Sebastian Polter wechselte im Sommer 2021 zum VfL Bochum, mit neun Bundesliga-Toren hat der Stürmer maßgeblichen Anteil am Klassenerhalt des Aufsteigers. Nach zahlreichen Standortwechseln in seiner Karriere hat der 31-Jährige seine Heimat gefunden.
Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Polter über seinen "schlimmsten Moment überhaupt", seinen Abschied von Union Berlin und das Ziel, den Verbleib mit dem VfL Bochum in der Bundesliga auch in der nächsten Saison zu schaffen. Diesen hatte sich Bochum am vergangenen Samstag beim 4:3-Sieg gegen den BVB, bei dem Polter zum 1:0 traf, gesichert.
Herr Polter, Sie sind seit mehr als zehn Jahren Profi-Fußballer: Was ist das Wichtigste an Ihrem Beruf?
Sebastian Polter: Ich habe den schönsten Beruf überhaupt, das ist mein absoluter Traumjob. Ich habe immer noch die Leidenschaft und den Stolz, jeden Tag zum Training fahren zu dürfen, den ich schon als Kind oder dann als Jugendlicher hatte. Das ist sehr wichtig für mich. Ich habe aber auch einen sehr speziellen Beruf mit allerhand Risiken - gerade gesundheitlicher Art - und auch einigen Entbehrungen. Das Wichtigste ist, dass meine Familie meinen Job so akzeptiert, wie er ist. Dass sie ihn zu schätzen weiß und damit lebt.
Die Angst vor der nächsten großen Verletzung spielt eine eher untergeordnete Rolle?
Polter: Ich hatte zu Beginn meiner Karriere relativ viele Verletzungen: Je einen Mittelfußbruch rechts und links und zwei Schulterluxationen. Und das innerhalb der ersten beiden Jahre. Damals hieß es, das wären Ermüdungsbrüche und die Frage stand im Raum, wie gut ich den Sprung von der Jugend in den Herrenbereich verkraften könnte.
Hatten Sie Zweifel?
Polter: Ich musste mich schon fragen, ob ich hier überhaupt richtig bin und ob ich das - rein körperlich - alles so packen kann. Das hat sich dann aber nach der zweiten Schulterverletzung auf einmal erledigt und ich war rund sechs Jahre ohne weitere größere Verletzung.
Polter: Das war "der schlimmste Moment überhaupt"
Bis dann die Achillessehne riss.
Polter: Das kam total aus dem Nichts. Ich war Profi in der Bundesliga und in der 2. Liga, dann auch in England und es lief ziemlich gut. Ich war voll in Tritt, meine Karriere hatte richtig Fahrt aufgenommen. Und dann das: Der schlimmste Moment überhaupt.
Hatten Sie Bedenken, ob Sie die Rückkehr noch einmal schaffen?
Polter: Ich habe mit der Zeit gelernt, mental auch dann stark zu bleiben, wenn es nicht so läuft. Das hat mir da schon sehr geholfen. Und es hat mich letztlich auch zu dem Spieler gemacht, der ich jetzt sein kann: Mit rund 100 Bundesligaspielen und auch ein paar Toren auf der Uhr. Und ich bin noch nie abgestiegen, das ist mir tatsächlich auch sehr wichtig.
Der Achillessehnenriss fiel in die Zeit beim FC Union, in Berlin ging es nach der Verletzung erstmal nur noch bergauf.
Polter: Ich bin nach der Reha schnell wieder reingekommen und wir sind durchgestartet. Es gibt als Fußballer nichts Schöneres, als mit seiner Mannschaft aufzusteigen. Das haben wir geschafft und quasi als "Krönung" danach auch den Klassenerhalt gepackt.
War die Entscheidung, nach dem Kapitel Union dann nochmal ins Ausland zu gehen, eine bewusste oder in Ermangelung an Angeboten eher erzwungen?
