Kooperative gerade noch verhindert

Alexander Maack
03. Dezember 201512:41
Mercedes forderte die FIA zu einer Klarstellung bezüglich Ferraris Arbeit mit Haas aufgetty
Werbung

Die Zukunft der Formel 1 hat schon beim Finale der Saison 2015 in Abu Dhabi ihre Schatten vorausgeworfen. Sportpolitisches Ungemach belastete die Rennkommissare. Mercedes ließ die Kooperation von Ferrari mit dem neuen Haas F1 Team vom Automobilweltverband FIA prüfen - offiziell nur um seine eigenen Zukunftspläne abzusichern. Das kolportierte Vorgehen der Italiener ist in Zukunft verboten.

Ein lange bekanntes Regelschlupfloch beschäftigte die Spitze der Formel 1. Seit Juli war öffentlich, dass die Scuderia derart intensiv mit dem zur neuen Saison debütierenden Haas-Team kooperiert und dabei für das Werksteam aus Maranello Erkenntnisse zum eigenen Auto abfallen.

Als technischer Partner mietete sich das US-amerikanische Team regelmäßig bei Ferrari ein und testete im Windkanal die eigenen Entwicklungen. Mercedes' Eindruck: Die Italiener bauten so die durchs Sportliche Reglement auf 25 Stunden beschränkte Zeit im Windkanal und die auf 25 Teraflops beschränkte Rechenzeit der Supercomputer aus.

Haas bestätigte schon, mit seinem ersten Rennwagen ein B-Auto des aktuellen Ferrari zu bauen. Wenn die Neulinge einen ähnlichen Wagen bauen wie das Traditionsteam, liegt der Verdacht nahe, dass sie Daten austauschen.

Ob das im Sinne des Reglements ist, wollte Mercedes' Technikdirektor Paddy Lowe klären. Mercedes prüfe seinerseits, wie weit die Zusammenarbeit bei der Entwicklung mit Dritten bezüglich geteiltem Wissen und Personal gehen darf. Wäre Ferraris Vorgehen legal, würden künftig im gesamten Feld bei der Windkanalarbeit kooperiert.

Mercedes zu Wettrüsten bereit

"Es würde eventuell zu einem Rüstungswettbewerb führen, bei dem es darum geht, wie viele Firmen oder Partner man gewinnen kann, um mehr Speed herauszuholen", warnte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff die Stewards vor ihrer Entscheidung am Sonntag: "Wir glauben, dass die Zusammenarbeit zwischen Ferrari und Haas sich innerhalb der Regeln bewegt. Ferrari hat eine Entwarnung von der FIA bekommen." Brackley schien ebenfalls zu diesem Wettrüsten bereit.

Lowe verschickte bereits am 15. Oktober einen Brief FIA-Technikchef Charlie Whiting mit einer Liste an Fragen zur Nutzung von Windkanälen und CFD-Supercomputern, die Luftströmungen simulieren. Whiting sah seinen Kompetenzbereich überschritten und verwies die Angelegenheit an die Sportkommissare. Sie seien für bindende Interpretationen des Reglements zuständig. Deshalb blieb nur Abu Dhabi zur Klärung.

"Es ist unsere letzte Chance. Sonst müssten wir drei Monate bis zum ersten Rennen 2016 warten", erklärte Niki Lauda: "Eine Bitte um Klarstellung, was erlaubt ist und was nicht, muss bei einer Rennveranstaltung eingereicht werden. Damit die Sportkommissare eine Entscheidung treffen können."

Drei Rennkommissare bestimmen die Zukunft

Somit wurden Garry Conelly, Steve Stringwell und Derek Warwick zu den Entscheidern über die Zukunft der Formel 1. Sie mussten festlegen, wie "Outsourcing" in der Formel 1 definiert wird. Das Wort wurde durch die Regularien ebenso wenig definiert wie die Begriffe "Team", "verbundene Parteien", "Agenten und Subunternehmer" bezüglich der Windkanal- und CFD-Tests.

