NBA Above the Break - Takeaways vom Saisonstart: Trae Youngs Freiwürfe, Bostons Layups und die Probleme der Warriors

Ole Frerks
04. Januar 202113:05
Jayson Tatum und Jaylen Brown übernehmen in Boston ohne Kemba Walker noch mehr Verantwortung.getty
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Seit knapp zwei Wochen ist die neue NBA-Saison im Gange und hat schon etliche Blowouts sowie interessante Entwicklungen bei Teams und Spielern hervorgebracht. Above the Break präsentiert eine erste Auswahl mitsamt Einordnungen.

Die ersten Wochen sind in jeder Saison eine Phase der Überreaktionen; in jede Statistik, jeden Blowout wird alles Mögliche hineininterpretiert, was dann womöglich nach wenigen Wochen wieder umgestürzt oder verworfen werden muss. Jedes Jahr gibt es dafür mal mehr, mal weniger einprägsame Beispiele.

Erinnert sich noch jemand an die Process-Sixers, die im ersten Saisonspiel hinter 22 Punkten, 12 Assists, 9 Steals und 7 Rebounds von Rookie Michael Carter-Williams 2013 den amtierenden Meister Miami Heat besiegten und danach auch noch die nächsten beiden Spiele gewannen? Nein? Dann liegt das vermutlich daran, dass in der Folge nur noch 16 Siege in der gesamten Spielzeit hinzukamen.

Der Saisonstart ist also mit Vorsicht zu genießen und in dieser Saison scheint das ganz besonders stark zu gelten. Einige Faktoren haben dazu beigetragen, dass in den knapp zwei Wochen dieser Spielzeit allein schon eine Heerschar an Blowouts gefeiert wurde, darunter die 51-Punkte-Abschlachtung der Clippers seitens der Mavs und der 47-Punkte-Auswärtssieg Milwaukees in Miami. Eine Auswahl:

  • Die kurze Saisonvorbereitung: Keine Summer League, eine sehr kurze Preseason und ein Training Camp, das aufgrund von COVID-19 bei etlichen Teams nicht mit voller Kapelle stattfinden konnte, sorgen zumindest dem Eindruck nach für weniger Automatismen und Kohärenz bei vielen Teams, insbesondere denen, die viele neue Spieler integrieren müssen. Auch die Fitness einiger Spieler ist beeinträchtigt, nicht nur bei den offensichtlichen Beispielen (L. Doncic).
  • Der veränderte Spielplan: 72 Spiele, die in einen ziemlich kurzen Zeitraum gepresst werden, sorgen fast schon zwangsweise dafür, dass nicht jede Partie mit dem gleichen Einsatz und der gleichen Konzentration angegangen werden kann, geschweige denn mit dem identischen Kader. Was hinzukommt: Viel häufiger als sonst spielen Teams nun zweimal in Folge gegeneinander, um Reisestrapazen zu minimieren. Die "Chance auf Wiedergutmachung" liegt so nah, limitiert das die Bereitschaft zum Aufbäumen bei -20 im dritten Viertel, und auch die Bereitschaft für Adjustierungen?
  • Wenig bis keine Zuschauer: Dieser Aspekt ist natürlich etwas spekulativ, schon in der Disney-Bubble allerdings haben sich die veränderten Bedingungen unter anderem durch eine andere Tiefenwahrnehmung und weniger Fremdeinflüsse teilweise positiv auf das Shooting ausgewirkt. Gerade der Sieg Milwaukees in Miami wäre ohne absurdes Shooting nicht möglich gewesen, 29 getroffene Dreier waren nicht aus Zufall ein NBA-Rekord. Gleichzeitig könnten Heim-Fans womöglich natürlich auch bei stolzen Teams wie den Heat noch einen gewissen Unterschied machen.

Auch hier ist aber zu erwähnen, dass der Faktor Zufall eine Rolle spielen kann - womöglich normalisieren sich die Ergebnisse in den kommenden Wochen etwas stärker. Für den Moment jedenfalls sind etliche Statistiken zum frühen Zeitpunkt noch weniger zu gebrauchen als sonst, wo die kleine Stichprobe ohnehin schon so eine große Rolle spielt.

Zur Veranschaulichung: Die Clippers stehen über die Saison bisher bei einem recht positiven Net-Rating von +3,5 (also der Punktedifferenz pro 100 Ballbesitzen). Rechnet man die -52,9 (!!!) aus dem Mavs-Spiel heraus, steht man allerdings schon bei +16,7, was der beste Wert der NBA-Geschichte wäre. Will sagen: Es wird noch eine Weile dauern, bis die Aussagekraft solcher Zahlen wirklich gegeben ist.

