Die Toronto Raptors stehen kurz vor dem ersten Titel ihrer Geschichte, bereits in Spiel 5 könnten die Kanadier sich die Larry O'Brien Trophy sichern. Die Entstehung des Teams ist dabei von vielen Zufällen, großen Risiken und aggressiver Strategie geprägt. SPOX erklärt, wie die wichtigsten Figuren des Teams zusammenkamen.
Man kann die Geschichte der heutigen Raptors nicht ohne ihren Architekten erzählen. Der Nigerianer Masai Ujiri, der als Spieler einst sogar mal in Deutschland (Wolfenbüttel!) auflief, hat sich in der NBA zunächst als unbezahlter Scout einen Namen gemacht und wurde 2013 im Dienste der Denver Nuggets zum Executive of the Year, als einziger Nicht-Amerikaner, der diese Auszeichnung jemals bekommen hat.
Seinen größten Trade fädelte er dabei ein, als er Carmelo Anthony für den halben Kader der Knicks nach New York schickte.
Im selben Sommer wechselte Ujiri nach Toronto und hat dort seither das Sagen in Sachen Basketball, erst als General Manager, seit 2017 als Team-Präsident. Seit seiner Ankunft erleben die Raptors ihre mit Abstand erfolgreichste Zeit, mehrfach toppten sie die eigenen Rekorde in der Regular Season.
Ujiri hat dabei den Ruf, auch kontroverse und teils ungemütliche Entscheidungen zu treffen, zumeist aber ein goldenes Händchen zu haben. Einer seiner ersten Moves in Toronto war der Trade von Andrea Bargnani zu den Knicks, ein von Kritikern gefeierter Deal. Mit etlichen weiteren Deals hat er seither ein potenzielles Meister-Team zusammengestellt - hier folgen die wichtigsten davon.
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2013/2014: Der Nicht-Trade von Kyle Lowry
Bei Lowry hatte Ujiri eine gute Portion Glück. Der Point Guard war schon da, als der Manager kam, und dieser wollte ihn eigentlich nicht: Ujiri hielt Lowry zwar für talentiert, aber schwierig im Umgang. Früh in der 2013er Saison tradete Ujiri den damaligen Star Rudy Gay und Lowry sollte ihm eigentlich folgen - ein Deal mit den Knicks schien schon fast besiegelt, bevor deren Besitzer James Dolan kurz vor dem Abschluss ein Veto einlegte.
Lowry hat seitdem fünf All-Star Teams in Folge erreicht und sich zu einem der besten Point Guards der NBA entwickelt, der Aufstieg der Franchise ist sehr eng mit ihm - und seinem guten Freund DeMar DeRozan - verbunden. Zwar scheiterten die Raptors in den vergangenen Jahren regelmäßig in den Playoffs, dennoch war Toronto vorher nie so konstant gut gewesen. Ujiri reichte das aber nicht.
Als Ujiri im vergangenen Sommer DeRozan tradete, nahm Lowry ihm das übel. Im Februar gab es dann selbst um Lowry ein paar Gerüchte, ein Trade nach Memphis (für Mike Conley) soll kurz im Raum gestanden haben. Es kam nicht dazu, beide sprachen sich aus. Nun stehen sie dem Erreichen des gemeinsamen Traumes näher denn je.
2015: Aus Greivis Vasquez werden zwei Leistungsträger
Abgesehen von Lowry ist Powell der dienstälteste Spieler der Raptors. Am Draft-Tag 2015 schickte Ujiri seinen Point Guard Greivis Vasquez für den damaligen Nr.46-Pick Powell sowie einen künftigen Erstrundenpick nach Milwaukee, in einem in der heutigen Perspektive weiteren sehr einseitigen Trade.
Denn: Der besagte Erstrundenpick wurde O.G. Anunoby, der sich in seinen ersten beiden Saisons als ein Leistungsträger bei den Raptors etabliert hat. In den aktuellen Playoffs kam er nur aufgrund einer Notfall-Blinddarm-Operation kurz vor dem Start der Postseason nicht zum Einsatz. Eigentlich gehört er genau wie Powell zu den jungen, vielseitigen Flügel-Verteidigern des Teams.
Sommer 2016: Die Ankunft von Pascal Siakam und Fred VanVleet
Zwei weitere junge Spieler, die in der Hackordnung der Raptors sogar schon deutlich weiter oben stehen, kamen im Sommer 2016 nach Toronto, und beide hätten eigentlich auch bei jedem anderen Team landen können.
Bei Fred VanVleet ist das wortwörtlich zu nehmen: Der Point Guard wurde nach vier Jahren am Wichita State College nicht gedraftet, Toronto gab ihm eine Chance per Minimalvertrag. Schon in seiner zweiten Saison hatte sich VanVleet als einer der besten Bankspieler der NBA etabliert. Noch bemerkenswerter ist die Entwicklung von Pascal Siakam.
