SPOX: Herr Kadel, Sie sind Autor, Redner, Journalist, Kabarettist und Filmemacher, arbeiten aber auch schon eine ganze Weile mit Fußballern zusammen. Wie muss man sich das vorstellen?
David Kadel: Das fing Mitte der 90er Jahre an. Mein bester Freund Dirk Heinen stand damals im Tor von Bayer Leverkusen unter Christoph Daum und hat mir quasi die Türen geöffnet. Damals saßen wir oft abends mit den Führungsspielern Erik Meijer und Paulo Sergio zusammen und haben uns gefragt: Wie kann ein Spieler selbstbewusst werden? Daum war damals einer der ersten, der gesagt hat: "Fußball wird im Kopf entschieden", und dann halt über Scherben und glühende Kohlen laufen und so. Und wir haben darüber diskutiert: Über glühende Kohlen laufen, bringt das wirklich was?
SPOX: Und?
Kadel: Alle haben gesagt: Nee, eigentlich bringt das gar nichts. Wenn du drei Tage später gegen Bayern gespielt hast, hattest du trotzdem die Hosen voll. Aber der Ansatz war richtig: Wie kann ich als Spieler selbstbewusster sein? Ich habe dann angefangen, Programme zu schreiben und Konzepte zu entwickeln und die dann an Spieler weiterzugeben. Es war "Learning by Doing", indem ich Jungs jahrelang begleitet habe, von Gerald Asamoah bis Marco Rose, Sven Schipplock, Antonio Rüdiger oder Lewis Holtby. Mit meinem Coaching-Programm berate ich aber nicht nur Fußballer, sondern auch Firmen wie Nike, Ernst & Young, AOK und viele andere.
SPOX: Also sind Sie ein klassischer Mentaltrainer?
Kadel: "Mentaltrainer" trifft es nicht, weil es nicht darum geht, dass man einen Mentaltrainer holt, wenn auf dem Platz gerade nichts mehr geht. Ich selbst nenne es gern "Mentalitätsschulung". Eine Schulung, die in Richtung Persönlichkeitscoaching geht. Wir - also am besten der Fußballer selbst - arbeiten jetzt schon an seiner Persönlichkeit, damit er nicht untergeht, sondern souverän bleibt, wenn dann irgendwann der Punkt kommt an dem es nicht läuft.
SPOX: Damit die Spieler Sie nicht erst anrufen, wenn sie das Tor nicht treffen?
Kadel: Die Jungs haben ihre Ziele und Träume, aber es ist nicht so einfach. Der Fußball ist vielschichtiger geworden! Manche Spieler kommen mit 18 oder 19 zu mir und ich frage sie: Was sind deine Ziele? Zum Beispiel Nationalspieler für Bosnien. Okay: Wie kommst du da hin? Und die sagen: Ich geb' natürlich Gas. Und dann sage ich: Das tun die alle. Das ist kein Gewinner-Attribut.
SPOX: Sondern?
Kadel: Es ist ein ganzheitliches Coaching, das auch viel in den privaten Raum reingeht. Zum Beispiel das Thema Selbstbewusstsein - dafür steht ja ein Typ wie Jürgen Klopp. Das kommt daher, dass du dir "selbst bewusst" sein musst über bestimmte Dinge. Was zieht dir Energie, was hindert dich daran Leistung, zu bringen? Wenn ich nach Hause komme und meine Freundin steht in der Tür und sagt: "Guck mal Schatzi, ich hab bei deinen Socken ein zweites Handy gefunden. Wer sind eigentlich Jutta, Sabine und Andrea?" (lacht) Da muss ich mir bewusst sein: Die nächsten Tage werde ich wahrscheinlich trainieren wie 'ne Gurke. Otto Rehhagel hat sich damals schon gewünscht, dass seine Spieler alle verheiratet sind - weil die Ablenkungen einfach so extrem sind.
SPOX: Okay, "verheiratet sein" kommt auf die Liste. Was hilft denn sonst noch dabei, gute Leistungen zu bringen?
