Drum prüfe, wer sich ewig bindet...

Florian Bogner
22. Dezember 201019:58
Teile der Bayern-Fans sprachen sich zuletzt deutlich gegen eine Verpflichtung von Manuel Neuer ausspox
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Bayern München und Manuel Neuer - wächst da vielleicht in Zukunft was zusammen, was nicht zusammen gehört? SPOX ging der Frage nach und hörte sich um: Bei den Initiatoren des Fan-Protest in der Bayern-Kurve, bei mySPOX-Usern, bei Sport-Bloggern und nicht zuletzt beim FC Bayern selbst. Ergebnis: Das Bayern-Lager ist gespalten - und fühlt sich an den Fall Klinsmann erinnert.

EXKLUSIV Im Heimspiel gegen den FC St. Pauli war es nicht zu überhören, im Auswärtsspiel beim VfB Stuttgart nicht zu übersehen: Teile der Bayern-Fans machen gegen einen möglichen Wechsel von Nationaltorhüter Manuel Neuer an die Isar mobil.

Gegen St. Pauli entrollten die Ultras der "Schickeria München" zwei Spruchbänder mit der Aufschrift "Mia brauchan koan Neuer Torwart - mia ham scho Kraft!!!" und ließen dazu während des Spiels "Neuer raus!"-Rufe aufs Spielfeld regnen.

In Stuttgart verteilte die Fan-Gruppe Zettel mit der Aufschrift "Koan Neuer!" in der Kurve, die Bilder davon gingen durch ganz Deutschland. Die Message ist klar: Man möchte keinen Schalker im Tor stehen haben, sondern lieber Nachwuchstorhüter Thomas Kraft.

Die Frage ist: Wächst dort vielleicht etwas zusammen, was wegen Neuers Fan- Vergangenheit einfach nicht zusammengehört? Und sprechen die Initiatoren der Proteste überhaupt für die breite Masse der Bayern-Fans? SPOX hat sich an allen Fronten umgehört.

Das sagen die Initiatoren der Protest-Aktion:

Statement eines der 'Capos' der Schickeria München: "Manuel Neuer ist Mitglied beim FC Schalke seit er fünf Jahre alt ist und hat alle Jugendmannschaften durchlaufen. Das alleine ist nicht schlimm - aber was die Sache speziell macht, ist, dass Neuer auch ein Hardcore-Schalke-Fan ist, der früher in der Nordkurve stand - Stichwort: Buerschenschaft - und heute noch dem aktivsten Teil der Ultras Gelsenkirchen sehr nahe steht."

"Er stand bestimmt oft genug in der Kurve und hat gegen die 'Scheiß-Bayern' gesungen. Dazu hat man die Bilder vor Augen, wie er als Profi im T-Shirt der Fans mit Megaphon vor der Schalker Kurve feiert und wie er einst in München Oliver Kahn mit seinem Eckfahnen-Jubel verhöhnte. Das war in den Augen vieler Bayern-Fans Majestätsbeleidigung. Damit hat er sich wirklich keine Freunde gemacht."

"Manuel Neuer ist ein guter Torwart, das stellt keiner in Frage. Wir begrüßen es auch, wenn sich ein Spieler total mit seinem Verein identifiziert. Deshalb soll er aber auch bei Schalke bleiben, oder, wenn er andere Ziele hat, ins Ausland wechseln."

"Das Ganze ist natürlich mit einem klaren 'pro Kraft' verbunden. Wir haben da einen jungen Torwart, der richtig gut ist und sein Talent bereits bewiesen hat. Jörg Butt ist sicher auch noch für ein Jahr gut und wenn man Kraft in dieser Zeit weiter ernsthaft an die erste Mannschaft heranführt, ist das aus unserer Sicht die beste Lösung."

"Wir können natürlich nicht für die 11 Millionen Bayern-Fans auf der ganzen Welt sprechen. In der Südkurve und auf Auswärtsfahrten bekommen wir für unseren Protest jedoch großen Zuspruch, das Meinungsbild ist dort sehr deutlich - nicht nur unter den Ultras, sondern auch unter den eher traditionelleren Fans."

