SPOX: Der Glaube ist nicht das einzige, aber schon das zentrale Thema in ihrem Film. Ganz platt gefragt: Hat Glaube in Ihren Augen etwas mit Sport zu tun?
Kadel: Absolut. Auf der einen Seite trenne ich es. Wenn ich zu Red Bull gehe und einen Vortrag halte, komme ich als Coach und sage: Wie kann jeder Spieler ein Stück weit selbstbewusster und eine stärkere Persönlichkeit werden? Das andere ist, wenn ich mit Spielern im Einzelcoaching arbeite und die sagen: "Mensch, ich sehe am Alaba, dass der Bibelkreise beim FC Bayern mit Rafinha und ein paar anderen Spielern macht. Dann ist ja an der Thematik schon was dran." Da wollen sich einige schon weiterbilden. Mit Marco Rose, U-18-Trainer bei RB Salzburg, der ja unter Klopp gespielt hat, habe ich mich eine Zeit lang jede Woche in einem Cafe getroffen, weil er sagte: "Ich bin in Leipzig groß geworden, ich weiß ja gar nichts über den Glauben. Erklär mir das mal."
SPOX: Und was ist ganz konkret mit der sportlichen Leistung?
Kadel: Da kommt der Punkt, an dem viele sagen: Wenn mein Glaube wächst im Sinne von "Ich weiß, da ist einer und ich bin nicht alleine", dann macht er selbstbewusst und hilft dir, weil du deine Ziele nicht mehr allein erreichen musst. Da ist "Glaube" doppeldeutig. Bei Gegenwind oder einem Karriereknick tun sich viele leichter, wenn sie sagen: "Hey, ich hab gerade so eine Phase, da läuft es nicht so gut. Aber der da oben sieht es, deshalb mache ich mich locker." Man darf nicht vergessen: Das beeindruckt auch den Trainer.
SPOX: Das scheint ein spannender Gegensatz zu sein. Auf der einen Seite ist Religion in Deutschland fast nur noch Privatsache, auf der anderen Seite scheinen es fast mehr Athleten zu werden, die damit sehr offen umgehen, ob nun ein David Alaba oder auch ein Neymar mit der Champions-League-Trophäe. Ist das eine Gegenreaktion?
Kadel: Diese Erkenntnis brach vor ungefähr einem Jahr über mich herein. Wenn das Thema Glaube, Gott und Kirche eine Aktienkurve wäre, dann ginge die in unserer Gesellschaft immer mehr in den Keller. Wenn ich mit meiner Frau in Aachen am Sonntagmorgen in die Kirche gehe, bin ich mit 49 oft der Jüngste. Aber die andere Kurve in der Bundesliga oder im Spitzensport allgemein geht immer mehr nach oben. Im 23-Mann-Kader eines beliebigen Klubs haben sicher 70 Prozent ein Tattoo mit einem Kreuz, betenden Händen oder einem Bibelspruch. Man würde nie denken, dass in diesem geschlossenen System Bundesliga, an sich ja ein relativ oberflächliches Business, eine solche Ernsthaftigkeit vorhanden ist. Bei Alemannia Aachen habe ich zwei Spieler gefragt, wie es bei ihnen so ist. Und die sagten ganz selbstverständlich: "Bei uns sind 80 Prozent gläubig. Das ist völlig normal."
SPOX: Woran liegt das?
Kadel: Ich glaube, dass viele Hochleistungssportler, die richtig viel Druck haben, deshalb auch gezwungen sind, sich mit dem Thema zu beschäftigen: Woher bekomme ich denn Energie? Was macht mich innerlich stark, was gibt mir einen Vorteil? Ein Spieler hat mal zu mir gesagt: "Glaube ist legales Doping." Andere bringen halt ihre 2.000 Euro nach Hause, stöpseln abends aus und fahren einmal im Jahr nach Malle. Da hat man nicht so den Druck, glaube ich. Aber diese Sportler brauchen unbedingt Kraft.
