Aufstieg, Klassenerhalt, Europa League - die Kurve bei Real Betis zeigte in den vergangenen Spielzeiten stetig nach oben. Jetzt hat sich das Blatt gewendet: Die Verdiblancos steigen sang- und klanglos als Tabellenletzter aus der Primera Division ab. Verletzungsprobleme, voreilige Entlassungen, Fan-Proteste und ein Insolvenzverfahren hinterlassen beim ehemaligen Meister einen Scherbenhaufen.
"Oh, welch eine Qual, Betis steigt ab" hallte es am 30. Spieltag der Primera Division hämisch durch das Estadio Benito Villamarin von Real Betis. Die Gäste-Fans des Stadtrivalen FC Sevilla feierten nach dem 2:0-Erfolg ihrer Mannschaft den Niedergang des Erzfeindes, während die Anhänger der Beticos das Stadion noch vor Spielende in Scharen verließen.
Knapp ein Jahr zuvor war derselbe Ort noch Schauplatz einer frenetischen Feier gewesen. Nach dem 4:0-Sieg gegen Real Zaragoza am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison bejubelten die Betis-Fans Platz sieben und damit die erreichte Qualifikation für die Europa League. Eine Saison, zwei Trainer, einen Sportdirektor und einen Präsidenten später ist die Lage nicht nur sportlich äußerst bedrohlich.
Auf Augenhöhe mit Real
Eigentlich hatte Betis die Saison gar nicht wie ein Absteiger begonnen: Gleich im ersten Spiel zeigte die Mannschaft von Trainer Pepe Mel, dass sie gegen Titelanwärter Real Madrid mithalten konnte und verlor im Estadio Santiago Bernabeu nur durch ein spätes Gegentor knapp mit 1:2. Aber direkt danach begann der Abwärtstrend.
Der vorläufige Höhepunkt der Krise ereignete sich in der letzten Oktoberwoche. Nach einer deftigen 0:5-Klatsche gegen Atletico Madrid lud Mel die Fans zu einem öffentlichen Training ein, um seiner Mannschaft den Rückhalt der Anhänger zu vergegenwärtigen. Aber er hatte die Rechnung ohne die aufgebrachten Ultras gemacht.
Die beschimpften sowohl Trainer als auch Spieler aufs Übelste und forderten ein Gespräch mit Mel und den Mannschaftskapitänen. Andernfalls würden sie das Training mit Gewalt beenden. Um Deeskalation bemüht setzten sich Mel sowie die Spielführer Jorge Molina und Nacho mit den pöbelnden Anhängern zusammen.
Die Besprechung verschlechterte das ohnehin bereits zerrüttete Verhältnis zwischen Trainer und Klub-Verantwortlichen. Präsident Miguel Guillen warf Mel vor, die Fans nur eingeladen zu haben, um sie auf seine Seite zu ziehen und seine Position im Verein zu stärken.
Es kam noch schlimmer
Auch sportlich hätte es für die Beticos in jener Woche nicht schlechter laufen können: Zwei Tage nach dem Zwischenfall verschoss Jorge Molina beim 0:0 gegen Levante gleich zwei Elfmeter, dann verloren die Verdiblancos gegen Malaga durch ein Tor in der 94. Minute mit 2:3.
Trainer Mel stand zunehmend in der Kritik, lehnte einen Rücktritt aber weiterhin entschieden ab. Er hatte sich durch den Aufstieg und die EL-Qualifikation um den Klub verdient gemacht, aber sein Bonus bei den Verantwortlichen war bald aufgebraucht: Anfang Dezember wurde er durch Juan Garrido ersetzt, der zuvor in Villareal und Brügge an der Seitenlinie gestanden hatte. Drei Wochen später beendete die Vereinsführung auch die Zusammenarbeit mit Sportdirektor Vlada Stosic - unter anderem aufgrund der Verpflichtung von Garrido.
Ein einziges Missverständnis
Das Verhältnis zwischen Betis und seinem neuen Trainer war von Anfang an ein einziges Missverständnis: Weder mit den Spielern noch mit der Klubführung wurde der 52-Jährige warm. Das 0:5 gegen Real Madrid bedeutete die fünfte Niederlage im fünften Spiel und besiegelte das Aus des Spaniers. Mit einer Amtszeit von 48 Tagen schaffte es Garrido in die Top Ten der kürzesten Trainer-Engagements der Primera Division.
Ende Januar übernahm der Argentinier Gabriel Calderon das Ruder des führerlosen Betis-Kahns, aber auch er vermochte den 12. Abstieg des Traditionsklubs nicht zu verhindern.
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Schiri-Schelte statt Selbstkritik
Die Schuld für die Krise suchten Trainer und Spieler nicht bei sich selbst - vor allem die Schiedsrichter standen im Mittelpunkt der Kritik. "Wir werden behandelt, als wären wir die Idioten der Liga. Um einen Elfmeter zu bekommen, müssen wir uns fast steinigen lassen", sagte beispielsweise Stürmer Jorge Molina.
