Tim Duncan war über fast zwei Dekaden eine Ikone und ein Vorzeigesportler. Nichts konnte ihn von seinem Weg abbringen, den er mit stoischer Ruhe verfolgte. 2016 endete Duncans Basketball-Karriere, er verließ die große Bühne als bester Power Forward aller Zeiten - und das nicht nur aufgrund seiner Statistiken. Heute feiert Duncan seinen 45. Geburtstag.
Dieser Artikel erschien erstmals am 12. Juli 2016. Alle weiteren Geschichten unserer NBA-Legendenserie findet Ihr in unserem Archiv.
"Er war der beste Power Forward aller Zeiten, ein unbezwingbarer Power Forward. Kein Ellenbogen konnte ihn brechen, keine Finals-Niederlage konnte ihn brechen. Nichts konnte ihn brechen."
Die Worte von Shaquille O'Neal über Tim Duncan zeigen nicht nur den Respekt, den der ehemalige Lakers-Center für einen seiner größten Herausforderer hatte - sie zeigen auch Ehrfurcht. Duncan bereitete Shaq trotz seiner dominanten Physis große Probleme. "Nicht wegen seiner Moves", so O'Neal: "Sondern wegen seiner mentalen Stärke."
Nicht umsonst wird Duncan "The Big Fundamental" genannt. Er reduzierte den Basketball auf seine wichtigsten Elemente, das oberste Ziel war stets der Sieg. Und Duncan tat, was dafür notwendig war. Sein Team musste mehr Punkte erzielen als zulassen, so einfach war das. Und jeder Freiwurf, jeder Layup, jeder Midrange-Jumper brachte Punkte. Jeder Rebound, jeder Block, jede defensive Hilfe verhinderte sie.
gettyTim Duncan: The Bank is open
Niemand in der gesamten Association legte solch einen Wert auf die Grundelemente des Spiels wie Duncan. Fußarbeit, Pick-and-Roll, Positionskampf - Duncan war ein Meister all dieser Fächer. Er brauchte keine flashy Spin-Moves, keine Stepback-Würfe, keine Reverse-Dunks. Ihm reichten die Basics.
Sein Bankshot wurde legendär und war zudem neben seinem Running Hook seine stärkste Waffe. Duncan nahm mehr Würfe mit Brett (1.924) als die nächsten drei Spieler in dieser Kategorie zusammen. Seine Quote dabei: 60 Prozent. Überragende 60 Prozent!
Konstant und unaufhaltsam
Duncan war wie ein Uhrwerk. Die Präzision zeichnete ihn aus. Er war 19 Jahre lang der Antrieb einer gesamten Franchise, konstant und unaufhaltsam. Kleinere Teile mussten über die Jahre ausgewechselt werden, auch das "DNP-OLD" verpasste Coach Gregg Popovich seinem Franchise-Player in den späteren Jahren häufiger. Doch auch bei seinem fünften Titel 2014 leistete Duncan fast die gleiche effiziente Arbeit wie bei den ersten vier zuvor.
Dabei hatte sein Körper vor allem in den letzten Jahren merklich abgebaut. "Wenn man sich anschaut, wie er sich nach einem Spiel zum Auto schleppt, dann fragt man sich, wie dieser Kerl überhaupt noch spielen kann", sagte Pop 2016.
Die Karrierestatistiken von Tim Duncan
Saisons | Spiele / Minuten | Punkte | Rebounds | Assists | Blocks | FG% |
19 | 1392 / 34,0 | 19,0 | 10,8 | 3,0 | 2,2 | 50,6 |
Das Traum-Duo
Mit dem Coach, der den Job am Alamo ein Jahr vor der Ankunft von Duncan übernahm, entwickelte Timmy eine symbiotische Beziehung. Popovich ging seine Spieler härter an als jeder andere. Und sie zahlten es ihm mit Vertrauen und Leistung zurück. Da der Leader es so machte. Da Tim Duncan es so machte. Diese Herangehensweise stärkte jeden im Kollektiv und machte die Organisation zu dem, was sie heute ist: eine Sieger-Franchise.
