Das Fazit des Dirk-Nowitzki-Mentors: Holger Geschwindner über das EM-Aus des DBB-Teams, Robin Benzings NBA-Ambitionen, einen "rumprügelnden" Timo Boll - und das Angebot, Spaniens Supertalent Ricky Rubio zu trainieren und ihm den Nowitzki-Wurf beizubringen.
SPOX: Herr Geschwindner, wie lautet Ihr Fazit nach dem Zwischenrunden-Aus der deutschen Mannschaft?
Holger Geschwindner: Die Gruppenverteilung war extrem ungünstig. Ich nehme an, dass die FIBA bald daraus lernt. Das ist ja so, als ob im Tennis bei einem Grand-Slam-Turnier Roger Federer in der ersten Runde gegen Novak Djokovic spielen muss und der Gewinner in der zweiten Runde auf Rafael Nadal trifft. Da hätte die FIBA zumindest die Zwischenrunden-Verteilung so anpassen können, dass eine gewisse Fairness gegeben ist.
SPOX: Sie sind wegen des Turnier-Programms nicht enttäuscht, dass es nichts wurde mit der Olympia-Qualifikation?
Geschwindner: Wir wussten vorher schon, in welche Problematiken wir rein rennen. Entsprechend waren die Ergebnisse nicht so überraschend. Eigentlich haben wir uns ganz gut geschlagen und die Pflichtspiele gewonnen, die anderen Partien nur knapp verloren. Von daher kann man mit der Spielweise zufrieden sein. Wir müssen uns keine Vorwürfe machen.
SPOX: Wie bleibt die EM für Dirk Nowitzki in Erinnerung?
Geschwindner: Er hat trotz der langen Saison und den ganzen Festivitäten danach sein Versprechen eingelöst und den jüngeren Spielern eine Chance gegeben, es zu den Olympischen Spielen zu schaffen. Das Hauptziel war es, dass ein Know-how-Transfer stattfindet zwischen ihm und den Jungen. Natürlich ist nicht alles in 14 Tagen zu regeln, aber es war eine gute Truppe, die beispielsweise mit vielen kleinen Wettbewerben im Training alles daran gesetzt hat, als Mannschaft zusammenzuwachsen.
SPOX: Der scheidende Bundestrainer Dirk Bauermann betonte, dass man mit den Talenten Geduld haben müsste. Wie sahen Sie deren Leistungen?
Geschwindner: Die Spanier, die Franzosen, sie haben alle NBA-Profis, deren aktive Spielzeiten ungefähr zwanzig Mal so hoch sind wie die unserer Jungs. Unsere sind in ihren Vereinen nicht einmal in der ersten Fünf. Insofern darf man nicht groß jammern. Es ist ein strukturelles Problem in Deutschland, das gelöst werden muss. Sonst zwingt man unsere Jugendlichen, ins Ausland zu gehen. Hier kriegen sie ja keine Spielzeiten.
SPOX: Robin Benzing ist ein Gegenbeispiel: Er war in Ulm Teil der Starting Five und bekam die meisten Minuten. Trauen Sie ihm die NBA zu?
Geschwindner: Kerle wie der Robin müssen hergehen und sich mit Leuten messen, die in seiner Größen- und Gewichtsklasse sind und den gleichen Anspruch verfolgen. Ein praktischer Vorschlag wäre: Robin einfach mal mit diesem Batum eine Stunde Eins-gegen-eins spielen lassen. So haben wir das damals auch mit Dirk gemacht.
Nowitzkis letztes Länderspiel: Eine Liebeserklärung zum Schluss
SPOX: Unter anderem nahm Nowitzki vor dem Draft an einem Workout unter der Leitung des damaligen Boston-Celtics-Trainers Rick Pitino teil.
Geschwindner: Die haben drüben schon vorzeitig geschrien, dass Dirk in die NBA soll, aber davor wollten wir es überprüfen. Danach waren wir uns ziemlich sicher, dass das Ziel durchaus realistisch ist. Deswegen muss zunächst Robin selbst wissen, ob er sich die NBA zutraut. Ob seine Möglichkeiten ausreichend sind und ob er sich zukünftig mit einem wie Batum anlegen kann. Es geht darum, sich selbst realistisch einzuschätzen. Es hilft doch nichts, wenn er sich das selbst nicht zutraut, aber der Manager über ihn sagt, dass er das schafft. Es gibt aber noch etwas zweites.
SPOX: Nämlich?
Geschwindner: Jeder Jugendliche muss etwas anbieten, das die NBA braucht. Man kann nicht einfach so beschließen, in die NBA zu gehen. Es ist dummes Zeug, sich daheim in die Kammer zu setzen und sich einzureden, was für ein großartiger Basketballer man ist, nur weil im Umfeld keiner annähernd so gut spielt. Timo Boll macht vor, wie es geht.
SPOX: Deutschlands Vorzeige-Tischtennisspieler, der sich häufig in China auf ein Großturnier vorbereitet.
Geschwindner: Er weiß, dass der beste Trainingspartner der Rivale ist. Daher sagt er sich: Um in Form zu kommen, muss ich zu den Leuten gehen, mit denen ich mich später rumprügeln will. Es bringt nichts, einen auf lokalen Helden machen zu wollen. Alle, die halbwegs Talent haben, sollten das beherzigen und anfangen, gegen die Besseren in ihrer Mannschaft Eins-gegen-eins zu spielen. Wenn sie damit keine Probleme haben, fängt man mit dem Eins-gegen-zwei an und das setzt sich immer weiter fort. So schafft man den Aufstieg. Unsere Buben haben nicht weniger Talent als die aus den anderen Ländern. Nur: Wir sind das bevölkerungsreichste Land Europas und haben dennoch die wenigsten NBA-Spieler.