In der Folge blicken wir nun dennoch auf einige Trends und Entwicklungen der ersten Saisonwochen und evaluieren, inwieweit diese haltbar sind oder nicht.

Trae Young und sein Leben an der Freiwurflinie

Viel wurde über die Offseason von den offensiven Verstärkungen der Hawks gesprochen. Und siehe da, tatsächlich stellte Atlanta bisher eine der besten Offensiven der Liga (116,7 nach dem enttäuschenden Auftritt gegen Cleveland). So gut wird es nicht bleiben, einige Stärken sind aber offenkundig und sollten den Hawks über die gesamte Spielzeit zu einem starken Angriff verhelfen.

Alles beginnt dabei mit Trae Young, der sein Spiel auch aufgrund der zusätzlichen Unterstützung auf einen neuen Level gehoben hat. Der Point Guard hat mehr Platz und nutzt diesen meisterhaft; vor allem aber scheint er in der Offseason diverse Videos von Chris Paul, James Harden und Jimmy Butler gesehen zu haben. Young lebt an der Freiwurflinie.

In den ersten vier Saisonspielen nahm Young unfassbare 62 Freiwürfe; trotz seiner geringen Größe und nicht unbedingt beeindruckender Explosivität kommt er an jeden Ort auf dem Court und manipuliert Verteidiger sowie Schiedsrichter genug, um ihm genau das zu geben, was er haben will.

Die Wendigkeit, gepaart mit dem von überall gefährlichen Wurf sorgt für Panik und teils sehr unbeholfene Defense. Wie Young sich auf dem Court bewegt, gibt nicht nur seinen Gegenspielern Rätseln auf.

Die Art, wie Young Fouls schindet, wird so indes womöglich nicht ewig funktionieren. Beispielsweise hat er sich angewöhnt, sich nach dem Pick'n'Roll vor den Verteidiger zu schieben, der ihn verfolgt, und dann einfach stehenzubleiben oder hochzuspringen und sein Hinterteil auszufahren; das verschafft ihm derzeit Freiwürfe, der Verteidiger hat aber keinerlei Ausweichmöglichkeit.

SPOXnba.com/stats

Nicht nur Steve Nash schimpfte während dem Offensivspektakel zwischen seinen Nets und den Hawks mehrfach darüber, dass dies "kein Basketball" sei. NBA-Refs brauchen oft eine Weile und bis zur einheitlichen Linie dauert es womöglich noch (ein Beispiel: Daniel Theis' patentierter "Seal-Screen" wird neuerdings manchmal als Offensivfoul abgepfiffen, manchmal aber auch nicht), aber mit der Zeit könnte dieses Play vielleicht auf der schwarzen Liste landen, zumindest in der Version, in der sich Young aktiv nach hinten bewegt.

Wie dem auch sei: Young zog schon vergangene Saison 9,3 Freebies pro Spiel. Es ist eine offensichtliche Stärke des früheren Sooners, der sich langsam zu einem der besten Offensivspieler der Liga entwickelt.

Young bewegt sich bei den Hawks noch immer recht wenig abseits des Balles und kann hier noch dazulernen, aus dem Pick'n'Roll gehört er aber schon jetzt zu den gefährlichsten Spielern der Association. Auf diesem Fundament kann die Hawks-Offense auch in Zukunft weiter bauen.

SaisonSpielePunkteFG%3FG%FT%FTAAssists
18/198119,141,832,482,95,18,1
19/206029,643,736,1869,39,3
20/21628,245,236,188,611,78,3

Boston vs. Layups

Ein Hit-or-Miss-Team der ersten Saisonwochen sind die Celtics, die teils dominant auftreten und teils auch mal ganze Viertel voller mieser Offense produzieren. Ein Stück weit waren Probleme zu Saisonbeginn erwartbar gewesen, schließlich fehlt mit Kemba Walker einer der drei besten Offensivspieler in einem nicht sonderlich tiefen Team.

Seine Abwesenheit muss kompensiert werden, wobei sich überraschend insbesondere Rookie Payton Pritchard bisher positiv hervortut. Jaylen Brown gehört zudem zu den meistverbesserten Spielern der jungen Spielzeit, gewisse Probleme kann er allerdings ebenso wenig kaschieren wie Jayson Tatum, auch wenn sich beide abmühen.

Boston ist, so wie seine besten Spieler, ziemlich abhängig vom Jumpshot; gerade Tatum fühlt sich außerhalb der Zone wohler als innerhalb, obwohl der Trend vergangene Saison noch in die richtige Richtung zeigte. In den ersten beiden Saisonspielen nahm er 50 Würfe und keinen Freiwurf, was eigentlich selbst dann nicht möglich sein sollte, wenn man es darauf anlegt.