Monocoque, Überlebenszelle, Überrollschutz, Flügel, Diffusor und Unterboden sind die sogenannten "gelisteten Teilen" der Formel 1. Sie muss jeder Konstrukteur selbst herstellen, ihre Pläne geheim halten. Die übrigen Chassis-Teile dürfen eingekauft werden.

Doch darf ein Team die geheimen Teile durch eine dritte Partei aerodynamisch testen lassen? Muss die Windkanalzeit des Testers zu der des Teams addiert werden? Darf man Daten zu nichtgelisteten Teilen überhaupt weitergeben? Was passiert, wenn ein Mitarbeiter von einem Team zu einem anderen wechselt oder für ein Subunternehmen eines anderen Teams arbeitet.

Dies ist nur ein kleiner Auszug aus den Fragen, die Mercedes den Stewards am Samstag stellte. Zwar betonte der Weltmeister in Abu Dhabi mehrmals, dass es nicht darum ging, Verfehlungen eines anderen Rennstalls anzuprangern und verbieten zu lassen. Die Fragen deuteten allerdings allesamt in die Richtung einer Klärung zur Legalität der kolportierten Verbindung von Ferrari und Haas.

Wie Haas Zuarbeit für Ferrari leisten konnte

Schließlich sollen etwa Ex-Scuderia-Angestellte den Windkanalsitzungen von Haas beigewohnt haben, um später wieder ihren Dienst in Maranello anzutreten. Aktuell unterliegen die US-Amerikaner nämlich gar keiner Regelung, weil sie noch nicht als Konstrukteur in der Formel 1 aktiv sind. Ferrari hatte so die Möglichkeit, sein aktuelles und sein neues Auto über das Haas-Schlupfloch in hunderten Stunden Arbeit komplett im eigenen Windkanal durchzutesten.

Wenn Haas im nächsten Jahr ein reguläres Formel-1-Team ist, wäre das Problem bestehen geblieben. "Es könnte sein, dass Ingenieure 50 Stunden im Windkanal arbeiten, 25 für das eine und 25 für das andere Team. Die Ergebnisse müssen nicht als Datensätze von einem Team zum anderen wandern. Sie sind im Kopf gespeichert", verdeutlichte Force-India-Technikchef Andy Green am Samstag gegenüber Auto Motor und Sport die Unklarheit.

Bei der gemeinsamen Windkanalnutzung durch Ferrari und Haas hatte die FIA zu Beginn kein Problem gesehen. McLarens früherer Chefaerodyamiker Marcin Budkowski untersuchte für den Weltverband das Programm in Maranello an zwei Tagen. Er fand keine Ungereimtheiten.

Seite 1: Warum Mercedes eine Klarstellung forderte

Seite 2: Die Entscheidung von Abu Dhabi und was sie verhinderte

Auch in Abu Dhabi bestraften die Rennkommissare Ferrari nicht, weil die Regularien bisher zu ungenau definiert waren. Allerdings stellten sie klar fest, dass künftig eine Zusammenarbeit mehrerer Teams wie sie bei der Scuderia mit Haas vermutet wird, strikt verboten ist.

Künftig gilt das Reglement für jedes Team, das sich für die Formel 1 beworben hat und akzeptiert wurde - nicht erst bei Veröffentlichung der offiziellen Einschreibeliste im Dezember. Zudem wurde festgelegt, dass sich Aerodynamik-Personal erst nach einer Auszeit einem anderen Team anschließen darf und mindestens drei Monate angestellt sein muss.

Planten Wolff und Horner B-Teams?

Ob das der Plan von Mercedes war? Statt die Regeln unbedingt zu verschärfen, könnte etwas ganz anderes in den Hinterköpfen der Stuttgarter herumgeschwirrt sein. Toto Wolff gab beim DTM-Saisonfinale in Hockenheim gegenüber SPOX zu, dass Mercedes über die Zukunft von Pascal Wehrlein nie sprach, weil der Österreicher ihn am liebsten in einen dritten Silberpfeil gesetzt hätte. Der wäre bei einem Ausstieg der Red-Bull-Teams nötig gewesen.