SPOX: Wird das überall gern gesehen? Die FIFA zum Beispiel hat religiöse Botschaften vor ein paar Jahren ja publikumswirksam verboten.
Kadel: Ja, aber andere Beispiele fallen mir auch nicht ein. Fast im Gegenteil: Mir haben Spieler erzählt, dass ihr Trainer auch schon was in der Richtung gesagt hat. Heiko Herrlich hat bei Mannschaftssitzungen in Regensburg aus der Bibel vorgelesen, weil er sagt: Das ist eine super Geschichte, hört euch das mal an. Da ist es fast typisch, dass die FIFA mal wieder ausschert und nicht erkennt: Hier sieht mal nicht jeder wie eine Werbebande überall gleich aus. (lacht)
SPOX: Gleichzeitig ist der Fußball ja auch eine Art Ersatzreligion, oder? Die Kirchen werden leerer, die Stadien dagegen voller.
Kadel: Absolut. Was Glaube eigentlich stiften soll, nämlich Begeisterung die Menschen berührt, das Gemeinschaftsgefühl - all das hat sich verschoben. Vom Fußball-Tempel zum Vorbeter, dem heiligen Rasen, Sündenbock, Trainer-Messias und so weiter. Aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Im Fußball muss man Leistung bringen, sonst wird man vom Hof gejagt, und in der Kirche ist es ja das genaue Gegenteil.
SPOX: Ich würde Sie zum Abschluss gerne mit ein paar Sätzen konfrontieren, die man hin und wieder hört, wenn es um das Thema Sport und Glaube geht. Erstens: "Interessiert Gott doch nicht, wie so ein Fußballspiel aussieht."
Kadel: Das sehe ich ambivalent. Auf der einen Seite glaube ich fest daran, dass er jeden Einzelnen liebt, also schaut er sich auch am Freitagabend das Spiel an und sieht: Mensch, da hat im Kabinengang gerade ein Spieler um Kraft gebetet. Das hört er ganz sicher. Auf der anderen Seite ist Gott aber auch in Syrien und hat andere Probleme, als zu gucken, dass Freiburg die Bayern schlägt - was aus meiner Sicht natürlich geil wäre. (lacht)
SPOX: Zweitens: "Wenn die Spieler gewinnen, dann geht der Dank nach oben. Und wenn sie verlieren, hört man plötzlich nichts."
Kadel: Nicht ganz. Da hab ich ein super Bild von David Luiz vor Augen, wie er gerade von Deutschland sieben Stück eingeschenkt bekommen hat. Und er kniet auf dem Rasen und betet bestimmt eine Minute lang. Es gibt den schönen Bibelvers: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Egal was passiert, ich gebe Gott die Ehre." Wer das auch in der Niederlage kann, vor dem ziehe ich meinen Hut. Es gibt schon Spieler, die sagen: "Ich mache das unabhängig von den Ergebnissen. Mir ist wichtiger, dass er da ist."
SPOX: Drittens: Im Film gibt es auch Spieler, die sagen, sie haben das Thema Glaube neu entdeckt, als es ihnen schlecht ging. These: "Das sind eben schwache Persönlichkeiten - andere brauchen das nicht."
Kadel: Ja, das ist menschlich. Das sagt auch Klopp: Ich bin weit weg von meinem eigenen Anspruch. Wir sind alle leider schwach. Die Frage ist nur: Sind wir ehrlich damit? Und da sind die genannten Spieler auch selbstkritisch im Sinne von: "Ja, jetzt in der Krise bete ich wieder - eigentlich sollte es aber immer so sein." Didavi gibt im Film offen zu, dass seine Reise nach Benin ihm eine ganz neue Perspektive gegeben hat, was den Glauben angeht. Das finde ich schon toll, wenn ein Sportler so selbstkritisch ist - wer ist heutzutage im Fußball noch selbstkritisch?
David Alaba im Steckbrief