Profi, der sich 24 Stunden um den Klub kümmert. Er kann eine Mannschaft formen und könnte ein fantastischer Trainer für die Bayern sein – solange er sich mit den Bayern-Bossen arrangieren kann. Aber da sehe ich keine Probleme, da er noch nie Schwierigkeiten mit seinen Vorgesetzten hatte.
SPOX: Auch nicht mit den Spielern?
Barend: Es gibt kaum Beschwerden, sogar die Bankspieler äußern sich in der Regel nur positiv über ihn. Aber ich weiß nicht, wie er mit Stars wie Franck Ribery oder Luca Toni zurechtkommt. Sie sind doch eine andere Kragenweite als die Spieler, mit denen er zuletzt in Alkmaar gearbeitet hat.
SPOX: In Alkmaar präsentierte er sich gegenüber den Medien wesentlich entspannter. Besteht Hoffnung, dass die Narben mittlerweile verheilt sind?
Barend: Ich bezweifele es. Er war in der Tat sehr relaxt in Alkmaar, er hatte dort aber auch lange nicht so viel Stress. Nur ein Beispiel: In den Niederlanden ist die Medienlandschaft sehr anständig. Es gibt keine Boulevard-Zeitungen und dementsprechend keine haltlosen Gerüchte. Die meisten Dinge, die geschrieben werden, sind wahr. Wenn er bei den Bayern aber in der Kabine eine Rede hält und zehn Minuten später die Interna im Internet stehen, gehe ich schwer davon aus, dass Deutschland sehr schnell einen richtig wütenden van Gaal erleben wird.
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