"Tuchel und Streich sind Vorreiter"

Daniel Reimann
16. Oktober 201311:51
Thomas Schneider trat beim VfB Stuttgart das Erbe von Bruno Labbadia angetty
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Thomas Schneider brachte den VfB Stuttgart wieder auf Kurs. In der Bundesliga sind die Schwaben unter dem neuen Coach noch unbesiegt. Schneider im Interview über die Vorzüge seiner Trainergeneration, seinen großen Traum mit dem VfB und Supertalent Timo Werner.

SPOX: Herr Schneider, Sie sind nun seit rund eineinhalb Monaten VfB-Coach. Mit welchen Gedanken erinnern Sie sich zurück an Ihr Debüt gegen HNK Rijeka?

Thomas Schneider: So ein Spiel wünscht man sich im Nachhinein natürlich nicht als Auftakt. Dass wir mit einem Gegentor in der Nachspielzeit aus der Europa League ausgeschieden sind, ist natürlich extrem bitter. Aber das kommt vor im Fußball. Ich habe mental damit abgeschlossen.

SPOX: Auch aus dem DFB-Pokal hat sich Stuttgart bereits verabschiedet, dadurch geht dem VfB eine Menge Geld durch die Lappen. Wie ist das als Trainer, wenn in einem Spiel nicht nur sportliche, sondern vor allem finanzielle Belange im Vordergrund stehen?

Schneider: Es ist einem schon bewusst, dass der Verein finanzielle Einbußen hinnehmen muss, wenn man ausscheidet. Daran kann ich aber nichts ändern. Aber es geht in erster Linie nicht nur um Geld. Ich will mich auch sportlich messen, sportliche Ziele erreichen. Am Ende steht immer ein Fußballspiel, das man gewinnen will. Auch aus dieser Perspektive war das Pokal-Aus sehr schmerzhaft.

SPOX: Die Erwartungshaltung in Stuttgart wirkt bisweilen überzogen. Wird sie denn dem Potenzial von Verein und Mannschaft überhaupt gerecht?

Schneider: Die Erwartungshaltung ist schon allein aus der Historie des Klubs berechtigt. Es gab nur zwei Mannschaften, die in den letzten 15 Jahren häufiger international vertreten waren als wir. Bayern und Leverkusen. Von daher sind die Ansprüche durchaus gerechtfertigt. Mit Blick auf all die Möglichkeiten, die uns in Stuttgart zu Verfügung stehen - Sponsoren, Zuschauer, Infrastruktur - muss der Anspruch einfach hoch sein. Ich erkenne das an, muss mich aber auf die aktuelle Situation konzentrieren. Oft muss man solche Dinge einfach versuchen auszublenden. SPOX

SPOX: Stört Sie die "Himmel-oder-Hölle"-Mentalität aus dem Umfeld manchmal?

Schneider: Fußball ist ein Spiel der Emotionen. Die Fans zahlen viel Geld, um ins Stadion zu kommen. Dass sie dann enttäuscht sind, wenn man verliert, ist völlig normal. Solche Emotionen muss man den Zuschauern zugestehen. Außerdem läuft das in den Medien genauso: Jeder einzelne Spieltag wird überzeichnet, da gibt es kaum Kontinuität.

SPOX: Wie steht es um Ihre Erwartungshaltung an sich selbst?

Schneider: Ich will der beste Trainer sein, der ich sein kann. Dafür muss ich am Limit arbeiten und das Beste für die Mannschaft rauszuholen. Das erfordert Denken in kleinen Schritten. Man muss konzeptorientiert arbeiten, der Fokus liegt auf der aktuellen Aufgabenbewältigung. Aber daneben gibt es auch eine langfristige Vision. Ich will mit Stuttgart eine positive Entwicklung nehmen. Wir wollen wieder international spielen, am liebsten Champions League. Das ist mein Traum, das motiviert mich.

SPOX: Hatten Sie denn das Ziel Profitrainer, als Sie 2011 B-Jugendtrainer beim VfB wurden?

Schneider: Ich hatte kein auf den VfB zugeschnittenes Ziel. Ich wollte den Einstieg in den Jugendbereich schaffen, um mich als Trainer auf einem Level weiterzuentwickeln, auf dem man auch Fehler machen und daraus lernen kann. Deshalb habe ich meinen Fußballlehrer gemacht. Infolgedessen gab es viele gute Angebote. Aber zu Stuttgart hatte ich immer eine besondere Verbindung. In dem Verein habe ich schon mein halbes Leben verbracht, zudem leistet der VfB eine exzellente Jugendarbeit. Es war für mich ein Privileg, auf solch einem Level einsteigen zu können. SPOX

SPOX: Bei Ihrer vorherigen Station lief der Einstieg deutlich kurioser. Erzählen Sie doch mal, wie Sie Trainer beim FC Dingolfing wurden.

Schneider: Ich lebte damals in Straubing, als meine Nachbarin fragte, ob ich nicht die A-Jugend des FC Dingolfing trainieren wolle, wo auch ihr Sohn spielte. Das war Junioren-Bayernliga, das hat vom Niveau damals genau gepasst. Es war genau das Richtige. Ich hatte viel Spaß und wir haben auch erfolgreich gearbeitet. Dass ich allerdings ausgerechnet dort gelandet bin, war schon kurios. Aber es war genau das, was ich machen wollte, nachdem ich meine Karriere beenden musste.

SPOX: Sie waren an Borreliose erkrankt und hatten eine lange Leidenszeit. Wie haben Sie diese Entwicklung damals wahrgenommen?

