So funktioniert das 4-3-3

Stefan Rommel
03. September 200915:57
Die Schlüsselfiguren im 4-3-3 der Bayern: Arjen Robben und Franck RiberyGetty
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Die 46. Spielminute gegen den VfL Wolfsburg hat nicht nur Zukauf Arjen Robben beim FC Bayern München eingeführt, sondern womöglich auch eine neue Zeitrechnung beim deutschen Rekordmeister.

Mit der Einwechslung des erst zwei Tage zuvor verpflichteten Holländers könnte auch die wochenlange Suche nach dem richtigen System von Trainer Louis van Gaal zu Ende gegangen sein.

Ein 4-4-2 mit Mittelfeld-Raute und dem Spielgestalter Franck Ribery hinter den Spitzen schwebe ihm vor, so van Gaal. Den Bundesliga-Start erlebte der FCB dann mit einem 4-4-2 und Alexander Baumjohann hinter den Spitzen, in Mainz trat man im 4-2-3-1 mit Miroslav Klose als Zehner und Mario Gomez als einziger Spitze an.

Aber dann kam Robben, es kam Wolfsburg und van Gaal landete doch wieder dort, wo er fast immer landet: Beim 4-3-3, mit nur einem Mittelstürmer und zwei echten Flügelspielern. Das Holland-Modell, das Barca-Modell, das Cruyff-Modell, das van-Gaal-Modell.

Aber wie funktioniert dieses 4-3-3 überhaupt, und warum ist van Gaal so vernarrt in eins der offensivsten Spielsysteme überhaupt?

Die Grundidee: Die Zahlen lügen nicht: Drei Stürmer stehen auf dem Platz, eine offensivere Ausrichtung kann es daran gemessen im Profi-Fußball kaum geben. Der Grundgedanke heißt platt ausgedrückt "immer ein Tor mehr schießen als kassieren". Bei genauerem Hinsehen geht es in der Offensive um schnelles Spiel über die Flügel und in der Defensive darum, dem Gegner eine extreme Raum- und Zeitknappheit anzubieten und bei jeder Aktion ohne Ballbesitz Druck auszuüben.

Die Grundausrichtung: Eine Viererabwehrkette, ein Sechser vor der Abwehr, zwei Achter auf den Halbpositionen, zwei Flügel- und ein Mittelstürmer. Die Mannschaft steht sehr hoch, die beiden Flügelspieler nehmen den Gegner schon weit in dessen eigener Hälfte in Empfang.

Bei Ballbesitz schieben beide Mittelfeldspieler von den Halbpositionen aus mit an, allerdings bleibt der schmale Korridor an der Außenlinie offen für die anlaufenden Außenverteidiger.

Der Mittelstürmer hat seinen Handlungsspielraum gemäß seinem Namen wirklich nur im Zentrum, seine Bewegungen sind nicht horizontal (Querlaufen), sondern in der Regel nur vertikal - wenn er entweder in die Tiefe geht oder sich als Anspielstation fallen lässt.

Die Raumaufteilung: Bei keinem anderen Spielsystem sind die zehn Feldspieler so homogen über den Platz verteilt. Der Aufwand, die Räume im Mittelfeld und Angriff zu besetzen, ist dadurch vergleichsweise gering, die Aufgabengebiete für jeden einzelnen Spieler sind klar definiert.

Der Platz ist durch imaginäre Linien in Vierecke unterteilt, quasi die Zuständigkeitsbereiche für die einzelnen Spieler.

Van Gaal spricht im Spielaufbau immer von seinen Dreiecken. Gemeint ist damit die Anordnung seiner Spieler, die in Dreierpärchen Anspielstationen für den Ballführenden bilden. Der Aufbau im Spiel nach vorne ist dadurch deutlich vereinfacht.

Im Training lernen die Spieler ihre Aufgaben, aus denen im Laufe der Zeit Automatismen werden sollen. Die Schemata sind dabei immer dieselben. Wenn sich Spieler A bewegt beziehungsweise den Ball spielt, müssen B und C wissen, wohin und wie sie zu laufen haben.

