Thomas Berthold und Helmut Roleder kämpften mit Stuttgart einst um Titel. Nach Jahren des Abstiegskampfs gibt es in der kommenden Saison wieder mal einen Titelkampf für den VfB. Nach der Pleite in Wolfsburg dann aber in der 2. Liga. Zwei Vereinslegenden erklären den Niedergang des schwäbischen Traditionsvereins - und rechnen mit den aktuellen Verantwortungsträgern ab.
SPOX: Der VfB Stuttgart muss den Gang in die 2. Liga antreten. Wie konnte es soweit kommen?
Thomas Berthold: Wenn man im Sportleben auf struktureller und personeller Ebene permanent die falschen Entscheidungen trifft, dann verliert man stetig an Substanz und das merkt man dann eben irgendwann auf dem Platz und in Folge dessen an der Tabelle.
Helmut Roleder: Der Verein hat über Jahre problematische Entscheidungen getroffen. Man hat kontinuierlich darauf hingearbeitet, dass der Verein irgendwann absteigt.
SPOX: Sie wollten vor knapp fünf Jahren VfB-Präsident werden, letztlich wurde Ihnen Gerd Mäuser vorgezogen.
Roleder: Die damalige Entscheidung Herrn Mäuser einzusetzen war sicherlich eine sehr, sehr unglückliche. Man hat den Stuttgarter Weg propagiert, aber keiner wusste, wie der aussehen soll.
SPOX: Welche Fehler hat Mäuser gemacht?
Roleder: Er hat immer gesagt, dass der VfB nicht das Geld hat, um wirklich gute Spieler zu kaufen. Aber wenn man Spielern sagt, sie sind billige Spieler, dann spielen die auch entsprechend. Herr Mäuser hat den Ehrgeiz vermissen lassen, den Verein nach vorne zu bringen.
SPOX: Mittlerweile ist Bernd Wahler im Amt.
Roleder: Herr Wahler hat bei seinem Präsidenten-Antritt vor drei Jahren gesagt, der VfB Stuttgart spielt in fünf Jahren Champions League. Das heißt, er hat jetzt noch zwei Jahre Zeit, um den Wiederaufstieg und die Königsklassen-Qualifikation zu bewerkstelligen. Das wird glaube ich ein bisschen eng.
SPOX: Wie haben Sie den Abwärtstrend der vergangenen Jahre verfolgt?
Berthold: Die Alarmglocken haben bei mir schon in den vergangenen beiden Spielzeiten des Öfteren geschrillt. Da hat es der VfB jeweils gerade noch geschafft, kurz vor der Ziellinie die Liga zu halten. Wenn ich solche Jahre hinter mir habe, dann sollte es erst einmal eine seriöse Aufarbeitung geben. Die hat in meinen Augen nach den vergangenen beiden Spielzeiten jedoch nicht stattgefunden.
SPOX: Wo liegen die Ursachen für die aktuelle Misere?
Berthold: Wenn man eine Mannschaft zusammenstellt, sollte man darauf achten, dass sowohl die Mentalität, als auch die Qualität stimmt. Das hat man in Stuttgart scheinbar sehr falsch eingeschätzt. Als es in der Anfangsphase der Rückrunde ganz gut lief, präsentierte sich die Mannschaft nach dem Motto: "Wir sind ja schon durch." Zu dieser Einstellung hat natürlich auch der Trainer seinen Teil beigetragen. Ich hatte den Eindruck, der ganze Verein befinde sich schon etwas im Urlaubs-Modus.
Roleder: Die Mannschaft war in einem Wohlfühl-Modus. Außerdem gab es den einen oder anderen Spieler, der sich da schon nach einem neuen Verein umgeschaut hat und persönlich profilieren wollte. Der Egoismus ist bei einigen stark ausgeprägt und sowas stört dann das Mannschaftsgefüge.
SPOX: Jürgen Kramnys Vertrag wurde überraschend frühzeitig bis 2017 verlängert. Zu frühzeitig?
Berthold: Das ist beim VfB ja generell eine große Problematik. Da sollte man sich mal fragen, warum ein Robin Dutt einen Vierjahresvertrag und ein Alexander Zorniger einen Dreijahresvertrag bekommt. Bei Trainern, die wie Zorniger aus der zweiten Liga oder wie Kramny aus der zweiten Mannschaft kommen, sollten Einjahresverträge mit der Option auf eine weitere Saison gemacht werden - aber keine dermaßen langfristigen Kontrakte. Sobald sie entlassen werden, muss der Verein einen gewaltigen Kostenfaktor ohne Nutzen stemmen.
Roleder: Ich verstehe das auch überhaupt nicht. Dutt darf man als Novizen auf diesem Posten keinen so langfristigen Vertrag geben; er müsste sich zuerst beweisen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Dutt ursprünglich sogar einen Fünfjahresvertrag haben wollte, Herr Wahler hat das dann Gott sei Dank noch um ein Jahr heruntergehandelt. Wenn man jemandem einen langfristigen Vertrag gibt, muss klar sein, dass derjenige auch die entsprechenden Fähigkeiten mitbringt.
SPOX: Fehlen Dutt diese Fähigkeiten?
Berthold: Robin Dutt hat gesagt, er lässt sich an dieser Saison messen. Jetzt steht der Abstieg fest - was soll ich dazu noch sagen?
Roleder: Dutt ist für mich viel zu unkritisch sich selbst gegenüber. Es gibt immer positive Aspekte, die man noch verwerten kann, damit er ja nicht selbst in die Kritik gerät. Er sollte die ganzen negativen Aspekte, die es im Verein gibt, mal mit seiner eigenen Person in Verbindung bringen und sich selbst hinterfragen. Dutt ist in einer Komfortzone, hat einen langfristigen Vertrag und sagt generell: "Was ich mache ist richtig."
