Die Eagles vor dem Super Bowl - ein Märchen wie nach Drehbuch

Von Adrian Franke
25. Januar 201813:52
Die Philadelphia Eagles haben in kürzester Zeit einen spektakulären Umbruch hingelegt.getty
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Die Philadelphia Eagles haben in den vergangenen beiden Jahren einen bemerkenswerten Turnaround hingelegt. Nach der Entlassung von Chip Kelly Ende 2015 stand Philly vor einem Trümmerhaufen, innerhalb kürzester Zeit haben Howie Roseman und Doug Pederson daraus ein Team geformt, das selbst schwerste personelle Rückschläge wegstecken konnte. Folgt die Krönung gegen die Patriots? Super Bowl LII gibt es am 4. Februar ab 23.45 Uhr live auf DAZN - wahlweise mit deutschem und Original-US-Kommentar!

Kurz vor Silvester 2015 waren die Eagles am Boden. "Wir wissen die Arbeit, die Chip Kelly hier geleistet hat, zu schätzen", hieß es in der Mitteilung von Eagles-Boss Jeffrey Lurie - die Standard-Aussage für fast jede Trainerentlassung in der NFL. Einige Minuten vorher hatte Lurie seinen Coach nach drei ereignisreichen Jahren entlassen.

Kelly war im Januar 2013 als der heiße Trainerkandidat vom College aus Oregon gekommen, und auch wenn in der Nachbetrachtung dieses Bild gerne mal entsteht - es war längst nicht alles schlecht. Zunächst war vielmehr das Gegenteil der Fall: Kelly übernahm ein 4-12-Team und führte es direkt mit zehn Siegen zum Division-Sieg, als erst zweiter Head Coach gewann er die eigene Division in der ersten Saison bei einem neuen Team.

Kellys Warp-Speed-Offense stürmte im wahrsten Sinne des Wortes auf die NFL-Bühne, die Eagles wurden eine Attraktion und brachen gegnerische Defenses mit der schieren Anzahl an Plays, dem generellen Tempo und der blitzartigen Ausführung. Allerdings brodelte es selbst in der erfolgreichen Zeit - auch in Kellys zweiter Saison wurden zehn Spiele gewonnen - bereits hinter den Kulissen.

So kam es schnell zu offensichtlichen Spannungen zwischen dem neuen Head Coach und Eagles-Geschäftsführer Howie Roseman, der zwar offiziell den Draft und die Free Agency für das Team verwaltete - tatsächlich aber hatte Kelly das finale Wort für den 53-Mann-Kader. Vor der 2015er Saison kippte das Machtverhältnis dann endgültig: Lurie machte Kelly auch offiziell zum Team-Football-Chef, Roseman blieb, aber hatte kaum noch Einfluss. Es war der Anfang vom Ende und gleichzeitig die Wurzel des Neubeginns.

Die Philadelphia Eagles haben in kürzester Zeit einen spektakulären Umbruch hingelegt.getty

Eagles: Doug Pederson ersetzt den gescheiterten Chip Kelly

Kelly nämlich, intern jetzt so mächtig wie sonst unter den NFL-Head-Coaches nur Bill Belichick in New England und mit Abstrichen Pete Carroll in Seattle, ließ sich nicht lange bitten. Es kam zu einem massiven Kader-Umbruch, nachdem 2014 bereits DeSean Jackson abgegeben worden war, folgten jetzt unter anderem LeSean McCoy, Jeremy Maclin sowie Guard Todd Herremans. Ein kühner Kahlschlag, der damals mutig, aber bei genauerer Betrachtung nicht kopflos wirkte.

Was dann passierte, war jedoch der Worst Case: Das nach Kellys Wünschen umgebaute Team floppte. Das hatte verschiedene Gründe, unter anderem gelang es Kelly nicht, sein Scheme anzupassen. Defenses hatten sich vor allem auf das eher simple Run Game eingestellt, es fehlte die individuelle Qualität, um das aufzufangen. Bei einer Bilanz von 6-9 wurde Kelly, zwei Tage vor dem Silvesterfest 2015, entlassen.

Die Eagles hatten zu diesem Zeitpunkt nicht viel: Das Team war individuell schlechter als in den Jahren davor, auch weil Kelly mit der neu gewonnenen Macht den Kader so umgebaut hatte, wie er nach seinen Vorstellungen sein Scheme bestmöglich umsetzen kann. Der Vertrag von Quarterback Sam Bradford war ausgelaufen und mit Doug Pederson hatten die Eagles den Schritt hin zu einem Rookie-Head-Coach gewagt.