Dabei ist das Timing des Abspiels der entscheidende Punkt. Es entsteht im besten Fall ein steter Fluss und die Räume auf dem Feld sind quasi permanent besetzt.

Im Defensivverhalten genau so: Bestimmte Angriffszüge des Gegners bedeuten automatisch das Kommando zum Einrücken. Jeder muss wissen, wie er dabei wohin einzurücken hat und wie er schnellstmöglich wieder auf seine Position, seinen Arbeitsbereich zurückkehrt.

Die Stärken des Systems: Durch den dritten Stürmer steht von Haus aus ein zusätzlicher Offensivspieler auf dem Platz. Die Kreativität steigt automatisch. Einen entscheidenden Qualitätsgewinn erfährt das System aber durch einen der beiden Innenverteidiger.

Durch die ständig besetzten Außen wird der Diagonalball aus der Viererkette häufiger gefordert und so zu einer natürlichen Alternative zur Spieleröffnung über die Mitte oder die Außenverteidiger.

Auf den Außenkorridoren sind immer drei Spieler der angreifenden Mannschaft - beim 4-4-2 sind es nur deren zwei (Außenverteidiger und Mittelfeldspieler). Für das Spiel in den Dreiecken muss kein weiterer Mittelfeldspieler aus dem Zentrum herausrücken - die Anfälligkeit für schnelle Gegenstöße durch die Mitte ist damit deutlich geringer.

In der Rückwärtsbewegung wird durchgedeckt. Die beiden Flügelspieler lassen sich ein paar Meter fallen und machen die Räume mit einem Fünfer-Mittelfeld sehr eng. Jeder bewegt sich in seinem dafür abgesteckten Raum, die Gegenspieler werden übergeben.

Im modernen Fußball passieren die entscheidenden Dinge in der Mitte. Die Defensivformationen stärken deshalb die Mitte immer mehr, die Doppel-Sechs im 4-4-2 wird immer öfter praktiziert.

Im 4-3-3 ist auf der Position des traditionellen Regisseurs hinter den Spitzen ein Vakuum. Die Doppel-Sechs des Gegners findet dort keinen Zugriff, weil schlicht niemand da ist, der attackiert werden kann. Die doppelte Absicherung muss zu den Flügelstürmern auf die Seiten eilen und wird so auseinandergerissen. In die frei werdenden Räume stoßen dann die beiden Achter.

Die Schwächen des Systems: Das Grundproblem ist relativ banal: Nur fünf Feldspieler denken defensiv. Die defensive Absicherung hängt als einzigem Fixpunkt neben der Viererkette nur am defensiven Mittelfeldspieler, weshalb die beiden Achter gedanklich sehr flexibel agieren müssen. Sind die beiden nicht fix genug, entstehen nicht selten Unterzahlsituationen, wenn der Gegner den Ball schnell macht.

Überhaupt Konter: Bei einem Ballverlust in der Vorwärtsbewegung ist die Mannschaft kurze Zeit automatisch in Unterzahl, da nur drei Mittelfeldspieler da sind, um den Gegenstoß zu unterbinden.

Das Durchdecken erfordert hohe geistige und körperliche Fitness. Dazu kommt das Flügelspiel mit seinen häufigen Eins-gegen-Eins-Situationen: Alles lauf- und kraftintensive Bewegungen, die nur von einer Mannschaft praktiziert werden können, die 90 Minuten Tempo ohne Qualitätsverlust gehen kann.

Und noch ein ganz lapidares Problem: Welcher Klub, welche Mannschaft kann sich zwei ausgebildete Dribbler als echte Flügelspieler leisten? Sowohl systematisch als auch finanziell. Nicht viele.

Zu Teil II: Wie trainiert man 4-3-3 und haben die Bayern die richtigen Spieler?

Die Trainingsmethodik: Durch die klar definierten Aufgaben für jeden Spieler sind Korrekturen bei der Spielanalyse leicht, Fehler lassen sich exakt zuordnen und können behoben werden.

Van Gaal besteht auf einen 22 Spieler starken Kader, um sein System in Real-Umgebung einstudieren zu können. In den großen Trainingsspielen unterbricht van Gaal weniger - dafür sind seine Eingriffe bei den kleinen Trainingsformen umso heftiger.

