Matthijs de Ligt war bei Juventus Turin drei Jahre lang Stammspieler in einer Mannschaft, die immer schlechter wurde. Trotzdem überzeugte der 22-jährige Innenverteidiger und behielt außerdem seinen Humor. Wechselt er jetzt zum FC Bayern München?
Matthijs de Ligt war bei seinem Wechsel von Ajax Amsterdam zu Juventus Turin 2019 zwar erst 19 Jahre alt, maß aber bereits 1,89 Meter und wog knapp 90 Kilogramm. Außerdem kostete er eine stattliche Ablösesumme in Höhe von 85,5 Millionen Euro. Und trotzdem fühlte er sich wie ein kleiner Bub.
"Als ich das erste Mal in die Umkleidekabine ging, war ich wie ein Kind im Süßwarenladen. Da ist Buffon, da ist Ronaldo", berichtete er wenige Monate nach seiner Ankunft in einem Interview mit seinem Teamkollegen Wojciech Szczesny auf dem YouTube-Kanal Foot Truck. "Erst nach zwei Monaten hatte ich das Gefühl, dass ich mehr ich selbst sein konnte."
De Ligt kam zu einer der besten Mannschaften Europas. Mit Superstar Cristiano Ronaldo strebte der italienische Serienmeister nach der ultimativen Krönung, dem Champions-League-Sieg. Geklappt hat es nicht, stattdessen ging es mit Juve rapide bergab: Auf einen letzten Meistertitel 2020 folgten zwei vierte Plätze. In der Champions League war jeweils im Achtelfinale Endstation, gegen die Außenseiter Olympique Lyon, FC Porto und FC Villarreal.
Kaum einen Klub traf die Corona-Pandemie wirtschaftlich so hart wie Juve. Die Süßigkeiten Ronaldo und Buffon wurden bald aus dem Sortiment genommen, die Mannschaft verschlechterte sich nach und nach. Auch in Anbetracht der regelmäßigen Trainerwechsel verlor sie Selbstvertrauen und Selbstverständnis. Weder Spielmacher-Ikone Andrea Pirlo noch der vermeintliche Erfolgsgarant Massimiliano Allegri sorgten für einen Umschwung.
imago imagesDe Ligt avancierte zum Gespött der gestylten Italiener
De Ligt präsentierte sich trotz dieses Abwärtstrends stabil. Tatsächlich wuchs er während der drei Jahren zu einer Säule, die womöglich einen noch schlimmeren Absturz verhinderte. Als Beweis dienen auch seine starken Statistiken (siehe Tabelle unten). Dabei hatte sein Start in Turin anderes befürchten lassen.
Beim Debüt ging es in der Serie A gegen den SSC Neapel: Juve führte früh 3:0, ehe de Ligt Anteil an allen drei Gegentoren zum Ausgleich hatte (in der Nachspielzeit gelang Juve doch noch das Siegtor). In den folgenden Wochen fiel de Ligt hauptsächlich mit einer beachtlichen Anzahl an verschuldeten Handelfmetern auf. Immerhin seinen Humor verlor er im Zuge dessen nicht: Bereitwillig erzählte er, dass seine Kollegen bei ihm "einen Magnet im Arm" vermuten würden.
Thema war bei Juve übrigens nicht nur, was sich in de Ligts Körper befindet, sondern auch, was ihn bedeckt. "Im Verein werde ich manchmal dafür ausgelacht, wie ich mich kleide. Aber das ist mir egal", erzählte er in einem Interview mit de Volkskrant. Der blasse Holländer zwischen all den gestylten Italienern. "Ich bin einfach kein Fan von teuren Designer-Klamotten. Ihr werdet mich nie in einem maßgeschneiderten Anzug zum Training gehen sehen."
Matthijs de Ligt bei Juventus Turin: Seine Statistiken
2019/20 | 2020/21 | 2021/22 | |
Pflichtspielminuten | 3348 | 2984 | 3692 |
Passquote | 91,15 Prozent | 91,69 Prozent | 88,62 Prozent |
Zweikampfquote | 58,05 Prozent | 62,73 Prozent | 60,45 Prozent |
Klärungen | 119 | 85 | 135 |
Ballgewinne | 191 | 186 | 173 |
Ausgedribbelt worden | 12 | 13 | 5 |
De Ligt bei Juve: Stammplatz und Taktik-Probleme
Nach Italien gekommen war de Ligt ohnehin nicht, um seinen Kleidungsstil zu optimieren. Er war gekommen, um im Eldorado der Defensivarbeit seinen Abwehr-Master zu absolvieren. "Für einen Verteidiger ist es wichtig, in Italien zu spielen", erklärte sein mittlerweile verstorbener Berater Mino Raiola. "Wenn du zu den Besten der Welt gehören willst, ist das der nötige Schritt."
Mit Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci verfügte Juve über zwei der gefürchtetsten Innenverteidiger überhaupt. Außerdem stand zum Zeitpunkt seiner Ankunft der hochgehandelte Türke Merih Demiral im Kader. Chiellini fiel zunächst wegen eines Kreuzbandrisses aus, de Ligt etablierte sich in einer Viererkette als Bonuccis Nebenmann. Weil auch später eigentlich immer einer der beiden Altstars gesundheitliche Probleme hatte, war de Ligts Stammplatz nie in Gefahr. Er selbst fiel nur einmal länger aus: zu Beginn der zweiten Saison wegen einer Schulterverletzung.
Zu leiden hatte de Ligt bei Juve nicht unter zu wenig Spielzeit, sondern zunehmend unter der taktischen Ausrichtung. Bei seinem auf dominanten Ballbesitz-Fußball gepolten Jugendklub Ajax lernte er das riskante Verteidigen mit einer hohen Kette. Unter Maurizio Sarri und Andrea Pirlo wurde dieser Ansatz immerhin sporadisch angewandt. Vor allem in der vergangenen Saison unter Allegri agierte Juve aber sehr tief und abwartend, was de Ligts Fähigkeiten nicht entgegenkommt. Verschieben, verschieben, verschieben statt spektakuläre Duelle Mann gegen Mann.
De Ligt könnte zum FC Bayern München wechseln
In Anbetracht dessen und des fortschreitenden Abwärtstrends seiner Mannschaft positionierte Raiola de Ligt im vergangenen Winter auf dem Markt: Sein Klient sei "bereit für den nächsten Schritt". Raiola nutzte die Gelegenheit außerdem, um von einem bayerischen Interesse vor de Ligts Wechsel zu Juventus zu erzählen. "Wissen Sie eigentlich, dass wir fast Matthijs de Ligt nach München gebracht hätten?", sagte Raiola bei Sport1. "Wir waren in sehr guten Gesprächen. Schade, dass es am Ende nicht geklappt hat."
Drei Jahre später könnte es nun doch noch passieren: De Ligt will dem Vernehmen nach zum FC Bayern, die Klubs stehen bereits in Verhandlungen über eine Ablösesumme. In München würde er auf eine von Ajax gewohnte Spielphilosophie treffen und außerdem auf seine Ex-Kollegen Noussair Mazraoui und Ryan Gravenberch.
Bei Ajax führte er die beiden einst sogar als Kapitän an: Erik ten Hag übergab dem damals 19-jährigen de Ligt 2018 die Binde, es folgte der sensationelle Sturm ins Champions-League-Halbfinale. Auch bei Juve wurde de Ligt, der innerhalb kürzester Zeit Italienisch lernte, schon als Kapitän einer Zukunft nach Bonucci und Chiellini gehandelt. Mit ihm bekäme Nagelsmann seinen ersehnten Abwehrchef.