Dynamo Dresden hat zu Saisonbeginn mit Ruud Kaiser einen Trainer verpflichtet, der sich wie kein anderer im internationalen Nachwuchsbereich auskennt. Als Trainer der niederländischen U-17-Auswahl arbeitete er mit den Topstars zusammen, die heute das Gerüst der Elftal bilden.
Im Sommer 2006 wechselte er nach England zum FC Chelsea und trainierte dort die A-Jugend. Im SPOX-Interview gibt er Auskunft über die Zukunftsperspektiven von Talenten auf der Insel, sein Verhältnis zu Mourinho und Abramowitsch und beantwortet die Frage, warum sich die holländische Nationalelf keine Sorgen um den Nachwuchs machen muss.
SPOX: Sie haben die A-Jugend des FC Chelsea trainiert. Wie ist die Atmosphäre bei solch einem großen Verein?
Ruud Kaiser: Bei Chelsea herrschen super Bedingungen. Alles ist top organisiert und alles ist möglich.
SPOX: Welche Bedingungen haben Sie dort vorgefunden?
Kaiser: Es gibt dort beispielsweise ein riesiges Trainingszentrum mit zwölf Spielfeldern. Ich hatte mit der A-Jugend immer zwei komplette Felder zur Verfügung und konnte so gezielt und individuell trainieren lassen. Zudem waren die Spieler allesamt sehr talentiert.
SPOX: Aber doch auch nur zusammengekauft.
Kaiser: Ja. Dort tummeln sich Spieler aus der ganzen Welt. Es werden viele verheizt.
SPOX: Wie läuft das ab?
Kaiser: Die Spieler werden irgendwann von Verein zu Verein geschoben. Sie werden dorthin für drei Monate ausgeliehen, dann wieder für sechs Monate woanders hin. Das ist nicht meine Philosophie. Ich muss zugeben, dass wir darüber damals in Chelsea Streit hatten.
SPOX: Das heißt?
Kaiser: Ich habe damals mit der A-Jugend nach neun Spielen 27 Punkte gegen Nachwuchsteams wie Liverpool, Arsenal oder Tottenham geholt. Dann leiht der Verein plötzlich sieben meiner Spieler aus und füllt den Kader mit B-Jugendlichen auf. Die waren aber von ihrer Entwicklung her noch lange nicht so weit. So gehen Mannschaft und Spieler kaputt. Das kann ich mit meiner Philosophie nicht vereinbaren. Darum bin ich ja auch nicht mehr da.
SPOX: Aber können die verliehenen A-Jugendspieler so nicht früh die von Ihnen geforderte Erfahrung in einer ersten Mannschaft sammeln?
Kaiser: Nicht, wenn man sie in die zweite oder dritte englische Liga schickt, um bei Blackpool, Sheffield oder Wolverhampton zu spielen. Jedes Mal, wenn die Spieler zurückkehrten, waren sie nicht besser, sondern schlechter geworden. .
SPOX: Denken Sie dabei an den als israelisches Wunderkind gepriesenen Ben Sahar?
Kaiser: Zum Beispiel. Ben gab 2007 unter Jose Mourinho sein Debüt in der ersten Mannschaft. Inzwischen wurde er viermal ausgeliehen, blickt auf drei Kurzeinsätze in der Premier League zurück, und spielt derzeit bei De Graafschap Doetinchem gegen den Abstieg aus der holländischen Ehrendivision. So wird ein Spieler mental kaputt gemacht.
SPOX: Chelsea betont jetzt aber, mehr auf die eigene Jugend bauen zu wollen, um die enormen Transferkosten für Stareinkäufe zu senken.
Kaiser: Ich weiß nicht, ob sie ihre Philosophie umstellen wollen. Aktuelle Beispiele wie Ben Sahar, Ryan Bertrand oder auch Liam Bridcutt sprechen auch nicht unbedingt dafür.
SPOX: Wie sieht ihr Lösungsvorschlag aus? Schließlich geht es auch um viel Geld.