Es sollte sich als Glücksgriff herausstellen, eine Entscheidung, die um Haaresbreite ganz anders hätte ausgehen können: Philly zeigte damals auch großes Interesse an Ben McAdoo, der dann aber von den New York Giants zum Head Coach befördert wurde. Somit fiel die Wahl auf Pederson - und auf Roseman, der wieder zurück im Sattel war und von Lurie erneut mit der Entscheidungsgewalt über den Kader ausgestattet wurde.

Die Eagles und Carson Wentz: Draft-Risiko wird belohnt

Roseman hatte offenbar aus seinen Fehlern gelernt: Nachdem er es in der ersten Amtszeit nicht geschafft hatte, die wichtigste Kaderfrage - die Quarterback-Position - zu beantworten, wollte er dieses Mal mit allen Mitteln seine Lösung präsentieren. Und der Weg dahin war genauso effizient wie auch eine Genugtuung für Roseman.

Mit Byron Maxwell und Kiko Alonso wurden zunächst zwei Kelly-Wunschspieler für Miamis Erstrunden-Pick (Nummer 13) abgegeben. Das nutzte Roseman als Sprungbrett, um mit weiteren hohen Picks den Nummer-2-Overall-Pick von den Browns zu ertraden - der schließlich für Carson Wentz investiert wurde. Es war die signifikante Weichenstellung für die Zukunft der Eagles.

Die NFL legt großen Wert auf Ausgeglichenheit, der Salary Cap genau wie das Draft-System bereiten das auch vergleichsweise zuverlässig. Philadelphias Gegner in Minneapolis ist dabei die große Anomalie, letztlich aber gibt es den einen Faktor, der dieses Gleichgewicht immer wieder aushebeln kann: Der Franchise-Quarterback. Wer ihn hat, hat einen großen Vorteil gegenüber allen Teams, die auf der Suche sind.

Am Ende geht es in der NFL, man sieht es immer wieder, doch um den Quarterback. Nichts schreit das lauter, als das AFC Championship Game von Philadelphias Super-Bowl-Gegner New England. Während die Patriots den besten Quarterback seiner Generation auf dem Feld hatten, coachte und spielte Jacksonville ängstlich und mit einem riesigem, letztlich zu großem Handicap: Die Jags versuchten krampfhaft, Blake Bortles zu verstecken.

"Es war eine herausfordernde Situation", sollte Roseman am Ende der 2016er Saison zugeben, "und alles beginnt mit der Quarterback-Position."

Die Eagles: Wentz, Peters und Co. - prominentes Lazarett

Bekanntermaßen wird Wentz im Super Bowl nicht zur Verfügung stehen, doch die gute Nachricht für Eagle-Fans: Philadelphia hat es geschafft, auch nach der so bitteren Verletzung von Wentz Spiele zu gewinnen. Es war mitunter holprig und wenig schön anzusehen, das 19:10 gegen die Raiders in Week 16 kommt hier schnell ins Gedächtnis. Noch unschöner war die 0:6-Pleite gegen Dallas zum Abschluss der Regular Season.

Doch die Eagles haben, und das ist ein enormes Kompliment an Roseman, ein Team zusammengebaut, das Ausfälle verkraften kann. Den von Wentz selbst natürlich zu allererst, doch hat Philly über die vergangenen Wochen und Monate zusätzlich seinen Star-Left-Tackle in Jason Peters, den vielseitigsten Running Back im Team und den gefährlichsten Returner (Darren Sproles) sowie den Starting Middle Linebacker (Jordan Hicks) verletzungsbedingt verloren. Kaum ein Team in der NFL hätte das auffangen, geschweige denn trotzdem in den Super Bowl einziehen können.

"Team" ist dabei das richtige Stichwort: Roseman hat seit seiner Rückkehr in den Chefsessel einen bemerkenswerten Kader-Umbruch bewerkstelligt. Nur 22 der insgesamt 64 Spieler, die aktuell bei den Eagles unter Vertrag stehen, waren 2015 bereits in Philly - selbst für die schnelllebige NFL kein kleiner Turnaround. Und die Verpflichtungen saßen.

