Oliver Glasner trainiert nach Stationen beim SV Ried und dem Linzer ASK in Österreich seit diesen Sommer den VfL Wolfsburg. Mit den Wölfen ist er vor der Partie am Freitag in Düsseldorf (live auf DAZN und im LIVE-TICKER) noch ungeschlagen.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Glasner über seine schwere Kopfverletzung, den Unterschied zwischen Deutschland und Österreich und ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Herr Glasner, Sie mussten 2011 Ihre Karriere als Profi beenden, da Sie in Folge eines Zusammenpralls eine Gehirnblutung erlitten und notoperiert werden mussten. Die Ärzte sagten damals, dass Sie praktisch mit einem Fuß schon unter der Erde waren. Wie sehr hat Sie dieses Ereignis verändert?
Oliver Glasner: Es ist nicht so, dass ich mich täglich daran erinnere. Das ist jetzt auch schon wieder acht Jahre her. In manchen Situationen hilft es mir aber, mich wieder zu erden. Ich kann dann getrost sagen, dass es Schlimmeres im Leben gibt. Es war natürlich ein sehr einschneidendes Erlebnis, wobei ich mich an die Zeit kurz vor der OP nicht mehr erinnern kann. Im Nachhinein realisierte ich durch die Ärzte und durch Erzählungen, was eigentlich passiert war und wie viel Glück ich hatte. Als ich im Krankenhaus lag, wurde mir klar, was wichtig im Leben ist.
Stimmt es, dass Sie sich manchmal Bilder Ihrer Verletzung anschauen, um genau dies noch einmal zu reflektieren?
Glasner: Ja, allerdings nur ganz selten, vielleicht einmal im Jahr. Ich bin ein sehr akribischer, ehrgeiziger Mensch. Nur vereinzelt schieße ich mal übers Ziel hinaus. Ich erinnere mich dann daran und sage mir: "Oliver, eigentlich geht es dir doch ganz gut."
SPOXMit Blick auf Ihre schwere Kopfverletzung: Wie denken Sie über eine Einführung eines concussion protocols wie in der NFL?
Glasner: Was für die Gesundheit der Spieler förderlich ist, muss intensiv diskutiert werden. Meine Verletzung spielt da auch überhaupt keine Rolle. Eine Einführung hätte ausschließlich Vorteile. Ich würde das sehr begrüßen, weil Dynamik und Intensität im Fußball stark zugenommen haben und Jahr für Jahr wichtiger werden. Dadurch steigt auch die Anzahl der Kopfverletzungen und Zusammenstöße. Das lässt sich mittlerweile leider kaum mehr vermeiden.
Wie sähe für Sie eine mögliche Umsetzung im Detail aus?
Glasner: Dafür bin ich der falsche Ansprechpartner. Wichtig ist, dass den Ärzten die Entscheidung obliegt. Letztlich kann nämlich nur ein Arzt sagen, ob es zumutbar wäre, den Spieler weiterspielen zu lassen oder nicht. Da darf es nicht auf den Spielstand ankommen oder wie lange noch gespielt wird.
Seit 20 Jahren arbeiten Sie mit dem Soziologen Werner Zöchling zusammen, der unter anderem auch schon Borussia Dortmund betreute. Sie haben in einem Interview mal erzählt, dass Sie sich von Jose Mourinho abgeschaut haben, wie er bei schlechten Aktionen positiv bleibt.
Glasner: Ich beobachte viel - nicht nur Trainer, auch andere Persönlichkeiten - und versuche, mich ständig weiterzuentwickeln. Mich interessiert es schon immer, wie Lernen funktioniert und wie ich verschiedene Dinge schneller begreifen kann. Es ist wichtig, nicht nur auf sich selbst zu schauen, wenn man sich weiterentwickeln möchte.
Sie haben mal erklärt, dass Sie rechtzeitig den Absprung vom Trainerberuf schaffen wollen. 2012 waren Sie bereits Sportkoordinator bei Red Bull Salzburg. Käme ein solcher Job noch einmal in Frage?
Glasner: Das kann ich jetzt nicht sagen. Ich habe das deswegen so formuliert, weil ich dazu ein ganz bestimmtes Bild im Kopf habe: Als Ernst Happel am Ende seines Lebens immer noch ein Spiel gecoacht hat und sehr gezeichnet aussah, dachte ich mir nur: So möchte ich nicht aufhören. Der Trainerjob macht mir unglaublich viel Spaß und ist meine Leidenschaft, aber er ist auch sehr kräfteraubend.
In welchen Situationen merkt man, wie viel Energie er verschlingt?
Glasner: Mein ältester Sohn wird nun 18 Jahre alt und ich war vielleicht drei Mal bei seinem Geburtstag zu Hause, weil zu dieser Zeit immer die Trainingslager stattfinden. Wenn man dann nur übers Telefon gratulieren kann, denkt man schon mal darüber nach. Oder auch andere Feierlichkeiten, die meist ja am Wochenende stattfinden. Es ist so, dass ich viele Facetten des gesellschaftlichen Lebens nicht mitbekomme. Das sind die Opfer, die du bringen musst.
