"Der Druck macht mich kaputt"

Jan Höfling
15. September 201516:25
Für Ulli Wegner zählt nur der Erfolg seiner Boxergetty
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Er ist ein Original, seine Ansprachen sind legendär. Ulli Wegner hat den Boxsport in Deutschland entscheidend geprägt. Vor dem vierten Duell zwischen Arthur Abraham und Robert Stieglitz (Sa., 22.30 Uhr im LIVE-TICKER) spricht die Trainerlegende im Interview mit SPOX über Abrahams große Chance, das Scheitern Felix Sturms und Marco Huck auf Irrwegen. Außerdem: Ein Fazit zum Kampf des Jahrhunderts, den selbstauferlegten Druck und die Probleme des Boxsports.

SPOX: Herr Wegner, das vierte Aufeinandertreffen zwischen Arthur Abraham und Robert Stieglitz steht an. Abraham geht als Favorit in den Kampf. Droht die in der Vergangenheit mehrfach fatale Nachlässigkeit deshalb wieder durchzubrechen?

Ulli Wegner: Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, dass dieser Kampf für beide enorm wichtig ist. Deshalb wird Arthur sich am Riemen reißen und die Sache ein für alle Mal klarstellen. Nachdem er im zweiten Kampf Pech mit seiner Verletzung hatte, hat er nun die große Chance, das Duell endgültig zu beenden.

SPOX: In der Vorbereitung kam sogar ein Felix-Magath-Gedenkhügel zum Einsatz. Sind Sie komplett zufrieden mit Abraham?

Wegner: Wenn ich irgendwann zufrieden sein sollte, dann können Sie mich vergessen. Arthur ist aber im Soll.

SPOX: Worauf liegt beim Training Ihr Fokus?

Wegner: Ich habe mein eigenes System - und das mit Erfolg. Dass aber wechselnde Reize gesetzt werden müssen, ist doch klar. Deshalb muss man sich immer etwas Neues einfallen lassen. Vor allem im Kraft- und Ausdauerbereich werden die Ansprüche schließlich höher. Für mich steht jedoch die taktische Arbeit im Vordergrund. Die Philosophie und der Feinschliff entscheiden letztlich über den Erfolg.

SPOX: Wie sieht Ihre Grundphilosophie aus?

Wegner: Ich will, dass meine Boxer aus einer sicheren Verteidigung heraus den Kampf gestalten. Ein Gegenangriff ist ebenfalls eine Form des Angriffs. Henry Maske hat beispielsweise auf eine solche Art geboxt. Seine Treffer kamen zumeist aus einer Verteidigungshandlung heraus. Er hat seine Gegner unter psychischen Druck gesetzt, sie rausgelockt und dann eiskalt zugeschlagen. Das ist es, was ich von meinen Boxern sehen will. Natürlich darf der Vorwärtsdrang dabei nicht zu kurz kommen.

SPOX: Raum für Überraschungen gibt es kaum. Abraham und Stieglitz müssten sich inzwischen in und auswendig kennen.

Wegner: Überraschende Momente wird es für mich während des Kampfes keine geben, das ist richtig. Fakt ist aber auch, dass beide ihr System durchwechseln werden, um den anderen auszustechen. Es gibt immer Ecken und Kanten, an denen gefeilt werden kann. Perfekt gibt es nicht, wir sind schließlich alle nur Menschen. Natürlich gibt es das Streben nach Vollendung. Das Entscheidende ist der Antrieb, sich verbessern zu wollen.

SPOX: Der Antrieb scheint bei Abraham oftmals so eine Sache zu sein. Er wirkte von einem erneuten Duell mit Stieglitz wenig angetan, stattdessen warf er einen Kampf gegen Felix Sturm in den Raum. Haben Sie ihm diesen Gedanken ganz schnell wieder ausgetrieben?

Wegner: Ausschlaggebend ist, was im Kopf des Boxers und des Trainers vorgeht. Man muss immer einen Schritt nach dem anderen machen, sich mental vorbereiten. Wenn die nächste Aufgabe bewältigt ist, dann werden wir weitersehen. Das weiß auch Arthur.

SPOX: In Deutschland wurde das Duell geradezu herbeigesehnt. Sogar vom Olympiastadion war die Rede. Besitzt der Kampf nach den letzten Auftritten Sturms nun überhaupt noch Relevanz?

