Guter Wein und ganz viel Schnee

Von Adrian Franke
11. November 201515:51
Larry Fitzgerald und die Arizona Cardinals grüßen zur Saisonmitte von der Division-Spitzegetty
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Die Regular Season geht schon wieder in die zweite Saisonhälfte, das Playoff-Rennen spitzt sich langsam aber sicher zu. Höchste Zeit für die Midseason-Awards! Während die MVP-Frage kaum Platz für Zweifel lässt, sorgen die Routiniers nach wie vor für Highlights. In St. Louis drängt selbst das Stadion auf den Umzug, während Todd Gurley in etwa das Gegenstück zu Andrew Luck ist. Außerdem: Snow Day, Hadern mit dem Schicksal und der bitterste Coverage-Moment.

Der "Guter-Wein-Award": Charles Woodson, Larry Fitzgerald, Carson Palmer, DeMarcus Ware, Chris Johnson, Gary Barnidge - auch neben Tom Brady (zu Mr. Terrific später mehr) zeigt die alte Garde, dass sie sehr wohl noch etwas im Tank hat. In Zeiten, in denen Jugend im Sport immer mehr zur Tugend wird, hat nur Tyler Eifert mehr Receiving-Touchdowns auf dem Konto als Fitzgerald, während Charles Woodson gemeinsam mit Colts-Safety Mike Adams (seines Zeichens ebenfalls 34 Jahre alt) die Liga was Interceptions angeht anführt.

Browns-Tight-End Gary Barnidge erlebt in seiner siebten NFL-Saison endlich das Breakout-Jahr und sammelt spektakulären Catch auf spektakulären Catch. In Pittsburgh hat DeAngelo Williams bislang Le'Veon Bell deutlich besser vertreten, als jeder Steelers-Fans zu hoffen gewagt hat und Ware ist ein Teil des besten Pass-Rush-Duos der NFL.

Besonders stark fließt der Jungbrunnen in Arizona: Neben Fitzgerald spielt Carson Palmer wenige Monate nach seinem Kreuzbandriss eine herausragende Saison, CJ2K hat, infolge eines Offseason-Zwischenfalls, schon jetzt den Award für den besten Running Back mit einer Kugel in der Schulter sicher. Ligaweit haben aktuell nur Adrian Peterson (758 Yards) und Devonta Freeman (721) mehr Rushing-Yards auf dem Konto als Johnson (676). Bleibt abzuwarten, wer seine Form bis in den Januar (und womöglich Februar) konservieren kann...

Das schlechteste Feld: Das Rams-Feld (und was drum herum ist). Zyniker könnten sagen, dass selbst der Edward Jones Dome zu St. Louis den Rams klarzumachen versucht, dass die Zeit für einen Umzug nach Los Angeles gekommen ist. Da wäre zunächst der Zwischenfall im Spiel gegen Pittsburgh, als der Rasen der Feuer-Show vor Spielbeginn nicht standhielt und kurzzeitig einfach in Flammen aufging.

Ungleich gravierender ist aber, was sich abseits des grünen Geläufs abspielt: Die Beton-Bahn, die zwischen dem Rasen und den Zuschauerrängen verläuft, ist alleine schon für sich eine Absurdität - und eine gefährliche noch dazu. Im Spiel gegen Cleveland konnte Browns-Quarterback Josh McCown mit seinen Stollenschuhen (natürlich) nicht rechtzeitig bremsen und krachte mit der Schulter in die Absperrung. Die Schulterprobleme plagten ihn die komplette folgende Woche über.

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Noch schlimmer erwischte es aber San Franciscos Reggie Bush: Der Running Back rutschte, nachdem er ins Seitenaus gelaufen war, auf der Betonbahn so unglücklich aus, dass er sich einen Innenbandriss im Knie zuzog. Bush, für den die Saison damit vorzeitig beendet ist und dessen Vertrag ausläuft, will das nicht einfach so hinnehmen: Übereinstimmenden Berichten zufolge wird er die Stadt St. Louis verklagen und hat sich dafür niemand geringeren als Anwalt Shawn Holley ausgesucht. Holley war Teil des Rechtsteams von O.J. Simpson.