Kadel: Wenn du eine Karriere haben willst, die außergewöhnlich ist, musst du außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen. Wenn du eine Durchschnittskarriere haben willst, fünf Ligaspiele und das war's, dann mach so weiter wie bisher. Nimm alles mit, bring keine Opfer, leb genauso, wie man sich den typischen Jungprofi vorstellt. Aber wenn die Spieler hohe Ziele haben, müssen wir auch viele Dinge ändern. Dinge, die sie stark machen, sodass man auch zur Ruhe kommt und nicht ständig nur vor der Glotze hängt. Es heißt ja immer: Wir brauchen Persönlichkeiten.
SPOX: Der Klassiker: Der deutsche Fußball hat keine Typen mehr.
Kadel: Wenn ich abends fünf Stunden RTL2 gucke, werde ich eben keine Persönlichkeit. Wenn man sich die Biographien eines Roger Federer oder eines Dirk Nowitzki anschaut: Wie die an sich arbeiten! Siehe Sinan Kurt oder andere Fußballer, die man hoch gefeiert hat, die aber dann tief gefallen sind. Da heißt es dann: "Der hat alles - aber der ist kein Typ!" Das kann man lernen. Es ist in Deutschland auch schon mehr und mehr ein Begriff: Mentalität schlägt Qualität. Aber das wird immer noch viel zu wenig geschult, sondern dem Zufall überlassen. Da habe ich gefühlt ein Alleinstellungsmerkmal, und deshalb nenne ich mich auch bewusst nicht Motivationstrainer, denn motiviert sind die alle.
SPOX: Den Spielern wird auf der einen Seite alles abgenommen und sie werden total verhätschelt. Wird auf der anderen Seite die mentale Schiene total ausgespart?
Kadel: Ja. Ich mache wirklich ein Fass auf, wenn ich gegenüber Vereinen ein von mir entwickeltes Bild vorstelle: Ein Auto hat vier Reifen, aber viele Vereine kommen nur auf drei Reifen daher, weil sie Tag und Nacht nur Physis, Technik und Taktik trainieren. Aber der vierte, die Mentalität des Spielers, sein Teamgeist, all die Dinge, die nicht messbar zu erfassen sind mit Laktattests und dergleichen - jeder Trainer würde sagen, das ist heute wichtiger denn je. Deshalb sorgen ja Freiburg, Darmstadt, Leicester City und Island für Wunder: weil sie für eine bestimmte Mentalität stehen. Wenn es heißt: "Der Spieler hat keine gute Mentalität", dann sage ich den Nachwuchsbossen: "Kein Wunder. Ihr habt es ihm ja nie beigebracht."
SPOX: Aber über Teambuilding bei Bundesliga-Vereinen liest man doch regelmäßig in der Vorbereitung.
Kadel: "Wir waren doch im Sommer Klettern in der Schweiz - wir sind jetzt ein Team!"
SPOX: Eben.
Kadel: Das kann aber auch zum Alibi werden: "Wir haben doch Teambuilding gemacht. Wir waren doch auf 3.000 Meter Höhe ohne Toiletten." Ist ja auch gut! Aber dadurch ist man noch kein Team, das ist nur der Startschuss. Eigentlich müsste man da alle 14 Tage was machen, sonst geht das wieder verloren.
SPOX: Und das findet nicht statt?
Kadel: Nein, viele machen den Haken dran und denken: Das reicht für die Saison. Was meiner Meinung nach völliger Quatsch ist. Einer wie Niko Kovac hat das verstanden. Der kommt nach Frankfurt und sagt: "Passt auf Leute, wir haben 17 verschiedene Nationen oder so. Handys sind ab jetzt tabu. Ihr redet ja nicht mehr miteinander. Wie wollen wir denn da ein Team werden?" Der macht also nicht eine Aktion, sondern er sagt: Von jetzt an weht hier ein anderer Wind. Und sofort sieht man, wie Eintracht Frankfurt eine andere Marke wird, innerhalb von Wochen.