Ein Leben für den BVB

Daniel Börlein
24. März 201111:43
Nach 13 Jahren verlässt Dede Borussia Dortmund am SaisonendeImago
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Nach 13 Jahren trennen sich am Saisonende die Wege von Dede und Borussia Dortmund. SPOX blickt zurück auf die Zeit, in der der Brasilianer zum unumstrittenen Fan-Liebling aufgestiegen ist. Mit dabei: Titel, Rekorde, Schmerzen, Tränen, die Samba-WG, vereiste Scheiben und ein ganz persönliches Highlight.

Dede machte keinen Hehl aus seinen Gefühlen. "Ich habe geweint. Auch Zorci stand das Wasser in den Augen", sagte der Brasilianer über den Moment, als ihm Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc mitteilte, dass der BVB seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird. "Nach unserem Gespräch bin ich ins leere Stadion gefahren und bin eine Stunde heulend über den Rasen spaziert. Die Enttäuschung musste raus."

Nach 13 Jahren ist für den 32-Jährigen damit am Saisonende also Schluss bei der Borussia. Nach 13 Jahren, in denen sich Dede keinen einzigen Skandal leistete und mit keinem Trainer oder Mitspieler ein Problem hatte, sondern stattdessen zum unumstrittenen Liebling der BVB-Fans aufstieg.

"Das schwarzgelbe Trikot ist meine zweite Haut geworden", sagt er. Und gerade deshalb reißt es ihm "das Herz raus", dass er keinen neuen Vertrag mehr bekommt. Ärger macht Dede deswegen keinen. "Das, was die Menschen hier für mich getan haben, werde ich nie vergessen! Ich respektiere die Entscheidung. Ich war elfeinhalb Jahre Stammspieler und werde auch bis zum Ende weiter Gas geben." So, wie er es immer getan hat. SPOX blickt zurück auf Dedes einzigartige Karriere beim BVB.

Sommer 1998

Mit gerade mal 20 Jahren wechselt Dede von seinem Heimatklub Atletico Mineiro nach Deutschland. Die Borussia macht das Rennen, obwohl sich der Linksfuß zuvor eigentlich schon mit Bayer Leverkusen einig war. In Brasilien war Dede zuvor zum besten Linksverteidiger der Liga gewählt worden. In Deutschland ist er allerdings ein unbeschriebenes Blatt.

Dedes Gedanken: "Mir fiel der Abschied aus Brasilien unheimlich schwer. Ich wuchs mit meinen Brüdern und meinen Eltern in einer kleinen Wohnung in einer Favela von Belo Horizonte auf. Wir lebten zu acht auf nicht mal 35 Quadratmetern. Doch das war mein zu Hause, die Favela, meine Familie. Ich kannte dort jeden Stein, ich hatte an jeder Ecke Freunde, bei Atletico Mineiro, meinem damaligen Verein, liebten mich die Fans. Ich wollte in Dortmund drei Jahre meinen Vertrag erfüllen und dann zurück nach Brasilien gehen."

Mai 1999

Dedes erste Saison in Deutschland ist vorbei. Er schafft mit dem BVB als Vierter die Qualifikation für die Playoffs zur Champions League und schnell den Sprung zum Stammspieler. Der "Kicker" kürt ihn zum "Gewinner der Saison".

Abseits des Platzes tut er sich allerdings schwer, die neue Umgebung macht ihm Probleme. So bittet er beim ersten Wintereinbruch verzweifelt Michael Zorc um Hilfe, weil er die zugefrorenen Scheiben seines Autos für einen Fahrzeugschaden hält. Auch mit der Sprache kommt er nicht wirklich zurecht und telefoniert deshalb teilweise stundenlang mit seiner Familie in Brasilien.