Polter: Ich hatte auch noch andere Angebote, wollte aber bewusst ein wenig weg vom Radar des deutschen Fußballs. Ich wollte mich auch ohne mediale Störgeräusche voll auf mich selbst und meine eigene Leistung konzentrieren. Ich bin mit der vollen Überzeugung nach Sittard gewechselt, dass ich dort in der Mannschaft wichtig sein kann. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort gebraucht werde. Für mich ist es einfach unheimlich wichtig, diese Wertschätzung zu erfahren. Dann kann ich einer Mannschaft helfen - denn von meinen Fähigkeiten bin ich absolut überzeugt.
Die Ausgangslage bei Ihrem Wechsel im Sommer 2020 war aber schwierig: Wegen Corona hatten viele Klubs teilweise massive finanzielle Probleme, niemand wusste genau, wie es weitergehen würde. Für einen Spieler auf Klubsuche keine ganz einfache Situation.
Polter: Bundesliga-Rückkehr "fast wie aus dem Bilderbuch"
Polter: Das ist korrekt. Die Klubs standen nicht gerade Schlange, die meisten haben sich bei Transfers sehr bedeckt gehalten. Keiner wusste so genau, wohin uns die Pandemie noch bringen wird. Mein Vorteil war vielleicht, dass ich ablösefrei zu haben war und ein vergleichsweise großes Spektrum an Erfahrung mitbrachte. Es gab jedenfalls noch andere lukrative Angebote, sowohl finanziell als auch perspektivisch. Aber ich wollte tatsächlich ins Ausland gehen und Sittard war eine perfekte Lösung.
Also kein vermeintlicher Rückschritt?
Polter: Das genaue Gegenteil. In Sittard konnte ich jene Rolle in der Mannschaft und im Klub einnehmen, die mit mir im Vorfeld besprochen wurde. Mit allem, was dazu gehörte: Mit der Rolle des Klubs in der Liga, mit Corona und den fehlenden Zuschauern. Ich habe nicht ein Spiel in Holland vor einer größeren Kulisse gespielt.
Dann kam im letzten Sommer ein Angebot aus Bochum.
Polter: Dass ich so wieder in die Bundesliga zurückkehren konnte, war fast wie aus dem Bilderbuch. So hatte ich mir das gewünscht: Mit einem Traditionsverein wieder in der Bundesliga zu spielen. Der VfL Bochum und ich: Das sind Topf und Deckel.
Wobei der Start in die Saison eher schwierig war, mit dem Tiefpunkt beim 0:7 in München. Was ist danach passiert?
Polter: Eigentlich ist davor schon etwas passiert. Es gibt jedenfalls nicht dieses eine Erweckungserlebnis oder die große Kehrtwende in unserer Saison. Ich habe das vielmehr als Prozess erlebt, der schon vor dem München-Spiel im Gange war. Wir haben viele Spieler im Kader, die schon in der Zweitliga-Saison dabei waren. Viele davon hatten zwar genug Erfahrung, aber eben noch nicht in der Bundesliga. Den Aufstiegs-Flow mit diesen Anpassungen an neue Herausforderungen zu verknüpfen: Das war die Schwierigkeit in den ersten Wochen. Damals gab es auch noch eine Länderspielpause, die wir hervorragend nutzen konnten. Dann wussten wir als Mannschaft, was genau wir auf den Platz bringen müssen, um in der Bundesliga zu bestehen. In der Phase haben wir herausgefunden, wie wir in der Liga punkten können, das war im Rückblick enorm wichtig.
Polter glaubt an erneuten Klassenerhalt
Steht der VfL Bochum aktuell besser da, als er eigentlich ist?
