Er ist noch nicht einmal 18 und wird schon von Mino Raiola beraten und hat einen Deal mit Nike abgeschlossen. Gleichzeitig wird PSG-Talent Xavi Simons im Netz mit purem Hass überschüttet. Die Geschichte eines polarisierenden Ausnahmetalents.
Sieben Worte, drei Fotos, zwei Emojis - über 700.000 Likes. So verkündet man als Wunderkind seinen mehr als drei Millionen Followern, dass man gerade sein erstes Profispiel gemacht hat. "Proud to make my debut tonight @psg", schreibt Xavi Simons auf seinem Instagram-Account. Das Löwen-Emoji dahinter symbolisiert seine Haarpracht, der Telefonhörer seinen Signature-Jubel, den er selbstverständlich schon längst hat. In den Kommentaren unter dem Post tummeln sich gestandene Fußballer und solche, die es werden wollen. Marc Bartra, Alessandro Florenzi, Eljero Elia, Jamal Musiala sind nur ein Teil der vielen Profis, die ihre Glückwünsche dalassen.
Der beliebteste Kommentar eines Accounts ohne blauen Haken ist ein einziges Wort: "Overrated". Überbewertet. 126 Likes. Es ist dieser Zwiespalt, in dem sich die öffentliche Wahrnehmung über Xavi Simons bewegt. Zwischen Superstar und Versager. Zwischen übertriebener Lobhudelei und Hass. Zwischen neuer Messi und geldgieriger Verräter. Schon Jahre vor Simons Profi-Debüt hatte sich die Öffentlichkeit eine Meinung zu ihm gebildet.
Xavi Simons ist: ein Internet-Phänomen, einer der bestbezahlten Teenager der Welt und nicht zuletzt ein extrem begabter und bei gleich zwei Weltvereinen gut ausgebildeter Fußballer - und daher nicht nur beliebt. Neun Jahre war Simons alt, als er ins Rampenlicht gestellt wurde: Highlight-Videos des kleinen, sympathischen Jungen mit den blonden Locken und dem blau-roten Trikot des FC Barcelona, der den Ball so eng an seinem Fuß führte und der so schön und präzise Pässe spielte, wie man es so gut wie nie von Kindern in seinem Alter sieht. Ein Ausnahmetalent, daran bestand kein Zweifel.
Ob neuer Messi, Xavi, oder Ronaldinho: Fachleute und User überboten sich mit Vergleichen für das Kind. "Ich kann mich noch an ein Spiel gegen Belgien erinnern", erzählt Peter van der Veen, Simons erster Trainer bei der niederländischen U15-Nationalmannschaft, im Gespräch mit SPOX und DAZN. "Die Leute wollten unbedingt Xavi sehen. Nach dem Spiel warteten 300 Kinder vor dem Mannschaftsbus. Xavi brauchte Security, um durch die Menge zu kommen. Aber er ist sehr professionell damit umgegangen. Er war für sein Alter schon extrem weit."
Xavi Simons' Ex-Coach: "Natürlich wurde er oft umgetreten"
Zwei Jahre lang trainierte van der Veen den kleinen Xavi Simons, der jünger als seine Teamkameraden war und doch zu den Besten gehörte. Der Trainer beschreibt Simons als sehr ruhigen Menschen, dem der Rummel um seine Person nicht zu Kopf gestiegen ist: "Er hat unserer Mannschaft extrem gut getan. Ich habe seine Arbeitsmoral einfach geliebt", sagt van der Veen "Oft sind diese jungen, extrem talentierten Spieler nicht allzu fleißig und denken, dass sie es schon von alleine nach oben schaffen. Er war ganz anders. Es war beeindruckend, wie hart er gearbeitet hat. Und das, obwohl es schon damals diese Aufmerksamkeit für ihn gab." Diese Aufmerksamkeit brachte ihm als 14-Jährigen nicht nur einen Sponsoring-Vertrag mit Nike ein, sondern auch einen Deal mit dem vielleicht bekanntesten Spielerberater der Welt, Mino Raiola, der fortan die Karriereplanung des Jungen beeinflusste.
Doch diese Aufmerksamkeit hatte selbstverständlich auch negative Seiten. Auf dem Platz bekam Simons seine Prominenz regelmäßig zu spüren. Fouls und harte Tacklings der Gegenspieler gehörten für ihn zum Alltag. "Natürlich wurde er oft umgetreten. Aber er ist immer aufgestanden und hat weitergespielt ohne Emotionen zu zeigen. Ich denke, wenn man als Kind schon bei Barça spielt, ist man das einfach gewohnt", so van der Veen. So weit, so normal. Doch dann, im Juli 2019, kippte auch die öffentliche Stimmung schlagartig.
"Ich lasse einen Teil von mir in Barcelona und ein Teil von Barcelona wird mich immer begleiten", lautete die Überschrift des Instagram-Posts, den Simons im Stile eines Superstars auf drei Sprachen verfasst hatte. Noch nie zuvor hatte der Wechsel eines 16-Jährigen so große Wellen geschlagen. Ganz Europa hatte den jungen Niederländer bis zu diesem Zeitpunkt gejagt. Selbst Real Madrid soll viel versucht haben, um Simons vom Erzrivalen loszueisen. Doch der entschied sich für einen Wechsel nach Paris. Der französische Serienmeister hatte dem Teenager laut Medienberichten ein Jahresgehalt zwischen 400.000 Euro und einer Million Euro geboten. Barças Angebot soll bei 200 000 Euro netto gelegen haben. Plus Boni.