Dedes Gedanken: "Als ich das erste Mal im Westfalenstadion aufgelaufen bin, habe ich sofort gespürt, dass das hier etwas Besonderes ist. Dieses Gefühl wurde mit jedem Spiel und jeder Saison stärker. Natürlich gab es auch Probleme. Es war einfach alles anders. Ich war alleine, keine Freunde, keine Familie, anderes Essen, andere Sprache, anderes Wetter. Die Leute waren viel reservierter als in Brasilien."

Sommer 2001

Längst hat sich Dede in Deutschland eingelebt. Sportlich zählt er zu den besten Außenverteidigern der Liga. Mit Ewerthon und Marcio Amoroso wechseln zwei weitere Brasilianer zum BVB. Dede kümmert sich um die Integration seiner Landsleute und wird zu "Borussias Außenminister".

Im Hause Dede in Herdecke vor den Toren Dortmunds entsteht die berühmte "Samba-WG", in der nicht nur die BVB-Südamerikaner ein und aus gehen und ein Stück Brasilien nach Deutschland bringen. Auch die ehemaligen Schalker Marcelo Bordon, Lincoln oder Kevin Kuranyi sind jederzeit herzlich willkommen. Für seine Landsmänner Tinga und Santana wird Dede in den folgenden Jahren zur wichtigsten Bezugsperson.

Dedes Gedanken: "Für meine brasilianischen Kollegen habe ich die ganzen kleinen Dinge im Alltag erledigt. Ich habe das gerne gemacht, denn mir hat das damals, als ich nach Dortmund kam, gefehlt. Mit den Brasilianern war es immer laut, und wir haben viel gelacht. Tinga war jeden Tag bei mir. Felipe Santana ist es auch. Sie kommen zum Playstation spielen, um mit mir zu quatschen oder Samba zu spielen. Ewerthon hat bei mir gewohnt. Evanilson, Amoroso - wir waren immer zusammen. Das ist ein kleines Stück Heimat. Da ich keine Frau und Kinder habe, ist das eine gute Lösung."

Mai 2002

Unter der Regie von Trainer Matthias Sammer holt der BVB den sechsten Meistertitel der Vereinsgeschichte. Dede ist dabei einer der Erfolgsgaranten. Im UEFA-Cup-Finale scheitert die Borussia allerdings mit 2:3 an Feyenoord Rotterdam. Zuvor erlebt Dede jedoch mit dem 4:0-Heimspielsieg im Halbfinale gegen den AC Milan "einen meiner unvergesslichsten Momente in Dortmund".

Sommer 2002

Zur neuen Saison wechselt Dedes älterer Bruder Leandro aus Brasilien zum BVB. Der Angreifer tut sich allerdings schwer, sich in Dortmunds Starensemble durchzusetzen. Nach zwei Jahren, zwölf Ligaspielen und zwei Toren verlässt Leandro den BVB 2004 wieder. Ihr persönliches Highlight erleben die beiden Brüder im November 2002, als sie im Champions-League-Spiel in Auxerre erstmals gemeinsam in der Startelf stehen.

Dedes Gedanken: "Das war mit der schönste Tag in meinem Leben, als ich damals in der Champions League gemeinsam mit meinem Bruder im gleichen Trikot ins Stadion einlaufen konnte. Dieses Gefühl kann ich gar nicht beschreiben. Ich war so nervös wie bei meinem ersten Spiel in Dortmund, aber glücklich zugleich."

April 2004

Dede zählt seit Jahren zu den besten Linksverteidigern in Europa. Im Nationalteam ist allerdings an Roberto Carlos kein Vorbeikommen. Dede wird zwar das eine oder andere Mal in die Selecao berufen, es reicht allerdings nur zu einem einzigen Länderspiel. Am 28. April wird Dede beim 4:1-Erfolg gegen Ungarn zur Pause eingewechselt.

