"Die Weltspitze ist realistisch"

Felix Götz
29. April 201512:32
Pat Cortina ist seit 2012 deutscher Nationalcoachimago
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Am Samstag beginnt für Deutschland die WM in Tschechien mit der Partie gegen Frankreich (16.15 Uhr im LIVE-TICKER). Im Interview mit SPOX gibt sich Pat Cortina trotz der komplizierten Vorbereitung optimistisch. Der Bundestrainer spricht über die stolzen Deutschen in der NHL, eine Reise durch Nordamerika, die Hoffnung auf den Einzug ins Viertelfinale und seine ungewisse Zukunft.

SPOX: Herr Cortina, die WM beginnt in wenigen Tagen, und noch immer wissen Sie nicht sicher, wie Ihr Team aussehen wird. Die DEL-Finals gingen erst kürzlich zu Ende, die Jungs aus Nordamerika kamen später dazu oder sind noch nicht da. Ist es unter diesen Voraussetzungen überhaupt möglich, sich vernünftig vorzubereiten?

Pat Cortina: Natürlich ist es nicht leicht, wenn du dein Team so lange nicht beisammen hast. Aber es bringt nichts, sich darüber zu beklagen. Du musst dich trotzdem Tag für Tag auf deine Aufgabe konzentrieren, im Hier und Jetzt leben. Um zumindest die Spieler, die von Beginn an dabei waren und mit zur WM fahren, in Topform zu bringen. Gelingt es, einen guten Kern zu erschaffen, wird es umso leichter, die Spieler, die später dazu stoßen, zu integrieren.

SPOX: Bitter wird es für die Akteure, die in der Vorbereitung dabei waren, die WM aber dennoch vor dem Fernseher verfolgen müssen.

Cortina: Stimmt. Deshalb muss ich mich bei allen Spielern bedanken, die die ganze Zeit dabei waren und die anderen Jungs, die zur WM fahren, auf ihrem Weg dahin unterstützt haben.

SPOX: Zwei, die noch einmal hätten Schwung in den Kader bringen können, sind Dennis Seidenberg und Marcel Goc. Jetzt haben beide aber endgültig abgesagt.

Cortina: Es tut mir leid, dass sie absagen mussten. Wir hätten sie natürlich gerne dabei gehabt. Im Telefonat mit Dennis habe ich deutlich gespürt, dass er selbst auch wollte, sein Herz wollte es. Deshalb ist es wirklich schade.

Dennis Seidenberg im SPOX-Interview

SPOX: Auch Leon Draisaitl wird nicht dabei sein. Für die Zukunft wird er aber ein ganz wichtiger Spieler für das Nationalteam sein. Die Erwartungen sind riesengroß, kann er das Aushängeschild des deutschen Eishockeys werden?

Cortina: Leon hat definitiv die nötigen Fähigkeiten und die Persönlichkeit, um ein sehr guter NHL-Spieler zu werden. Seine erste Saison verlief nicht ganz glatt. Das lag sicherlich aber auch an der insgesamt schwierigen Situation bei den Edmonton Oilers. Es lag möglicherweise nicht an ihm selbst. Er wird jedenfalls seinen Weg machen, davon bin ich überzeugt.

Leon Draisaitl im SPOX-Interview

SPOX: Mit Tobias Rieder hat einer der NHL-Spieler definitiv zugesagt. Wie wichtig ist er für Sie?

Cortina: Tobias hat in Arizona eine sehr gute Saison gespielt. Er spielte in einem Team eine gute Rolle, für das es nicht optimal lief. Er ist ein hervorragender Skater und wird uns sicher vor allem in der Offensive eine große Hilfe sein.

SPOX: Rieder ist dabei, Draisaitl, Goc und Seidenberg nicht. Dabei haben Sie vor einiger Zeit extra eine Reise nach Nordamerika unternommen.

Cortina: Es ging darum, Hallo zu sagen und zu fragen, wie es ihnen geht. Ich wollte von den Spielern persönlich erfahren, welche Rolle sie in ihren Teams spielen.

