Stephan Kuhnert vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Beim Radeln wurde ich schwer von Klopp beschimpft"

Jochen Tittmar
27. März 202014:13
Torwarttrainer Stephan Kuhnert (l.) zusammen mit Jürgen Klopp.imago images
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Stephan Kuhnert ist ein Urgestein des 1. FSV Mainz 05 und seit über 30 Jahren im Verein. Der 59-Jährige hat als Torwarttrainer bereits unter zwölf Cheftrainern bei den Nullfünfern gearbeitet.

Im Interview mit SPOX und Goal lässt Kuhnert die Zeit beim FSV Revue passieren. Er spricht über seinen abrupten Start als Torwarttrainer, ein einstiges Tor des Monats und Ex-Coach Thomas Tuchel.

Zudem erzählt Kuhnert eine Anekdote über Jürgen Klopp und erinnert sich an ein illegales Kopfballtor in letzter Minute.

Herr Kuhnert, wissen Sie noch, was Sie am 29. Oktober 2019 gemacht haben?

Stephan Kuhnert: Nein, keine Ahnung.

Da jährte sich Ihr Tor des Monats zum 30. Mal, das man heute bei YouTube bestaunen kann. Oberliga, Mainz gegen Borussia Neunkirchen, 28. Minute. Abschlag aus der Hand und 90 Meter später im Tor zum 2:0, Endstand 3:0.

Kuhnert: Ich erinnere mich gerne daran, aber das hatte für mich nie eine große Bedeutung. Der Abschlag war eigentlich fürchterlich. Der gegnerische Torwart muss kurz geschlafen haben, normal hätte er ihn nämlich nicht reingelassen. Der Ball ist so komisch abgesprungen, das war ein reines Zufallsprodukt. Gott sei Dank war der SWR mal da, sonst hätte das mit dem Tor des Monats nicht geklappt. (lacht)

Was sich am 1. Juli zudem zum 20. Mal gejährt hat, war Ihre Tätigkeit als Torwarttrainer von Mainz 05. Dabei ging es eigentlich ein Jahr früher als Co-Trainer von Wolfgang Frank los. Wie kam's?

Kuhnert: Im Grunde bin ich schon viel länger dabei. 1997 im Wintertrainingslager auf Zypern hat Wolfgang, der zuvor Trainer von Rot-Weiss Essen war, seinen ehemaligen Torhüter von dort nach Mainz geholt. Zu mir hat er dann gesagt: Du bist jetzt ab sofort Torwarttrainer und im Standby-Modus, sollte sich mal jemand verletzen. Ich glaube, er konnte mich als Torwart nicht mehr sehen, weil ihm mein Spiel nicht so sehr gefallen hat. Das war quasi mein Karriereende als Spieler, auch wenn ich später als Torwarttrainer unter Didi Constantini noch einmal ran musste, da sich Dimo Wache das Kreuzband gerissen hatte. Im Mai 1999 habe ich schließlich in Düsseldorf mein letztes Spiel gemacht.

Co-Trainer waren Sie also gar nicht?

Kuhnert: Ich war Mädchen für alles. Wir hatten damals in der 2. Liga einen großen Kader, es mussten einige Spieler zu Hause bleiben. Mit denen habe ich zum Beispiel auch das Spielersatztraining gemacht. Es gab keinen Athletiktrainer, Wolfgang hatte keinen Co-Trainer, es gab eigentlich nichts - es gab nur mich.

Wie sind Sie denn dann ganz am Anfang beim Torwarttraining vorgegangen, wenn dieser Posten so plötzlich auf Sie zukam?

Kuhnert: Ich habe mir erst einmal ein paar Videokassetten geholt und Bücher gekauft, um zu schauen, was man so alles machen kann. Meine eigene Erfahrung floss logischerweise auch mit ein, manche Übungen habe ich mir auch ausgedacht. So habe ich mir ein paar unterschiedliche Trainingsprogramme zusammengestellt, damit sich die Keeper nicht langweilen. Manches davon wende ich heute noch an. Unterm Strich bleiben schießen und Bälle fangen ja dasselbe.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Stephan Kuhnert in Mainz zum Gespräch.spox

Sind die Torhüter der heutigen Spielergeneration immer noch so speziell, wie es früher immer hieß?

