Vor dem Saisonstart der Formel 1 in Melbourne sind die V6-Turbo-Motoren weiter im Fokus. Dabei bestehen die komplizierten Powerunits, die vor allem Renault noch Probleme machen, aus wesentlich mehr Teilen. SPOX gibt einen Überblick über die neuen Antriebseinheiten der F1, erklärt ihre Funktionsweise und präsentiert die übrigen Reglementänderungen zur Saison 2014.
Die Einzelteile der neuen Powerunits:
Motor: Vom V8 mit 2,4 Liter Hubraum und 750 PS fährt die Formel 1 zumindest beim Verbrennungsmotor eine Stufe zurück. Zwar ist eine Drehzahl von 15.000 Umdrehungen pro Minute zugelassen, trotzdem entsteht aus sechs Zylindern durch die sogenannten Internal Combustion Engine (ICE) künftig eine geringere Nennleistung. Wie viele Pferdestärken die Motoren genau haben, darum rankten sich lange Gerüchte. Die Hersteller hüllten sich in Schweigen, bis sich Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda bei "Servus TV" verplapperte: "Der Benzin-Motor hat ungefähr 580 PS. Dann kommt elektrisch." Damit überraschte der Österreicher selbst seinen Landsmann von Red Bulls. "Interessante Daten", sagte Motorsportberater Helmut Marko: "Ich wäre froh, wenn ich 180 PS hätte."
Turbo: Das Benzin wird im neuen Motor mit bis zu 500 bar direkt eingespritzt, die Abgase werden genutzt, um ihn zu beatmen. Die Turbine des Turboladers rotiert mit bis zu 125.000 Umdrehungen pro Minute. Dadurch wird die angesaugte frische Luft verdichtet, dem Motor kann mehr Luft zur Verbrennung zugeführt werden, was die Leistung wiederum steigert.
MGU-H: KERS ist tot - es lebe ERS. Die Energierückgewinnung ist nunmehr zweigeteilt. Direkt hinter dem Turbolader sitzt die bedeutendste neue Technik. Die Welle des Turboladers treibt einen Dynamo an, der die Energie der Abgase in elektrische Energie umwandelt: Die Motor Generator Unit - Heat. Allerdings dient MGU-H auch dazu, ein Turboloch zu verhindern. Im unteren Drehzahlbereich fungiert das Bauteil als Elektromotor, der den Turbolader antreibt. Somit kann auch im unteren Drehzahlbereich mehr Luft verdichtet und die Leistung gesteigert werden.
MGU-K: Auch das bekannte KERS bleibt Teil der Formel 1. Die beim Bremsen entstehende Reibungswärme wird auch 2014 umgewandelt und beim Beschleunigen an der Kurbelwelle abgegeben. Allerdings übernimmt das System künftig auch die Abgabe des Stroms, der vom MGU-H produziert wird. Insgesamt kommen so 120 kW (160 PS) statt der bisherigen 60 kW (82 PS) zusammen.
Energiespeicher: Da die zurückgewonnene Energie nicht immer dann gebraucht wird, wenn sie produziert wird, muss sie gespeichert werden. Diese Aufgabe übernimmt der Energiespeicher. Die Batterien sind dabei einer riesigen Belastung ausgesetzt. Dauerhaft wird Energie abgegeben und wieder aufgenommen. Insgesamt können zwei Megajoule pro Runde aus dem MGU-K gewonnen werden, die Menge aus MGU-H ist unbegrenzt. Abgegeben werden an der Hinterachse unterdessen vier Megajoule - zehnmal so viel wie bisher. Zudem steht die Zusatzenergie statt 6,7 nun 30 Sekunden zur Verfügung und wird nicht mehr per Knopfdruck vom Fahrer abgerufen. Die Formel 1 hat ein echtes Hybridsystem.
Steuerelektronik: Allein die Beschreibung der Technik ist kompliziert, die praktische Umsetzung erfordert Ingenieurskunst pur. Tritt der Fahrer aufs Gas, entscheidet die Elektronik, ob der Verbrennungsmotor allein so viel Leistung generieren kann. Ist das nicht der Fall, bestimmt sie, welches ERS-Bauteil die nötige Zusatzenergie liefert.Direkter Elektroboost? Zusätzlicher Ladedruck? Beides gleichzeitig? Genau darum kümmert sich die Elektronik.
