"Der Druck macht mich kaputt"

Für Ulli Wegner zählt nur der Erfolg seiner Boxer
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Bei einigen Boxern scheint es vor allem die Aussicht auf Reichtum schwer zu machen, sich selbst treu zu bleiben. Marco Huck scheint der ideale Beleg.

Wegner: Als Huck zu mir kam, konnte er nichts - aber er hatte ein unheimliches Talent und auch die Athletik hat durch seine Erfahrung als Kickboxer gestimmt. Für mich ist Kickboxen keine Sportart. Eine boxerische Grundausbildung hat man vergebens gesucht. Die habe ich ihm dann beigebracht und es ging nach oben.

SPOX: Dann kam die erste Niederlage...

Wegner: Da war der Schuldige in meiner Person schnell gefunden. Ein neuer Trainer sollte her. Nach sechs Wochen stand er dann wieder vor meiner Tür. Damals habe ich ein Mal in meinem Leben einen Kompromiss gemacht und wieder mit ihm gearbeitet.

SPOX: Liegen die Probleme Hucks außerhalb des Boxrings?

Wegner: Es haben sich so viele Schulterklopfer und Dummschwätzer um ihn herum versammelt, die von ihm profitieren wollen und rein gar nichts darstellen. Ihm fehlt der Überblick. Der Junge hat ein gutes Herz. Um das Geschäft jedoch richtig einschätzen zu können, fehlt ihm vom Kopf her absolut die Reife.

SPOX: Woran liegt das?

Wegner: Ein Mensch wird in seiner Pubertät geformt. Ich bin gut durchgekommen, weil ich so unheimlich gut aussah. (lacht) Nein, im Ernst: Mit 15 wusste ich, dass ich etwas tun muss. Viel verdanke ich auch dem Druck meines Vaters. Das hat mich persönlich geformt. Bei Huck war alles nicht so einfach. Er hat zwei Lehren abgebrochen. Davon hat der Vater nichts mitbekommen, weil er arbeiten musste, um die Familie über die Runden zu bringen. Dann kam er nach Köln zu mir und wollte Boxer werden. So jemand hätte kein Trainer genommen, Arthur übrigens auch nicht. Ich habe aber einen Blick für veranlagte Jungs. Dann wurde er Weltmeister und ich habe ihm vor Augen geführt, was er doch für ein gutes Leben hat.

SPOX: Offensichtlich sollte es ein noch besseres werden.

Wegner: Der Blick für die Realität geht verloren. Da sind nur noch die Millionen im Kopf, die letztlich gar nicht realistisch sind. Huck hat sich verrannt. Ich konnte ihn wirklich gut leiden, sonst hätte ich ihn nicht nochmals aufgenommen. Wenn man mit ihm alleine arbeitet, dann ist er ein fantastischer Junge. Er ist jemand, der geführt werden muss. Und zwar von Trainern, die die entsprechende Qualität haben, die nicht nur eine linke Gerade zeigen können, sondern auch das Innenleben ihrer Boxer erforschen. Natürlich nimmt man Lob immer gerne mit. Allerdings muss man die Worte richtig einordnen können. Wissen Sie was, in Wirklichkeit tut er mir leid.

SPOX: Er hat also vor allem Pech mit seinem Umfeld?

Wegner: Großes Pech sogar. Wie kann man nur seinen Bruder als Geschäftsführer einsetzen? Da kann ich nur lachen. Ich will bei Huck nicht für Unsicherheit sorgen, das alles sorgt bei mir für Kopfschütteln. Im Ring hat er gegen starke Gegner teils überragend geboxt, gegen schwächere auch mal stümperhaft, da er sie unterschätzt hat. Das ist die Kunst. Man muss dafür sorgen, dass er auf dem Boden bleibt. Jetzt hat er Leute um sich, die ihm Honig ums Maul schmieren und aus ihm ein Geschäft machen.

SPOX: Ist das für Sie nicht ein Schlag ins Gesicht?

Wegner: Natürlich hängt mein Herz daran. Wahrscheinlich hätte mich das alles vor ein paar Jahren seelisch mehr mitgenommen. Ich bin inzwischen aber über 40 Jahre Trainer und habe eine große Lebenserfahrung angehäuft, deshalb kann ich so etwas auch richtig einschätzen. Natürlich tut es mir leid für einen Anfänger, den man so erfolgreich ausgebildet hat. Und natürlich hinterlässt es Spuren. Aber ich komme heute gut darüber hinweg.

SPOX: Ist der US-Amerikaner Don House die richtige Person in Hucks Ecke?

Wegner: Es ist auf jeden Fall gewagt. Ich kann die Qualität von House nicht einschätzen und das steht mir von außen auch gar nicht zu. Aber oft reicht die Ausbildung in den USA nicht ansatzweise an die hiesige heran. Manfred Wolke oder der leider zu früh verstorbene Sdunek sind andere Kaliber. Das waren Könner. Wir waren bei Olympische Spielen, mussten uns durch unzählige Welt- und Europameisterschaften im Amateur- und Profibereich durchbeißen. So etwas ist von unschätzbarem Wert.

SPOX: Bleiben wir in den USA. Erst kürzlich waren Sie beim Kampf zwischen Floyd Mayweather jr. und Manny Pacquiao als Experte in Las Vegas. Der Hype um den "Jahrhundertkampf" war enorm.

Wegner: Es war ein perfektes Beispiel für die Geschäftsbegabung der Amerikaner, die das Duell soweit herausgezögert haben, bis es immer teurer wurde. Der Kampf wurde außerdem von den Journalisten hoch geschrieben. Und das, obwohl für alle ersichtlich war, dass Mayweather Rocky Marcianos Rekord erreichen soll. Deshalb war eigentlich klar, wer gewinnen muss.