Kuhnert: Besonders sind sie schon. Die Jungs sind wirklich fokussiert und bereit, sich in jedem Training aus einem Meter den Ball an den Kopf schießen zu lassen. Das musst du auf einem gewissen Niveau aber auch sein. Wenn ich an Rene Adler oder an den damals 38-jährigen Martin Pieckenhagen denke, die waren besessen zu trainieren und extrem ehrgeizig. Was die Einstellung betrifft, hatte ich hier nur Top-Torhüter.

Sie haben von 1987 bis 1999 fast 300 Pflichtspiele für Mainz absolviert, aber keines davon in der 1. Bundesliga. Wie gern hätten Sie dort einmal gespielt?

Kuhnert: Die Bundesliga war für mich weit weg. Dazu hat mir ein bisschen die Konstanz gefehlt. Wenn ich in guter Stimmung war, konnte ich ein guter Torwart sein. Ich hätte dort sicherlich gerne einmal zwischen den Pfosten gestanden, aber das ärgert mich nicht. Ich bin ja jetzt als Trainer seit vielen Jahren am Stück in der Bundesliga dabei.

Seit Sie als Torwarttrainer arbeiten, waren zwölf Cheftrainer bei den 05ern angestellt. Hätten Sie gedacht, dass Sie auch 2020 im Alter von 59 Jahren noch mit dabei sein werden?

Kuhnert: So weit nach vorne habe ich nie gedacht. Mir ging es immer darum, alles zu geben, meinen Job ordentlich zu erledigen und mich als Torwarttrainer weiterzuentwickeln. Viele fragen mich auch: Weshalb bist du nicht mit Jürgen Klopp zum BVB gegangen? Die Möglichkeit ergab sich aber nicht, da Dortmund mit Teddy de Beer schon einen langjährigen Torwarttrainer hatte. Zudem habe ich mich in Mainz wohlgefühlt.

Welcher dieser Trainer war Ihnen am liebsten?

Kuhnert: Das kann ich schlecht beantworten. Ich will niemanden in ein schlechtes Licht rücken. Es war jedenfalls kein Vollpfosten dabei. (lacht) Ich hatte zu allen einen ordentlichen Draht. Sonst hätte das auch nie so lange funktioniert. Ich weiß auch nicht, ob einer mal lieber seinen eigenen Torwarttrainer mitgebracht hätte. Ich war ja in den Verhandlungen, die meist Christian Heidel geführt hat, nie dabei.

Einer, der Mainz nur 24 Spiele lang coachte, war 2014 Kasper Hjulmand. Warum hat er offenbar nicht zu den 05ern gepasst?

Kuhnert: Er war ein toller Trainer. Manchmal liegt es eben auch an solchen Kleinigkeiten wie der Sprache oder der Emotionalität, dass man seine Inhalte nicht wie gewollt der Mannschaft herüberbringen kann. Jörn Andersen war auch nicht lange hier, aber er ist aufgestiegen und hat den Verein wieder in die Bundesliga geführt.

Die mit Abstand längste Zeit arbeiteten Sie unter Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.

Kuhnert: Ich bin mit Thomas gut zurechtgekommen, er ist eigentlich ein angenehmer Typ. Er wirkt nach außen anders, aber er kann ein total alberner und lustiger Mensch sein. Der Schein trügt bei ihm. Natürlich war er auch mal hart im Umgang und mit Sicherheit niemand, der sich auf der Nase herumtanzen lässt. Er konnte die Spieler aber richtig begeistern, weil er nicht nur fachlich ein herausragender Trainer ist.

Und Klopp?

Kuhnert: Zu Kloppo hatte ich eine andere Verbindung, weil ich ja noch mit ihm zusammengespielt habe. An seiner Emotionalität kommt keiner vorbei. Mit ihm war ich auch immer auf Augenhöhe. Thomas dagegen war jemand, den ich vorher nicht kannte.

Hätten Sie gedacht, dass Klopp einmal diese Entwicklung als Trainer nehmen würde?