"Unser Standpunkt ist klar: Wir wollen keinen Ur-Schalker in unserem Tor und hoffen, dass wir damit im Vorstand Gehör finden. Das würde auch eher zur neuen Vereinsphilosophie mit dem viel postulierten 'ganzheitlichen Ansatz' passen, laut dem auch die atmosphärischen Rahmenbedingungen einzubeziehen sind."

Das sagen die deutschen Sport-Blogger:

Frank Helmschrott (helmschrott.de): "Von einer allgemein gültigen Meinung unter den Bayern-Fans kann bei den Fan-Protesten ganz sicher nicht die Rede sein. Meiner Meinung nach wird ein großer Teil der Münchner Anhänger einem Wechsel gegenüber positiv eingestellt sein. Unwahrscheinlich ist auch, dass die Spruchbänder, Plakate und Chorgesänge entscheidenden Einfluss auf die Transfergeschäfte der Vereinsführung haben. Manuel Neuer hat man dort offensichtlich schon vor langer Zeit ins Visier genommen und daran wird sich auch nichts mehr ändern. Etwaige anfängliche Schwierigkeiten dürften sich nach den ersten Glanzparaden ganz plötzlich von selbst erledigen."

Christoph Anheuser (sportmedienblog.de): "Die (laute) Meinung ein paar Weniger in der Südkurve stellt mit Sicherheit nicht die Mehrheit dar. Dennoch könnten diese Proteste Auswirkungen haben, besonders nach der Causa Klinsmann. Uli Hoeneß hat mehrfach betont, er habe in dessen Fall die mangelnde Fan-Akzeptanz unterschätzt. Allerdings hat ein Torwart nicht die exponierte Stellung eines Trainers. Neuer wäre zudem nicht der erste Spieler, der sich nach anfänglichem Argwohn am Ende doch in die Herzen der Fans gespielt hätte. Für Fans, denen die Identifikation mit den Spielern auf dem Rasen das Wichtigste ist, die zur Not auch einen Mittelfeldplatz mit einer Mannschaft nur aus echten Münchnern akzeptieren würden, stellt Neuer den Anti-Christen schlechthin dar. Neuer ist für sie nicht der beste Torwart Deutschlands, sondern einer, der - hätte er nicht dieses Talent - beim 'Feind' in der Kurve stehen würde. Daraus folgt dann auch die derzeitige Lobpreisung von Kraft, die in weiten Teilen rein emotional begründet ist. Kraft wird nicht als Nummer 1 gefordert, weil er die Befähigung dazu hätte, sondern einfach, weil er nicht Neuer ist."

Mario Brosch (miasanmia.wordpress.com): "Die Vergangenheit zeigt, dass Anerkennung schnell über Leistung gewonnen werden kann. Das wissen sowohl unsere Vereinsoberen, als auch Neuer selbst. Ein gutes Beispiel hierfür ist Andi Möller, der einst von Dortmund zum Erzfeind nach Schalke wechselte. Mit jedem guten Spiel sind die Pfiffe gegen ihn leiser geworden und am Ende wurde er gefeiert und respektiert wie jeder andere Schalker auch. Bei Neuer ist die Situation nicht einmal annähernd so prekär, da er lediglich von den bekannten Ultra-Gruppen und deren Sympathisanten abgelehnt wird. Bei Neuer weiß man, woran man ist. Das Risiko eines Torwartproblems wird mit ihm langfristig auf fast Null reduziert. Es ist also eine Frage des Anspruchs. Der Anspruch des FC Bayern ist die deutsche Nummer Eins. Und das ist Manuel Neuer."

