Mit Luca Cordero di Montezemolo verabschiedet sich das Gesicht von Ferrari von der großen Bühne. Nach 23 Jahren an der Spitze des Aushängeschilds der Formel 1 muss der Jurist Platz machen. Er ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Selbst sein Teamchef Marco Mattiacci stellte sich gegen ihn und bekam mit seiner Forderung Recht: "Wir brauchen einen kulturellen Wandel."
Die Worte, die der Graf bei seiner Rücktrittsankündigung sprach, waren bewusst gewählt. "Ich habe meine Pflicht getan, eine Ära ist zu Ende. Eine Umstrukturierungsphase ist im vollen Gange, um die Organisation und das Team zu erneuern. Das ist der richtige Moment, um das Unternehmen zu verlassen", sagte Montezemolo am Mittwoch. Offiziell mag es ein Rücktritt sein, den er vollzieht. Inoffiziell ist klar, dass er nicht mehr zur Konzernphilosophie passt.
Ferrari wird ab Oktober an der New Yorker Börse gehandelt. Der Fiat-Chrysler-Konzern strebt nach Gewinnmaximierung. Das sündhaft teure Formel-1-Engagement wird wirtschaftlich beurteilt. Die anhaltenden Misserfolge in den vergangenen Jahren und die Chancenlosigkeit in der Saison 2014 waren für Konzernchef Sergio Marchionne zu viel.
Nur Titel rechtfertigen die Millionenbudgets, die die Scuderia Jahr für Jahr verschlingt. Selbst die Rekordentwicklung der Firma, die die Absatzzahlen ihrer Sportwagen von 1999 bis 2012 verdoppelte, ist nicht genug. Auch wenn sich das Unternehmen aus Maranello im aktuellen Geschäftsjahr auf dem Weg zum besten Ergebnis der Konzernhistorie befindet, ist für den Vater des Erfolgs kein Platz mehr.
Niederlagen sind nicht akzeptabel
Ferrari ist mehr als ein Sportwagenbauer, die Scuderia ist das glänzende Aushängeschild von Fiat-Chrysler. Schon 2013 wurden die Stückzahlen beschränkt, um die Exklusivität der Marke zu betonen. Doch der Lack ist matt geworden. "Es ist wichtig, dass Ferrari in der Formel 1 für Siege steht. Wir können keine andere Situation akzeptieren", so Marchionne.
2007 gewann das Team seinen letzten Fahrertitel mit Kimi Räikkönen, 2008 die letzte Konstrukteurs-WM - seitdem hat sich der Abstieg Jahr für Jahr fortgesetzt, die Scuderia ist im Mittelfeld angekommen, erfolgreiches Marketing ist das nicht.
Montezemolo war nicht mehr zeitgemäß
Montezemolo muss dafür die Verantwortung tragen. Er träumte von einer größeren Unabhängigkeit seiner Firma, wollte Ferrari am liebsten eigenständig an die Börse bringen, zumindest aber eine wichtige Rolle bei Chrysler-Fiat einnehmen. Für die Misserfolge schob er die Verantwortung ab.
Der eigene Windkanal spuckte falsche Daten aus, er forderte offene Testfahrten in der Königsklasse. Ferrari fuhr hinterher, Montezemolo kritisierte die Formel 1 - wie vor dem Bahrain-GP: Das neue Reglement sorge für Langeweile, was folgte war ein hochspannendes Rennen am nächsten Tag.
Den Konzernchefs passten die Äußerungen nicht. Der Zeitgeist schreibt Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung vor. Montezemolo wirkte wie ein Kutscher, der sich auch nach der Massenmobilisierung noch verbissen an seinen Gäulen festkrallt. Schon seit Monaten tobte hinter den Kulissen ein Kampf: Auf der einen Seite Montezemolo, der alteingesessene Adlige aus altem Piemonteser Geschlecht, auf der anderen Seite Sergio Marchionne, der Pullover-tragende und in Kanada groß gewordene Sohn einer Auswandererfamilie.