Frühjahr 2005

Der BVB ist wirtschaftlich schwer angeschlagen, sogar die Insolvenz droht. Präsident Gerd Niebaum und Manager Michael Meier müssen ihren Hut nehmen, Reinhard Rauball und Hans-Joachim Watzke versuchen, die drohende Katastrophe zu vermeiden - was ihnen schließlich auch gelingen wird. Für die Rettung sind allerdings ein gnadenloser Sparkurs und damit verbundene Spielerverkäufe und Gehaltskürzungen nötig.

Dedes Gedanken: "Als es die große Krise um den Verein gab und viele Spieler nicht mehr mitmachen wollten, habe ich mich sofort entschieden, dass ich den Weg mit Borussia weitergehe. Ich habe sogar freiwillig auf 50 Prozent Gehalt verzichtet. Diese Entscheidung war auch für mich nicht einfach. Heute bin ich froh, dass es so gelaufen ist."

Zu Teil 2: Ein Angebot, der Schock, die Rückkehr und der Blick nach vorne

Sommer 2007

Die Borussia ist längst im Bundesliga-Mittelmaß angekommen. Die Saison 2006/2007 wird auf Platz neun abgeschlossen, nachdem zuvor mit Bert van Marwijk und Jürgen Röber zwei Trainer gehen mussten. Der neue Chefcoach heißt seit März Thomas Doll. Dede ist einer der wenigen Borussen, dessen Leistungen noch gehobenen Ansprüchen genügen.

Das ist auch anderen Klubs nicht verborgen geblieben. Der AS Rom buhlt intensiv um den Brasilianer. Das finanziell lukrative Vertragsangebot liegt Dede unterschriftsreif vor. Der BVB will seinen Publikumsliebling allerdings nicht abgeben. Dede akzeptiert die Entscheidung des Klubs schließlich klaglos. In den Jahren zuvor waren unter anderem bereits der FC Barcelona, Bayern München und Galatasaray Istanbul abgeblitzt.

Dedes Gedanken: "Das Angebot liegt noch bei mir zu Hause. Rom wollte mich für drei Jahre und 2,9 Millionen Euro pro Saison. Netto! Da geht schon viel im Kopf herum, wenn die Möglichkeit besteht, sich finanziell zu verbessern und ein anderes Land kennen zu lernen. Am Ende habe ich einfach gesagt, dass mich das Geld und die Champions League nicht so jucken. Ich bin stolz, dass ich Borusse geblieben bin."

Oktober 2007

Dede ist bestens integriert und seit mittlerweile über neun Jahren in Deutschland. Längst ist Deutschland zu seiner zweiten Heimat geworden. Er fühlt sich wohl und kann sich vorstellen, in Dortmund seine Karriere zu beenden. Am 23. Oktober 2007 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Dedes Gedanken: "Wenn ich nach Brasilien fliege und meinen deutschen Pass zeige, dann bin ich stolz. Ich weiß ganz genau, nicht jeder bekommt einen deutschen Pass. Dass ich einen habe, ist eine Ehre für mich."

August 2008

Finanziell hat der BVB seine schwierigste Phase überwunden, sportlich allerdings dümpelt die Borussia vor sich hin. Unter dem neuen Coach Jürgen Klopp soll nun alles besser werden. Die Saison beginnt mit einem 3:2-Erfolg in Leverkusen vielversprechend. Der große Schock dabei: Dede reißt sich das vordere Kreuzband im linken Knie.

Die Fans sind erschüttert, unterstützen ihren Liebling allerdings sofort. Im BVB-Forum wird jeden Tag ein neuer Thread erstellt, der den Countdown bis zu Dedes Comeback einläutet. Nur drei Tage nach seiner Operation läuft Dede am Rande des Spiels gegen die Bayern auf Krücken über den Rasen und wird von den Fans gefeiert.

Dedes Gedanken: "Drei Tage nach meiner Operation wollte ich unbedingt beim Spiel gegen die Bayern im Stadion sein. Meine Ärzte rieten ab, doch ich drängte. So humpelte ich auf Krücken aufs Feld. Was ich dann erlebte, werde ich nie vergessen: Die Fans jubelten mir zu, sie hielten ein Spruchband hoch ('Dede, nur noch 4.152 Stunden', Anm. d. Red.) und die Mannschaft trug ein Transparent auf den Rasen: 'Der ganze BVB für unseren Dede'. Ich war zu Tränen gerührt. Freudentränen."