Geschwindner über den erfolgreichen Militär-Stil der Serben und die Rubio-Anfrage
SPOX: Svetislav Pesic, mittlerweile bei Roter Stern Belgrad, wollte ursprünglich Benzing und Tibor Pleiß nach Valencia locken. Wäre das das Boll-Modell gewesen?
Geschwindner: Ohne Einsatzzeit ist es egal, wo man spielt. Heutzutage kann man statistisch ziemlich gut belegen, dass man 1000 Spielminuten unter Wettkampfbedingungen in der Saison braucht, um halbwegs mitmischen zu können. Valencia, Rom, sonst wohin, das ist spannend für die Medien und wahrscheinlich auch für die Manager. Aber für den Spieler bringt es gar nichts, wenn er selten auf dem Platz steht und mehr im Bus und im Flieger sitzt. Für einen Jugendlichen, der sich entwickeln will, ist es immer die klügere Entscheidung, dahin zu gehen, wo er mehr spielt.
SPOX: Gewisse Parallelen bestehen zwischen der deutschen und der serbischen Nationalmannschaft. Deutschland muss zukünftig ohne ihre NBA-Spieler auskommen, Serbien verzichtet freiwillig auf sie. Was bleibt, sind zwei ähnlich junge Teams - wobei die Serben wesentlich abgezockter und reifer auftreten. Woran liegt das?
Geschwindner: Die Serben beschlossen vor ein paar Jahren, einen Neuanfang zu machen, nachdem das Einsammeln der NBA-Spieler und die Coacherei zu Problemen geführt hatten. Sie zogen also einen Schlussstrich. Von außen betrachtet scheint es alles mittlerweile einen sehr starken militärischen Anspruch zu haben, verbunden mit einer hohen Disziplin. Es ist ein durchaus denkbares Konzept. Wenn die Serben diese Richtung weitergehen, werden sie in Zukunft im Basketball wieder so führend sein wie früher schon einmal.
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SPOX: Heißt das: Deutschland braucht mehr Serbien?
Geschwindner: Unter den gegebenen Möglichkeiten kann man in Deutschland keinem befehlen, wie man gut wird. Wir müssen unsere eigene Lösung finden - und daran muss konzeptionell gearbeitet werden.
SPOX: Halten Sie die BBL für fähig, die Nachwuchsarbeit entsprechend zu fördern?
Geschwindner: Was die BBL politisch macht, ist nicht neu, aber es bleibt sehr unverständlich.
GettySPOX: Gibt es Überlegungen, dass Sie einige der deutschen Hoffnungsträger unter Ihre Fittiche nehmen?
Geschwindner: Jeder kann zu mir kommen und beim Training mitmachen. Das kostet nichts - aber kommen müssen sie selbst. Ich renne keinem hinterher, das habe ich noch nie gemacht.
SPOX: Hat jemand das Angebot angenommen?
Geschwindner: Ich habe noch keinen bei mir gesehen.
SPOX: Stimmt es, dass Sie stattdessen von den Minnesota Timberwolves regelrecht angefleht wurden, sich als Individual-Coach um das spanische Spielmacher-Supertalent Ricky Rubio zu kümmern?
Geschwindner: Das ist sachlich richtig, es hat Anfragen gegeben. Im Detail kann ich aber nicht sagen, wer, wie und wann die Kontaktaufnahme vonstatten ging. Wegen des Lockouts dürfen keine Gespräche stattfinden. Deswegen haben diese schon vorher stattgefunden oder wurden von Leuten geführt, die nichts direkt mit dem Klub zu tun haben.
SPOX: Und, denken Sie darüber nach? Es würde Sinn machen: Sie formten bereits Nowitzki zu einem der besten Jumpshooter der NBA-Geschichte. Der Wurf wiederum ist Rubios größte und vielleicht einzige Schwäche.
Geschwindner: Wenn er im Falle einer Fortsetzung des Lockouts in Deutschland spielen will, ist er bei mir herzlich willkommen. Aber eine Anstellung bei einem NBA-Verein macht für mich überhaupt keinen Sinn. Ich habe über die Jahre sehr viele Anfragen bekommen. Doch so sehr ich die Sportart liebe und bereit bin, einen Beitrag zu leisten: Ich bin niemand, der sich 24 Stunden mit Basketball beschäftigen kann, dazu habe ich zu viele andere Interessen und Aufgaben.
SPOX: Hat der 20-jährige Rubio tatsächlich das Rüstzeug, um wie von vielen erwartet zum NBA-Superstar zu werden?
Geschwindner: Als Jugendlicher war er schon ein Wunderkind. Ob er das aber weiter durchziehen kann, ist die große Frage. Ich kenne das hinreichend aus der Musik. Um sich weiterzuentwickeln, braucht man Fleiß und Übung. Was man an ihm sieht: In der Verteidigung besitzt er gute Hände und klaut hier und da den Ball. Dass seine Hauptqualität aber nicht in seiner Wurftechnik liegt, ist auch bekannt.
SPOX: Klingt verhalten zuversichtlich.
Geschwindner: In der NBA herrschen andere Bedingungen, das haben vor Rubio schon einige Spanier erlebt. Drüben kommt dem physischen Faktor eine viel größere Bedeutung zu. Das beste Beispiel ist der Navarro, der es in der NBA versucht und sich sehr schwer getan hat. Bei der EM sieht man, was im Gegensatz dazu ein Batum für physische Qualitäten mitbringt. Das sind gewaltige Unterschiede.
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