Bryant "Big Country" Reeves galt einst als Eckpfeiler der frisch gegründeten Vancouver Grizzlies und machte sogar Shaquille O'Neal Angst. Doch Gewichtsprobleme und Verletzungen beendeten seine Laufbahn. Er verschwand spurlos von der Bildfläche - bis ein Filmteam ihn in der Provinz aufspürte.
TNT-Moderator Ernie Johnson hat noch nicht mal das Fragezeichen an das Ende seines Satzes gehängt, da fällt ihm Shaquille O'Neal schon rüde ins Wort. "Big Country", stöhnt die NBA-Legende kopfschüttelnd, als er vor ein paar Jahren nach dem härtesten Gegenspieler seiner Karriere gefragt wird.
Bitte wer? Das dürften sich nun viele der jüngeren Leser fragen. Big Country ist der Spitzname von Bryant Reeves, ehemaliger Center der Vancouver Grizzlies. Sechs Jahre NBA, 395 Spiele und ein Punkteschnitt von 12,5 stehen in seinem Resümee. Und gegen ihn zu spielen hasste der vierfache Champ am meisten?
Johnson reagiert mit einem ebenso verblüfften: "Big Coun..., aber warum?" Ganz einfach, so Shaq, der allerdings auch schon mal Hakeem Olajuwon, Patrick Ewing, David Robinson und Rik Smits als härteste Gegenspieler bezeichnet hat: "Er stand immer vier, fünf Meter vom Korb entfernt. Er hatte den hässlichsten, einhändigen Jumper. Und immer, wenn er warf, ging der Ball rein. Zur Halbzeitpause schaute ich also auf den Statistikbogen: Shaq 15 Punkte, Big Country 26."
Da gibt es also tatsächlich gegen Ende der 1990er-Jahre einen 2,13 Meter großen und 130 Kilo schweren Hünen, der auf dem NBA-Parkett niemand Geringerem als Shaquille O'Neal das Butterbrot klaut? Der aber seit 20 Jahren fast komplett von der Bildfläche verschwunden ist?
So ist es, also fast. Denn die Basketball-Karriere von Bryant "Big Country" Reeves ist eine der tragischen Sorte. Aber mit Happy End.
Bryant Reeves: 348 Dorfbewohner und ein Basketball-Riese
Reeves' Geschichte beginnt in einem kleinen Ort in Oklahoma namens Gans. 2020 wurden dort ganze 348 Einwohner gezählt, Ampeln dagegen keine einzige. Immerhin ein Stoppschild gibt es, wie Reeves der Sun-Sentinel vor langer Zeit mal erzählte. "Damit die Leute, die hier durchfahren, einmal anhalten müssen und ganz Gans betrachten können, bevor sie wieder abhauen."
In dem kleinen Örtchen fällt der Riese mit dem besonderen Basketball-Talent natürlich früh auf. Der stille, heimatverbundene Big Man geht nicht weit weg ans College, sondern läuft für die Oklahoma State University auf. Als er erstmals in ein Flugzeug steigt und mit den Cowboys durch die USA reist, ist er begeistert von der Größe des Landes. Teamkollege Byron Houston verpasst ihm den Spitznamen "Big Country", der hängen bleiben sollte.
Hängen bleiben auch zahlreiche individuelle Auszeichnungen. Reeves gewinnt zweimal die Auszeichnung des Big Eight Player of the Year, kratzt in vier Jahren dreimal an einem Double-Double-Schnitt und führt OSU als Senior schließlich erstmals seit 44 Jahren wieder ins Final Four des NCAA-Turniers. Auf dem Weg dorthin zerstört er Korbanlagen, schlägt unter anderem Nr.1-Seed Wake Forest mit einem gewissen Tim Duncan und markiert 21,5 Punkte sowie 9,5 Rebounds in seinem letzten College-Jahr.
Wenige Monate später wird er zum Hoffnungsträger einer brandneuen Franchise. Die gerade erst gegründeten Vancouver Grizzlies machen Reeves an Position sechs zu ihrem ersten, eigenen Draft-Pick. Der Center geht direkt hinter Kevin Garnett über die Theke und soll in Kanada Basketball-Begeisterung entfachen.
Shaqs Albtraum mit dem butterweichen Handgelenk
Spoiler: Das gelingt nicht. Es liegt zunächst aber nicht an Reeves, der immerhin ins All-Rookie Second Team gewählt wird und nach einem ordentlichen zweiten Jahr mit einem neuen Sechsjahresvertrag über 61,8 Millionen Dollar belohnt wird. Das Gesicht der Franchise bedankt sich für das Vertrauen mit der besten Saison seiner Karriere.
Weggefährten schwärmen noch heute vom butterweichen Handgelenk des Hünen, der neben dem natürlichen Vorteil seiner Größe von einem sicheren Wurf und guten Basketball-Instinkten profitiert. Auch Shaq bereitet das offensichtlich schlaflose Nächte, auch wenn seine Erinnerungen ihn etwas trüben. Laut Head-to-Head-Finder von basketball-reference.com gewinnt O'Neal zwölf der 13 direkten Matchups, meistens scort Big Aristotle auch deutlich besser als Big Country.
