Beim ersten Testspiel vor der EM gegen Dänemark offenbart das DFB-Team ein altbekanntes Problem, zeigt aber auch Fortschritte. Die Rückkehrer Mats Hummels und Thomas Müller fügen sich nahtlos und lautstark ein - auch wenn der Innenverteidiger körperlich alles andere als topfit ist und sich die Frage stellt, ob Joachim Löw nicht lieber schon einmal Jerome Boateng vorwarnen sollte.
Drei Thesen zum 1:1 im Innsbrucker Tivoli-Stadion.
1. Mit diesem Personal macht die Fünferkette keinen Sinn
Joachim Löw hat es wieder getan. Er hat im vorletzten Spiel vor dem Kracher gegen Frankreich zum EM-Start am 15. Juni wieder diesen seit der Katastrophen-WM 2018 so oft probierten und so oft gescheiterten Mix aus Dreier- und Fünferkette aufgeboten. Nicht falsch verstehen: In manchen Mannschaften macht das durchaus Sinn, vor allem mit offensivdenkenden Außenverteidigern.
In Löws EM-Kader aber tummeln sich davon nicht viele. Robin Gosens vielleicht, und der machte beim 1:1 gegen Dänemark ja auch ein gutes Spiel, indem er sich neben seiner Vorlage zum einzigen deutschen Tor durch Florian Neuhaus in der 48. Minute viel zutraute und einige gefährliche Aktionen initiierte. Doch sein Pendant auf der zur Baustelle Nummer eins gewordenen rechten Seite, Lukas Klostermann, ist kein offensivdenkender Außenverteidiger.
Der Profi von RB Leipzig schlug in 60 Minuten keine einzige gefährliche Flanke, kam nie bis zur Grundlinie durch. Weil er eben defensiv denkt - und bei seinem Verein im Übrigen seit mehreren Monaten vorwiegend in der Innenverteidigung spielt.
Warum also vertaut Löw noch immer auf ein System, das mehr Fluch als Segen für die deutsche Mannschaft ist? Wenn er schon auf einen großen Bayern-Block setzt, sollte er auch auf das Bayern-System setzen. Auf ein 4-2-3-1 mit echten Außenstürmern, die Eins-gegen-Eins-Situationen kreieren und Lücken reißen.
Mit Löws Mischmasch aus 3-4-3 und 5-2-3 ist das deutsche Spiel viel zu berechenbar, weil es sich ob der fehlenden Unterstützung über die Flügel zu sehr ins Zentrum verlagert. Und dort wird es - wie am Mittwoch gegen Dänemark - für gewöhnlich sehr eng, sodass selbst variable Spieler mit gutem Gespür für die richtigen Räume wie Thomas Müller, Leroy Sane und Serge Gnabry Probleme bekommen, im letzten Drittel für Chaos zu sorgen. Löw sollte also schleunigst seine Spielanlage modifzieren. In 12 Tagen heißen die Gegenspieler nicht mehr Jannik Vestergaard, Simon Kjaer und Thomas Delaney, sondern Lucas Hernandez, Raphael Varane und N'Golo Kante.
2. Wird Hummels nicht fit, muss Löw Boateng nachnominieren
Löws Idee, mit fünf Verteidigern anzutreten, wäre ja noch logisch nachvollziehbar, wenn die Defensive dadurch stabiler auftreten würde. Das tat sie im Vergleich zum blamablen 1:2 gegen Nordmazedonien im März zwar, die Rückwärtsbewegung war um Längen besser und viele dänische Konter verpufften auch dadurch. Aber: Letztlich spielte die deutsche Elf einmal mehr nicht zu Null.
Den Dänen reichte in Person von Yussuf Poulsen eine Großchance zu einem Tor. Dem Gegentreffer in der 71. Minute war ein punktgenauer Pass von Christian Eriksen zwischen Mats Hummels und Niklas Süle hindurch vorausgegangen. Löw bemängelte hinterher: "Süle hätte den Passweg besser zustellen können."
Es war neben Süle aber auch Rückkehrer Hummels, der in dieser Situation alles andere als gut aussah. Der 32-Jährige kann trotz aller Erfahrung eben auch keine Wunder bewirken, zumal er körperlich nicht bei 100 Prozent ist. Löw verriet auf der Pressekonferenz nach der Partie zumindest, Hummels sei mit Problemen an der Patellasehne seines linken Knies ins Trainingslager nach Tirol gereist.
"Das ist nicht weiter tragisch", sagte Löw zwar, aber: "Das behindert Mats manchmal in Sprintduellen. Er hat das heute in der zweiten Halbzeit ein bisschen gespürt." Und konnte Poulsen beim 1:1 wohl auch deshalb nicht mehr einholen.
Für Hummels, der zuletzt schon mit einbandagiertem Knie trainiert hatte, ist es nun elementar wichtig, schnellstmöglich topfit zu werden. Anderenfalls wäre es töricht von Löw, nicht Jerome Boateng nachzunominieren. Der "beste Mann der Bundesliga", wie ihn Ex-Kollege Bastian Schweinsteiger Anfang der Woche in einem Interview mit der Bild nannte, sollte in den nächsten Tagen zumindest vom Bundestrainer vorgewarnt werden, nicht allzu sehr in den Urlaubsmodus zu schalten.
3. Die Kommunikation auf dem Platz ist EM-tauglich
Es war bei weitem nicht alles schlecht gegen die Dänen. Neben der insgesamt zufriedenstellenden Rückwärtsbewegung verbuchten die Deutschen durch gutes Gegenpressing viele Ballgewinne in des Gegners Hälfte. Vor allem aber wurde lautstark kommuniziert.
Ob das jetzt nur an der Reaktivierung des Weltmeister-Duos lag, sei einmal dahingestellt. Doch sowohl "Radio" Müller als auch Hummels gaben mit vielen klaren Kommandos die Richtung für ihre Nebenleute vor. Lauter als "Thomats" war eigentlich nur Joshua Kimmich, der gefühlt jeden gewonnenen Zweikampf seiner Kollegen mit einem unüberhörbaren "Ja, Junge, weiter so" honorierte.
Müller benutzte am Häufigsten die Wörter "Zeit" und "Zustellen", während Hummels eher mit seinen Mitspielern sprach als schrie. Löw stellte nach Spielende aber zu Recht fest: "Positiv war heute auf jeden Fall die Kommunikation."
Immerhin etwas, das Zuversicht für die kommenden Wochen macht. Am Montag gegen Lettland in Düsseldorf (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) braucht es aber vor allem eine fußballerisch überzeugendere Vorstellung als im Tivoli-Stadion.