1072 Erfolge und 438 Niederlagen feierte San Antonio in der Ära Duncan, das entspricht einer Siegquote von 71 Prozent. Über diese 19 Jahre hatte kein Team in den vier großen US-Sport-Ligen eine bessere Bilanz.
Dieser Kultur sowie der Cleverness und Umsichtigkeit von General Manager R.C. Buford ist es zu verdanken, dass die Spurs Duncan in jedem Jahr Mitspieler an die Seite stellen konnten, die seinen unbändigen Siegeswillen teilten.
Von Robinson zu den Big Three
David Robinson dürstete es 1999 nach neun Jahren in der Liga nach seinem ersten Titel, Tony Parker und Manu Ginobili saugten wenige Jahre später jedes Wort von Duncan auf und wurden selbst mit der Zeit zu großartigen Leadern.
Das Trio fuhr gemeinsam 126 Playoff-Siege ein, mehr als jede andere Dreier-Kombination. Parker war der Strippenzieher und die rechte Hand von Popovich, Manu der vielseitige Antreiber und Fighter - aber der Fixpunkt war stets Duncan.
David Robinson: Der Begründer des Spurs-Kults
Tim Duncan bei den Spurs: Defense first
In seinem Kopf spielten sich auf dem Court unzählige Prozesse ab, die er alle in sein Spiel mit einbezog. Er las seine Gegner, kannte alle ihre Moves - und wusste sie zu verteidigen. 15-mal in 19 Jahren wurde Timmy in eines der All-Defensive-Teams gewählt. Dass er nie die Trophäe des Defensive Player of the Year erhielt, ist bei seinem Resümee eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte.
Vier Saisons führte er die Liga im Defensiv-Rating an, fünfmal war er der Beste in Defensive Win Shares. Blickt man auf die Karrierewerte, ist Duncan der einzige Spieler der Historie, der in beiden Kategorien in den Top 3 liegt.
Doch Duncan machte sich ohnehin nichts aus individuellen Auszeichnungen. Er brauchte keine Bestätigung für seine Arbeit. Als er seine beiden MVP-Awards, die Trophäe des Rookie of the Year oder die drei Finals-MVP-Auszeichnungen in Empfang nahm, gelang es ihm dennoch, jeweils für etwa eine halbe Sekunde zu lächeln. Maximum. Denn Duncan hatte längst wieder das nächste Ziel im Auge. Den nächsten Sieg. Den nächsten Titel.
Tim Duncan: Wind of Change
Der Weg zum nächsten Triumph war dabei mit immer anderen Herausforderungen gespickt. In 19 Jahren bei den Spurs veränderte sich Timmys Rolle stetig - und er passt sich an. Duncan wäre nicht Duncan, hätte er auf seine Position, seine Spielzeit oder eine Star-Behandlung gepocht.
Da kam ein schüchterner Parker aus Europa, dem Pop die Fäden in die Hand gab. Kein Thema. Da kam ein talentierter Kawhi Leonard, der brauchte Spielanteile. Kein Thema. Da kam ein LaMarcus Aldridge, der Minuten wollte. Kein Thema. Nicht ein mürrisches Wort kam jemals über seine Lippen.
"Timmy war niemals eine lautstarke oder emotionale Person auf dem Feld", so Popovich: "Jeder ist da anders." Anders, das war Duncan definitiv. Jeder andere Spieler dieser Liga wäre nach einem Big Play in der Crunchtime ausgerastet, hätte gejubelt, geschrieben, gefeiert. Aber Duncan? Der verzog nicht einmal einen Mundwinkel. Dafür brauchte es schon einen Gamewinner in den Finals.
Wenn man ganz besonderes Glück hatte, konnte man einen der Momente beobachten, in denen Duncan seine steife Rückwärtsbewegung in die Defense mit einer geballten Faust paarte. Denn grundsätzlich war alles, was nicht das Spiel auf dem Court betraf, Kinderkram für ihn. Unnötige Ablenkung, die ihn daran hinderte, sein Bestes zu geben und seine Leistung abzurufen.