Philadelphias Waffenarsenal erlebt drastischen Turnaround

2016 gelang den Eagles ein Traumstart in die Saison, der Hype um Wentz erreichte schnell schwindelerregende Höhen. Doch hatte der einerseits die erwartbaren Rookie-Quarterback-Probleme - während gleichzeitig die Offensive Line ohne den gesperrten Lane Johnson wackelte und Philly eines der schlechtesten Receiver-Corps der Liga aufs Feld schickte.

Roseman und auch Pederson setzten genau hier an: Die Eagles wurden zunächst in der Free Agency aktiv, mit Alshon Jeffery und Torrey Smith erhielt das Receiver-Corps einerseits einen physischen Nummer-1-Receiver und andererseits einen schnellen Wideout, der eine Defense in die Länge ziehen kann. Darüber hinaus wurde Nelson Agholor nach einer extrem enttäuschenden Saison in den Slot geschoben - und das mit Selbstvertrauen, gab Philadelphia doch gleichzeitig Jordan Matthews via Trade an die Buffalo Bills ab.

Agholor glänzte in seiner neuen Rolle und mauserte sich im Laufe dieser Saison zu einem der produktivsten Slot-Receiver der Liga, während Philly gleichzeitig mit Zach Ertz über einen der besten Tight Ends der NFL verfügte. Kurzum: Das Waffenarsenal war innerhalb kürzester Zeit mindestens ins obere Liga-Drittel katapultiert worden.

Und auch anderswo schlugen Rosemans Verpflichtungen ein. Chris Long und Timmy Jernigan haben der Defensive Line eine neue Tiefe gegeben, Erstrunden-Pick Derek Barnett - möglich gemacht durch den Pick, den Philadelphia für den Bradford-Trade von den Vikings erhalten hat - spielte in seiner Rotationsrolle eine sehr gute Rookie-Saison. In der Secondary überzeugen Rodney McLeod und vor allem Patrick Robinson und auch der Trade für Jay Ajayi im Laufe der Saison kann bisher als Gewinn kategorisiert werden.

Philadelphias Erfolgsformel und das spannende Super-Bowl-Duell

Das Erfolgsrezept der Eagles ist somit kein Geheimnis: Philly will beide Seiten der Line of Scrimmage dominieren, und in den allermeisten Spielen klappte das - selten eindrucksvoller als im Championship Game gegen Minnesota. Kein Team kam in dieser Saison ligaweit an die hohe Qualität in Philadelphias Offensive und Defensive Line ran.

Philly kombiniert das mit großartigem Coaching auf beiden Seiten des Balls. Die Offensiv-Schemes der Eagles sind extrem Quarterback-freundlich, Pederson hat hier mit einer größeren Fokussierung auf Run Pass Options und schnelle, klar definierte Reads Wentz und auch Foles enorm geholfen. Defensiv baut Jim Schwartz seine Game Plans deutlich um die 4-Men-Front auf, zeigte nicht nur in den Playoffs allerdings, wie gut er im selektiven Blitzing und auch hierbei beim Einsatz seiner Safeties ist.

Die Eagles sind dabei auch aggressiv im Coaching, Pederson nutzt ein eigenes Analyse-Team, das auch während den Spielen mit ihm kommuniziert, um bei möglichen Fourth Downs und langen Third Downs statistische Aspekte einfließen zu lassen. Die Folge: Philly hat in dieser Saison 18 erfolgreiche Fourth-Down-Conversions vorzuweisen - in den letzten zehn Jahren hatte kein Team innerhalb einer Saison mehr.

Ob sich Pederson diese Aggressivität auch im größten Spiel seiner noch jungen Head-Coaching-Karriere bewahrt, wird spannend zu beobachten sein - genau wie das Duell des komplettesten Teams dieser Saison gegen die, wieder einmal, beste Quarterback-Head-Coach-Kombination aus New England und ein Patriots-Team, das sich besser als jede andere Franchise auf jeden Gegner einstellen kann.

Ein Triumph im Super Bowl wäre selbstredend die (erste) Krönung des Turnarounds unter Roseman und Pederson. Und selbst falls das in diesem Jahr noch nicht klappt: Mit der Qualität in beiden Lines, der starken Team-Führung und natürlich Carson Wentz ist nach dem Umbruch der Eagles alles für den langfristigen Erfolg ausgerichtet.