Der heftigste Schocker: Andrew Luck. Die Colts waren mit großen Plänen und Ambitionen in die Saison gegangen. Nachdem der Weg in den Playoffs über die vergangenen Jahre in jeder Saison eine Runde weiter gegangen war, sollte endlich der ganz große Wurf gelingen. Dabei blieb das Team seiner offensiven Identität treu: Per Free Agency kamen Running Back Frank Gore und Receiver Andre Johnson, in der ersten Runde des Drafts folgte, etwas überraschend, Receiver Phillip Dorsett.

Eine Offense, die schon 2014 zur Creme de la Creme der NFL gehörte, sollte komplett explodieren und die (nur bedingt adressierten) Schwächen in der Defense kaschieren. Dass sich dabei Andrew Luck als der große Problemfaktor entpuppen sollte, hatte vor der Saison wohl kaum jemand auf dem Zettel. Umso schockierender waren die Auftritte des Quarterbacks in der ersten Saisonhälfte: Lucks komplette Wurftechnik und Bewegungsmechanik in und außerhalb der Pocket schien über weite Strecken der ersten acht Spiele wie abgeschaltet.

Dazu kamen unfassbare mentale Fehler und gravierende Fehlentscheidungen auf dem Platz. Bereits früh machten Meldungen über vermeintliche Verletzungen die Runde, welche die Colts meist unkommentiert stehen ließen. Letztlich führte Lucks faszinierende weil kaum erklärbare Saison zur Entlassung von Offensive Coordinator Pep Hamilton, ein langjähriger Wegbegleiter des 26-Jährigen - und seine jetzt erlittene, schwere Verletzung wird eine Wiedergutmachung in der zweiten Saisonhälfte kaum möglich machen.

Der bitterste Aussetzer: Marshalls Querpass. Für ein massives Fragezeichen (oder wie er selbst später sagen sollte: "Die dümmste Aktion in der Geschichte der NFL") sorgte Jets-Receiver Brandon Marshall. Der spielt eigentlich eine wirklich starke Saison, hat sich seinen Platz aber gleichzeitig auch im diesjährigen Kuriositätenkabinett sowie in jedem Saison-Rückblick gesichert: Anstatt nach einem Catch im Spiel gegen die Eagles einfach zu Boden zu gehen, versuchte er - ohne jede Not - einen Querpass.

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Das Ei landete nicht in den Armen des verdutzten Tight Ends Jeff Cumberland, sondern im Gesicht von Phillys nicht minder überraschtem Connor Barwin. "Das war der falsche Zeitpunkt, um zu zocken", gab Marshall anschließend zu, "ich wollte es erzwingen und unbedingt ein Play machen." Die Eagles machten aus dem Turnover wenig später dann auch Punkte, das 24:0 war die Vorentscheidung und Marshall wird sich wohl heute noch fragen, was er sich dabei gedacht hat.

Die größte Sensation: Todd Gurley. Wie aus einer Kanone geschossen kam Gurley gegen Arizona in Week 4 zu seinem NFL-Starting-Debüt - und verhalf den Rams mal eben mit 146 Rushing-Yards zum Sieg in der Wüste. Seitdem gilt: In St. Louis nichts Neues! Der Rookie-Running-Back war über die erste (aus seiner Sicht verkürzte) Saisonhälfte eine Offenbarung, weil er, nur wenige Monate nach seinem Kreuzbandriss, nahtlos an seine Dominanz aus dem College anknüpfte.

