Thesen zum 27. Bundesliga-Spieltag: Thomas Müller muss der Spieler der Saison werden

Stefan Rommel
05. April 202111:55
Müller will gegen Gladbach die Meisterschaft perfekt machen.getty
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Thomas Müller sollte am Ende der Saison eine ganz besondere Ehre zuteilwerden - RB Leipzig dagegen über einen Torjäger und eine andere Einstellung nachdenken. Und der BVB? Der bleibt sich in gewisser Weise treu und beweist nun auch noch eine veritable Führungsschwäche.

RB Leipzig braucht einen Knipser - und eine andere Einstellung

Für Leipzig dürfte der Traum vom ersten großen Titel der jungen Klubgeschichte zumindest in diesem Wettbewerb vorbei sein.

Julian Nagelsmanns Mannschaft spielte phasenweise sehr gut, hatte die Bayern über weite Strecken im Griff und auch mehr Torchancen als der Gegner. Aber Leipzig verweigerte einmal mehr beharrlich, aus seiner Überlegenheit und seinen Möglichkeiten auch Kapital zu schlagen. Gleich mehrmals fanden sich Leipziger Angreifer nach der Pause in guten Abschlusspositionen, zielten aber fast immer am Tor vorbei oder wurden von Manuel Neuer gestoppt.

"Wir hatten vier große Chancen. Wir haben leider immer vorbeigeschossen. Das ist dann am Ende einfach auch ein Lerneffekt. Wir müssen daran arbeiten, dass wir die Dinge, die wir uns erspielen, auch kaltschnäuziger verwerten", sagte Julian Nagelsmann. Und Leipzigs Trainer verwies zu Recht auf andere Spiele in dieser Saison, als es auch die mangelhafte Chancenverwertung war, die dem einen oder anderen Sieg mehr im Wege stand.

Leipzigs erfolgreichste Torschützen sind die Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer, Emil Forsberg und Christopher Nkunku, die jeweils bei sechs Toren stehen. Der einzige Leipziger Stürmer unter den Top-50-Torschützen der Liga ist Yussuf Poulsen mit fünf Toren. Für eine Spitzenmannschaft mit Titelambitionen reicht das einfach nicht. Ebenso wenig wie die Haltung, die zumindest Sportchef Oliver Mintzlaff zum Spiel entwickelte.

Für Leipzig musste das Spitzenspiel bei vier Zählern Rückstand auf die Bayern finalen Charakter haben. Wenn Mintzlaff danach aber erzählt, "wir brauchen jetzt hier nicht von der Meisterschaft sprechen, das war auch nicht unser Ziel", dann muss man sich schon über die Ambitionslosigkeit der Herausforderer wundern. Diese gelebte Halbherzigkeit der Verfolger ist es nämlich auch, die den Bayern Jahr für Jahr in die Karten spielt.

Leipzigs Top-Torjäger in der Bundesliga:

SpielerSpieleTore
Marcel Sabitzer226
Emil Forsberg236
Christopher Nkunku226
Yussuf Poulsen245
Willi Orban234
Angelino214

FC Augsburg entdeckt Ruben Vargas ein zweites Mal

Im Dezember spielte Ruben Vargas sein letztes Bundesligaspiel über die volle Distanz, das war beim 2:2 gegen den FC Schalke. In den 16 Spielen danach war der Flügelspieler nur eine Teilzeitkraft, einmal verletzt oder wurde gar nicht eingewechselt. Dabei dürfte Vargas in einem äußerst biederen Augsburger Kader mit wenigen Offensivspezialisten der Spieler sein, der für die ausgegebene Spielweise am meisten mitbringt.

Trainer Heiko Herrlich sieht das aber offenbar etwas anders und setzte erst 13-mal auf einen Einsatz seines dribbelstärksten Angreifers von Beginn an. Gegen Hoffenheim stand der 22-Jährige endlich mal wieder in der Startelf - und das, obwohl er wegen Magendarm-Beschwerden deutlich geschwächt war. Nach acht Minuten schoss Vargas die Augsburger Führung und schon beim Jubeln pumpte der Spieler wie in der Nachspielzeit einer Partie.

Mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Tiefenpass wenig später auf Andre Hahn sorgte Vargas für die Vorentscheidung der Partie und schaffte erstmals in dieser Saison zwei Scorerpunkte. In der Halbzeit musste der Spieler in der Kabine bleiben, er sei "völlig platt, völlig am Ende" gewesen, verriet Sportchef Stefan Reuter danach. Aber Vargas biss sich diese eine Halbzeit eben durch und wurde zum Spieler des Spiels. Schon beim letzten Heimspiel gegen Gladbach wurde er nach seiner Einwechslung mit einem vorentscheidenden Tor zum Matchwinner.

Die Chancen, dass sich Vargas in einer schwierigen Saison wieder in die Stammelf gespielt hat, dürften jetzt ziemlich gut stehen.

BVB-Bosse müssen endlich durchgreifen

Der BVB steuert auf eine "sportliche und finanzielle Katastrophe" zu, wie es Mats Hummels nach dem 1:2 gegen Frankfurt und nun schon sieben Punkten Rückstand auf die eigentlich fix eingeplante Champions-League-Qualifikation formulierte.

Im "Endspiel" um Platz vier gegen die Eintracht zeigte sich der BVB mal wieder viel zu lange von seiner schlechten Seite und es mag ein Zufall sein oder nicht, dass so eine bedenkliche Leistung im Anschluss an die öffentliche Diskussion über einen möglichen Wechsel von Erling Haaland nach dieser Saison abgeliefert wurde.