"Niemand ist unersetzlich", ließ der Fiat-Geschäftsführer seinem Pendant in Maranello nach dem enttäuschenden Heimspiel beim Italien-GP wissen. Nur drei Tage später war Montezemolo weg vom Fenster. Er war das letzte Teil, das austauschbar war, nachdem zuvor schon Scuderia-Teamchef Stefano Domenicali und Motorenchef Luca Marmorini ihren Hut nehmen mussten.
Marchionne geht wie Montezemolo vor
Für Montezemolo dürfte seine Quasi-Entlassung nicht überraschend gekommen sein. Sie gleicht seiner eigenen Vorgehensweise. Er machte sich nach seinem Abschied aus dem Organisationskommitee der Fußball-WM 1990 und seinem Debüt als Ferrari-Präsident persönlich für die Inthronisierung von Jean Todt stark, den er bei einer Rallye während seiner Studienzeit kennengelernt hatte.
Der frühere Beifahrer und heutige FIA-Präsident krempelte das verstaubte Team um und machte selbst vor den Heiligtümern der italienischen Kultur nicht halt.
Rotwein war plötzlich an den Rennwochenenden verboten, die spritfressenden V12-Ungeheuer wichen den effizienteren V10-Aggregaten. Als Montezemolo in Manier von Firmengründer Enzo Ferrari mit Michael Schumacher und Ross Brawn den besten Fahrer samt seinem genialen Ziehvater holte, war der Grundstein für den Erfolg gelegt.
An der Seite von Enzo und Niki
1999 folgte mit der Konstrukteurs-WM der erste Titel seit 1983, direkt im Anschluss folgten die fünf Doppelweltmeisterschaften. Dass dafür ein ganzes Team ausgetauscht wurde, Rennleiter und Ingenieure Platz machen müssen, erscheint im Rückblick nur eine Randnotiz.
Schon als Montezemolo erstmals in die Formel 1 kam, legte er ein makelloses Debüt hin. Gerade war Niki Lauda von Enzo Ferrari persönlich verpflichtet worden, jetzt sollte sein persönlicher Assistent die Leitung des Rennstalls übernehmen. Montezemolo machte es, war 1974 mit 26 Jahren jüngster Teamchef überhaupt und hatte Erfolg: Fünf WM-Titel folgten binnen der nächsten Jahre.
Weil die Scuderia zuvor zehn Jahre lang leer ausgegangen war und 1973 aufgrund der eigenen Chancenlosigkeit sogar die Rennen in den Niederlanden und in Deutschland ausgelassen hatte, war der 30-Jährige plötzlich eine lebende Legende.
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Privat wirkte sich das kaum aus. Auch wenn Montezemolo mit Maßanzügen, Luxusuhren und Einstecktüchern nach außen schillerte und aus einer Adelsfamilie mit Generälen und Kardinälen stammt, fuhr er privat in der Stadt einen Fiat 500, in den Bergen einen Fiat Panda 4x4. Das Gehabe der Neureichen, die sich einen Ferrari als Status-Symbol leisteten, war ihm zuwider. Er machte sich mit harter Arbeit einen Namen und kaufte sich erst 1990 einen eigenen Ferrari.
Das Modell 348 war wohl der Auslöser für seine Rückkehr nach Maranello. "Das war das schlechteste Produkt, das Ferrari in langer Zeit geschaffen hatte", gab Montezemolo später zu. Seine Jugendliebe war zu einem Science-Fiction-Unternehmen geworden. Von den Kurven der Gran-Turismo-Modelle aus den 60ern war nichts mehr zu sehen.
Beruflich hatte Montezemolo das Glück, immer dann zu erscheinen, wenn es bei Ferrari kriselte. Als er noch studierte, verteidigte er das Unternehmen mit einem Telefonanruf in einer Radiosendung. Il Commendatore hörte das Gespräch und sendete ihm seine signierte Biographie zu. Montezemolo brach kurze Zeit später sein Studium in New York ab und kam als persönlicher Assistent des Firmengründers nach Maranello.