Das sagen die mySPOX-User der FCB@SPOX-Gruppe:

Voegi: "Ein Verein mit den Ansprüchen des FC Bayern muss sich um den mit Abstand besten Torhüter Deutschlands bemühen. Eine andere Erwartungshaltung wäre geradezu naiv. Es ist durchaus legitim, wenn sich Fans gleichwohl für Thomas Kraft stark machen. Doch auch hier gilt: Der Ton macht die Musik. Sich für Kraft einzusetzen, darf nicht dazu führen, Neuer nieder zu machen. Sollte Neuer eines Tages wirklich nach München wechseln, werden sich auch die Kraft-Freunde mit ihm arrangieren müssen." SPOX

Labbes: "Neuer wäre sportlich gesehen natürlich eine überragende Verpflichtung. Er ist jedoch ein Vollblut-Schalker und daran würde ein Wechsel zu den Bayern nichts ändern. Klar würde er dann seine Leistungen abrufen, aber eine große Identifikation mit den Bayern - wie z.B. Kahn oder Schweinsteiger - wird Neuer niemals haben. Die Mannschaft sollte sich aber voll mit dem FCB identifizieren und sowohl sportlich als auch menschlich alles für den Verein tun. In dieser Rolle sehe ich Kraft auf jeden Fall eher als Neuer."

DanielOcean: "Dass Neuer eine echte Schalker Fan-Vergangenheit hat - nun, jeder macht mal Fehler in jungen Jahren. Im Ernst, das würde ich nicht so hoch hängen. Fakt ist: Man hat beim FCB auf der Torwart-Position sehr wenig Spielraum für Experimente. Ins Tor gehört jemand, der seine Klasse bereits unter Beweis gestellt hat. Das Umfeld würde Kraft bei glücklosen Auftritten sonst zermalmen wie einst Michael Rensing. Neuer wäre daher die Optimalbesetzung für den FC Bayern. Er ist sicher Profi genug, um stets 100 Prozent für den Verein zu geben - auch in Spielen gegen S04."

Teil 2: Was sagen die Bayern zu Neuer und dem Fan-Protest?

Das sagen die Bayern-Verantwortlichen:

Von Bayern-Seite aus hält man den Ball bewusst flach. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge betonte unlängst gegenüber der "Bild": "Ganz ehrlich: Ich möchte diese Diskussion im Moment nicht führen." Und: "Ich sage mit vollster Überzeugung: Wir haben kein Torwart-Problem." Der FCB spielt von Vorstandsseite aus klar auf Zeit.

Soll heißen: Wenn Manuel Neuer nicht 2011 kommt - wofür man Ablöse bezahlen müsste - dann kommt er eben nach Vertragsende 2012. Der Name Neuer ist von Bayern-Seite allerdings stets bewusst ausgeklammert worden, Kontakte wurden immer dementiert. "Wir haben das Thema Neuer nie thematisiert und mich wundert auch, dass es so ein Thema ist", sagte Sportdirektor Christian Nerlinger vor kurzem.

Trainer Louis van Gaal möchte sich indes gar nicht mehr zu Kader-Fragen äußern, verweist stets auf den Vorstand. Angeblich sollen er und Torwart-Trainer Frans Hoek aber total auf Thomas Kraft vertrauen - auch, wenn das nicht durch Zitate belegt ist.

Für diese These spricht, dass Kraft zum Saisonende schon ein Jahr die Philosophie der Holländer aufgesogen hätte und - vor allem von seinen fußballerischen Qualitäten her - genau dem Anforderungsprofil der beiden entspricht.

Angst davor, einen jungen Mann ins kalte Wasser zu werfen, hat das Duo gewiss nicht: Van Gaal und Hoek machten einst bei Ajax Edwin van der Sar mit 21 Jahren zur Nummer eins, später bei Barcelona auch den damals erst 20-jährigen Victor Valdes.

Im Endeffekt würden sie sich aber einer Entscheidung des Vorstandes beugen müssen. Und Kraft, dessen Vertrag ausläuft, stellte bereits gegenüber der "tz" klar: "Wenn Neuer kommt, dann gehe ich. Es macht dann ja keinen Sinn."