SPOX: Es ging doch sicher vor allem um eine mögliche WM-Teilnahme, oder?

Cortina: Während der Saison darüber zu sprechen, macht wenig Sinn. Kaum jemand wusste zu diesem Zeitpunkt, wie lange seine Saison dauern würde. Deshalb musste mir auch keiner irgendetwas versprechen oder so. Ich weiß aber, dass die Deutschen, die in Nordamerika spielen, stolze Deutsche sind. Sie verfolgen das deutsche Eishockey und wollen helfen. Ich bin mir sicher: Wenn die Spieler kommen können, dann kommen sie auch.

SPOX: Was bringen die Jungs aus der NHL mit, was Spielern in der DEL vielleicht fehlt?

Cortina: Die Spieler in der NHL sind es gewohnt, sich mehr oder weniger Tag für Tag auf höchstem Niveau zu beweisen. Daraus resultiert automatisch ein Vorteil, wenn man zu einer Weltmeisterschaft fährt. Die NHL-Spieler agieren einfach weiterhin auf einem ähnlich hohen Level, die DEL-Spieler müssen plötzlich auf einem Niveau spielen, das eine oder zwei Stufen besser ist.

SPOX: Eine andere Personalie ist geklärt. Geoff Ward wird Sie neben Jeff Tomlinson in Tschechien als Assistent unterstützen. Was erwarten Sie vom Meistertrainer der Adler?

Cotina: Zunächst einmal gratuliere ich Geoff und seinem Trainerteam, der Mannschaft sowie den Verantwortlichen der Adler Mannheim zur deutschen Meisterschaft. Von Geoff erwarte ich kompetente Unterstützung, und die werde ich ohne Zweifel bekommen. Wir freuen uns sehr, einen so erfahrenen Mann und Experten wie Geoff in unserem Team begrüßen zu dürfen.

SPOX: Lassen Sie uns über die Vorbereitungsspiele sprechen, die sehr unterschiedlich verliefen. Welche Schlüsse konnten Sie aus den Partien ziehen?

Cortina: In den beiden Spielen gegen Frankreich hat mir gefallen, dass wir konstant unseren Spielplan durchgehalten haben. Gegen Russland und Finnland war das nicht so einfach. Dort mussten wir anerkennen, dass diese Mannschaften auf einem anderen Niveau spielen. Zumindest nach dem damaligen Stand, da wir erst ein paar Tage trainieren konnten. Trotzdem haben wir unter dem Strich ordentliches Eishockey gespielt. Auch im zweiten Spiel gegen Dänemark haben wir sehr gut gekämpft und uns für den Aufwand belohnt. Insgesamt gab es nicht so viele Sachen, die mir gar nicht gefallen haben.

DEB-Team schlägt Dänemark

SPOX: Aber es gab welche?

Cortina: Zugegeben: Teilweise waren wir nicht diszipliniert genug. Und auf so einem Level bezahlst du dafür, wenn du das nicht machst. Manchmal spielen wir auch mit zu viel Herz.

SPOX: Was meinen Sie genau?

Cortina: Wir müssen es schaffen, emotional zu spielen, dabei aber die Kontrolle zu behalten und nicht zu überdrehen.

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SPOX: Kanada, Schweden, Schweiz, Frankreich, Lettland, Tschechien und Österreich heißen die Gegner in der Vorrunde. Wie bewerten Sie die deutsche Gruppe?

Cortina: Das ist eine schwierige Gruppe, das kann niemand abstreiten. Und in der musst du sieben Spiele in zehn Tagen absolvieren. Auch wenn es nach einer Phrase klingt: Uns bleibt nichts anders übrig, als von Spiel zu Spiel zu denken.

DEB-Team fiebert Duell mit Crosby entgegen

SPOX: Gegen wen rechnen Sie sich am ehesten Siegchancen aus?

