Rookie of the Year, MVP beim All-Star-Wochenende, Franchise-Player: Cavaliers-Guard Kyrie Irving erlebte eine starke Premierensaison. Sein größter Förderer wird es mit Wohlwollen aufgenommen haben. Auf Cleveland könnte nun eine goldene Zukunft warten.
Ein Streetball-Court irgendwo in New Jersey. Die Stimmung ist locker, ein paar Einheimische eifern ihren Vorbildern aus der NBA nach. Es ist eine Szene, wie sie wohl tausendfach in den USA zu sehen ist.
Bis ein gebrechlicher, alter Mann auftaucht. Sein Name: Uncle Drew. Zu Beginn noch heillos überfordert, dreht der rüstige Rentner nach einigen Minuten auf und begeistert die immer größer werdende Zuschauermenge an der Seite mit Crossovers, Dunks und flotten Sprüchen.
Die Platzhirsche können ihren Augen nicht trauen. Sie werden von einem Opa nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Das Geschehen erinnert ein wenig an "Weiße Jungs bringen's nicht", einen Film aus den 90er Jahren.
Starkes Rookie-Jahr
Diesmal ist es aber nicht Woody Harrelson, der für erstaunte Gesichter sorgt. Sondern Kyrie Irving, der sich verkleidet hat und offenbar unbemerkt die Gegner lächerlich macht.
Das zumindest suggeriert die Werbung eines großen amerikanischen Getränkeherstellers. Dass in Wahrheit alles abgesprochen ist, fällt wohl unter die kreative Freiheit der Macher.
Der Rookie of the Year hat trotzdem sichtlich seinen Spaß. Zu Recht! Hinter Irving lag zu diesem Zeitpunkt eine beeindruckende erste NBA-Saison. In den ersten 23 Partien knackte er zehnmal die 20-Punkte-Marke. Der Höhepunkt war eine Partie gegen die Nets, bei der Irving insgesamt 32 Punkte erzielte, alleine 21 davon im letzten Viertel.
Awards en masse
Die logische Konsequenz: Irving wurde wie sein Teamkollege Tristan Thompson zum Rookie-Game während des All-Star-Wochenendes eingeladen. Und er enttäuschte nicht. Der Top-Pick von 2011 verbuchte insgesamt 34 Punkte und wurde im Anschluss verdientermaßen zum MVP gewählt.
Es sollte in seiner Premierensaison nicht die letzte Auszeichnung gewesen sein. Bei der Wahl zum Rookie of the Year waren sich die Journalisten fast ausnahmslos einig. Irving bekam 117 von 120 Stimmen. Mit 18,5 Punkten, 5,4 Assists, 3,7 Rebounds fand er sich zudem im NBA All-Rookie First Team wieder.
Sonderlich überraschend kamen diese Ehrungen allerdings nicht. Weder für die Öffentlichkeit, und schon gar nicht für Irving und seine Familie. Immerhin sagte bereits sein Vater dem kleinen Kyrie eine große Zukunft voraus. Oder war es doch Irving selber? So recht will man sich bei diesem Thema nicht in die Karten schauen lassen.
Besondere Vater-Sohn-Beziehung
"In der achten Klasse hat mir mein Vater immer wieder gesagt: 'Junge, bald bist du der beste Guard in ganz New Jersey.' In meinem Senior-Jahr auf der High School war er sogar überzeugt, dass ich der beste Spieler im ganzen Land werde", blickt Irving zurück. "Im College ging das Spiel weiter: 'Im Draft wirst du mal als erster Spieler ausgewählt.'"
Sein Vater sei sein größter Förderer gewesen, so Irving. "Er hat mir alles beigebracht, was ich wissen musste. Er hat mir klar seine Meinung gesagt. Das war hart, aber dafür danke ich meinem Vater auch."
Dabei gewinnt man den Eindruck, dass Drederick Irving so viel Lob fast ein wenig unangenehm ist. Für ihn sei es sein Sohn selber gewesen, der schon immer ein klares Ziel verfolgte. "Er hatte schon seit frühester Kindheit immer einen Zettel dabei, auf dem stand: 'Ich will in die NBA'", schwört Irving Senior noch heute.
Das Talent seines Dads
Wenn jemand an ihm zweifelte, zückte er dieses Stück Papier und erinnerte sich an seinen großen Traum. Und Zweifel waren erlaubt: Wie sollte dieser schmächtige Typ jemals bei den Profis bestehen?
Doch Irving ließ sich nicht beirren, trotz seiner damals geringen Körpergröße. "Ich will größer werden als du", machte er sich in Gesprächen mit seinem Dad häufig Mut. In jedem Sommer stellte er sich gegen eine Wand in seinem Elternhaus, an der die Körpergröße seines Vaters (1,95 Meter) markiert war.
Dass er dessen Größe nicht ganz erreichen sollte, war im Endeffekt zweitrangig. Denn er hatte etwas viel Wertvolleres von seinem Vater auf den Weg mitbekommen. Sein Ballgefühl, seine Übersicht, seine Leichtigkeit auf dem Court.
Tod der Mutter
Drederick Irving begeisterte seinerseits Ende der 80er Jahre an der Boston University und erarbeitete sich sogar in New Yorks berüchtigtem Rucker Park Respekt. Bereits in dieser Zeit immer an seiner Seite: Sohn Kyrie, der aus dem Kinderwagen seinen Vater beobachtete.