Kaiser: Geld kann nicht immer nur das Hauptargument sein. Klar ist, dass junge Spieler bei wirklich großen Klubs weniger Chancen auf Einsätze haben. Aber dafür sind die Vereine verantwortlich. Immer nur kaufen, kaufen, kaufen, ist einfach, kann aber auf Dauer nicht der richtige Weg sein. Wenn man beispielsweise mit einem Jungen wie Sahar zwei Jahre lang vernünftig arbeitet, kann er es in die erste Mannschaft schaffen. Das geht einfach nicht in einem Monat.
SPOX: Haben Sie darüber mal mit Jose Mourinho gesprochen?
Kaiser: Ich kenne ihn nicht wirklich gut. Wir haben uns ab und an beim Essen gesehen, dort aber eher Smalltalk geführt. Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass wir nie über unsere Philosophien gesprochen haben. Das ist schade.
SPOX: Haben Sie mehr erwartet?
Kaiser: Er hatte viel mit seiner Mannschaft zu tun. Sein Kontakt zum Reserveteam war sicherlich enger, als zu meiner A-Jugend. Ich hatte eher mit Mourinhos Co-Trainer Steve Clark zu tun. Gut war, dass Spieler wie zum Beispiel William Gallas oder aber Joe Cole und Shaun Wright-Philips bei uns trainiert haben, wenn sie nach Verletzungen Rückstände hatten und die erste Mannschaft international unterwegs war. Das war eine tolle Erfahrung für die jungen Spieler.
SPOX: Mourinho wirkt in der Öffentlichkeit oft arrogant. Ist er so?
Kaiser (lacht): Ich muss ihn da ein wenig vor der Presse schützen. Jose ist sehr freundlich. Vielleicht ein wenig verschlossen, aber immer höflich und sehr respektvoll. Ich kann nicht sagen, dass er arrogant war. Er hat seinen Stil, wie er sich in der Öffentlichkeit gibt. Uns gegenüber war er nie überheblich.
SPOX: Hat Roman Abramowitsch Sie mal auf seine Yacht eingeladen?
Kaiser (lacht): Ich bin nicht auf seiner Yacht gewesen. Das ist schade. Meine Frau hätte die auch gerne mal betreten.
SPOX: Haben Sie ihn denn kennen gelernt?
Kaiser: Ich habe ihm ein paar Mal die Hand geschüttelt. Wir haben uns einige Minuten über die Jugendarbeit unterhalten. Mehr nicht. Aber man merkt schnell, dass er ein bodenständiger und freundlicher Mann ist.
SPOX: Er hat sich also nie eingemischt?
Kaiser: In das Tagesgeschäft nicht, nein. Aber er hat klare Vorstellungen, wo er mit dem FC Chelsea hin will und weiß genau, was im Verein passiert. Schließlich gibt er sein Geld ja nicht einfach so weg. Er ist immer perfekt informiert.
SPOX: Halten Sie den Trend, dass sich immer mehr Wirtschaftsmogule in Fußballvereine einkaufen für bedenklich?
Kaiser: Auch in diesem Fall ist die Philosophie, oder nennen wir es die Herangehensweise, entscheidend. Das Geld muss gut genutzt werden. Es müssen Leute mit langfristigen Zielen sein. Mir stellt sich immer die Frage, was passiert, wenn Roman Abramowitsch an Chelsea oder Sulaiman Al Fahim an Manchester City ihr Interesse verlieren? Solange das Geld fließt, ist das völlig ok, aber wehe wenn nicht.
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SPOX: Sie waren auch lange Zeit im Nachwuchsbereich des niederländischen Fußballverbands aktiv. Wie wird dort gearbeitet?
Kaiser: In den Niederlanden gibt es von der frühesten Jugend an ein einheitliches Spielsystem. Entweder 4-3-3 oder 3-4-3. Darauf ist das gesamte Training ausgerichtet. Zudem wird viel mit dem Ball trainiert und die Spieler lernen früh alles in den Bereichen Technik, Kombination und Taktik. Das ist die Basis.