Kuhnert: Ihm traue ich grundsätzlich vieles zu. Der könnte aus der kalten Hose "Wetten, dass..?" moderieren und muss sich nicht lange auf irgendetwas vorbereiten. Es kommt einfach aus ihm heraus. Man sieht es ja auch an seinen Spielern und deren positiven Umgang miteinander. Bei ihm ist selbst der 20. Mann im Kader immer bereit, man hört nie etwas Schlechtes. Kloppo ist ein Menschenfänger, der Umgang mit den Leuten ist seine ganz große Stärke.

Stephan Kuhnert ist seit vielen Jahren Torwarttrainer beim 1. FSV Mainz 05 - und war es auch unter Jürgen Klopp.imago images

Welche Anekdote fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an Klopp denken?

Kuhnert: Wir beide wollten mal an einem freien Tag im Trainingslager in Herzlake auf ein Schützenfest in der Umgebung fahren. Also sind wir auf die Fahrräder gestiegen und ewig durch die Pampa gefahren. Es war schon fast richtig dunkel bis wir endlich an dem Ort angekommen sind. Direkt am Ortseingang sahen wir dann ein riesiges Schild. Dort stand, dass das Schützenfest erst eine Woche später stattfindet. Keine Ahnung, irgendwie hatte ich mich vertan. Jedenfalls mussten wir den ganzen Weg wieder zurückradeln und ich wurde dabei von ihm schwer beschimpft. Da musste ich einiges einstecken, aber auch zu Recht. (lacht)

Sie haben im Fußball so viele Leute kommen und gehen sehen, dazu mit Mainz den Weg mitgemacht von weit unten bis in die Bundesliga. Welche Veränderung im Laufe der Jahre prangern Sie am meisten an?

Kuhnert: Mir fehlt es heute vor allem, dass die Spieler nicht mehr eine so große Eigenverantwortung haben. Die kriegen von vorne bis hinten alles hinterhergetragen, es wird alles für sie gemacht. Arsene Wenger hat einmal gesagt: Der Unterschied ist, wenn heute ein Spieler nicht gut gespielt hat, rätseln Trainer, Ärzte und Physios und machen sich Gedanken über die Gründe. Wenn man früher schlecht gespielt hat, fing man erst einmal bei sich selbst an.

Apropos früher: Was fällt Ihnen beim Namen Thomas Ziemer ein?

Kuhnert: Er war ein ehemaliger Mitspieler. Ein begnadetes Talent und herausragender Techniker, der auch das Leben neben dem Fußball genossen hat.

Stephan Kuhnert im Jahre 1994 als Torhüter des 1. FSV Mainz 05.imago images

Und Ziemer war es, der am 5. August 1995 im Zweitligaspiel gegen Hannover 96 nicht nur das 1:0 für die 05er erzielte, sondern auch nicht spielberechtigt war. Sie köpften damals in der letzten Minute den 2:2-Ausgleich, die Partie wurde wegen Ziemers Einsatz im Nachhinein aber mit 0:2 gewertet - und Ihr Tor annulliert. Wie groß war Ihr Hals?

Kuhnert: Ich habe mich eine Woche später, als das herauskam, schon geärgert. Wir hatten uns nach dem Tor alle gefreut wie blöd. Torsten Lieberknecht hat per Ecke serviert. Es war auch ein schönes Tor, ein Kopfball wie aus dem Lehrbuch. (lacht) Thomas konnte aber nichts dafür. Das lag damals an unserem Betreuer, der einfach vergessen hat, ihn auf die Spielerliste für den DFB zu setzen. Das hat auch nur dieses eine Spiel betroffen. Wir waren ein Amateurverein, dem schlicht ein Fehler unterlaufen ist. Am Ende haben wir die Klasse gehalten und es war alles gut.

Wann wird es denn bei Ihnen gut sein, wie lange wollen Sie noch in Mainz machen?

Kuhnert: Ich habe keinen Plan. Solange die Knochen funktionieren, ich den Ball von A nach B kriege und nicht nur aufs Werfen angewiesen bin, kann es noch weitergehen. Ich bin körperlich ganz gut drauf. Sobald ich mich auf dem Platz quäle, ergibt es aber keinen Sinn mehr.