Bei Ihrer Vorstellung in Wolfsburg haben Sie erklärt, dass Sie eine Wand Ihres Büros einreißen ließen. Kommen dadurch mehr Spieler ins Trainerbüro als sonst?
Glasner: Nein, das wurde vielleicht auch falsch verstanden. Ich habe die Wand einreißen lassen, damit ich mit meinem gesamten Stab arbeiten oder auch einfach mal zusammensitzen kann. Und es hat den Vorteil, dass alle stets auf dem gleichen Wissenstand sind.
Sie haben als Spieler über 500 Spiele abgerissen und sind 2008 bei der Wahl zu Österreichs Fußballer des Jahres auf Platz fünf gelandet. Welche Qualitäten hatte denn der Spieler Glasner?
Glasner: Für die deutsche Bundesliga hätte es eher nicht gereicht. Ich kann aber sagen, dass ich auch als Spieler ein absoluter Teamplayer war. Und ich wollte nie etwas dem Zufall überlassen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Solche Ehrungen bedeuten mir aber wenig, da Fußball ein Mannschaftssport ist.
Wie ergeht es Ihnen als Trainer bei der Umstellung von der österreichischen auf die deutsche Bundesliga?
Glasner: Mit der Sprache ist es nicht so schlimm. Ich habe damit eigentlich keine Probleme. Man muss sich mit der Philosophie immer ein bisschen anpassen, ohne aber seine Grundtugenden zu verlassen. Das fängt bei der Mannschaft an.
Inwiefern?
Glasner: Sie konnte anfangs die Trainingsintensität, die ich nach vier Jahren in Linz gewohnt war, nicht mitgehen. Ihnen wurde es einfach zu viel. Ich hatte dann zwei Möglichkeiten: Entweder ziehe ich voll durch, doch dann hätten wir etliche Muskelverletzungen bekommen - oder ich passe mich eben an. Mittlerweile sind wir angekommen, wie ich es mir vorstelle.
Aufgrund der Belastungen durch die Europa League werden Sie häufiger rotieren müssen. Der VfL trifft in der Gruppenphase auf KAA Gent, AS Saint-Etienne und den ukrainischen Klub PFK Olexandrija. Leichte oder schwere Gruppe?
Glasner: Es sind nicht die großen Namen, aber ist dennoch eine spannende Gruppe - und keinesfalls eine leichte. Alle Teams sind aus den Top-9 der jeweiligen Länder-Koeffizienten. Wenn wir als Sechster der Bundesliga gegen den Fünften der Ligue 1 spielen, dann ist das kein Klassenunterschied, wie man bei Frankfurt gegen Straßburg gesehen hat.
Muss ein Bundesligaverein den Anspruch haben, die Europa League zu gewinnen?
Glasner: Letzte Saison haben wir alle gesehen, wie stark die englischen Klubs sind. Eintracht Frankfurt hat eine außergewöhnliche Europa-League-Saison gespielt und war dem Erreichen des Finales so nah wie zuvor keine deutsche Mannschaft. Dass man wahrscheinlich in der Runde der letzten 32 gegen einen Gruppendritten aus der Champions League spielen muss, macht das Unterfangen nicht einfacher. Das muss man bei allem berechtigten Anspruchsdenken berücksichtigen.
Abschließend noch ein übergeordnetes Thema: 2016 sind Sie als Trainer des Linzer AK bei einer Partie auf den Platz gestürmt, um den Schiedsrichter auf rassistische Äußerungen der Zuschauer aufmerksam zu machen. Dafür wurden Sie dann auf die Tribüne verwiesen. Würden Sie dies wieder tun?
Glasner: Ganz klares Ja!
Wie beurteilen Sie in diesem Kontext die aktuellen Entwicklungen hinsichtlich rassistischer Äußerungen von manchen Fans?
Glasner: Das ist absolut katastrophal. Das Stadion darf kein rechtsfreier Raum sein. Wenn ich jemanden im Einkaufszentrum mit einer Flasche bewerfe, werde ich angezeigt. Es müssen im Stadion die gleichen Vorschriften wie überall gelten. Wenngleich hoffentlich jedem klar ist, dass das kein reines Problem des Fußballs, sondern ein gesamtgesellschaftliches ist.
In Deutschland wurde in den vergangenen Jahren die AfD immer stärker, in Österreich die FPÖ. Wie beobachten Sie das?
Glasner: Ich finde das erschreckend. Ich kenne mich zwar nicht über die Maßen gut mit Geschichte aus, aber alles, was in der Vergangenheit mit Rassismus und Unterdrückung zu tun hatte, ist nie gut ausgegangen. In Europa müssen wir langsam merken, dass wir auf den völlig falschen Dampfer kommen. Dass jemand eine andere Hautfarbe oder Religion hat, ist kein Grund für irgendeine Abgrenzung. Ich finde es schlimm, wenn sich Menschen über andere stellen.