Teilweise mag das fehlenden Calls geschuldet sein, aber es ist auch Tatums Spielweise; auf dem Weg zum Korb weicht er Kontakt regelrecht aus und windet sich, womit nicht nur die Chance auf Freiwürfe, sondern auch auf den Korberfolg sinkt. Siehe dieses Beispiel: Brook Lopez macht es gut, aber Tatum macht es ihm auch leichter als nötig, erfolgreich den Ring zu beschützen.

SPOXnba.com/stats

Tatum trifft in dieser Saison bisher nur 48,1 Prozent seiner Abschlüsse in unmittelbarer Korbnähe, der Ligadurchschnitt liegt bei 58 Prozent. Es ist positiv, dass er mehr Drives und auch mehr Abschlüsse am Korb verzeichnet als in der Vorsaison, seine Quote muss sich aber zwingend bessern, die Freiwurfrate sowieso.

Der größte Übeltäter in dieser Hinsicht ist wiederum Jeff Teague: 31,6 Prozent Trefferquote sind selbst für einen traditionell nicht guten Finisher eine Katastrophe. Als Team liegen die Celtics bei 55,2 Prozent und bei einer Freiwurfrate von 21,3 Prozent, die für Platz 27 ligaweit reichen würde.

Die Tendenz zum "Finesse-Abschluss" ist nicht neu, trotzdem darf zumindest vorsichtig damit gerechnet werden, dass sich diese Ausbeute und die Offensive im Allgemeinen verbessern wird. Selbst vor dem Comeback von Walker gibt es dafür Mittel und Wege, die Coach Brad Stevens noch in Erwägung ziehen könnte.

Eins davon: Lineups mit einem Big! Der Verlust von Tiefe auf dem Flügel wurde zum Saisonstart dadurch kompensiert, dass Theis auf die Vier ging und Tristan Thompson an seiner Seite auf die Fünf rückte, Center ist derzeit sogar Bostons tiefste Position, es hilft aber weder Theis noch der Offense im Allgemeinen.

Theis ist zwar ein ordentlicher Schütze, bisher ist davon in der Saison jedoch nicht viel zu sehen (3/16 3FG) und in Kombination mit Thompson verstopft das die Zone für Tatum oder Brown. Thompson und Theis haben bis dato ein Net-Rating von -14,3 (erneut: kleine Stichprobe!) und die visuellen Eindrücke bestätigen diesen miesen Wert.

Beide Bigs (und auch Robert Williams) haben ihren Wert, die Kombination funktioniert bisher jedoch nicht, weder offensiv noch defensiv. Endet das Experiment, verschafft das auch Tatum und Co. schönere Driving Lanes. Treffen müssen sie die Korbleger dann aber trotzdem selbst.

Die Offensive der Warriors

Noch weitaus schwächer aus den Startlöchern gekommen sind die Golden State Warriors, die selbst nach der Gala von Stephen Curry gegen Portland noch das zweitschlechteste Net-Rating der Liga aufweisen und bereits mehrere Referenden über sich ergehen lassen mussten. Ganz so schlimm war es nicht zu erwarten gewesen, und ganz so schlimm muss es auch nicht bleiben.

Da ist die Rückkehr von Draymond Green, natürlich - sein Impact war auch gegen Portland schon überall zu spüren. Aber auch Head Coach Steve Kerr ist gefragt, um einige offensichtliche Änderungen in der Spielweise seines Teams durchzuführen. Diese lassen sich mit KISS (Keep It Simple and Stupid) einfach zusammenfassen.

Die Warriors laufen zu einem recht großen Anteil immer noch eine Offense, die Automatismen, Bewegung, Spacing und ein hohes Maß an Spielintelligenz einfordert - aber fast nichts davon passt zum derzeitigen Spielermaterial des Teams. Neben Curry spielen derzeit nicht drei oder vier künftige Hall-of-Famer, sondern ein 19-Jähriger und zwei enigmatische Athleten mit wackligem Wurf, die noch nie durch überbordenden Basketball-IQ aufgefallen sind.

Das heißt nicht, dass James Wiseman, Andrew Wiggins oder Kelly Oubre nicht ihre Stärken haben. Wiggins' Athletik kann ein großes Plus sein, wie teilweise schon zu sehen war, Oubre kann viel mehr, als er bisher gezeigt hat (6,7 (!!!!!!!!!) Prozent Dreierquote). Wiseman zeigt teilweise spektakuläre Ansätze.

Man muss nur eben versuchen, diese Stärken bestmöglich einzusetzen. Das muss gar nicht kompliziert sein; Curry etwa gehörte trotz seiner eigenen Shooting-Probleme v.P. (vor Portland) zu den effektivsten Pick'n'Roll-Spielern der Liga, gleich zwölf Spieler ligaweit liefen dieses Play aber häufiger pro Partie (darunter Zach LaVine und Markelle Fultz).