SPOX: Wie geht es jetzt weiter mit dem VfB?
Berthold: So ein Abstieg betrifft den ganzen Verein. Da sollten alle Verantwortlichen an jedem Schräubchen drehen und alles hinterfragen. Man sollte eine genaue Aufarbeitung der Missstände machen. Ich frage mich aber, ob die wirklich stattfinden wird.
SPOX: Kann der VfB mit Dutt und Kramny einen glaubwürdigen Neuanfang in der 2. Liga verkaufen?
Berthold: Bei Abstiegen ist es immer schwer, mit den Personen, die diesen zu verantworten haben, weiterzumachen. Es geht aber nicht nur darum, der Öffentlichkeit einen Neuanfang zu verkaufen, sondern auch darum, wirklich die Überzeugung zu haben, mit dem Trainer in die Erfolgsspur finden zu können.
Roleder: Ich bin der Meinung, dass man sich neu orientieren muss. Von meiner Denkweise her sollten beide gehen müssen. Ich erachte es übrigens als großes Problem, dass verdiente Ex-Spieler nicht eingebunden werden. Guido Buchwald hat man in den Ehrenrat geschickt, wo er keinen Einfluss hat. Bei Hansi Müller ist es ähnlich: Er war vier Jahre lang Aufsichtsrat, aber wenn er Fredi Bobic etwas gesagt hat, dann hatte er den Eindruck, als würde es ihn nicht wirklich interessieren. Vor einem halben Jahr hat man Karl Allgöwer als Berater geholt. Das ist schön für die Fans, weil er einen guten Ruf hat. Vor kurzem hat er mir aber erzählt, dass er zwar hin und wieder nach seiner Meinung gefragt wird, aber dass er überhaupt keine Entscheidungsgewalt hat. Da versucht man einfach nur die Außenwirkung zu verbessern. Es gibt Vereine, die binden verdiente Ex-Spieler intensiv ein - und es gibt den VfB.
SPOX: Glauben Sie an den direkten Wiederaufstieg?
Berthold: Ich glaube schon daran, aber die Konkurrenz in der 2. Liga ist gerade in der nächsten Saison mit Hannover und möglicherweise Frankfurt sehr groß. Außerdem muss man in der 2. Liga eine andere Art von Fußball spielen; da wird mehr Wert auf das Kämpferische als auf das Spielerische gelegt - und das muss auch mental angenommen werden. Es wird jedenfalls kein Selbstläufer.
SPOX: Daniel Ginczek und Christian Gentner haben relativ überraschend verlängert.
Berthold: Bei Ginczek muss man abwarten, wann er wieder richtig gesund wird. Die Verlängerung von Gentner sehe ich positiv. Er hat als Kapitän ein gutes Zeichen gesetzt. Man sollte generell schon versuchen, den Kern der Mannschaft zu behalten, weil man einfach nicht die Zeit hat, einen kompletten Umbruch zu machen. Die 2. Liga geht schließlich bereits Anfang August los. Es muss eine Mannschaft zusammengebaut werden, die sich dieser Aufgabe geschlossen stellt. Da ist es natürlich von Vorteil, wenn es bereits einen Kern gibt, der sich kennt.
SPOX: In welchen Bereichen sehen Sie akuten Handlungsbedarf?
Berthold: In der Innenverteidigung, dem zentralen, defensiven Mittelfeld und vorne auf jeden Fall auch - eigentlich in jedem Mannschaftsteil.
Roleder: Im derzeitigen Team gibt es wenige Häuptlinge und das war in den vergangenen Jahren nicht anders. An die löchrige Abwehr haben wir uns ja mittlerweile schon gewöhnt, aber in dieser Saison hat der VfB 74 Gegentore bekommen - das hatten wir früher auf zwei Spielzeiten verteilt. Die Besetzung der Torhüter-Position ist mir als ehemaligem Keeper darüber hinaus völlig unerklärlich. Warum kauft ein Verein, der bekannt dafür ist, dass er gute Nachwuchstorhüter hat, zwei Torhüter, die eigentlich auf dem gleichen Niveau spielen? Wahrscheinlich hat man sich da am FC Barcelona orientiert. Das ist eine äußerst seltsame Entscheidung.
SPOX: Wie beurteilen Sie die Szenen, die sich nach dem Heimspiel gegen Mainz abgespielt haben?
Roleder: Diese Bilder sind natürlich nicht schön. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass das Verhalten der Stuttgarter Fans generell sehr, sehr positiv ist. Wir sind das x-te Jahr im Abstiegskampf und die Fans halten immer noch zur Mannschaft, feuern sie an. Die Fans sind heute - wenn man das mit meiner Zeit vergleicht - sensationell geduldig. Man muss dann aber auch Verständnis dafür haben, wenn denen irgendwann der Kragen platzt.
Berthold: Meiner Meinung nach gehören Zuschauer auf die Tribüne und nicht auf den Platz. Was soll in so einer Situation eine Diskussion zwischen Spielern und Fans bringen? Das erachte ich als überhaupt nicht zielführend.
SPOX: Sie haben als Spieler in den 1990er Jahren erfolgreiche Zeiten mit dem Verein erlebt. Wie weh tut Ihnen die aktuelle Situation persönlich?
Berthold: Sie stimmt mich sehr traurig. Der VfB ist ein Verein mit so großem Potential, so einer tollen Fanlandschaft. Es ist unfassbar traurig, dass dieser Klub den Gang in die 2. Liga antreten muss. Der Fußball ist aber knallhart. Die Tabelle ist das Bild, an dem sich jeder Beteiligte messen lassen muss. Die große Frage ist jetzt, welche Schlüsse daraus gezogen werden.
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