Wegner: Natürlich wäre es besser, wenn er gewonnen hätte. Ich habe Sturm die Daumen gedrückt. Er hatte zuletzt jedoch auch einen Weltklasse-Boxer als Gegner.

SPOX: Dennoch war die Niederlage gegen Fedor Chudinov für die Ansprüche Sturms verheerend.

Wegner: Ich muss zugeben, dass ich bei Sturm etwas voreingenommen bin, ein Faible für ihn habe. Die Anlagen, die er mitgebracht hat, waren riesig. Es liegt jedoch letztlich am Sportler selbst und an der Art, wie er von einem Trainer geführt wird. Sturm ist von Haus aus sehr eigensinnig. So ein Boxer braucht einen Trainer mit Autorität, der ihn vom Fachlichen her überzeugen kann. Um Sportler zu führen, muss man eine unglaublich große Überzeugungskraft mitbringen. Das ist bei ihm nicht einfach. Im Endeffekt ist er an seiner eigenen Art gescheitert. Damit ist er allerdings nicht alleine.

SPOX: Wie sieht es bei Abraham mit der Führung aus?

Wegner: Auch Arthur hat seinen Dickkopf. Er hat sein Potential noch nie wirklich komplett abgerufen, kann noch viel mehr. Ein Sportler muss sich einordnen können und vor allem überzeugt sein, dass sein Trainer das Richtige macht. Schließlich hat er in der Regel nicht die Ausbildung eines Trainers, der studiert hat und sich fortbildet. Maske, Sven Ottke oder auch Markus Beyer haben sich führen lassen. Das waren Qualitätssportler. Oder auch Dariusz Michalczewski, der sich Fritz Sdunek komplett untergeordnet hat. Im Endeffekt profitieren die Sportler doch selbst davon. SPOX

Abrahams wichtigste Kämpfe: Vom Schlumpf zum König

SPOX: Bei Niederlagen ist der Schuldige dennoch schnell gefunden...

Wegner: Wenn Sportler verlieren, dann steht der Trainer schnell im Fokus - das ist doch klar. Deshalb muss man auch von sich selbst so überzeugt sein, so eine Kraft haben, dass diese Dinge nicht an einen herankommen.

SPOX: Klingt nicht gerade einfach.

Wegner: Was soll bei mir noch kommen? Es kann nur der Erfolg sein. Ich bin abgesichert im Leben, mein einziger Antrieb sind meine Boxer. Die Jungs müssen es allerdings auch annehmen. Kompromisse darf es keine geben.

SPOX: Sie sind inzwischen 73 Jahre alt. Wird es nicht Zeit, es ruhiger angehen zu lassen?

Wegner: Und das ganze Wissen, welches ich mir über all die Jahre angeeignet habe, vergeuden? Nein. Mein großer Anreiz ist es, meine Boxer zum Erfolg zu führen. Sie sollen die Fans überzeugen. Ich könnte natürlich viele Lehrgänge machen, es ruhiger angehen lassen. Aber warum sollte ich das tun? Ich strebe immer nach neuen Ideen und Reizen.

SPOX: Ist das nicht auch eine große Belastung?

Wegner: Sicherlich gebe ich einen Teil meiner Lebensqualität auf. Ich bin 30 Jahre verheiratet und es ist nicht immer einfach, beides unter einen Hut zu bringen. Wir haben ein kleines Häuschen, konnten uns das leisten, was wir uns erträumt haben. Wenn es dann wieder ins Trainingslager geht, schaut mich meine Frau traurig an und fragt, ob das wirklich alles noch sein muss. Ich brauche aber stets neue Herausforderungen.

SPOX: Haben sich diese mit der Zeit verändert?

Wegner: Sportler werden mitunter immer schwieriger. Oft fehlt die realistische Einschätzung. Egal, wie viel Geld man verdient hat, man muss immer weiter um sportliche Höchstleistungen kämpfen. Das ist heute nicht so einfach zu vermitteln, da das Leben gerade in Deutschland viele Ablenkungen parat hält. In der ehemaligen DDR war es einfacher. Da war die Freude groß, wenn man mal für einen Kampf nach England oder Italien fahren konnte oder eine Vespa bekam. Der Ansporn, die Nummer eins zu sein, war automatisch viel größer. Heute können sich alle viel mehr leisten - ohne sich dafür übermäßig zu quälen.