SPOX: Wieso hat man den Eindruck, dass die Niederlande im Vergleich zu Deutschland viel leichter neue Top-Spieler hervorbringen?
Kaiser: Es gibt auch immer wieder gute deutsche Talente. Aber Holland ist viel kleiner, dadurch fällt es leichter, schon recht früh die wirklich besten Talente gegeneinander spielen zu lassen. Dementsprechend ist es auch viel leichter, ein gut funktionierendes Scoutingsystem aufzubauen.
SPOX: Sie haben das Scoutingsystem des niederländischen Verbands mitentwickelt. Wie sieht das aus?
Kaiser: Wir sind schnell und effizient, weil wir ein gutes und effektives Netzwerk installiert haben. Als ich Trainer der U17-Nationalmannschaft war, hatte ich allein zwanzig Scouts zur Verfügung, die in ganz Holland unterwegs waren und Informationen gesammelt haben. Diese Informationen habe ich gesichtet. Ich konnte selbst aufgrund der kurzen Distanzen in Holland an einem Wochenende manchmal bis zu drei Spiele sehen. Dadurch bekommt man schnell einen guten Überblick. Auch das ist deutlich einfacher als in Deutschland, wo man auch mal 600 Kilometer für ein Spiel hinter sich bringen muss.
SPOX: 2005 haben sie den dritten Platz bei der U17-Weltmeisterschaft in Peru geholt.
Kaiser: Solche Erlebnisse sind wichtig für junge Spieler. Die Jungs waren vier Wochen zusammen unterwegs und mussten sich in der Favoritenrolle gegen Mannschaften wie Katar behaupten. Der Jahrgang von 1988 hat innerhalb von zwei Jahren insgesamt 23 Spiele zusammen gemacht und dabei unheimlich viel gelernt. Der dritte Platz war der bislang größte Erfolg einer niederländischen U17-Auswahl.
SPOX: Zuvor haben Sie heutige Topstars wie van der Vaart, Sneijder, van Persie, Robben und De Jong entdeckt.
Kaiser: Entdeckt wurden sie von ihren Vereinen und dort auch ausgebildet. Bei uns haben sie mit Spielen gegen Brasilien, Spanien oder auch die Türkei erste internationale Erfahrungen gesammelt.
SPOX: Wie war Rafael van der Vaart?
Kaiser: Er war für seine damals 16 Jahre mental unheimlich stark und sehr professionell. Er hat sich auf dem Platz schon sehr schlau verhalten und immer an seinen Fähigkeiten gearbeitet. Das war bewundernswert. Bei Wesley Sneijder und Arjen Robben war es ähnlich.
SPOX: Haben Sie Huub Stevens' Vorwürfe in Richtung van der Vaart mitbekommen?
Kaiser: Ja. Eigentlich sollte man sich nicht extra eine Gelbe Karte abholen, um mit seiner Frau den Geburtstag zu feiern. Wenn Rafael professionell denkt, und nur so kenne ich ihn, dann macht er so etwas nicht. Ich hätte als Trainer der U17 auch nicht einfach sagen können, dass ich mal zu Hause bleibe, weil ich meine Frau vermisse. Ich weiß aber auch nicht, ob die Geschichte wirklich stimmt.
SPOX: Muss man als Spieler auch ein Schlitzohr sein, um erfolgreich zu werden?
Kaiser: Man muss schlau und gewitzt sein. Solche Spieler kann jede Mannschaft gebrauchen. Es dürfen nur nicht zu viele sein.
SPOX: Hat sich bei Ihnen denn nie mal einer nachts aus dem Hotel geschlichen?
Kaiser (lacht): Nein. So was in der Art habe ich nie erlebt. Die Jungs waren immer sehr diszipliniert. Etwas anderes habe ich zumindest nicht mitbekommen, auch wenn bei jungen Leuten so etwas natürlich mal passieren kann. Fakt ist, wenn wir uns trafen, wollten wir das nächste Spiel gewinnen.
SPOX: Dann gibt es kein Haar in der Suppe?