Nichtsdestotrotz: Im Laufe seiner Karriere knackt Reeves immerhin 17-mal die 30 Punkte, Boston schenkt er in der Saison 1997/98, seinem dritten Jahr in der Association, einmal 41 Zähler ein. Die Grizzlies verlieren dennoch, wie so oft.
Zwar kommt der damals 24-Jährige auf 16,3 Punkte und 7,9 Rebounds im Schnitt, doch das junge Team um Shareef Abdur-Rahim und eben Reeves ist und bleibt die Schießbude der Liga. Die Bilanz von 19-63 ist sogar noch die beste in den bislang drei Jahren der Existenz. Reeves ist in British Columbia dennoch beliebt. Ein Mann der leisen Töne mit einem großen Lächeln, engagiert in der Community, angenehm im Umgang mit Fans und Kindern. Doch 1998 wendet sich das Blatt.
Bryant "Big Country" Reeves: 140 Kilo sind ein paar zu viel
Probleme mit den Knien und dem Gewicht hat Reeves schon länger, doch im Lockout '98 lässt er sich erst recht gehen. Als sich die NBA und die Spielergewerkschaft auf einen Saisonstart im Februar 1999 einigen, kommt er laut New York Times mit 18 Kilo Zusatzgewicht im Vergleich zur Vorsaison ins Training Camp. Mehr als 140 Kilo bringt er zu diesem Zeitpunkt auf die Waage.
"Das einzige, was ich bei Bryant Reeves in Frage stellen würde, ist seine Bereitschaft, fit zu bleiben", sagt sein ehemaliger Teamkollege Blue Edwards Jahre später bei Bleacher Report. "Er war ein guter Scorer, ein guter Rebounder und Passer. Wenn er fit war, hat er all das sehr gut gemacht. Er war aber nie in bester Basketball-Form bis zum letzten Monat der Saison."
Die Gewichtszunahme während des Lockouts - Reeves soll Edwards einmal erklärt haben, dass er sich nicht fit halten könne, da in seinem kleinen Heimatdorf keine Trainingshalle oder keine Gegner in der Nähe seien -, kostete ihm zeitweise seinen Starterposten. Die Gewichts- und Verletzungssorgen wird Reeves nicht mehr los, seine Minuten gehen in den Folgejahren immer weiter runter, insbesondere die Rückenschmerzen werden immer stärker.
Und die Grizzlies im Ganzen werden das Verlieren nicht los. Von Begeisterung ist in Vancouver längst nichts mehr zu spüren, die Zuschauerzahlen sinken in den Keller, 2001 steht bereits der Umzug nach Memphis an. Auch Reeves wird nun für das Versagen der Grizzlies verantwortlich gemacht und als Draft-Bust abgestempelt.
In Memphis läuft er schließlich nur noch in zwei Preseason-Spielen auf, dann zwingt ihn sein Rücken zum verfrühten Karriereende. Er kann vor lauter Schmerzen nicht mal mehr sein Baby hochheben, zeitweise nicht das Bett verlassen. Nach nur sechs Jahren ist sowohl die NBA-Franchise in Vancouver als auch die NBA-Karriere von Big Country Geschichte.
Bryant Reeves: Glücklicher Rinderfarmer in Oklahoma
Während die meisten ehemaligen NBA-Stars mal bei einem Spiel des Ex-Teams vorbeischauen oder sich zumindest im Radio oder TV hören lassen, ist bei Reeves nach dem verfrühten Karriereende komplette Funkstille. Der ehemalige Nr.6-Pick verschwindet selbst für ehemalige Coaches und Teamkollegen von der Bildfläche - bis Filmemacherin und Grizzlies-Fan Kat Jayme den Center 2018 für ihre Doku "Finding Big Country" aufspürt.
Gefunden hat sie ihn - natürlich - in Gans, Oklahoma. Als Besitzer einer Rinderfarm, manchen Berichten zufolge 120 Hektar, manch anderen Berichten bis zu 200 Hektar groß. Im Keller seines Hauses zeigt er stolz sein "Man Cave" mit Erinnerungsstücken aus alten Vancouver-Grizzlies-Tagen. Ansonsten hat er mit der NBA aber abgeschlossen: "Ich wollte niemals die Aufmerksamkeit, darum habe ich mich nie geschert. Nachdem ich mit dem Spielen fertig war, bin ich hierhergezogen."
"Ich wollte niemals 20 Jahre lang spielen - aber doch länger, als ich es am Ende tat", blickt Big Country in der Doku zurück. "Es war hart, das [Karriereende] zu akzeptieren. Das war mein Leben. Wenn dir etwas weggenommen wird, dauert es eine Weile, bis du damit klarkommst."
Mittlerweile kommt Rinderfarmer Reeves sehr gut damit klar. "Heute vermisse ich Basketball nicht mehr. Es war großartig, ein Teil der NBA zu sein. Es war ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist." Doch letztlich sei Basketball eben doch nur ein Spiel, nur Unterhaltung, so der heute 49-Jährige. Stattdessen genießt er nun die Freiheit in der Natur und die Zeit mit seinen Kindern. "Es ist sehr friedlich hier draußen. Meiner Meinung nach geht es nicht besser."
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