Irritierende Präsenz
Mit einer Ausstrahlung wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung gab Duncan seinen Mitspielern Sicherheit, erlaubte ihnen, sich an ihm aufzurichten und durch seine Präsenz zu wachsen. Aber genauso wie aufbauend für die Teamkollegen, wirkte seine stoische Art auch irritierend auf seine Gegenspieler.
Draymond Green traf aus diesem Grund in seiner Anfangszeit in der Liga eine äußerst weise Entscheidung. "Ich habe ihn einmal angelabert und er hat mich einfach nur angestarrt", so der Warriors-Big-Man: "Entweder sagte er nichts, weil er keinen Respekt für mich hatte, oder, weil er einfach so ist. Oder beides. Da habe ich entschieden, dass ich niemals wieder irgendwelchen Blödsinn zu ihm sagen werde."
Tim Duncan: I did it my way
Aber Duncan war nicht immer so. Abseits des Feldes beschreiben ihn seine Teamkollegen als offenen, extrovertierten Menschen und durchaus auch als Spaßvogel. Hinter der Fassade steckte deutlich mehr Emotion und Engagement als er nach außen hin zeigte.
Die Öffentlichkeit bekam davon mit Ausnahme einiger grandioser, trockener Werbespots wenig mit. Denn Duncan mied jedes Rampenlicht außerhalb der Arenen. Er hatte schließlich einen Job zu erledigen. Und den machte er. Jeden Tag, bei jedem Training, in jedem Spiel. Vom 31. Oktober 1997 bis zum 12. Mai 2016.
Das letzte Mal
Sein letztes Spiel war Game 6 der Western Conference Semi-Finals gegen die Oklahoma City Thunder. Nach einer relativ unspektakulären Serie blitzte Duncans Genius beim 99:113 gegen OKC mit 19 Punkten, 5 Rebounds und einem Block noch einmal auf.
Viel wichtiger aber war, dass Pop ihn nach einer kurzen Unterhaltung im kompletten Schlussviertel des bereits entschiedenen Duells spielen ließ. Vermutlich, weil er wusste, dass es die letzten Minuten in der Karriere des großen Tim Duncan sein würden.
Mit in den Ruhestand nimmt Timmy ganze Buchbände voller Errungenschaften und Statistiken. Der 15-fache Allstar beendet seine Zeit in der NBA mit 19 Punkten, 10,8 Rebounds, 3 Assists und 2,2 Blocks pro Spiel. Mit 24.496 Punkten liegt er auf Rang 15 der All Time Scoring List, belegt Platz 6 bei den Rebounds (15.091) und Rang 5 bei den Blocks (3.020).
Doch das sind nicht die Dinge, die einem als Erstes in den Sinn kommen, wenn man an Duncan denkt. Man denkt an seine Umarmung des Balls vor dem Tip-Off. An seine Augen, die sich bei jedem unverständlichen Pfiff bis zur Größe einer Tomate weiteten. Man denkt an seinen Kleidungsstil, der in den 90ern hängen geblieben war und der deutlich machte, wie sehr es ihm egal war, was andere von ihm dachten.
Das Kunstwerk Tim Duncan
Letzteres war eine weitere Besonderheit und ein weiteres Mosaiksteinchen, das zusammen mit allen anderen Eigenheiten ein ganz spezielles Kunstwerk ergab. Ein Bild, das uns in Staunen versetzte und uns zum Schwärmen brachte. Ein Bild, das die Liga so noch nicht gesehen hatte und das einen Gegenpol zu den lauten und medial omnipräsenten Stars der Post-Jordan-Ära bildete.
Er war keine Marke wie Kobe Bryant, Allen Iverson oder LeBron James. Tim Duncan war einfach Tim Duncan.
Und das, was er in San Antonio nach 19 Jahren voller Arbeit, Fleiß und Leadership hinterlässt, hat niemand besser auf den Punkt gebracht als Warriors-Coach und Ex-Teamkollege Steve Kerr: "Sie werden immer noch die Spurs bleiben, auch wenn er geht. Und das ist wohl das größte Vermächtnis von Timmy. Er hat dabei geholfen, etwas so Beständiges aufzubauen, dass es weiterbestehen wird, auch wenn er selbst schon lange gegangen ist."