Da diese Möglichkeit wohl weggebrochen ist, fehlt Mercedes der perfekte Weg, um seine Talente in die Formel 1 zu bringen. Force India und Williams suchen sich ihr Personal selbst, Manor will sich nicht unter Druck setzen lassen. Wo also sollte man Wehrlein parken? In einem B-Team!

Mercedes und Red Bull Racing sollen laut Motorsport.com schon während der Saison 2015 bei der FIA um eine Klarstellung gebeten hatten, wie weit die Zusammenarbeit bei einem Einstieg eines AMG- und eines Arden-Rennstalls in die Formel 1 gehen dürfte. AMG ist Mercedes' hauseigener Tuner. Arden International gehört seit der Gründung im Jahr 1997 dem aktuellen Red-Bull-Teamchef Christian Horner und seinem Vater Garry. Derzeit startet das Team in GP2 und GP3, Renault-World-Series und der britischen Formel-4-Variante MSA Formula.

Klarstellung hätte Formel 1 verändern können

Die jetzt erfolgte Klarstellung hätte daher ein Problem der Formel 1 lösen können: Mit einem neuen Team in die Königsklasse einzusteigen, scheiterte mit Ausnahme von Red Bull dauerhaft.

Der Rennstall aus Milton Keynes ist das einzige Team, das nach 1981 in die Formel 1 einstieg und einen Titel holte. 1997 als Stewart Racing gegründet, wuchs der Rennstall dank der Mateschitz-Millionen rasant. Sonst machten die Traditionsteams wie McLaren, Williams und Ferrari den Titel unter sich aus. BrawnGP war aus Honda hervorgegangen, das aus BAR entstand, das wiederum Tyrrell aufgekauft hatte - und die nahmen seit 1970 an der WM teil. SPOX

An Kompetenz und Ideen mangelte es den neuen Teams eigentlich nie. Vielmehr war der Wissensvorsprung der Etablierten das Problem. Ein Neueinsteiger hätte durch die Freigabe der aerodynamischen Zusammenarbeit die Möglichkeit gehabt, auf das bestehende Wissen eines anderen Rennstalls zuzugreifen, während er diesen bei der Entwicklung unterstützt. Eine Art Mentoring-System für neue Formel-1-Rennställe hätte die Zahl der Bewerber steigen lassen können.

Kostenangst statt Kooperation

Das aber wollte die FIA nicht. Die Entscheidung der Stewards, gefallen nach Anhörung von Mercedes, Red Bull, Ferrari, Williams und Force India sowie Whiting und Budkowski inklusive Einsicht in Briefwechsel der FIA mit Ferrari, Haas, Red Bull, Mercedes und einem schriftlichen Statement von Manor, beruhte auf der simplen Annahme, dass Kooperationen unter den Teams die Kosten durch intensivere Windkanalnutzung in die Höhe steigen lassen würden.

Dabei wären die Windkanalstunden jedes einzelnen Teams gleich geblieben. Sie hätten nur die Erkenntnisse geteilt. Dies hätte zu einer Blockbildung in der Formel 1 geführt, bei der sich die Autos weniger unterschieden hätten. Mercedes-Williams-Force-India-Manor hätte gegen Ferrari-Haas-Sauber gekämpft. Die Abstände zwischen den Autos wären geschrumpft. Ob dies das Ende der echten Formel 1 oder ein Ansatz zur Wettbewerbssteigerung gewesen wäre, muss jeder für sich beurteilen.

Seite 1: Warum Mercedes eine Klarstellung forderte

Seite 2: Die Entscheidung von Abu Dhabi und was sie verhinderte

Kalender und WM-Stände 2015 im Überblick