Kaiser (lacht): Natürlich konnten wir auch feiern. Das gehört doch dazu. Als wir 2005 in Italien das EM-Finale gegen die Türkei mit 2:0 verloren hatten, waren die Spieler sehr enttäuscht. Ich habe Ihnen gesagt, dass sie stolz sein können. Wir sind in eine Disco gefahren, wo die Jungs mit hübschen Italienerinnen getanzt und gefeiert haben. Danach ging es mit unseren Medaillen um den Hals ins Hotel zurück und wir alle haben gut geschlafen. Man muss auch mal den Kopf frei bekommen.
SPOX: Gibt es schon wieder hoffnungsvolle Talente im holländischen Fußball?
Kaiser: In Holland gibt es immer Talente. Die Nationalmannschaft wird keine Probleme bekommen, die Vereine schon eher.
SPOX: Wieso das?
Kaiser: Weil Klubs wie Arsenal, Chelsea, Liverpool und Tottenham, die holländischen Spieler mittlerweile schon mit 15 Jahren aus den Vereinen wegkaufen.
SPOX: Dafür zahlen sie aber auch gut.
Kaiser: Natürlich. Aber Vereine wie Feyenoord Rotterdam, Ajax Amsterdam, Twente Enschede oder auch PSV Eindhoven bilden die Spieler quasi für die Vereine in England aus. Das ist nicht gut für die Entwicklung dieser Spieler, und das ist nicht gut für den holländischen Fußball.
SPOX: Aber sind die Spieler nicht früher auch schon ins Ausland gewechselt?
Kaiser: Klar, aber nicht mit 15, 16 oder 17 sondern erst mit 24 oder 25 Jahren. Das ist ein großer Unterschied.
SPOX: Wieso?
Kaiser: Sie kommen sehr früh in eine ungewohnte Umgebung, ihnen fehlt der elterliche Halt und der Druck ist deutlich höher. Wenn die jungen Leute nach drei Jahren nicht den Sprung in die erste Mannschaft schaffen, schickt man sie wieder weg. Dann haben sie zwar gutes Geld verdient, im Endeffekt aber eher einen Schritt zurück gemacht, denn im Profigeschäft haben sie bis dato nicht gespielt. Bei ihren Vereinen in Holland hätten sie diese Erfahrungen gesammelt.
SPOX: Es werden so also hoffnungsvolle Nachwuchskräfte verheizt?
Kaiser: Ja. Einer meiner U17-Spieler ging mit 16 Jahren von Eindhoven zu Arsenal und spielte dort zwei Jahre lang in der A-Jugend. Jetzt haben sie ihn in die zweite holländische Liga ausgeliehen. Das sagt doch alles. Ich könnte Ihnen noch einige Beispiele nennen. Die Frage ist doch, warum macht man so was? Wieso reißt man junge Talente aus ihrem gewohnten Umfeld, obwohl sie im Endeffekt eine viel geringere Chance auf Einsätze in der ersten Mannschaft haben, als ein fertiger Spieler? Das ist nicht gut. Man sollte die Jungs in Ruhe reifen lassen. Davon hätten beide Seiten mehr.
SPOX: Sie haben angesprochen, dass den niederländischen Vereinen früh die Talente weggekauft werden. Ist das der Grund für die Erfolglosigkeit auf internationaler Ebene?
Kaiser: Das ist ein wichtiger Punkt. Unsere Spieler sind inzwischen alle in England, Spanien oder Deutschland aktiv. Dadurch hat zum Beispiel Ajax Amsterdam bereits seit Jahren nicht mehr das Niveau alter Tage. Überlegen Sie mal, was dort los wäre, wenn Johnny Heitinga, Wesley Sneijder und Rafael van der Vaart oder Ryan Babel noch bei Ajax spielen würden. Jetzt ist Klaas-Jan Huntelaar auch wieder weg. Natürlich gibt es oft auch gute Ablösesummen, die Talentförderung kostet aber auch viel Geld. Und welche Spieler soll man von dem Geld holen?
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