Alle Beteiligte spielten die Dimensionen der Tingeltour von Haalands Vater Alf-Inge und dessen Berater Mino Raiola zwar herunter und wohl niemand hätte sich eine Nichtberücksichtigung des mit Abstand gefährlichsten Angreifers in einem derart wichtigen Spiel vorstellen können - aber so bleibt eben die latente Gefahr, dass sich Haaland zu einem zweiten Fall Dembele entwickelt. Oder zu einem zweiten Fall Aubameyang. Oder er sich plötzlich Allüren leistet wie Jadon Sancho.

In Dortmund gibt es genug prominente Namen in den Gremien oder nah dran an der Mannschaft, die sich Gehör verschaffen und (endlich) auch mal dazwischenhauen könnten. Die jedem klar machen könnten, dass so ein Verhalten nicht zu dulden ist und den Erfolg des gesamten Klubs gefährdet.

Und wenn sie schon einmal dabei sind, könnten sie auch das ungebührliche Verhalten von Marco Reus geißeln, der bei seiner Auswechslung zehn Minuten vor dem Ende beleidigt und aufreizend langsam vom Platz schlenderte wie bei einem Testspiel. Das sind fatale Signale, die unmittelbare Rückschlüsse auf das Innenleben einer Mannschaft zulassen, die keine mehr ist oder noch nie eine war. Aber das kann eine sportliche Leitung in der Art und Häufung nicht zulassen.

TSG Hoffenheim: Antriebslos und selbstzufrieden

Und gleich noch eine Truppe, die meilenweit unter ihren Möglichkeiten spielt. 1899 Hoffenheim galt vor der Saison zwar schon als Wundertüte, zwischen einem Platz im tristen Mittelfeld und dem erneuten Einzug ins internationale Geschäft war wohl alles denkbar. Von Abstiegskampf sieben Spieltage vor Schluss war allerdings nie die Rede.

Aber genau das ist jetzt angesagt: Der Rückstand auf Platz sechs ist fast doppelt so groß (13 Punkte) wie der Vorsprung auf Relegationsrang 16 (sieben Punkte). Die vielen Verletzten und die Ausfälle wegen diverser Corona-Fälle und Quarantäne-Maßnahmen sind ein massives Problem, aber keine Entschuldigung für die teilweise blutleeren Auftritte in dieser Saison.

Langsam setzt sich auch beim einen oder anderen Spieler die Erkenntnis durch, dass der Tabellenstand und die jetzt schon verkorkste Saison vielleicht doch das Ergebnis einer zu laxen Herangehensweise sind. Fast schon exemplarisch stand dafür der Auftritt in Augsburg.

Gegen einen Kontrahenten, der exakt zwei offensive Stilmittel besitzt, Standardsituationen und das schnelle Umschalten nach Ballgewinn, rannte Hoffenheim in zwei Kontersituationen und vergeigte die Partie bereits in der ersten Halbzeit. Es ehrt Trainer Sebastian Hoeneß, dass er seine Mannschaft nach der nächsten Enttäuschung nicht einfach auch mal öffentlich anzählt oder schärfere Töne anschlägt.

Inhaltliche Analysen und Erklärungen sind sehr wichtig, aber ab und an benötigt eine selbstzufriedene Mannschaft vielleicht auch entsprechende (personelle) Konsequenzen, um sie wachzurütteln. Denn genau dieser Eindruck verfestigt sich derzeit: Dass es den Spielern zu gut geht und die Saison antriebslos irgendwie ausklingen soll. Einen größeren Vorwurf könnte man einer Profimannschaft aber kaum machen.

Thomas Müller muss der Spieler der Saison werden

Ja, Robert Lewandowski schießt alles in Grund und Boden und vielleicht knackt er auch den Rekord von Gerd Müller und Weltfußballer ist er ja ohnehin schon. Ja, Joshua Kimmich ist das Hirn des Münchener Spiels, der Aggressive Leader und für den einen oder anderen Experten sogar der aktuell beste defensive Mittelfeldspieler der Welt. Und Manuel Neuer ist, nun ja, Manuel Neuer. Aber was ist eigentlich mit Thomas Müller und dessen Einfluss auf die Bayern?

Der scheint so groß wie noch nie - und Müller ist ja auch schon eine ganze Weile dabei: Nur David Alaba hat mit den Bayern so viel erlebt wie Müller und Alaba wird den Klub in wenigen Wochen verlassen.

Müller will gegen Gladbach die Meisterschaft perfekt machen.getty

Beim Kracher gegen Leipzig war Müller mal wieder der Coach auf dem Feld, der das "Mia san mia" verkörpert wie kein anderer und sportlich über jeden Zweifel erhaben ist. Müller macht gefühlt gar keine Fehler mehr, die Vorbereitung zu Leon Goretzkas entscheidendem Tor war sein 15. Assist in dieser Saison. Kein anderer Spieler der Liga macht seine Mitspieler so viel besser wie Müller das tut. Er ist nicht immer der Mann für die spektakulären Highlights. Aber die Konstanz und Roboterhaftigkeit seines Spiels sind so beeindruckend, dass Müller am Ende der Saison eigentlich auch mal einer dieser Einzeltitel zustünde: Der 31-Jährige war noch nie Fußballer des Jahres oder Spieler der Saison.

Derzeit gibt es keinen, der mehr Wert für seine Mannschaft einbringt als Müller und es deutet nichts darauf hin, dass sich daran bis Mitte Mai noch etwas ändern sollte. Thomas Müller muss der Spieler der Saison werden, daran kann es bei nüchterner Betrachtung kaum einen Zweifel geben.