Wie funktionieren die Powerunits genau?
Bremsen: Das MGU-H und der Turbo haben dagegen keine Bewandtnis. Die Funktionsweise bei der Verzögerung ist altbekannt. Das MGU-K wandelt die kinetische Energie der Hinterräder um und lädt damit die Batterie wieder auf. Weil durch die gesteigerte Leistungsfähigkeit die Belastung der Bremsscheiben ab 2014 sinkt, dürfen die Hinterradbremsen nun elektronisch kontrolliert werden. Das sogenannte Break-by-Wire-System sorgt für eine fahrbare Bremsbalance, erfordert allerdings wieder das Können der Ingenieure.
BLOG Gentlemen, start your engines!
Vollgas: Der Fahrer tritt das Pedal durch, der Motor arbeitet auf Hochtouren, an der Hinterachse wird Energie abgegeben. Trotzdem fließt kein Strom aus dem Speicher. Wie das geht? Das Geheimnis ist die Beschränkung der Drehzahl der Turbowelle. Weil sie auf 125.000 Umdrehungen pro Minute beschränkt ist, darf der Turbolader nicht das gesamte Potenzial zum Verdichten der Luft nutzen. In diesem Moment springt MGU-H an. Das System greift die Differenz ab und leitet sie ohne den Umweg über den Energiespeicher direkt zum MGU-K. Dort wird der Strom zum Antrieb der Achse genutzt.
Überholen: Vollgas heißt nicht maximale Energie. Will ein Fahrer seinen Konkurrenten überholen, kann er sich zusätzliche Power verschaffen. Das funktioniert so: Das MGU-H leitet wie unter Vollgas die überschüssige Energie an das MGU-K weiter. Das System an der Hinterachse bezieht aber zusätzlichen Strom aus dem Energiespeicher. Das ERS feuert also aus allen Rohren, die das Reglement zur Verfügung stellt und ermöglicht so eine deutlich höhere Endgeschwindigkeit. Dieser Modus wird auch im Qualifying genutzt.
Beschleunigen: Jetzt wird es richtig anspruchsvoll! Im unteren Drehzahlbereich droht ein Turboloch. Deshalb unterstützt die Batterie das MGU-H. Das Energierückgewinnungssystem gibt nun selbst Energie ab und bringt die Turbine auf Drehzahl, damit die Luft verdichtet und der Motor befeuert werden kann. MGU-K kommt nicht zum Einsatz, weil sonst die Räder definitiv durchdrehen würden. Das Ziel ist vielmehr, eine gleichmäßige Drehmomentkurve zu ermöglichen und das Turboloch zu verhindern. Sobald die Drehzahl des V6-Motors soweit steigt, dass die Abluft des Verbrennungsmotors zur Versorgung des Turboladers reicht, schaltet MGU-H um. Wenige Sekundenbruchteile später arbeitet es wieder für die Energierückgewinnung und leitet den Überschuss an die Batterien weiter.
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Seite 2: Aerodynamik, Warnlichter und Co. - mehr Technikänderungen
Seite 3: Die sportlichen Regeländerungen im Überblick
Weitere technische Neuerungen
Lenkrad: Selbst im Cockpit haben die neuen Powerunits deutlich sichtbare Auswirkungen. Neun Ziffern konnten die vorgeschriebenen Displays bis zum Ende der letzten Saison darstellen, jetzt wird es bunt und informationsgeladen. Auf dem neuen 4,3 Zoll großen Monitor können die Fahrer Informationen wie Geschwindigkeit, Gangzahl und Rundenzeit anzeigen lassen. Viel wichtiger: Der Ladestatus des Hybridsystems kann grafisch dargestellt werden, insgesamt stehen 100 Ansichten zur Verfügung. McLaren produziert das neue Display wie schon den Vorgänger für alle Teams. Die Rennställe mussten für den Informationsgewinn allerdings die Layouts drastisch verändern.
