Der FC Bayern liefert sich mit RB Leipzig im Bundesliga-Spitzenspiel einen wilden Schlagabtausch, an dessen Ende FCB-Trainer Hansi Flick gerade bei einer Stärke von Jerome Boateng ein Problem für das Spiel des deutschen Rekordmeisters ausmachte und der Königstransfer der Bayern einen gebrauchten Tag erwischte. Vier Erkenntnisse zum Topspiel. Hier gibt's die Highlights im Video.
Hätte man Julian Nagelsmann mit der Aufgabe betraut, eine Schlagzeile für das 3:3 seiner Leipziger beim FC Bayern zu kreieren, wäre diese recht nüchtern ausgefallen. "Ich würde sie 'packendes Spiel nennen'", sagte der Coach der Sachsen im Anschluss an die Begegnung bei Sky auf entsprechende Nachfrage.
Packend sicherlich, furios, spektakulär obendrein. Kurz gesagt: den Vorschusslorbeeren eines Spitzenspiels gerecht werdend. Bayern-Trainer Hansi Flick fiel spontan die Umschreibung "wild" ein, die das Geschehen im klirrend kalten Fröttmaninger Rund ebenfalls recht treffend zusammenfasste.
Ein sportliches Amüsement für den neutralen Beobachter, ein Wechselbad der Gefühle aus Jubel und Verdruss für die unmittelbar Involvierten. Vor allem Flick konzentrierte sich danach vornehmlich auf die Aspekte, die ihm nicht behagten.
Hier gibt es vier wichtige Erkenntnisse aus der Partie.
FCB-Innenverteidigung: Null Automatismen, schwacher Aufbau
Um zu erkennen, dass die Münchner Hintermannschaft derzeit eher einer völlig durchlässigen Membran gleicht, reicht ein Blick auf die Gegentoranzahl. Nach zehn Bundesliga-Spieltagen musste Torhüter Manuel Neuer die Kugel schon 16-Mal aus dem eigenen Netz holen. Genauso häufig wie in der vergangenen Saison zu jenem Zeitpunkt, am zehnten Spieltag damals verloren die Bayern mit 1:5 in Frankfurt.
Es läuft nicht rund im Defensivverbund, vor dem Duell mit Leipzig standen acht Pflichtspiele in Folge mit mindestens einem Gegentor zu Buche. Dass die Roten Bullen die Serie auf neun Partien ausbauten, hing am Samstagabend eng mit der nicht funktionierenden Innenverteidigung zusammen.
Jerome Boateng und Niklas Süle, die in der laufenden Spielzeit erst dreimal gemeinsam die Abwehr-Zentrale bildeten, hatten offensichtliche Probleme mit den schnellen, technisch versierten Offensivkräften der Gäste.
Beim 0:1 durch Nkunku rückte Boateng zu zaghaft heraus und bot Passgeber Forsberg die entscheidende Lücke an. Im Vorfeld des 2:2 gab Süle eine unglückliche Figur ab und beim zwischenzeitlichen 2:3 versinnbildlichten sich die Abstimmungsprobleme, als Forsberg (O-Ton: "Ich war selbst überrascht, wie frei ich war) sich herzlich für den Freiraum bedankte.
Bayern-Trainer Flick kritisiert Diagonalbälle
"Wir haben die Tore zu leicht bekommen", resümierte Flick und spulte damit eine beinahe gewohnte Platte der vergangenen Wochen ab. Um eine Erklärung bemüht, schob der 55-Jährige nach: "Wir haben in der letzten Saison immer mit der gleichen Viererkette gespielt, jetzt müssen wir das eine oder andere Mal wechseln." Aufgrund der engen Taktung des Spielplans sei es jedoch nicht möglich, die nötigen Automatismen, die es beim hohen Pressen bracht, zu implementieren.
Grund genug für Flick, sogar über eine Änderung seiner Philosophie nachzudenken. "Wir müssen als Trainerteam überlegen, ob wir das vielleicht ein bisschen anpassen", sagte er und deutete somit für die ausstehenden vier Partien des Jahres einen konservativeren Ansatz an.