Gurley ist stark und schwer zu tackeln, explosiv, dabei aber geduldig und liest das Feld sowie seine O-Line somit exzellent. Seine 566 Rushing-Yards über die ersten vier NFL-Einsätze in der Startformation sind der Höchstwert seit 1991 - und das hinter einer jungen Offensive Line, die sich noch an die Umstellung auf ein Zone-Scheme gewöhnt. Darüber hinaus hat Gurley die Rams im Alleingang wieder interessant(er) gemacht und all das gelingt ihm, obwohl der Gegner genau weiß, was kommt: Quarterback Nick Foles war bislang jedenfalls keine große Bedrohung für gegnerische Defenses...

Nicht weit dahinter sind drei andere Rookies zu nennen: Raiders-Receiver Amari Cooper hat noch einige Drops, spielt aber wie ein langjähriger Routinier. In Minnesota überrascht Stefon Diggs die Liga sowie Mike Wallace und Charles Johnson, während Bills-Cornerback Ronald Darby eine nahezu fehlerfreie Saison hinlegt.

Die beste Werbung: Snow Day! Nike hat es wieder einmal geschafft: Der Snow-Day-Werbespot ist der beste der ersten Saisonhälfte. Ob Rob Gronkowski oben ohne, Luke Kuechly beim Gewichte stemmen, Ndamukong Suh mit einem Schneeball oder Odell Beckham Jr., der eine Hantel fängt - hier ist alles geboten:

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Der MVP: Tom Brady. Keine große Überraschung hier, der MVP-Award der ersten Saisonhälfte (und auch der am Jahresende, sollte nichts massiv Überraschendes mehr passieren) gehört ohne jeden Zweifel Tom Brady. Der Patriots-Quarterback spielt nicht nur statistisch (2.709 YDS, 22 TDs, 2 INT) eine herausragende Saison, es ist die ganze Art und Weise, wie der 38-Jährige New Englands Offense Woche für Woche aufs Feld bringt.

Der Week-9-Hangover: "Noooooooooooo!!!!!"

Vor allem die Variabilität ist dabei zu nennen. Egal welche Art von Defense der Gegner auf den Platz führt, Brady hat die Antworten. Ob weite Pässe auf Rob Gronkowski, die kaum zu verteidigenden Slants über die Mitte auf Julian Edelman oder aber die kurzen Pässe auf seine Running Backs (hier wird die schwere Verletzung von Dion Lewis besonders wehtun) - Brady tut, was er tun muss und das zum genau richtigen Zeitpunkt.

Bemerkenswert ist dabei auch, wie die Patriots ihren Division-Rivalen das Leben weiterhin schwer machen. Miami, die Jets und die Buffalo Bills haben viel Geld und Mühe investiert, um ihre jeweilige Defensive Line zu ihrer großen Stärke zu machen und New Englands Offense so den Zahn zu ziehen. Doch Brady zerstört diesen Plan kurzerhand mit einem unfassbar schnellen Release und guten Bewegungen außerhalb der Pocket. Das wird allerdings auch zunehmend unabdingbar, falls nach Nate Solder (Saisonaus) auch Tackle Sebastian Vollmer (Kopfverletzung) länger ausfällt.

Der Top-Coverage-Award: Cornerbacks in der heutigen NFL haben es nicht leicht (auch wenn es bei Carolinas Josh Norman, heißer Anwärter auf den Titel des Defensive Players des Jahres, ganz danach aussieht). Die Regeländerungen der vergangenen Jahre helfen weitestgehend allesamt dem Passing Game, Receiver genießen immer mehr Narrenfreiheit und dürfen immer weniger berührt werden. Defensive Backs müssen also in jeder Szene höllisch aufpassen, während sie gleichzeitig Weltklasse-Athleten verfolgen. All das gilt es also, im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich den tapferen Versuch von Saints-Cornerback Delvin Breaux zu Gemüte führt...

Der größte Lacher: Der Colts Fake-Punt. Gegen New England nichts unversucht zu lassen und auch auf unkonventionelle Ideen zu setzen, ist grundsätzlich der richtige Ansatz - zu stark sind diese Patriots derzeit. Es aber mit Receiver Griff Whalen und Safety Colt Anderson im Alleingang per Fake-Punt zu versuchen? Mutig, nett ausgedrückt.