Warnleuchten: Die gesteigerte Energiemenge in den Batterien ist extrem gefährlich. Die Fahrer wurden dazu angehalten, sich mit einem kräftigen Sprung aus ihren Autos zu entfernen, wenn der Renner stehen geblieben ist. Max Chilton bewies in Bahrain mit einem mannshohen Sprung, dass er auch als Skispringer geeignet wäre. Doch wer kümmert sich um Streckenposten und Mechaniker? Die FIA! An der Airbox befinden sich jetzt Warnleuchten, die die Sicherheit des Autos anzeigen. Grün heißt: "Alles O.k." Bei roten Lampen muss sich das Personal in Acht nehmen: Speziell isolierte Handschuhe sind Pflicht. Allerdings muss derjenige vorher auch hingeguckt haben.
Durchflussmesser: Downsizing und weniger Zylinder, eine geringere Anzahl beweglicher Teile im Motor - die F1 nähert sich stärker der Serienproduktion an. Da das größte Thema auf der Straße der Benzinverbrauch ist, hat die FIA den Kraftstoffdurchfluss begrenzt. Statt unbegrenzt Kraftstoff verfeuern zu können, darf jedes Auto nur noch 100 Liter pro Rennen verbrauchen - rund 30 Prozent weniger als die Teams bisher einsetzten. Damit es im Qualifying keine Exzesse gibt, hat der Weltverband auch die Durchflussmenge pro Stunde auf 100 Kilogramm begrenzt. Extreme Änderungen gibt es dadurch aber nicht. Es wird zwar noch mehr Wert auf Effizienz gelegt, die Teams mussten aber schon immer den Verbrauch im Rennen möglichst gering halten. Sonst wären die Autos am Start viel zu schwer und damit langsam gewesen.
BLOG Satire-Rückblick auf 2014: Grün hinter den Motoren
Gewicht: Jedes Fahrzeug muss inklusive Fahrer mindestens 691 Kilogramm schwer sein. Bisher waren es 642 Kilogramm. Die Anhebung war nötig, weil von vornherein feststand, dass die neuen Powerunits schwerer sind als die alten V8-Motoren. Allerdings brachten die neuen Aggregate nochmal mehr auf die Waage als zunächst angenommen. Größere Fahrer wie Nico Hülkenberg sind im Nachteil. Auch Nico Rosberg und Caterham-Rookie Marcus Ericsson berichteten, dass sie im Winter extrem auf ihr Gewicht achten mussten.
Getriebe: Um Kosten zu sparen wurden nicht nur einige Einheitsbauteile vorgeschrieben, auch die Getriebekonstruktion wurde vereinfacht. Ab der Saison 2014 gibt es eine Getriebeübersetzung für die gesamte Saison. Damit die Autos trotzdem auf allen Kursen fahrbar sind, wurde die Zahl der Gänge um einen auf acht erhöht. Während der letzte in Monaco nicht gebraucht wird, kommt er in Monza mehrmals pro Runde zum Einsatz. Die Teams haben zudem einmal im ganzen Jahr die Möglichkeit, die Übersetzung zu ändern.
Aerodynamik: Die Luft- und Raumfahrtexperten fluchen, die klassischen Autobauer freut's. Das Wettrüsten am Auspuff hat ein Ende. Coanda, Semicoanda und Co. gehören der Vergangenheit an, weil ein zentrales Auspuffrohr vorgeschrieben ist. Für die Teams bedeutet die Änderung, dass sie am Diffusor viel Abtrieb verlieren, zumal auch der untere Heckflügel (Beam-Wing) seit dieser Saison verboten ist. Auch im vorderen Teil des Autos gibt es Änderungen: Der Frontflügel ist um 15 Zentimeter auf 1,65 Meter Breite geschrumpft, die Nasenspitzen mussten auf 18,5 Zentimeter abgesenkt werden. Das sollte dem Unfallschutz dienen, weil die Gefahr sinkt, dass das hintere Auto aufsteigt. Allerdings tricksten die Designer so extrem, dass sich der vordere Teil der Nasen fast von selbst zusammenfaltet. Schon 2015 wird es wohl die nächste Regeländerung geben.
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Sportliche Regeländerungen der Saison 2014
Doppelte Punkte in Abu-Dhabi: Es war das Aufregerthema der Winterpause und hat nach wie vor Bestand. Erstmals in der Geschichte der Formel 1 ist ein Rennen mehr wert als die anderen. Beim Saisonfinale in Abu Dhabi bekommen die ersten zehn Piloten die doppelte Punktzahl. Der Sieger bekommt also 50 Punkte, der Zweitplatzierte 36 und so weiter. Das Rennen um die Weltmeisterschaft soll so spannend gehalten werden. Der Vorschlag von Bernie Ecclestone, den Modus auf die letzten drei Läufe auszuweiten, fand unter den Teams keine Zustimmung.
