Novak Djokovic hat das Wimbledon-Finale gegen Matteo Berrettini gewonnen und seinen 20. Grand-Slam-Titel geholt. Der Serbe war einmal mehr unschlagbar - und könnte sich mit Rafael Nadal bei den US Open ein historisches Duell liefern. Das Fazit zu Angelique Kerber und Alexander Zverev fällt unterschiedlich aus, während Ashleigh Barty das Chaos auf der Damen-Tour beenden könnte. Die Erkenntnisse zum Turnier.
1. Novak Djokovic ist Thanos: Sein Wimbledon-Titel war unvermeidbar
Als klarer Favorit, spätestens nach seinem Titel bei den French Open, war Djokovic nach London gereist, einmal mehr wurde er seiner Favoritenrolle gerecht. Auch wenn er in seinem Auftaktmatch gegen Qualifikant Jack Draper direkt den ersten Satz verlor, auch wenn er gegen Denis Shapovalov im Halbfinale lange nicht wirklich der bessere Spieler war, auch wenn er gegen Queens-Sieger Berrettini den ersten Satz verlor: Irgendwie schien sein sechster Wimbledon-Erfolg von Beginn an "unvermeidbar".
Wie Thanos Infinity Steine sammelt, so sammelt Djokovic in den letzten Jahren seine Slams - acht der letzten zwölf hat er gewonnen. Und wie bei Thanos scheint seine Macht mit jedem Slam zu wachsen, den er seiner Sammlung hinzufügt. Seine Unvermeidbarkeit, sie lastet schwer auf den Herausforderern. Dazu kommt: Nole ist eben nicht nur Thanos, sondern gleichzeitig auch ein Iron Man. Niemand auf der Tour ist fitter oder bewegt sich besser als der mittlerweile 34-Jährige, der nach dem Finale eine Warnung an die Konkurrenz richtete: "Mein Spiel ist wahrscheinlich so komplett wie nie zuvor. Und ein Ende ist nicht in Sicht."
Ob er ein Match klar gewinnt wie das Australian-Open-Finale gegen Daniil Medvedev, ob er schon kurz vor dem Aus steht wie in Paris gegen Stefanos Tsitsipas, oder ob er sich erst reinkämpfen muss wie am Sonntag gegen Berrettini: Djokovics Aura der Unbesiegbarkeit ist mittlerweile fast schon die halbe Miete. In absoluter Bestform zeigte er sich auf dem Heiligen Rasen alles in allem eigentlich selten, kämpfte vor dem Endspiel mit den Nerven, wie er später zugab, schlug nicht gut auf (5 Asse, 4 Doppelfehler). Trotzdem schien der Titel von Beginn an nur ein Fingerschnippen entfernt.
Die Brillanz des Serben ist dabei immer zweifacher Natur: Zum einen schafft er es, sein Level immer in den entscheidenden Momenten anzuheben, Breakbälle abzuwehren, gute erste Aufschläge zu bringen, wenn er sie am dringendsten benötigt. Zum anderen drückt er gleichzeitig das Level seines Gegners immer wieder herunter. Durch seine Fähigkeiten in der Defensive, durch seinen "sechsten Sinn" am Netz, durch seine wenigen Fehler.
"Ich glaube nicht, dass ich mein bestes Match gespielt habe", sagte Berrettini im Anschluss. "Aber das liegt an Novak. Er hat mich dazu gezwungen, und das ist seine Stärke. Deshalb ist er einer der besten aller Zeiten." Der 25-Jährige hatte nach gewonnenem ersten Durchgang noch nie ein Match auf Rasen verloren (22-0). Aber gegen den Djoker sind derartige Statistiken Schall und Rauch. "Der Typ ist unbesiegbar", sagte Coach Goran Ivanisevic. "Das ist wie im Film: Du muss ihn 27-mal umbringen und er steht trotzdem wieder auf."