Doch Flick ärgerte sich mit Blick auf seine Innenverteidigung nicht nur über das Defensivverhalten, auch das Aufbauspiel sagte ihm gegen Leipzig nicht zu. "Wenn wir den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren lassen, bin ich zufrieden. Aber den Ball unvorbereitet diagonal zu schlagen, möchte ich nicht sehen. Damit bin ich nicht happy", sagte er.
Insbesondere Boateng dürfte der Adressat der Kritik gewesen sein. Der Weltmeister von 2014, der traditionell Diagonalpässe als überraschendes Stilmittel einbaut, jene Verlagerungen gar als Paradedisziplin bezeichnen darf, versuchte sich am Samstagabend unzählige Male mit halbgaren Flugbällen, die diesmal verlässlich beim Gegner landeten.
Sehr untypisch für Boateng, aber es passte ins Bild, dass mehrere FCB-Hochbegabte nicht ihren besten Arbeitstag erwischten.
FC Bayern: Leroy Sane friert fest und ist frustriert
Zum zweiten Mal hintereinander fand sich Leroy Sane in der Startelf wieder. Ein Anlass zur (Spiel-)Freude, sollte man meinen. Doch davon war beim deutschen Nationalspieler nichts zu spüren. Besonders im Vergleich zu seinen engagierten Nebenmännern Kingsley Coman und Thomas Müller fiel Sane deutlich ab.
Der ehemalige Schalker vermittelte ein tristes Bild und ließ jegliche Bindung zum Spiel vermissen. Seine berüchtigte Risikobereitschaft, das Eins-gegen-Eins zu suchen und schlitzohrig abzuschließen, hatte es am Samstagabend nicht ins Sane'sche Repertoire geschafft. Stattdessen wirkte er auf der rechten Außenbahn wie festgefroren, bisweilen teilnahmslos.
Lediglich einmal deutete der Flügelflitzer seine eigentlich so herausragende Dynamik an, als er kurz vor dem Pausenpfiff in die Mitte zog und den Doppelpass mit Robert Lewandowski suchte, dessen Hackenzuspiel jedoch nur den Weg in die Arme von RB-Schlussmann Gulacsi fand.
Sane verbuchte die wenigsten Ballaktionen bei den Hausherren (30), spielte in des Gegners Hälfte lediglich zehn Pässe (zum Vergleich: Coman spielte 27, Müller gar 36) und schoss kein einziges Mal auf Gulacsis Kasten. Nach 64 Minuten machte Sane Platz für Serge Gnabry und schleuderte symbolträchtig seine Handschuhe auf die Bank. Klar, dass ein Spieler seines Formats andere Ansprüche an sich hat.
Als Flick nach dem Spiel auf Sanes Startelfeinsatz angesprochen wurde, ging er nicht direkt auf die Leistung des Neuzugangs ein und hob stattdessen Coman hervor. Der Franzose sei aktuell derjenige, der "die Akzente setzt." Damit seien vor allem Torbeteiligungen und der Blick für den Raum gemeint.
Gut für Sane: die Ansage bezog sich nicht nur auf ihn, sondern auch auf die beiden anderen Außenbahnspieler Gnabry und Douglas Costa. Comans "Niveau wünsche ich mir von allen", forderte Flick.
FCB-Talent Musiala setzt gegen RB ein Ausrufezeichen
Natürlich gab es auch Lichtblicke bei den Münchnern. Neben Dreifach-Vorlagengeber Coman und Doppeltorschütze Müller wusste vor allem der jüngste im Aufgebot (Bright Arrey-Mbi stand nicht im Kader) vollumfänglich zu überzeugen: Jamal Musiala, der nach 25 Minuten als erste Option für den verletzten Javi Martinez in die Partie kam.
Ein klarer Fingerzeig von Flick auch in Richtung Marc Roca. Der Bayern-Trainer traut dem 17-Jährigen aktuell deutlich mehr zu als dem mit 24 Jahren bereits einigermaßen arrivierten Spanier. Warum das so ist, wurde gegen Leipzig mehrfach deutlich.
Mit der größtmöglichen Selbstverständlichkeit verarbeitete Musiala gleich nach seiner Einwechslung auch komplizierte Anspiele, dribbelte elegant und geschmeidig durchs Mittelfeld, spielte kluge Pässe und traf in sehenswerter und technisch einwandfreier Manier zum 1:1.