Erster Abschied nach vier Jahren
Vier Jahre später war er nicht nur Formel-1-Teamchef, sondern der Leiter aller Rennsportaktivitäten von Fiat. Es folgte zu viel Erfolg in zu kurzer Zeit. 1977 verließ die Legende Ferrari schon wieder, weil er bei Fiat die Öffentlichkeitsarbeit leiten sollte und gleichzeitig die Geschäftsführung einer Holding des Konzerns übernahm. Später arbeitete Montezemolo für Spirituosenfirmen, gründete Parteien und eigene Firmen.
Trotzdem blieb Ferrari die Heimat des Geschäftsmannes. Er kehrte zurück, als er gerade von seinem Posten als Generaldirektor des Organisationskommitees der Fußball-WM 1990 abgetreten war. Wieder war Ferrari am Boden. Als Enzo Ferrari 1988 verstarb, war die Sportwagensparte wirtschaftlich unrentabel, das Formel-1-Team schon seit Jody Scheckters Triumph 1979 ohne Titel.
Die Geschichte wiederholte sich. Montezemolo kam, sah und beschloss, dass Änderungen dringend nötig waren. Das Aushängeschild lag brach. Trotz des Vierfachweltmeisters Alain Prost fuhr das Team in der Formel 1 hinterher. Straßenautos scheinen aber nur halb so schön, wenn die Pendants auf der Rennstrecke mit technischen Defekten stehenbleiben.
Ecclestone: "Luca war Ferrari"
Der Erfolg der Todt-Brawn-Schumacher-Ära sicherte auch dem 67-Jährigen eine Ausnahmestellung in der Formel-1-Geschichte. "Montezemolo bei Ferrari gehen zu sehen, das ist für mich gleichbedeutend wie der Tod des großen Enzo Ferrari", sagte Bernie Ecclestone: "Luca war Ferrari."
Mit dem Abschied scheint aber auch endgültig klar, dass es Ferrari in seiner bisherigen Form nicht mehr lange gibt. Marchionne übernimmt selbst die Leitung und will die Traditionsmarke wie Maserati und Alfa Romeo stärker aus der Konzernzentrale steuern. Die Frage ist, was dann mit der Scuderia passiert.
Fernando Alonso hat in dieser Saison schon zwei Freunde im Team verloren: Domenicali und Montezemolo. Schon vor der Bekanntgabe machte der Spanier aus seiner Besorgnis keinen Hehl.
"Wenn das wirklich passieren sollte, dann müssen wir uns unterhalten", sagte er über die Gerüchte über den bevorstehenden Abschied: "Er war in meinen fünf Ferrari-Jahren immer mein Präsident, er war für mich wie eine rechte Hand. Wenn das passiert, dann ändert sich alles."
Alonsos Zukunft offen
Zudem verstarb am Mittwochabend Emilio Botin, der Chef der spanischen Santander-Großbank. Dem Sponsor, der entscheidenden Anteil an der Verpflichtung des zweimaligen Weltmeisters hatte. "Dank ihm erhalten wir eine Unterstützung durch Santander, die weit über die kommerzielle Rolle hinausgeht", erklärte Montezemolo.
Sicher ist: Marchionne wird seine Doppelfunktion bei Ferrari und Fiat-Chrysler nicht ewig ausfüllen, wahrscheinlich rückt Mattiacci zum Präsidenten auf. Eine stärkere Integration von Ferrari in den Gesamtkonzern erinnert an die gescheiterten Konzepte von Honda und Toyota in der V10-Ära.
Ob sich Alonso das antut? Zwar bekräftigte er vor kurzem, er wolle seinen Vertrag mit der Scuderia verlängern, ob das nach den Umwälzungen aber weiterhin gilt, darf angezweifelt werden.
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Stand in der Fahrer- und Kontrukteurs-WM