"Davon habe ich sogar noch Bilder", so der Vater, der seinen NBA-Traum nach dem Tod seiner Frau und einem glücklosen Tryout bei den Celtics aufgeben musste und sich auf die Erziehung von Kyrie und Schwester Asia konzentrierte.
So richtig loslassen konnte er aber nicht. Eines Tages ließ er sich auf ein kleines Trainingsspiel mit Kyrie und ein paar Teamkollegen aus dem College ein. 5 gegen 5. Der Kommentar von Irving Senior dazu: "Die Kids dachten, ich sei einfach nur Kyries Vater. Von wegen. Old school time!"
Mit 43 Jahren und Chucks bewaffnet, packte er noch ganz locker einen krachenden Two-Handed-Slam aus. Das wollte der Sohn natürlich nicht auf sich sitzen lassen und wiederholte das Schauspiel.
Der 11. September 2001
"Das war ein besonderer Moment", erinnert sich Kyrie. Nicht der einzige in einer bemerkenswerten Vater-Sohn-Beziehung. Am 11. September 2001 schlenderte er auf dem Weg zur Arbeit wie jeden Tag durch die Lobby des World Trade Center, während Kyrie und Asia in der Schule saßen.
Als das erste Flugzeug in dem Turm raste, konnte Drederick nur einen Gedanken fassen: "Ich muss zu meinen Kindern." Doch das war im allgemeinen Chaos leichter gesagt als getan. Während der Vater versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen, saß Kyrie im Klassenzimmer.
"Die Lehrer weinten und nach und nach kamen Eltern in die Schule, um ihre Kinder abzuholen. Aber ich musste mit meiner Schwester warten, bis die Schule zu Ende war", so Irving.
Erst nach einem sechsstündigen und neun Meilen langen Horrortrip durch die Straßen von New York konnte Drederick seine Kinder in die Arme schließen. "Es war schlimm, weil ich genau wusste, dass er jeden Tag durch die Twin Towers läuft."
Schock am College
Während Vater Drederick auch Jahre später Albträume von diesem Tag bekommt, ging Kyrie seinen Weg strikt weiter. In seinen Freshman- und Sophomore-Jahren an der Mintclair Kimberley erzielte Irving durchschnittlich 26,5 Punkte und verteilte 10,3 Assists.
Er wurde damit erst der zweite Spieler in der Geschichte der Schule, der mehr als 1000 Zähler machte, bevor er an die St. Patrick High School ging.
Auch seine College-Karriere begann sagenhaft. In seinen ersten acht Partien für Duke ließ er sein Talent durchblicken und wurde bereits als einer der Kandidaten für den NCAA Freshman of the Year angesehen.
Doch dann der Schock: Im neunten Saisonspiel verletzte sich Irving am großen Zeh des rechten Fußes. Als er über die Schwere der Verletzung aufgeklärt wurde, soll er im Büro von Mike Krzyzewski, dem legendären Duke- und US-National-Team-Coach, weinend zusammengebrochen sein.
Comeback im NCAA Tournament
Es hätte das Ende aller Träume bedeuten können. Doch Irving wollte nicht aufgeben, kämpfte sich zurück und feierte im NCAA Tournament sein Comeback. Für den ganz großen Triumph reichte es allerdings nicht mehr. In der Sweet 16 scheiterte Duke trotz Irvings 28 Punkte an Arizona.
Es sollte sein letzter Auftritt im Dress der Blue Devils sein. Trotz seiner langen Verletzungspause wurde er kurze Zeit später von den Cleveland Cavaliers an Nummer eins gedraftet.
"Ich freue mich, nach Cleveland zu kommen. Es ist eine tolle Sportstadt. Ich kann es kaum abwarten, für diese Fans zu spielen", sagte Irving damals.
Eine goldene Zukunft?
1,5 Jahre später ist Irving bereits Clevelands Franchise-Player. Zusammen mit Rookie Dion Waiters soll er die Cavaliers in eine glorreiche Zukunft führen. Das Potential des jungen und dynamischen Duos scheint nahezu unendlich zu sein.
Es werden bereits Stimmen laut, dass der beste Backcourt in der NBA bald aus Ohio kommen könnte. "Wir haben nun einen weiteren Kerl, der scoren, passen und dribbeln kann. Das war genau unser Plan", erklärte Cavs-Coach Byron Scott den Waiters-Pick.
Und die Beiden enttäuschten bislang nicht. Bei der Partie in Los Angeles erzielten Irving und Waiters zusammen 52 Punkte und führten Cleveland zum Erfolg über die Clippers. Auch ihre Stats sprechen Bände. Irving steht momentan bei 22,9 Punkten und 6,3 Assists im Durchschnitt. Rookie Waiters kann 15,4 Punkte und 2,1 Assists vorweisen.
"Es fühlt sich an, als würden wir schon ewig miteinander spielen. Wenn bei einem alles fällt, nimmt sich der andere zurück. Und umgekehrt", erklärt Irving. Wenn man bedenkt, dass beide Guards gerade einmal 20 Jahre alt sind, versteht man auch Waiters Aussage: "Für uns ist nichts unmöglich. The sky is the limit." Worte, die auch von Uncle Drew stammen könnten.
Der NBA-Spielplan der Saison 2012/13
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