GP-Rechner: Wer wird 2014 Weltmeister? Jetzt die ganze Saison durchtippen!
Startnummern: Im US-Motorsport ist es üblich: Fahrer, die während ihrer gesamten Karriere an ihrer Startnummer festhalten. Die Formel 1 zieht nach. Jeder Pilot konnte sich eine Zahl aussuchen, die ihm für den Rest seiner Karriere gehört. Sebastian Vettel wählte zwar zunächst die 5, hat sich aber dazu entschlossen, die weltmeisterliche 1 zu fahren.
Strafen für Technik: Fünf Powerunits darf ein Team pro Auto in einer Saison maximal verwenden. Die sechs Einzelkomponenten jedes Systems dürfen in beliebig vielen Kombinationen miteinander getauscht werden. Setzt ein Team allerdings eine sechste Einheit ein, muss der Fahrer aus der Box starten. Sofern nur eine Komponente getauscht wurde, erfolgt eine Strafversetzung um zehn Plätze. Jede weitere sechste Komponente kostet nur noch fünf Startplätze. Sobald ein Team allerdings ein siebtes Bauteil braucht, greift wieder die Versetzung um zehn Plätze. Die Getriebe müssen künftig fünf Rennen halten. Danach darf das Bauteil ausgetauscht werden, sofern ein Defekt nachgewiesen wird. Ist ein früherer Wechsel nötig, muss der Fahrer im nächsten Rennen fünf Plätze nach hinten. Ach ja: Die Strafen können kombiniert werden und auf zwei Rennen aufgeteilt werden, sofern der Pilot zu weit hinten steht, um alle Sanktionen abzuleisten.
Strafpunktesystem: Flensburg goes F1! Regelwidriges Verhalten der Piloten wird künftig stärker bestraft. Je nach Schwere des Vergehens bekommt der Pilot bis zu fünf Punkte, die er für ein ganzes Kalenderjahr behält. Hat der Fahrer zwölf Punkte angesammelt, wird er für ein Rennen gesperrt. Anschließend verfallen die Punkte.
spoxVerlassen der Strecke: Kürzt ein Pilot ab oder benutzt er die Auslaufzone am Kurvenausgang, kann die Rennleitung ihn neuerdings direkt anweisen, seinen Vorteil zurückzugeben. Allerdings ist bei schweren Vergehen auch eine Durchfahrtsstrafe möglich.
Unsafe Release: Schickt das Team eines seiner Autos 2014 zu früh nach dem Boxenstopp los, drohen ernsthafte Konsequenzen. Eine Strafversetzung um zehn Plätze beim nächsten Rennen und eine Durchfahrtsstrafe im laufenden sind die Folge.
Zusätzliche Strafe: Bei kleinen Vergehen im Rennen können die Stewards künftig eine Fünf-Sekunden-Strafe aussprechen, die im Rahmen eines Boxenstopps abgesessen wird, bevor die Mechaniker am Auto arbeiten.
Parkverbot: In der Auslaufrunde nach dem Rennen anzuhalten, ist künftig strengstens untersagt. Nur noch bei höherer Gewalt darf der Fahrer das Auto abstellen. Der Trick, die erforderliche Benzinmenge für die FIA-Kontrolle durch das verfrühte Parken zu sparen, ist also nicht mehr möglich. Lediglich für einen Fahrer ist ein kurzer Stopp erlaubt. Der Sieger des Rennens darf - sofern alles sicher ist und sein Auto dabei regelkonform bleibt - einen "Act of Celebration" durchführen. Donuts sind also zumindest für den GP-Sieger erlaubt.
Freies Training am Freitag: Im 1. Training bekommt jeder Pilot für die ersten 30 Minuten einen zusätzlichen Reifensatz. So soll das Fahraufkommen deutlich gesteigert werden. Zudem können die Teams nun am ersten Tag des GP-Wochenendes vier statt drei Piloten einsetzen und damit ihren Testfahrern mehr Chancen ermöglichen.
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Der Formel-1-Kalender 2014 im Überblick