Djokovic, Nadal und Federer: Statistiken im Vergleich
Novak Djokovic | Rafael Nadal | Roger Federer | |
Grand-Slam-Titel | 20 | 20 | 20 |
Masters-Titel | 36 | 36 | 28 |
Turniersiege | 85 | 88 | 103 |
ATP Finals | 5 | 0 | 6 |
Siegquote ATP-Matches (Prozent) | 83,23 | 83,16 | 82,0 |
Nummer 1 der Weltrangliste (Wochen) | 328 | 209 | 310 |
2. Ultimativer Showdown Djokovic vs. Nadal bei den US Open?
Tennis-Fans in aller Welt dürfen sich spätestens jetzt den 12. September rot im Kalender markieren. An diesem Tag nämlich findet das Finale der US Open in Flushing Meadows statt - und vielleicht ist es keine Übertreibung, wenn man sagt, dass es sich dabei um das wichtigste Match der (Herren-)Tennisgeschichte handeln könnte?
So viel dürfte zumindest selten auf dem Spiel gestanden haben, sollten an diesem Sonntag tatsächlich Djokovic (dreifacher US-Open-Sieger) und Nadal (vier Titel im Big Apple) gegenüberstehen. Für beide ginge es um den 21. Grand-Slam-Titel und den alleinigen Rekord in dieser Kategorie. Nicht zu vergessen der "Grand Slam", den es seit Rod Laver (1969) nicht mehr gab und den der Djoker nach drei Major-Titeln im Jahresverlauf anvisiert hat.
Es könnte sogar der "Golden Slam" werden, der erste seit Steffi Graf 1988, sollte er auch die Goldmedaille in Tokio gewinnen. Allerdings deutete er am Sonntagabend erstmals an, die Olympischen Spiele angesichts des Zuschauer-Ausschlusses und der strengen Corona-Restriktionen doch auslassen zu können. Kraft sammeln für New York wäre sicherlich nicht die schlechteste Idee. Andererseits fehlt ihm die Olympische Goldmedaille in seiner Sammlung noch, die Konkurrenz ist aufgrund vieler Absagen bereits dezimiert - und wenn es 2024 auf der roten Asche in Paris die nächste Chance gibt, ist er bereits 37.
Allerdings gibt es für den ultimativen Showdown noch ein paar Hindernisse. Zum einen könnte Nadal als Nummer drei oder vier der Setzliste auch in der gleichen Hälfte wie der Djoker landen, zum anderen ist die Konkurrenz auf dem Laykold-Belag im Arthur Ashe Stadion so groß wie bei sonst wohl keinem anderen Slam: Daniil Medvedev, Alexander Zverev und Vorjahressieger Dominic Thiem, um nur einige zu nennen, spielen sicherlich um den Titel mit.
3. Zverev und Kerber: Der nächste deutsche Grand-Slam-Titel ist nicht in Sicht
Angelique Kerber kann man zu ihrem überraschenden Run ins Halbfinale nur beglückwünschen. Wo wohlmeinende Fans und Experten nach extrem dürren Monaten und vielen frühen Niederlagen schon das Karriereende am Horizont nahen sahen, gewann sie fast aus dem Nichts das Turnier in Bad Homburg und spielte auch in Wimbledon um den Titel mit. Hut ab!
Gleichzeitig ist die dreifache Major-Gewinnerin aber auch schon 33 Jahre alt. Selbst wenn man sich des Eindrucks erwehren will, dass es auf Slam-Ebene ihr letztes großes Hurra gewesen sein könnte: Er lauert dennoch im Hinterkopf. Es wäre natürlich umso schöner, wenn es tatsächlich klappen sollte, aber einen Grand-Slam-Titel darf man von ihr eigentlich nicht mehr erwarten.
Dafür ist eigentlich Alexander Zverev da. Der 24-Jährige war bei den US Open 2020 schon ganz nah dran - so nah, dass das Urteil dieses Autors durchaus zuversichtlich ausfiel. Knapp ein Jahr später muss man allerdings festhalten, dass der letzte große Schritt weiter auf sich warten lässt.