SPOX: Für Sie war das Urteil eine Fehlentscheidung.

Wegner: Ich bin der Meinung, dass Pacquiao den Kampf gewonnen hat. Mayweather hat nichts gemacht, hat nur auf Sicherheit geboxt. Es war ein sehr knappes Urteil, auch ein Unentschieden wäre vertretbar gewesen. Die Wertung der Punktrichter kann man vergessen. Wirklich aufgeregt hat sich dennoch niemand, schließlich haben alle genug verdient.

SPOX: War es ein Jahrhundertkampf?

Wegner: Ein Jahrhundertkampf war das Duell zwischen Joe Frazier und Muhammad Ali oder der Kampf von Marvin Hagler gegen Sugar Ray Leonard. Das waren Jahrhundertkämpfe! Da muss man fair sein. Dennoch haben die Journalisten und Manager etwas Großes geschaffen. Allein beim Wiegen waren 12.000 Menschen. Amerikanern gelingt es einfach aus einem Furz einen Elefanten zu machen. Das reizt die Menschen.

SPOX: Pacquiao ging mit einer schweren Schulterverletzung in den Kampf. Lassen wir etwaige Verträge und die absurde finanzielle Problematik einer Verschiebung außen vor: Hätten Sie einen Ihrer Schützlinge mit einem solchen Handicap überhaupt in den Ring gelassen?

Wegner: Die Frage kann ich nicht beantworten. Natürlich ist es, sofern der Grad der Verletzung bereits bekannt war, schwer zu verantworten. Man muss aber vorsichtig sein. Pacquiao hat gekämpft, die Verletzung ist mir nicht unbedingt ins Auge gestochen und das Finanzielle hat auch gestimmt. Sicherlich hat die letzte Konsequenz bei ihm gefehlt, dennoch hat er den Kampf bestimmt. Es ist doch so: Wenn der Sportler unbedingt will und die Chance auf so viel Geld hat, was hat man als Trainer dann noch für eine Wahl?

SPOX: Generell sind Blessuren im Vorfeld oder während eines Kampfes keine Seltenheit. Wann wirft man als Trainer das Handtuch?

Wegner: Man muss eine klare Grenze ziehen. Es war schließlich keine lebensgefährliche Situation. Bei einer Verletzung im Bereich des Kopfes wird es schwieriger. Ich stand selbst in der Kritik, nachdem ich Arthur bei seinem Kieferbruch im Kampf gegen Edison Miranda nicht rausgenommen hatte. Da war der Aufschrei auch groß, sogar Strafanzeigen gab es. Im Nachhinein wurde bestätigt, dass es sich nie um eine Gefahr für Arthurs Leben handelte.

SPOX: Gilt das Motto: "Was einen nicht umbringt,..."

Wegner: In erster Linie musste ich als Trainer die Kraft haben, Arthur weiter anzutreiben. Auch der Ringrichter hat den Kampf nicht abgebrochen. Der Ringarzt selbst darf ja nur eine Empfehlung abgeben. Durch diesen Abend ist Arthur zu dem Kämpfer geworden, der er heute ist. Hätte ich abgebrochen, würde die Situation immer wieder in seinem Kopf hochkommen, auch wenn der Kiefer längst verheilt ist. Ein Sportler, der solche Schwierigkeiten überwinden kann, ist ein wahrer Weltmeister.

SPOX: Wann werden die Schwierigkeiten dennoch zu groß?

Wegner: Wenn beispielsweise die Augen betroffen sind. Das Augenlicht ist unvorstellbar wertvoll im Leben, da gibt es keine Alternative. Arthurs zweiter Kampf gegen Stieglitz war doch das beste Beispiel. Ich bin mir sicher, dass er gerade im zweiten Teil das Duell für sich entschieden hätte, allerdings war die Gefahr zu groß. Deshalb habe ich ihn damals rausgenommen.

SPOX: Trotz unvorstellbaren Summen erlebt der Boxsport nicht seine beste Zeit. Zu viele Verbände und unzählige Titel verwässern den Wettbewerb, finanzielle Interessen sowie fragwürdige Urteile erledigen den Rest. Ist das noch der Sport, den Sie lieben?

Wegner: Ich habe in all den Jahren, in denen ich gereist bin und so einiges erlebt habe, oft den Kopf geschüttelt. Allein bei den Olympischen Spielen kamen teils Urteile zustande, die sich niemand mit normalem Menschenverstand erklären konnte. Auch bei Weltmeisterschaften im Amateurbereich ist es teilweise erschreckend, wie gewertet wird.

SPOX: Droht der Reiz deshalb verloren zu gehen?

Wegner: Der Boxsport ist unheimlich reizvoll, aber auch ein Geschäft. Die Fans wollen Titelkämpfe sehen, die Verbände nutzen es aus. Auch Urteile, die nicht der Leistung entsprechen, wird es immer geben. Wenn bei den Amateuren drei der fünf Kampfrichter aus Ländern kommen, die zusammenhalten, dann hat man bei knappen Kämpfen einfach keine Chance. Ottke wurde damals so übers Ohr gehauen, vielleicht sogar um den Olympia-Sieg gebracht, das war der absolute Wahnsinn. Dennoch ist Boxen nach Fußball das Interessanteste.

Seite 1: Wegner über Abrahams Dickkopf, Sturms Scheitern und Verblendung

Seite 2: Wegner über Hucks Irrweg, Mayweather und die Probleme des Boxens

Alle Weltmeister der großen Verbände auf einen Blick

Artikel und Videos zum Thema