Der Coach bastelt in kleinen Positionsspielen unablässig an den richtigen Laufwegen und Positionswechseln. Mit seinen niederländischen Assistenten Andries Jonker (Co-Trainer) und Jos van Dijk (Trainingssteuerung) hat er zwei Fachmänner an seiner Seite, die mit dem 4-3-3 und in dessen Umsetzung groß geworden sind.

Ein klarer Fortschritt zur Ära Klinsmann mit einem bunt zusammengewürfelten Haufen an Trainern und Betreuern.

Die Personalfrage: Funktioniert das alles mit dem Personal, das die Bayern zur Verfügung haben? Ein einziger Transfer lässt es möglich erscheinen. Für Torhüter und die Viererkette ändert sich im Prinzip nicht viel im Vergleich zum 4-4-2.

Nur diese eine Sache: Der lange Ball als Waffe. Mit der Spieleröffnung durch lange Diagonalbälle aus dem Abwehrzentrum auf die Außen wird das Feld breit gemacht, der Gegner bewegt, so dass er die Ordnung verliert.

Deshalb spielen unter anderem mit Holger Badstuber auch ein Linksfuß und mit Daniel van Buyten ein Rechtsfuß (später wahlweise auch Martin Demichelis oder Breno), damit die Spieleröffnung mit dem langen Ball schwerer auszurechnen ist und eine gute Option für das gewohnte Kurzpassspiel darstellt.

Dem jungen Badstuber kommt dabei die entscheidende Rolle zu. Van Buyten spielt selten den ersten Ball des Angriffs, sondern meist quer zum Nebenmann. Der ist dafür zuständig, den Angriff einzufädeln. "Wir wissen, wie wir jedes System spielen sollen. Das 4-3-3 hat gut funktioniert, ich denke, wir werden das weiter spielen", sagt Badstuber zu SPOX.

In Anatolij Tymoschtschuk oder Mark van Bommel sind erfahrene Sechser im Team, die mit dem neuen System keine Probleme haben. Van Bommel kennt es als Holländer aus dem Eff-Eff. "Wir haben die beste Besetzung, die man dafür haben kann. Wenn man solche Spieler hat, kann man so ein System spielen", sagt der Kapitän.

Und Tymoschtschuk kann ein Spiel extrem gut lesen, er antizipiert hervorragend und stopft so mögliche Löcher. Bastian Schweinsteiger und Hamit Altintop müssen sich noch etwas umgewöhnen. Vor allem Schweinsteiger fehlen noch ein paar Prozent in der Defensivarbeit. Altintop dagegen hat auch schon rechter Verteidiger gespielt.

Franck Ribery und Arjen Robben dürften im 4-3-3 absolut sakrosankt sein. Mit ihnen hat Bayern die Flügel immer besetzt, Ausnahmen sind ab sofort nicht geduldet. Die Kontertore zum 2:0 und 3:0 gegen Wolfsburg waren Lehrbeispiele und ein Vorgeschmack darauf, was mit den beiden möglich ist. Zudem sind beide zu großen Teilen von ihren ungeliebten Defensivaufgaben entbunden.

Die Position des Mittelstürmers könnte noch für hitzige Diskussionen sorgen. In Mario Gomez, Miroslav Klose und Luca Toni steht dreimal der fast identische Spielertyp für eine einzige Position zur Verfügung.

An sich eignet sich ein kopfballstarker, wuchtiger Stürmer am besten. Da Ribery und Robben allerdings "seitenverkehrt" agieren und häufig zur Mitte ziehen, sind hohe Flanken eher selten. Um mit den quirligen Außen mitzuspielen, sind Aktionsschnelligkeit und eine gute Technik auch für den Mittelstürmer wichtige Qualitäten.

Klose wäre hierfür wohl die beste Option. Im Moment scheint Gomez allerdings gesetzt. Gegen Wolfsburg aber hatte der 24-Jährige noch sichtlich Probleme mit dem neuen System, weil er dem Tempo der Außen nicht folgen konnte. Luca Toni hat von allen Stürmern wohl den größten Killerinstinkt, dürfte allerdings ebenfalls Probleme mit Tempo und Technik haben.

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