Zwar liest sich die Bilanz der bisherigen Slams im Jahr 2021 nicht unbedingt schlecht (Halbfinale - Viertelfinale - Achtelfinale), die Niederlagen gegen unterklassige Gegner bei den Slams hat er längst abgestellt. Aber die Matches gegen die hochklassigen Gegner verliert er eben immer noch - und zwar alle. Weiterhin hat er bei einem Major noch nie einen Top-10-Spieler schlagen können. Und so kann man einen ganz großen Titel eben nicht gewinnen.
Natürlich sollte niemand die Hoffnung aufgeben, am wenigsten Zverev selbst. Er ist noch jung, es gibt klare Verbesserungsmöglichkeiten wie etwa beim Aufschlag. Schon oft war er richtig nah dran. Aber die Konkurrenz schläft nicht, die Traube der Hoffnungsvollen hinter Djokovic (und Nadal) wird immer dichter. Deshalb muss man an dieser Stelle leider festhalten: Die Chancen auf einen schnellen ersten Herren-Slam seit Boris Becker 1996 (Australian Open) sind in den letzten Monaten eher gesunken.
4. Ashleigh Barty kann Ordnung ins Damentennis bringen
Die Unberechenbarkeit in den Slams bei den Damen ist längst legendär - und sie wird immer ... legendärer? Fakt ist: In den letzten drei Majors wurden die 24 zu vergebenen Achtelfinal-Plätze von 22 verschiedenen Damen belegt - lediglich Ashleigh Barty und Karolina Muchova gaben sich zweimal die Ehre. Und: Seit unglaublichen fünf Slams gab es kein Duell zweier Top-Ten-Spielerinnen mehr. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig: Die WTA-Tour ist sicherlich breiter aufgestellt, wenn es darum geht, wer Top-Spielerinnen schlagen kann. Dazu kommen Verletzungen, zuletzt die Corona-Absagen und die Beläge, die teilweise einen größeren Unterschied machen als bei den Herren: Eine Naomi Osaka ist auf Hartplatz grandios - aber eben nur auf Hartplatz. Ob man dieses "Flatterhafte" als Zuschauer bevorzugt oder nicht, ist letztendlich Geschmackssache, bei den Herren kippte das Verhältnis in den vergangenen 15 Jahren schließlich ins andere Extrem.
Eine Ashleigh Barty brächte allerdings das nötige Rüstzeug mit, um wieder etwas Ordnung in den Damen-Kosmos zu bringen. Die Australierin hat nun einen French-Open- und einen Wimbledon-Titel vorzuweisen und auch auf Hartplatz hat sie schon große Turniere gewonnen, darunter die WTA Finals 2019. Mit ihrem enorm vielseitigen, adaptiven Spiel kann sie sich auf ihre Gegnerinnen einstellen, Taktiken wechseln und Schwachstellen attackieren. Gleichzeitig ist sie in der Defensive stark, ihr Rückhand-Slice ist eine echte Waffe. Und sie hat einen sehr vernünftigen Kopf auf den Schultern und kann mit Druck umgehen.
Sie steht dabei sinnbildhaft für eine WTA-Tour, die sich in den letzten Jahren wegbewegt hat vom einseitigen Ballgedresche, als sich Spielerinnen in ihrem Härter-ist-besser-Stil sehr ähnlich waren. Barty, French-Open-Championesse Barbora Krejcikova, Iga Swiatek, aber auch eine Ons Jabeur, die in Wimbledon mit ihren Stopps begeisterte oder die unerschütterliche Su-Wei Hsieh. Die Ära von Serena Williams ist beendet, das WTA-Zepter sucht eine neue Besitzerin. Und die Auswahl ist groß - auch in puncto Vielfalt auf dem Court.