"Es war ein Kommunikationsfehler", betonte Whalen, der den Snap wohl nie hätte durchführen sollen, anschließend und auch Colts-Defensive-End Björn Werner deckte in seiner SPOX-Kolumne auf, dass der Spielzug verletzungsbedingt zusätzlich erschwert wurde. "Wir hatten die falsche Formation und die Kommunikation hat nicht geklappt", musste auch Coach Chuck Pagano konstatieren. Mit "Fourth and Dumb" hatte die Szene schnell ihren Namen weg. Der Platz im Saison-Archiv ist ihr ebenfalls sicher.

Das Hadern mit dem Schicksal: Die Verletzungen von Andrew Luck, Dion Lewis und Le'Veon Bell wurden bereits thematisiert - doch die drei sportlichen Schwergewichte sind längst nicht die einzigen Stars, die uns für den Rest der Saison, oder wie im Fall Luck für mehrere Wochen, fehlen werden. Arian Foster, Jamaal Charles, Keenan Allen, Steve Smith und Cameron Wake wären nur einige der Namen, die es hier zu nennen gilt.

Dazu kommen Kelvin Benjamin und Jordy Nelson, die den Rasen in dieser Spielzeit gar nicht erst betreten haben. Immerhin: Dez Bryant ist bereits zurück und auch Tony Romo wird in dieser Saison wohl noch eingreifen, um das NFC-East-Rennen womöglich nochmals spannend zu machen - falls die Cowboys jetzt auch endlich ein paar Spiele ohne ihn gewinnen. Unbeeindruckt trotz alledem, weiterhin auf einem guten Weg und kerngesund dagegen: Das Football Baby!

Der Division-Prügelknabe: In jeder Saison gibt es sie. Diese eine Division, die klar hinter dem Rest der Liga ist und die alljährliche Diskussion befeuert: Sollten Division-Sieger automatisch das Playoff-Heimrecht in der Wildcard-Runde haben? Wollen wir, analog zu den 7-8-1-Panthers der Vorsaison, ein Playoff-Spiel in Indianapolis sehen, wenn die Colts am Ende mit vielleicht gar nur sechs Siegen die Division gewinnen? (Ja wollen wir, weil die Divisions ihren Sonderstatus behalten sollen.)

NFL-Offenses unter der Lupe: In der Vielfalt liegt die Kraft

Der geneigte Leser merkt bereits: Der diesjährige Division-Prügelknabe ist die AFC South! Der unerwartete Sieg der Colts über die Broncos am Sonntag war für diese These zwar kontraproduktiv, doch Lucks Verletzung, so schlecht er insgesamt bislang auch gewesen sein mag, hält mit Tennessee und Jacksonville sogar zwei Teams, die bei zwei Siegen und sechs Pleiten (!) stehen, im ernsthaften Rennen um die Division-Krone. Weder die Jags, noch die Titans, gleiches gilt auch für die 3-5-Texans, haben sich bis dato alles in allem mit Ruhm bekleckert, soviel ist klar.

Leute die diese Division trotz allem interessant und sehenswert machen? J.J. Watt, Titans-QB Marcus Mariota sowie Jacksonvilles Receiver-Duo bestehend aus Allen Robinson und Allen Hurns. Jedes Team hat noch zwei Division-Spiele auf dem Programm, also bleibt alles weiter offen. Und die Diskussion dürfte in rund sieben Wochen neu entfacht werden.

Abschließend bleibt nur zu sagen: Die erste Hälfte ist schon wieder rum - aber uns steht auch in der zweiten Saisonhälfte noch viel, viel guter Football bevor. Und dann gibt es ja auch noch diese Playoffs...daher hält es SPOX ganz mit Captain Kirk:

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