Februar 2009

Der BVB wird 100 Jahr alt und lässt zum Jubiläum die Jahrhundertelf des Vereins wählen. Mit dabei: Dede. Der Brasilianer schafft es neben Jürgen Kohler, Matthias Sammer und Julio Cesar in die Abwehr der Auswahl.

Dedes Gedanken: "Das ist eine der tollsten Sachen, die mir passiert ist, seit ich bei Borussia bin. Fast elf Jahre bei einem Verein, das können bestimmt auch in Dortmund nur wenige von sich sagen, das ist ein halbes Sportlerleben."

März 2009

Die Leidenszeit hat ein Ende. Die Kreuzbandverletzung ist überstanden, die Reha gut verlaufen. Dede ist wieder fit und bereit für die Bundesliga. Am 7. März ist es soweit. Beim Auswärtsspiel in Stuttgart läuft er erstmals nach seinem Kreuzbandriss wieder in der Bundesliga auf. Bis zum Saisonende wird er in allen Partien in der Startelf stehen - die Europa League verpasst der BVB trotzdem am letzten Spieltag noch.

Mai 2009

Fast zehn Jahre ist Dede mittlerweile in Dortmund - es wird mal Zeit für einen Rekord. Durch seinen Einsatz am letzten Spieltag der Saison in Gladbach wird der Brasilianer zu dem ausländischen Profi, der die meisten Partien für einen Verein bestritten hat. Zum 315. Mal trägt Dede an diesem 23. Mai das schwarz-gelbe Trikot in der Bundesliga.

Dedes Gedanken: "Das ist ein Rekord des Herzens. Ich habe immer alles für den BVB gegeben. Am liebsten ist es mir aber, etwas mit der Mannschaft zu erreichen. Die Mannschaft ist immer das Wichtigste, dann kommt das Individuelle."

November 2009

Nachdem ihn in der Vorbereitung auf die neue Saison ein Kieferbruch zurückgeworfen hat, zieht sich Dede eine erneute Knieverletzung zu: Innenband und Meniskus sind kaputt. Der Linksverteidiger wird von Youngster und Dede-Fan Marcel Schmelzer vertreten - und zwar so gut, dass Dede nicht mehr an ihm vorbeikommt, als er wieder fit ist. Dedes Platz ist fortan die Bank. Ärger macht er deshalb dennoch nicht.

Dedes Gedanken: "Mein Freund Emerson hat mir in vielen Telefonaten gesagt: Ein Profi spielt höchstens sieben, acht Jahre auf höchstem Niveau. Ich hatte elfeinhalb gute Jahre. Jetzt habe ich einfach nur Pech gehabt."

Oktober 2010

In der Saison 2009/2010 kommt Dede nach seiner Knieverletzung und der Degradierung zum Reservespieler noch auf sieben Liga-Einsätze, in der laufenden Spielzeit ist es gerade mal einer - über fünf Minuten gegen den HSV im November 2010. Kurz davor darf er Schmelzer in der Europa League gegen Paris St. Germain vertreten. Es wird bis heute sein letzter Startelf-Einsatz für Borussia Dortmund bleiben.

Der Blick in die Zukunft

Am 14. Mai endet die Saison und damit auch eine Ära. Leonardo de Deus Santos wird dann ein letztes Mal das BVB-Trikot tragen und ein letztes Mal von den Borussen-Fans gefeiert werden. Tränen werden fließen. Vergessen werden sie ihn in Dortmund nie - und er seinen BVB auch nicht, egal was kommt, denn: "Im Herzen bleibe ich Borusse!"

13 Jahre BVB: Das ist Leonardo de Deus Santos