Xavi Simons Coach: "Er wird nicht wie Xavi oder Iniesta"
Nachdem die Katalanen Simons über Jahre hinweg auf Social Media und in Interviews zu einem angehenden Superstar aufgebaut hatten und dieser die Bürde auferlegt bekommen hatte, der Anführer einer neuen, vielversprechenden Generation aus der eigenen Jugend zu sein, war der Wechsel nach Paris für Barça ein Schock. Was genau Simons von Barça weggelockt hatte, ist bis heute nicht ganz geklärt. Hat das Geld den Ausschlag gegeben? War es das nicht ganz unbelastete Verhältnis zwischen Club und Spielerberater Mino Raiola? Der Wunsch, aus der überzogenen Erwartungshaltung auszubrechen? Oder dass der letzte Spieler aus La Masia, der sich vor Simons Wechsel in der ersten Mannschaft des FC Barcelona festspielen konnte, Sergi Roberto war, der 2011 debütiert hatte.
Klar ist jedoch, dass Simons seit diesem Tag zu einer Zielscheibe des Hasses geworden ist. Geldgier-Vorwürfe, Schlangen-Emojis und rassistische Beleidigungen fluten seither die Kommentarspalten unter den Posts des Teenagers.
Für die Hater war es ein gefundenes Fressen, dass Simons in seiner ersten Saison in der U19 von Paris die riesigen Erwartungen nicht erfüllen konnte. Sechs Tore, vier Assists, kein unumstrittener Stammspieler. Nicht wirklich spektakulär, aber doch ordentlich für einen gerade einmal 16-Jährigen zentralen Mittelfeldspieler, der gerade seine Heimat verlassen hatte und sich in einem komplett neuen Umfeld zurechtfinden musste.
Zu Beginn der aktuellen Saison trainierte Simons häufig mit der ersten Mannschaft. Doch unter Thomas Tuchel saß Simons lediglich zweimal auf der Bank. Währenddessen begann in Barcelona plötzlich die neue Generation, die Simons eigentlich hätte anführen sollen, bei den Katalanen Minuten und Einfluss zu bekommen. Riqui Puig (21), Òscar Mingueza (21), Ansu Fati (18) und zuletzt Ilaix Moriba (18).
In den sozialen Medien häufen sich hämisch Kommentare von enttäuschten Barça-Fans, dass Simons seine Karriere wegen seiner Geldgier verkauft habe. Doch mit der Ankunft von Mauricio Pochettino in Paris änderte sich die Situation des Nachwuchsspielers. Seit der Argentinier den Posten von Tuchel übernommen hat, ist Simons fester Teil des Kaders, sitzt bislang bei fast jedem Spiel auf der Bank - und schließlich, Mitte Februar, durfte er endlich seine ersten Profi-Minuten spielen.
Xavi Simons: Diesen Vergleich kann er nur verlieren
Das Pokalspiel gegen den Zweitligisten SM Caen war das erste Spiel des Jungen, den Fußballfans auf der ganzen Welt beim Aufwachsen beobachtet und bewertet haben. In der 78. Minute war es so weit. Julian Draxler trabte in Richtung Auswechselbank. In Simons Augen konnte man die Anspannung sehen. Doch kaum hatte er den Platz betreten, war von dieser Anspannung nichts mehr zu sehen. Simons zeigte ein engagiertes Spiel, bot sich an, lief aus dem Deckungsschatten der Verteidiger, deutete mit ausgestreckten Armen auf den Boden vor seinen Füßen. Hier gehört der Ball hin! Er warf sich in Zweikämpfe, hielt den Ball nicht zu lange, versuchte, der Mannschaft aktiv zu helfen.
Nach 16 Minuten war alles vorbei. 1:0 für Paris. Wäre Simons ein normaler Nachwuchsspieler, der mit 17 Jahren sein ersten Spiel für einen der besten Vereine der Welt gemacht hätte, würde man schlicht sagen: sehr vielversprechend. Doch zieht man den Vergleich, der ihn sein halbes Leben schon verfolgt, kann Simons nur verlieren. Lionel Messi hatte in seinem ersten Spiel drei Minuten nach seiner Einwechslung Albacetes Torwart Raúl Valbuena genial überlupft und den Sieg für Barcelona gesichert.
Kein Wunder also, dass Mauricio Pochettino nach diesen 16 Minuten in Caen erst einmal auf die Euphorie-Bremse drückte: "Er wird nicht wie Xavi oder Iniesta", sagte der Paris-Trainer nach dem Debüt und schob dann hinterher: "Aber er hat die Qualität für eine Karriere als Profi." Eine nüchterne Analyse. Van der Veen äußert sich da deutlich überzeugter: "Natürlich hat er die Qualität für eine Profi-Karriere. Er ist doch jetzt schon Profi. Wenn man so viele Spieler trainiert, wie ich, bekommt man schon ein Gefühl, aus wem etwas wird. Und Xavi steht eine schöne Karriere bevor.