Auch Trainer Calderon sah lediglich die Fehlentscheidungen der Unparteiischen: "Ich habe noch nie so schlechte Schiedsrichterleistungen erlebt. Wir geben jedes Mal alles, obwohl wir mit vielen Verletzungen zu kämpfen haben, aber uns wurden mehr als einmal Punkte genommen. Wenn man das alles zusammenrechnet, hätten wir zehn mehr."
Ganz so stimmt das nicht, aber mit spielentscheidenden Pfiffen hatten die Beticos in dieser Saison wirklich kein Glück. Die großen spanischen Sportzeitungen führen jeweils eine alternative Tabelle, bei der falsche Schiedsrichterentscheidungen berücksichtigt werden. Nach den Berechnungen der "Marca" hätte Betis demnach fünf Punkte mehr, die "AS" kommt auf acht zusätzliche Zähler. Für den Klassenerhalt würde das trotzdem nicht reichen.
Ausfälle über Ausfälle
Die von Calderon angesprochene Verletzungsproblematik wiegt da schon schwerer: Ruben Castro, Top-Torjäger der vergangenen Saison, fiel nach einer Adduktoren-OP zwei Monate aus und wurde im Offensivspiel der Beticos schmerzlich vermisst. Aber auch die anderen Mannschaftsteile blieben nicht von Ausfällen verschont.
Gegen Levante fehlte fast die komplette Abwehrformation, weshalb Calderon gezwungen war, drei Jugendspieler in den Kader zu berufen. Im Spiel gegen Malaga musste der Coach sogar gleich elf verletzte Akteure ersetzen - eine Folge der zahlreichen englischen Wochen. Die Doppelbelastung durch die Europa League machte den Beticos stark zu schaffen.
Unter strengster Aufsicht
Seit September 2010 hängt zudem das Insolvenzverfahren wie ein Damoklesschwert über dem Klub. Alle Entscheidungen innerhalb des Vereins müssen durch die Insolvenzverwalter geprüft und abgesegnet werden. Dazu kommt die jährliche Rückzahlung von zehn der aktuell noch ausstehenden knapp 30 Mio. Euro Schulden. Große finanzielle Sprünge und damit auch namhafte spielerische Verstärkungen sind unmöglich.
Die prekäre Situation wirkt sich auch auf die Personalpolitik aus: Im Sommer verließen 14 Spieler den Klub, darunter ein Großteil des etablierten Mittelfelds. Demgegenüber standen ebenfalls 14 Neuzugänge, die ins Team integriert werden mussten.
Das Projekt Europa League
Trotz der kritischen Situation in der Liga lief es für die Beticos in der Europa League erstaunlich gut. Die Verdiblancos zeigten vor allem defensiv starke Leistungen und schafften es, trotz nur drei erzielter Tore hinter Olympique Lyon als Zweiter in die K.O.-Runde einzuziehen.
Im Achtelfinale kam es zu einem Aufeinandertreffen mit dem Stadtrivalen FC Sevilla, dem Derbi sevillano. Im Hinspiel siegte Schlusslicht Betis mit 2:0, doch der Tabellensiebte egalisierte den Rückstand und gewann im Elfmeterschießen.
Während die Fans der Verdiblancos die vielleicht größte Enttäuschung der Vereinsgeschichte hinnehmen mussten, feierte Sevilla das Weiterkommen gegen den Erzfeind wie einen Meistertitel und hat sich nun sogar bis ins Finale gekämpft.
Sportlich gesehen ist der verpasste Klassenerhalt aber der weitaus herbere Rückschlag, denn eigentlich waren die Béticos in den vergangenen Jahren auf dem Weg nach oben. Daher erstaunt es schon, wie schnell es zuletzt bergab ging und wie innerhalb einer Saison die Arbeit der vergangenen Jahre zunichte gemacht wurde.
Der Abstieg als Chance
Real Betis ist ein stolzer Klub, ein Verein mit Geschichte und Tradition. Der Abstieg könnte nun als Möglichkeit zur Neuordnung. dienen. Die Schuldensituation und auch das Missmanagement der Vereinsführung überschatteten die komplette Saison. Die Entlassungen von Garrido und vor allem des geliebten Erfolgstrainers Mel waren äußerst voreilig. Das räumte auch der neue Präsident Manuel Domingos Platas ein, der Miguel Gullien nach dem Europa-League-Aus beerbte.
Doch auch die Gang in die Segunda Division ist keine neue Erfahrung für Real Betis. In den 50er Jahren, in denen die Verdiblancos einst sogar bis in die dritte Liga abstiegen, entstand ein Slogan, der über die Jahre zum inoffiziellen Leitspruch des Klubs wurde: Viva el Betis manque pierda! Lang lebe Betis, auch wenn sie verlieren! Bis zum Wiederaufstieg wird er im Estadio Benito Villamarin oft zu hören sein und die Beticos durch die Zeit in der zweiten Liga tragen.
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