SPOX: Wie bewältigen Sie die mentalen und körperlichen Anforderungen?

Wegner: Das ist für viele ein Rätsel. (lacht) In letzter Zeit habe ich in der Tat etwas zugenommen, da ich wenig laufen konnte. Gymnastik mache ich aber jeden Tag. Dazu kommt etwa die Pratzenarbeit, die unheimlich fordernd ist. Ich fühle mich noch jung, muss mich eher manchmal zurücknehmen, da ich selbst unheimlich ehrgeizig bin. Das Einzige, was mich kaputt macht, ist der Druck, den ich mir selbst auferlege. Ich muss erfolgreich sein. Jede Niederlage ist für mich ein absoluter Hammer. Leider kommen diese noch immer vor.

SPOX: Ist es wichtig für eine Sache zu leben, wenn man Erfolg haben will?

Wegner: Ich bin ein sehr dankbarer Mensch, auch wenn das nicht immer so nach außen dringt. Ich habe auch schon einen Stent im Herzen. Ich bin glücklich, dass ich solch einen Werdegang nehmen durfte. Deshalb will ich das Beste daraus machen und nichts verschenken. Ich will niemanden im Stich lassen, was sicherlich nicht immer ein Vorteil ist. Aber so bin ich - und ich bin glücklich. Es ist wichtig, etwas zurückzugeben.

SPOX: Nimmt man viele Dinge oft zu schnell als gegeben hin?

Wegner: Absolut. Wenn man hart arbeiten muss, sich am Rand bewegt und keinen sicheren Job hat, dann fallen natürlich andere Dinge weniger leicht. Ängste schränken den Menschen ein. Ich kann nach all den Jahren so sein, wie ich bin. Ich muss mich nicht verstellen und kann meine Ideen vertreten. Letztlich bin ich nur mir selbst Rechenschaft schuldig. Man muss sich selbst treu bleiben, was oft nicht einfach ist.

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SPOX: Bei einigen Boxern scheint es vor allem die Aussicht auf Reichtum schwer zu machen, sich selbst treu zu bleiben. Marco Huck scheint der ideale Beleg.

Wegner: Als Huck zu mir kam, konnte er nichts - aber er hatte ein unheimliches Talent und auch die Athletik hat durch seine Erfahrung als Kickboxer gestimmt. Für mich ist Kickboxen keine Sportart. Eine boxerische Grundausbildung hat man vergebens gesucht. Die habe ich ihm dann beigebracht und es ging nach oben.

SPOX: Dann kam die erste Niederlage...

Wegner: Da war der Schuldige in meiner Person schnell gefunden. Ein neuer Trainer sollte her. Nach sechs Wochen stand er dann wieder vor meiner Tür. Damals habe ich ein Mal in meinem Leben einen Kompromiss gemacht und wieder mit ihm gearbeitet.

SPOX: Liegen die Probleme Hucks außerhalb des Boxrings?

Wegner: Es haben sich so viele Schulterklopfer und Dummschwätzer um ihn herum versammelt, die von ihm profitieren wollen und rein gar nichts darstellen. Ihm fehlt der Überblick. Der Junge hat ein gutes Herz. Um das Geschäft jedoch richtig einschätzen zu können, fehlt ihm vom Kopf her absolut die Reife.

SPOX: Woran liegt das?

Wegner: Ein Mensch wird in seiner Pubertät geformt. Ich bin gut durchgekommen, weil ich so unheimlich gut aussah. (lacht) Nein, im Ernst: Mit 15 wusste ich, dass ich etwas tun muss. Viel verdanke ich auch dem Druck meines Vaters. Das hat mich persönlich geformt. Bei Huck war alles nicht so einfach. Er hat zwei Lehren abgebrochen. Davon hat der Vater nichts mitbekommen, weil er arbeiten musste, um die Familie über die Runden zu bringen. Dann kam er nach Köln zu mir und wollte Boxer werden. So jemand hätte kein Trainer genommen, Arthur übrigens auch nicht. Ich habe aber einen Blick für veranlagte Jungs. Dann wurde er Weltmeister und ich habe ihm vor Augen geführt, was er doch für ein gutes Leben hat.

SPOX: Offensichtlich sollte es ein noch besseres werden.