SPOXnba.com/stats

Die Frequenz insbesondere von Curry/Wiseman-Aktionen sollte viel höher sein, als sie es derzeit ist, das könnte das Fundament einer dynamischen Offensive sein. Kerr liebt es, Curry abseits des Balles einzusetzen, und neben guten Passern ergibt das auch Sinn; derzeit muss Steph aber aktiv der Initiator von Offense sein.

Eine weitere Komponente, die man gegen Portland schon vermehrt sehen konnte, sind Post-Ups von Wiggins, zumindest gegen Mismatches. Natürlich würde man lieber Klay Thompson um Blöcke jagen, aber es geht eben um die Spieler, die jetzt zur Verfügung stehen.

Es ist zu früh, um die Warriors abzuschreiben; mehrere Stützen waren im Training Camp wenig oder gar nicht dabei, Green wird Curry helfen und die Shooting-Werte sollten sich etwas normalisieren. Wenn Kerr und Co. nicht auch ihren Teil leisten, kann es dennoch wieder eine lange Spielzeit werden.

Eins noch zu Curry: Es ist schon verrückt, wie schnell sich viele Leute auf jedes schlechte Spiel bei ihm stürzen und sofort schlussfolgern, dass dieser zweifache MVP und dreifache Champion in Wirklichkeit doch nur ein Blender war oder ist. Zum Mitschreiben: Curry ist ein Gigant dieser Sportart! An diesem Status gibt es auch nichts mehr zu rütteln.

Nicht viele Spieler haben diesen Sport so nachhaltig verändert, und das wäre auch der Fall, wenn er nie wieder die Playoffs erreichen würde. Trotzdem war es gut zu sehen, wie dominant er auch in diesem Kontext mit diesem nicht herausragenden Team noch sein kann. Vielleicht dient das als Erinnerung.

John Wall, Speed Demon

Für den schrägsten Saisonstart aller Teams blicken wir noch kurz nach Houston: Bisher war von Spiel zu Spiel nicht wirklich klar, wer Stephen Silas zur Verfügung stehen würde, noch immer schwebt das Treiben rund um James Harden über dem Team, der wortwörtlich aus dem Stripclub stolpern und 44 Punkte und 17 Assists auflegen kann - und in der Zwischenzeit machen die Rockets teilweise richtig Spaß.

Christian Wood wurde bei uns vor einigen Tagen schon thematisiert, eine weitere erfreuliche Entwicklung ist nun das Comeback von John Wall: Nach über zwei Jahren Pause hinterließ der Point Guard in den beiden Spielen gegen Sacramento mit insgesamt 50 Punkten einen bockstarken Eindruck (die Highlights der zweiten Partie im Video!).

Der Dreier sieht zwar noch etwas holprig aus, das war aber auch vor Walls schweren Verletzungen nie wirklich anders - erfreulicher und wichtiger ist für den Moment, dass er nicht davon abhängig ist. Seine Geschwindigkeit ist immer noch bahnbrechend, gegen den ebenfalls pfeilschnellen De'Aaron Fox wirkte Wall keinen Schritt langsamer. Die Athletik ist immer noch da, auch defensiv.

Wall ist noch immer ein Ein-Mann-Fastbreak und auch im Halbfeld gelang es ihm bisher recht gut, seinen Weg zum Korb zu finden. Es kommt den Rockets zu Gute, dass sein Wurf von außerhalb der Zone im Gegensatz zu dem von Russell Westbrook zumindest respektiert werden muss.

Solche Plays sehen selbst in Zeitlupe noch schnell aus.

SPOXnba.com/stats

Neben Harden stand Wall bisher erst einmal auf dem Court und sah dabei gut aus, mit Wood verfügt er ebenfalls schon über eine gewisse Chemie. Die Rockets bekommen unerwartete Unterstützung von der Bank von Spielern wie Jae'Sean Tate und auch DeMarcus Cousins hatte zumindest im ersten Spiel gegen die Kings schon seine Momente.

Alles wirkt teilweise noch etwas zufällig, was keine Überraschung ist, aber talentlos ist dieses Team keineswegs, und das bezieht sich nicht nur auf Harden. Dieser wird natürlich trotzdem weiterhin die Schlagzeilen diktieren und bisher ist zumindest nicht davon auszugehen, dass er von seinem Wechselwunsch abrücken wird. Deswegen lässt sich auch zur Zukunft der Rockets derzeit wenig sagen.

Für den Moment bleibt einfach festzuhalten: Bisher sah man Wall seinen Achillessehnenriss nicht an, und das gibt der NBA einen ihrer spektakulärsten Guards zurück. Gibt Schlimmeres!