Schneider: Alles begann mit einem Zeckenbiss, der nicht erkannt wurde. Ich musste eine Antibiotika-Therapie machen und es wurde langsam besser. Aber es reichte einfach nicht mehr, um noch weiterhin Leistungssport zu betreiben und auf hohem Level Fußball zu spielen. Es war schon sehr traurig, die eigene Karriere wegen einer Verletzung beenden zu müssen. Doch man muss lernen, solche Dinge zu akzeptieren und dann entsprechende Konsequenzen ziehen.

SPOX: Wie sahen diese Konsequenzen aus?

Schneider: Ich wollte schnell einen neuen Weg gehen und habe den Einstieg ins Trainergeschäft angepeilt. Dafür habe ich nach meiner Karriere ein Sportmanagement-Studium absolviert. 2010 kam dann die Fußballlehrerlizenz dazu.

Seite 2: Schneider über "Vollblutstürmer" Werner und Verdienste von Tuchel & Co.

SPOX: Sie haben Ihren Fußballlehrer unter anderem mit Markus Gisdol, Markus Weinzierl und Michael Wiesinger gemacht. Alle wurden bereits vor Ihnen Profitrainer. Waren Sie da manchmal neidisch?

Schneider: Neid ist mir völlig fremd. Ich habe riesen Respekt vor deren Leistung und habe mich von Herzen für sie gefreut. Trainer wie Wiesinger und Gisdol hatten schon mehr Vorerfahrung als ich. Ich kann mich ganz gut selbst einschätzen und weiß, wie wichtig die zwei Jahre im Jugendbereichen waren, um mich weiterzuentwickeln.

SPOX: Schließlich nahmen Sie das Angebot vom VfB an. Wann hatten Sie zum ersten Mal das Gefühl, dass Sie es dort sogar bis zum Cheftrainer schaffen könnten?

Schneider: Das ist schwer zu beurteilen. Ich wusste zwar, dass meine Arbeit wahrgenommen und geschätzt wurde. Erst recht, als mein Vertrag vorzeitig um vier Jahre verlängert wurde. Zudem gab es mehrere Anfragen von Bundesligisten - auch direkt an den Verein. Aber ich hatte immer ein gutes Rollenverständnis und wollte meine aktuelle Aufgabe bestmöglich erfüllen. Konkret wurde es erst, nachdem der Verein die Trennung von Bruno Labbadia beschlossen hat.

SPOX: Haben Sie sich zu diesem Zeitpunkt denn Hoffnungen auf den Cheftrainerposten gemacht?

Schneider: Damit habe ich mich kaum auseinandergesetzt. Ich lebe in meinem Mikrokosmos, beschäftige mich hauptsächlich mit meiner Mannschaft und meinem eigenen Umfeld. Auch wenn es im Hinterkopf immer diesen einen Traum gab, eines Tages mit einer Profimannschaft zu arbeiten.

SPOX: Die Übernahme von Trainern aus der eigenen Jugend liegt im Trend. War das ein entscheidender Vorteil für sie?

Schneider: Das weiß ich nicht. Aber es stimmt schon, dass Vereine heutzutage ihre Trainer viel genauer selektieren, als es früher der Fall war. Es wird mehr Wert darauf gelegt, ob ein Coach zum Verein passt. Trainer wie Tuchel oder Streich sind die Vorreiter in dieser Hinsicht. Sie haben den Weg für viele andere geebnet und bewiesen, dass solche Modelle funktionieren können.

SPOX: Wurde denn früher zu wenig auf Faktoren wie Identifikationsvermögen und Stallgeruch geachtet?

Schneider: Ich bin mir nicht sicher, ob das eine so große Rolle spielt. In meinem Fall ist es höchstens ein Teilaspekt, dass ich Stallgeruch habe und mich mit dem Verein identifizieren kann. Es ist ein riesiger Komplex aus vielen Faktoren, die in solchen Fällen relevant sind. Außerdem gibt es genügend erfolgreiche Trainer, die von extern kommen und trotzdem hervorragende Arbeit leisten.

SPOX: Durch Ihre Arbeit in der VfB-Jugend kennen sie viele der Nachwuchsspieler gut. Derzeit stehen besonders Timo Werner und Rani Khedira im Fokus. Wie schützen Sie die Jungs vor all dem Rummel?

Schneider: In beiden Fällen sehe ich keine Probleme, da beide ein sehr gutes Elternhaus haben. Von Seiten des Vereins geben wir lediglich Hilfestellungen für das Fußballerleben. Wir versuchen sie zu führen und in jeder Hinsicht zu unterstützen. Letztendlich kommt es vielmehr darauf an, ob die Spieler selbst solche Dinge wie Medienhype an sich heran lassen. Aber beide sind gut strukturierte Jungs. Sie können ihre Situation trotz ihres jungen Alters vernünftig einschätzen.

SPOX: Timo Werner wurde vor allem nach dem Sieg über Hoffenheim hochgelobt. Ihm wird eine vielversprechende Perspektive attestiert - zu Recht?

Schneider: Ja, definitiv. Timo Werner ist ein Vollblutstürmer. Für einen so jungen Spieler hat er bereits viele Qualitäten. Er ist blitzschnell, hat einen guten Zug zum Tor und ist stark im Abschluss. Aber trotz seines Talents muss er immer den Willen haben, hart an sich zu arbeiten und sich beständig weiterzuentwickeln. Er hat einen Traum, weiß wo er hin will und dabei werden wir ihn bestmöglich unterstützen.

Thomas Schneider im Steckbrief