Wegner: Der Blick für die Realität geht verloren. Da sind nur noch die Millionen im Kopf, die letztlich gar nicht realistisch sind. Huck hat sich verrannt. Ich konnte ihn wirklich gut leiden, sonst hätte ich ihn nicht nochmals aufgenommen. Wenn man mit ihm alleine arbeitet, dann ist er ein fantastischer Junge. Er ist jemand, der geführt werden muss. Und zwar von Trainern, die die entsprechende Qualität haben, die nicht nur eine linke Gerade zeigen können, sondern auch das Innenleben ihrer Boxer erforschen. Natürlich nimmt man Lob immer gerne mit. Allerdings muss man die Worte richtig einordnen können. Wissen Sie was, in Wirklichkeit tut er mir leid.

SPOX: Er hat also vor allem Pech mit seinem Umfeld?

Wegner: Großes Pech sogar. Wie kann man nur seinen Bruder als Geschäftsführer einsetzen? Da kann ich nur lachen. Ich will bei Huck nicht für Unsicherheit sorgen, das alles sorgt bei mir für Kopfschütteln. Im Ring hat er gegen starke Gegner teils überragend geboxt, gegen schwächere auch mal stümperhaft, da er sie unterschätzt hat. Das ist die Kunst. Man muss dafür sorgen, dass er auf dem Boden bleibt. Jetzt hat er Leute um sich, die ihm Honig ums Maul schmieren und aus ihm ein Geschäft machen.

SPOX: Ist das für Sie nicht ein Schlag ins Gesicht?

Wegner: Natürlich hängt mein Herz daran. Wahrscheinlich hätte mich das alles vor ein paar Jahren seelisch mehr mitgenommen. Ich bin inzwischen aber über 40 Jahre Trainer und habe eine große Lebenserfahrung angehäuft, deshalb kann ich so etwas auch richtig einschätzen. Natürlich tut es mir leid für einen Anfänger, den man so erfolgreich ausgebildet hat. Und natürlich hinterlässt es Spuren. Aber ich komme heute gut darüber hinweg.

SPOX: Ist der US-Amerikaner Don House die richtige Person in Hucks Ecke?

Wegner: Es ist auf jeden Fall gewagt. Ich kann die Qualität von House nicht einschätzen und das steht mir von außen auch gar nicht zu. Aber oft reicht die Ausbildung in den USA nicht ansatzweise an die hiesige heran. Manfred Wolke oder der leider zu früh verstorbene Sdunek sind andere Kaliber. Das waren Könner. Wir waren bei Olympische Spielen, mussten uns durch unzählige Welt- und Europameisterschaften im Amateur- und Profibereich durchbeißen. So etwas ist von unschätzbarem Wert.

SPOX: Bleiben wir in den USA. Erst kürzlich waren Sie beim Kampf zwischen Floyd Mayweather jr. und Manny Pacquiao als Experte in Las Vegas. Der Hype um den "Jahrhundertkampf" war enorm.

Wegner: Es war ein perfektes Beispiel für die Geschäftsbegabung der Amerikaner, die das Duell soweit herausgezögert haben, bis es immer teurer wurde. Der Kampf wurde außerdem von den Journalisten hoch geschrieben. Und das, obwohl für alle ersichtlich war, dass Mayweather Rocky Marcianos Rekord erreichen soll. Deshalb war eigentlich klar, wer gewinnen muss.

SPOX: Für Sie war das Urteil eine Fehlentscheidung.

Wegner: Ich bin der Meinung, dass Pacquiao den Kampf gewonnen hat. Mayweather hat nichts gemacht, hat nur auf Sicherheit geboxt. Es war ein sehr knappes Urteil, auch ein Unentschieden wäre vertretbar gewesen. Die Wertung der Punktrichter kann man vergessen. Wirklich aufgeregt hat sich dennoch niemand, schließlich haben alle genug verdient.

SPOX: War es ein Jahrhundertkampf?

Wegner: Ein Jahrhundertkampf war das Duell zwischen Joe Frazier und Muhammad Ali oder der Kampf von Marvin Hagler gegen Sugar Ray Leonard. Das waren Jahrhundertkämpfe! Da muss man fair sein. Dennoch haben die Journalisten und Manager etwas Großes geschaffen. Allein beim Wiegen waren 12.000 Menschen. Amerikanern gelingt es einfach aus einem Furz einen Elefanten zu machen. Das reizt die Menschen.