Der Kameruner, der erst seit rund sieben Jahren organisierten Basketball spielt, kam als Energizer ohne Wurf mit dem Nr.27-Pick 2016 nach Toronto und legte in seiner ersten Saison 4,2 Punkte im Schnitt auf, einen Teil seiner Zeit verbrachte er bei den Raptors 905 in der G-League, ähnlich wie der damals an Position 9 gedraftete Jakob Pöltl.
Schon im zweiten Jahr wurde der enorm vielseitige Siakam indes bereits zum wichtigen Rotationsspieler in Toronto, im dritten (diesem Jahr) ist er der Favorit auf den Most Improved Player-Award. Ujiri ist hier also ein großartiger Steal gelungen - auch wenn der Manager selbst zugibt, dass er eine solche Entwicklung bei Siakam niemals vorhergesehen hätte.
Die Statistiken von Pascal Siakam in der NBA
Saison | Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | FG% |
16/17 | 15,6 | 4,2 | 3,4 | 0,3 | 50,2 |
17/18 | 20,7 | 7,3 | 4,5 | 2,0 | 50,8 |
18/19 (Regular Season) | 31,9 | 16,9 | 6,9 | 3,1 | 54,9 |
18/19 (Playoffs) | 36,9 | 19,0 | 7,1 | 2,8 | 46,7 |
Februar 2017: Serge Ibaka kommt per Trade
Serge Ibaka schien sich langsam aus seiner besten Zeit zu verabschieden, als er bei den Raptors landete. 2016 hatten die OKC Thunder den zweimaligen Block-Leader der NBA nach Orlando getradet, dort blieb er dann nicht einmal eine ganze Saison. Ujiri holte den Big Man für Terrence Ross und einen 2017er Erstrundenpick (daraus wurde Anzejs Pasecniks) von den Magic.
Als Ujiri Air Congo im Sommer 2017 dann einen lukrativen 64-Millionen-Dollar-Vertrag über drei Jahre vorlegte, rümpften einige Kritiker schon die Nase, aber spätestens in dieser Saison hat sich dies ausgezahlt, da Ibaka nun endgültig vom Power Forward zum Center umschulte. Zu Beginn der Saison teilte er sich den Starter-Posten mit Jonas Valanciunas, seit dem Trade für Marc Gasol ist er der designierte Backup und kommt in dieser Rolle überwiegend sehr gut zurecht.
Was Gasol an Finesse und Spielwitz mitbringt, ergänzt Ibaka mit Athletik, Shotblocking und mehr Scoring - seine 20 Punkte waren in Spiel 4 mitentscheidend für den Sieg.
14. Juni 2018: Nick Nurse übernimmt als Head Coach
Nach der besten Regular Season ihrer Geschichte starteten die Raptors mit großen Erwartungen in die Playoffs, dies sollte endlich das Jahr werden, in dem man nicht an LeBron James scheiterte. Nun. Die Cavs gewannen in vier Spielen in der zweiten Runde und auch wenn Dwane Casey als Favorit auf den Coach des Jahres galt (und es tatsächlich wurde), entschied sich Ujiri dafür, den langjährigen und sehr respektierten Coach zu ersetzen.
Sein Nachfolger Nick Nurse hatte zuvor als Assistant Coach auf der Raptors-Bank gesessen, dazu blickte er auf fast 30 Jahre an Erfahrung als Head Coach in unter anderem England und der damaligen D League zurück - ein richtiger "Rookie" war er also nicht, was allerdings nicht verhinderte, dass er oft als solcher bezeichnet wurde.
Auch hier bewies Ujiri ein gutes Händchen, wie sich spätestens in den Playoffs gezeigt hat. Nurse ist kreativ, er scheut sich auch nicht, mal unkonventionelle Methoden wie die Box-and-One-Defense gegen Stephen Curry auszuprobieren. Nurse hat einen vielseitigen Kader zur Verfügung, er holt allerdings auch sehr viel aus diesem "Material" heraus.
18. Juli 2018: Das Meisterstück von Masai Ujiri
Es wäre falsch, alles auf einen Trade zu reduzieren. Die wichtigste Transaktion für die heutigen Raptors erfolgte aber eindeutig an diesem schicksalsträchtigen Tag: Ujiri tradete Pöltl, DeRozan und einen Erstrundenpick nach San Antonio und bekam dafür einen in den letzten Jahren eher schwächer werdenden Danny Green sowie einen mysteriösen Superstar namens Kawhi Leonard zurück.
Folgendes nahm Ujiri in Kauf: DeRozan war sehr beliebt und hatte die Raptors gemeinsam mit Lowry legitimiert, er galt als Identifikationsfigur und verfügte noch über drei Vertragsjahre, der Österreicher Pöltl galt als wertvoller Rollenspieler. Leonard wiederum hatte in der Vorsaison nur neun Spiele für die Spurs absolviert und sich im Zuge seiner Quadrizeps-Verletzung vom Team entfremdet.