Das sagen die Bayern-Spieler:

Jörg Butt (Vertrag läuft aus): "Der Verein denkt noch darüber nach, wie man auf der Torhüter-Position weiter macht. Das man dabei viele Faktoren berücksichtigt, ist ganz klar. Sicherlich wird man dabei auch die Meinung der Fans berücksichtigen. Das mit den Fan-Protesten hängt mit den zwei sehr guten Spielen von Thomas Kraft zusammen. Ich glaube, es ist normal, dass sich die Fans wünschen, dass möglichst viele Spieler aus den eigenen Reihen auf dem Platz stehen. Das sorgt für eine unglaublich hohe Identifikation. Insofern ist diese Reaktion der Fans nachzuvollziehen. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, dass dem Team weiter 'Farbtupfer' wie Franck Ribery oder Arjen Robben verpasst werden."

Mario Gomez (wechselte 2009 von Stuttgart nach München): "Es ist nun mal so, dass es gewisse Fan-Rivalitäten gibt. Sicher wäre ein Wechsel für manche schwer vorstellbar. Letztlich wird der Verein aber das tun, was er für richtig hält. Auch wenn er jetzt weiß, was die Fans denken: Entscheidend wird das nicht sein."

Bastian Schweinsteiger (im "Audi Star Talk"): "Wir haben aktuell überhaupt kein Problem im Tor. Butt hält hervorragend, Kraft hat viel Talent. Natürlich haben wir die Chance, mit Manuel Neuer den besten deutschen Torwart nach München zu holen und ich bin immer der Meinung, dass die besten Spieler Deutschlands bei Bayern spielen sollten."

Das sagen die Bayern-Experten:

Ehrenpräsident Franz Beckenbauer (bei "SKY"): "Wenn der Transfer noch nicht in trockenen Tüchern ist, dann findet er auch nicht statt. Manuel Neuer hat mittlerweile einen Marktwert. Er ist der beste Torhüter der Welt. Er ist begehrt. Wenn er nicht schon bei Bayern unterschrieben hat, dann wird der Transfer nicht stattfinden - er wird immer teurer."

Ex-Torwart Oliver Kahn (im "Sport1-Doppelpass"): "Es ist gerade bei Bayern München für einen sehr jungen Torwart sehr schwierig, diesem andauernden Druck stand zu halten. Bei einem Verein wie Bayern München muss ein Torwart von absolutem Weltklasseformat im Tor stehen. Thomas Kraft ist ein riesengroßes Talent, aber keiner von uns weiß, wie er unter höchsten Druckanforderungen reagieren wird."

Das sagt SPOX:

Dass man nicht einfach über Fan-Ressentiments hinweg Personal-Entscheidungen treffen kann, hat der FC Bayern zuletzt bei Jürgen Klinsmann deutlich zu spüren bekommen - und der hatte immerhin eine Spieler-Vergangenheit beim FCB.

Dass die Bayern-Ultras klar Stellung beziehen und sich für einen unerfahrenen Nachwuchstorhüter stark machen, kann die Vereinsführung nicht einfach ignorieren.

Zumal die Dinge bei weiteren gezielten Aktionen durchaus eine Eigendynamik entwickeln und das Meinungsbild zum Kippen bringen könnten.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch noch überhaupt nicht klar, welche Seite die Oberhand hat: Die Pro-Neuer- oder die Contra-Neuer-Fraktion?

Solange dort keine klare Front erkennbar ist und die Proteste weiter nur einzelnen Fangruppierungen zuzuordnen sind, brauchen Hoeneß, Rummenigge und Co. kein schlechtes Gewissen zu haben.

Und auch wenn die Proteste weiter zunehmen sollten: Mit Badstuber, Contento, Lahm, Alaba, Kroos, Ottl, Schweinsteiger und Müller haben die Bayern bereits eine große Anzahl an Spielern mit "Stallgeruch", mit denen der Vorstand in punkto "Zwei-Säulen-Modell" jederzeit argumentieren kann. Und sportlich gibt es in Bezug auf Neuer sowieso keine Diskussion.

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