SPOX: Pacquiao ging mit einer schweren Schulterverletzung in den Kampf. Lassen wir etwaige Verträge und die absurde finanzielle Problematik einer Verschiebung außen vor: Hätten Sie einen Ihrer Schützlinge mit einem solchen Handicap überhaupt in den Ring gelassen?

Wegner: Die Frage kann ich nicht beantworten. Natürlich ist es, sofern der Grad der Verletzung bereits bekannt war, schwer zu verantworten. Man muss aber vorsichtig sein. Pacquiao hat gekämpft, die Verletzung ist mir nicht unbedingt ins Auge gestochen und das Finanzielle hat auch gestimmt. Sicherlich hat die letzte Konsequenz bei ihm gefehlt, dennoch hat er den Kampf bestimmt. Es ist doch so: Wenn der Sportler unbedingt will und die Chance auf so viel Geld hat, was hat man als Trainer dann noch für eine Wahl?

SPOX: Generell sind Blessuren im Vorfeld oder während eines Kampfes keine Seltenheit. Wann wirft man als Trainer das Handtuch?

Wegner: Man muss eine klare Grenze ziehen. Es war schließlich keine lebensgefährliche Situation. Bei einer Verletzung im Bereich des Kopfes wird es schwieriger. Ich stand selbst in der Kritik, nachdem ich Arthur bei seinem Kieferbruch im Kampf gegen Edison Miranda nicht rausgenommen hatte. Da war der Aufschrei auch groß, sogar Strafanzeigen gab es. Im Nachhinein wurde bestätigt, dass es sich nie um eine Gefahr für Arthurs Leben handelte.

SPOX: Gilt das Motto: "Was einen nicht umbringt,..."

Wegner: In erster Linie musste ich als Trainer die Kraft haben, Arthur weiter anzutreiben. Auch der Ringrichter hat den Kampf nicht abgebrochen. Der Ringarzt selbst darf ja nur eine Empfehlung abgeben. Durch diesen Abend ist Arthur zu dem Kämpfer geworden, der er heute ist. Hätte ich abgebrochen, würde die Situation immer wieder in seinem Kopf hochkommen, auch wenn der Kiefer längst verheilt ist. Ein Sportler, der solche Schwierigkeiten überwinden kann, ist ein wahrer Weltmeister.

SPOX: Wann werden die Schwierigkeiten dennoch zu groß?

Wegner: Wenn beispielsweise die Augen betroffen sind. Das Augenlicht ist unvorstellbar wertvoll im Leben, da gibt es keine Alternative. Arthurs zweiter Kampf gegen Stieglitz war doch das beste Beispiel. Ich bin mir sicher, dass er gerade im zweiten Teil das Duell für sich entschieden hätte, allerdings war die Gefahr zu groß. Deshalb habe ich ihn damals rausgenommen.

SPOX: Trotz unvorstellbaren Summen erlebt der Boxsport nicht seine beste Zeit. Zu viele Verbände und unzählige Titel verwässern den Wettbewerb, finanzielle Interessen sowie fragwürdige Urteile erledigen den Rest. Ist das noch der Sport, den Sie lieben?

Wegner: Ich habe in all den Jahren, in denen ich gereist bin und so einiges erlebt habe, oft den Kopf geschüttelt. Allein bei den Olympischen Spielen kamen teils Urteile zustande, die sich niemand mit normalem Menschenverstand erklären konnte. Auch bei Weltmeisterschaften im Amateurbereich ist es teilweise erschreckend, wie gewertet wird.

SPOX: Droht der Reiz deshalb verloren zu gehen?

Wegner: Der Boxsport ist unheimlich reizvoll, aber auch ein Geschäft. Die Fans wollen Titelkämpfe sehen, die Verbände nutzen es aus. Auch Urteile, die nicht der Leistung entsprechen, wird es immer geben. Wenn bei den Amateuren drei der fünf Kampfrichter aus Ländern kommen, die zusammenhalten, dann hat man bei knappen Kämpfen einfach keine Chance. Ottke wurde damals so übers Ohr gehauen, vielleicht sogar um den Olympia-Sieg gebracht, das war der absolute Wahnsinn. Dennoch ist Boxen nach Fußball das Interessanteste.

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Alle Weltmeister der großen Verbände auf einen Blick