Zudem: Sein Vertrag läuft im Sommer 2019 aus, Gerüchte, dass er nach Los Angeles wechseln will, halten sich bis heute - Ujiri riskierte also viel für einen Spieler, dessen Gesundheit ungewiss war und der potenziell bloß ein Jahr in Kanada spielen würde. Wenngleich die Vermutung naheliegt, dass er DeRozan ohnehin nicht bezahlen wollte, mit dem man wohl nie die derzeitigen Höhen erreicht hätte.
Trade von Kawhi Leonard: So groß war das Risiko vielleicht gar nicht
Das Risiko war vielleicht also nicht so groß, wie es oft dargestellt wurde, und man kann schon festhalten: Es hat sich gelohnt. Leonard spielte eine starke, wenn auch kurze Regular Season (er verpasste insgesamt 22 Spiele, viele davon zur Schonung), derzeit legt er eine der besten Postseasons der Geschichte hin und hat sich in der Konversation für den besten Spieler der Welt angemeldet.
Die 76ers eliminierte er in Spiel 7 mit einem unglaublichen Buzzerbeater, den wahrscheinlichen MVP Giannis Antetokounmpo stellte er in den Conference Finals oft persönlich kalt und nun war Leonard auch in bisher vier Spielen von den Warriors nicht zu bremsen. In Spiel 4 lieferte er mit 36 Punkten ohne einen einzigen Ballverlust ein weiteres Meisterstück ab.
Selbst wenn Leonard danach wechseln sollte: Dass Ujiri für diesen Superstar weder Siakam noch Anunoby abgeben musste und dafür mit Green auch noch einen überaus wertvollen Rollenspieler hinzubekommen hat, ist eigentlich unglaublich (und ein übler Trade aus Sicht der Spurs). Viel besser kann ein Trade aus der Sicht eines Teams gar nicht laufen. Und es war noch nicht der letzte.
7. Februar 2019: Marc Gasol wird das letzte Puzzlestück
Eine Not war bei den Raptors im Winter nicht wirklich auszumachen. Toronto belegte Platz 2 in der Eastern Conference hinter Milwaukee, defensiv wie offensiv funktionierte das Team gut und glänzte mit seiner Tiefe. Ujiri blieb trotzdem aktiv und suchte nach Möglichkeiten, sein gutes Team noch ein Stück besser zu machen. Dabei wurde er in Memphis fündig.
Die Grizzlies suchten nach einem Abnehmer für ihren langjährigen Franchise Player Marc Gasol, einen früheren All-Star und Defensivspieler des Jahres, der im Tabellenkeller eigentlich verschenkt war. Gasol war zwar bei weitem nicht mehr so agil wie in früheren Jahren, doch sein Passspiel und seine Spielintelligenz sollten die Raptors noch vielseitiger machen. Ujiri schlug zu.
Für Valanciunas, Delon Wright, C.J. Miles und einen künftigen Zweitrundenpick kam Gasol nach Toronto. Und auch diese Transaktion zahlte sich aus: Zwar stand der Spanier in der Regular Season nur in 14 Spielen gemeinsam mit Lowry, Siakam, Green und Leonard auf dem Parkett, im Lauf der Playoffs konnte sich das Quintett aber einspielen - und so gut wie mit Gasol wäre die Defense mit Valanciunas ziemlich sicher nie geworden.
Die Statistiken von Marc Gasol bei den Raptors
Spiele | Punkte | Rebounds | Assists | Blocks | |
Regular Season | 26 | 9,1 | 6,6 | 3,9 | 0,9 |
Playoffs | 22 | 9,4 | 6,2 | 3,0 | 1,2 |
Marc Gasol Trade: Ein klassischer Masai Ujiri
Letztendlich verdeutlicht der Gasol-Trade recht gut den Modus Operandi und auch die Denke von Masai Ujiri. Gut ist nicht gut genug, man kann immer versuchen, etwas zu verbessern, wenn man dem großen Ziel dadurch näher kommt.
Im Lauf seiner Amtszeit hat der Nigerianer extrem viel richtig gemacht, gerade in puncto Transaktionen - von den aktuellen Leistungsträger wurde ausschließlich Siakam von den Raptors gedraftet - und trotzdem war eine der zwei wichtigsten Aktionen ein Trade, der nicht zustande kam; und das nicht wegen Ujiri, sondern ausgerechnet wegen James Dolan.
Es gehört Glück dazu, will man ein Meister-Team aufbauen. Das gilt bei (vier!) Bounces auf dem Ring in Spiel 7 gegen Philly, das gilt auch bei der Kaderplanung. Bei den Raptors ist womöglich in diesem Jahr endgültig alles zusammengekommen.
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