Cortina: Nein, nein. So dürfen wir einfach nicht denken. Wir sollten nicht spekulieren, dass dieser Gegner schwächer und jene Mannschaft stärker sein könnte. Wir müssen uns auf uns konzentrieren und nicht so sehr auf die Gegner. Wenn wir unsere beste Leistung bringen, dann können wir mit jedem Gegner mithalten. Wir sind gut genug, jeden zu schlagen. Zeigen wir aber nicht unsere Leistung, können wir auch gegen jeden verlieren. Es ist alles möglich.

SPOX: Also halten Sie auch den Einzug ins Viertelfinale für realistisch?

Cortina: Alles ist möglich schließt das Erreichen des Viertelfinales mit ein (lacht).

SPOX: Ich wage zu bezweifeln, dass es so viele Experten gibt, die das tatsächlich für realistisch halten.

Cortina: Dann müssen wir diese Experten eben davon überzeugen. Ich bin jedenfalls optimistisch.

SPOX: Tschechien ist ein sehr Eishockey-verrücktes Land. Welche Stimmung erwarten Sie?

Cortina: Tschechien hat eine großartige Eishockey-Tradition, da haben Sie Recht. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Atmosphäre toll sein wird. Es ist für uns eine großartige Bühne, um uns zu präsentieren. Ich freue mich wirklich sehr auf das Turnier.

SPOX: Und wer wird am Ende Weltmeister? SPOX

Cortina: Die Topfavoriten sind die üblichen Verdächtigen. Schweden, Russland und Kanada werden sehr stark sein. Auch Tschechien mit dem Heimvorteil im Rücken muss man auf der Rechnung haben. Und vielleicht auch einen Außenseiter wie Deutschland.

SPOX: Zumindest in Zukunft soll das möglich sein, wenn man Präsident Franz Reindl glaubt. Seine Vision ist es, das DEB-Team dauerhaft in der Weltspitze zu etablieren. Sie konnten sich in den vergangenen Jahren ein Bild machen. Ist das wirklich realistisch?

Cortina: Zunächst einmal sind die Beschlüsse aus Frankfurt mit der neuen DEB-Satzung elementar wichtig gewesen. Das war ein großer Schritt in die richtige Richtung. Auch deshalb muss ich sagen: Ja, die Weltspitze ist realistisch. Ich bin mir sicher: Können Franz Reindl und sein Team ihre Ideen durchsetzen, wird das deutsche Eishockey einen großen Schritt nach vorne machen.

SPOX: Ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft eine deutlich bessere Jugendarbeit?

Cortina: Das ist zu 100 Prozent das Wichtigste für die Zukunft. Wir müssen darin mehr investieren, brauchen bessere Trainingsmöglichkeiten. Darauf muss der Fokus liegen, ganz klar.

SPOX: Und die Finanzen müssen in den Griff bekommen werden. Wussten Sie eigentlich zu Beginn ihrer Amtszeit von den Geldsorgen und wäre Ihre Entscheidung, ob sie Bundestrainer werden oder nicht, dann vielleicht anders ausgefallen?

Cortina: Nein, ich wusste nicht, wie schlecht die finanzielle Situation ist. Hätte ich es gewusst, hätte ich mich sehr wahrscheinlich aber ebenfalls dafür entschieden, das zu machen. Für mich ist es nämlich nach wie vor eine riesige Ehre, Bundestrainer sein zu dürfen.

SPOX: Dabei mussten Sie sich nach der verpassten Olympia-Qualifikation und der letzten WM einige Kritik gefallen lassen?

Cortina: Kritisiert zu werden, ist Teil des Jobs des Bundestrainers. Das ist normal und damit habe ich kein Problem. Ich mache mir darüber keine Gedanken und verschwende dafür keine Energie.

SPOX: Das Gerücht, dass Sie nach der WM in jedem Fall nicht mehr Bundestrainer sein werden, hält sich trotzdem hartnäckig.

Cortina: Sie werden verstehen, dass ich mich zu 100 Prozent mit der WM beschäftige und mit nichts anderem. Nach der WM sieht man weiter.

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