Polter: Das würde ich so nicht sagen, jeder Punkt war hart erarbeitet. Aber: Ich denke schon, dass das zweite Bundesligajahr schwieriger wird als das erste. Die Euphorie, die uns zuletzt getragen hat, könnte weniger werden. Die anderen Mannschaften haben sich besser auf die eigene Spielweise eingestellt. Die Widerstände werden kommen und sie werden womöglich noch größer werden. Aber wir haben eine sehr lernwillige Mannschaft mit sehr starken Charakteren, die eine gewisse Haltung jeden Tag vorleben. Und wir kommunizieren offen und ehrlich miteinander. Deshalb glaube ich schon, dass wir eine gute Rolle spielen könnten im Kampf um den Klassenerhalt. Denn um etwas anderes würde es auch dann nicht gehen.
Sie spielen in Deutschland, haben in England und Holland gespielt mit einem ziemlich unverwechselbaren Spielstil: Sehr robust, körperbetont, kantig, auch unbequem für den Gegner. Hätten Sie sich in einer sehr technisch anspruchsvollen Liga wie in Spanien oder in einer von der Taktik geprägten wie in Italien auch vorstellen können?
Polter: Definitiv. Jede Mannschaft, egal in welcher Liga, benötigt unterschiedliche Spielertypen. Ich bin vielleicht nicht der beste Techniker, so definiere ich mich auch gar nicht. Aber ich habe einen technisch sehr feinen Abschluss habe und ein sehr gutes Kopfballspiel. Auch das sind Techniken, die zum Fußball gehören. Selbst in Barcelona, bei Real, bei Milan oder Juventus gab und gibt es Spielertypen wie mich.
Sie sind mit 15 Jahren von zu Hause ausgezogen und nach Braunschweig ins Internat gegangen. Wie schwer fiel die Umstellung als Teenager in einer völlig fremden Umgebung?
Polter: Das war schon hart. Meine Mutter wollte nicht, dass ich gehe. Mein Vater wollte, dass ich meinen Traum versuche zu verwirklichen. Beiden war wichtig, dass ich in eine vernünftige Umgebung komme, wenn ich schon nicht mehr bei ihnen sein kann. Ich war mit zwei 19-Jährigen in einer WG, jeden Tag kam ein Betreuer vorbei, der uns Essen gebracht hat. Wir mussten aber selbst Wäsche waschen, putzen, einkaufen, auch mal kochen, wenn man dann noch Hunger hatte. Ich musste mich an ein "normales" Leben in einem eigenen Haushalt gewöhnen und das war im Nachhinein sehr gut für meinen Reifeprozess - für meine Eltern blieb das alles aber immer sehr schwierig. Deshalb bin ich sehr stolz auf sie, dass sie es mir trotzdem ermöglicht haben.
Polter: "Möchte noch drei, vier, fünf Jahre spielen"
Sie sind jetzt 31 Jahre alt. Wie soll es nach der aktiven Karriere weitergehen?
Polter: Ich möchte auf jeden Fall noch drei, vier, fünf Jahre spielen. Aber ich bin jetzt auch schon in einer Phase, in der ich alles auf die Zeit danach vorbereite. Ich möchte im Fußball bleiben, meine Trainerlizenzen machen. Vielleicht kann ich Spielern im Jugendbereich mein Wissen und meine Erfahrung weitergeben, vielleicht Co-Trainer oder Chef-Trainer werden. Aber auch das wird ein langer Weg, den man sauber vorbereiten und auf dem man jede Menge lernen muss. Es kann sein, dass man zunächst im Amateurfußball damit anfangen muss und sich dann nach oben arbeitet.
Davor gilt es die nähere Zukunft zu regeln. Sie haben in Bochum noch einen Vertrag bis Sommer 2023.
Polter: Ich bin aber nicht mehr in einem Alter, in dem der Klub jede Woche mit mir sprechen muss. Wir konzentrieren uns jetzt erstmal auf den Klassenerhalt. Und wenn es dann in Richtung Ende der Vertragslaufzeit geht, wird der Klub schon auf mich zukommen. Ich möchte Bundesliga spielen, am liebsten mit dem VfL Bochum. Deshalb kann ich mir sehr gut vorstellen, hier zu bleiben.
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