Auch die Zahlen lassen erahnen, welch formidable Darbietung die Bayern-Fans von ihrem Diamanten bestaunen durften. Als offensiver Achter aufgeboten, wartete Musiala mit 61 Ballaktionen auf, brillierte mit einer Zweikampfbilanz von 83,3 Prozent und eroberte mehr Bälle als jeder andere Bayern-Spieler (13).
"Jamal spielt befreit auf", befand Flick und lobte weiter: "Wir hatten in der Anfangsphase nicht so viel Ballkontrolle, das hat sich mit seiner Einwechslung verändert. Er hat heute das gezeigt, was er auch im Training immer anbietet. Deshalb war es heute keine große Überlegung, ihn reinzuschmeißen."
Nagelsmann schwärmte ebenfalls in den höchsten Tönen vom englischen U-Nationalspieler: "Er ist ein sehr großes Talent, die Bayern treffen im Nachwuchs sehr gute Entscheidungen", sagte der Leipziger Übungsleiter und ergänzte: "Musiala macht das Tor super und hatte auch ansonsten sehr viele gute Aktionen. Er ist sehr ballsicher und sehr schnell auf den Beinen. Er ist schwer zu greifen, die Bayern werden noch schöne Erlebnisse mit ihm haben."
RB Leipzig nimmt die Doppelbelastung an
Apropos schöne Erlebnisse: Leipzig war bis dato noch nie in den Genuss gekommen, ein Tor in der Allianz Arena zu bejubeln, am Samstag änderte sich das unter gütiger Mithilfe der Bayern-Hintermannschaft bereits nach 19 Minuten, ein Dreier sprang letztlich hinsichtlich der Trefferausbeute heraus, punktetechnisch blieb es jedoch erneut bei einem Zähler.
Dabei war die Chance, diesmal drei Punkte aus München mitzunehmen wohl größer denn je. Nagelsmann, der etwas überraschend nicht auf Dani Olmo und Yussuf Poulsen zurückgriff, hatte seine Spieler hervorragend auf den Kontrahenten eingestellt, die Schwächen des Triple-Siegers gut analysiert. Lauffreudig und giftig boten die Leipziger den Gastgebern die Stirn, setzten immer wieder Nadelstiche in Form von schnellen, brandgefährlichen Kontern.
"In der ersten Halbzeit haben wir viele gute Bälle hinter die Linie gespielt. Die Jungs haben meine Idee gut umgesetzt", sagte Nagelsmann, der gleichzeitig mit den Gegentoren haderte. Konkret Musialas erfolgreicher Abschluss ärgerte den Perfektionisten aus Landsberg am Lech. Die Situation habe sein Team genauso schlecht verteidigt wie den zweiten Treffer gegen Basaksehir beim 4:3-Erfolg unter der Woche in der Champions League.
Die Königsklasse trage Nagelsmann zufolge auch mit Abstrichen dazu bei, dass nicht mehr als ein Remis an der Isar heraussprang. "Nach dem 3:3 mussten wir leider sehr viel wechseln, weil wir auf das Spiel am Dienstag in der Champions League schauen müssen", sagte er.
Dieser Tatsache und dem Umstand geschuldet, dass die Bayern einen Tag länger regenerieren konnten, sei nicht viel mehr drin gewesen. "Dafür sind die Jungs gut an ihre Grenzen gegangen und dafür kriegen sie auch Lob." Zum Hintergrund: Leipzig kämpft in der kommenden Woche gegen Manchester United um den Einzug ins Champions-League-Achtelfinale.
Nach fünf Spieltagen belegt der Halbfinalist der Vorsaison in der Gruppe H Rang drei, hat aber genau wie die Nebenbuhler PSG und United bereits neun Punkte auf dem Konto. Mit einer ähnlichen Leistung wie gegen die Bayern dürfte einem Weiterkommen nur wenig im Wege stehen.
Champions League: RB Leipzig kämpft ums Achtelfinale
Platz | Verein | Spiele | Tore | Punkte |
1 | Paris Saint-Germain | 5 | 8:5 | 9 |
2 | Manchester United | 5 | 13:7 | 9 |
3 | RB Leipzig | 5 | 8:10 | 9 |
4 | İstanbul Başakşehir | 5 | 6:13 | 3 |