Nein, Jerome Boateng steht auch als Spieler des FC Bayern, der bisweilen grotesk aufgeregten Diva aus München, nicht im Verdacht, irgendwann mal als Lautsprecher deklariert zu werden.
Der Nationalspieler ist alles in allem ein ruhiger Zeitgenosse, beinahe verschlossen. Einer, der beim Reden die Lippen manchmal nicht weiter als fünf Millimeter auseinander bringt und deshalb für den hippen Fußballfan von heute vielleicht als Langweiler gilt.
Aber: Jerome Boateng weiß genau, was er sagt - und viel wichtiger: was nicht - und erscheint einem so als Gesprächspartner noch wohltuend normal.
"Wiesn-Hendl oder Döner?"
So kommt es durchaus schon mal vor, dass Boateng leise über die unterschiedlichen Döner-Zubereitungsarten in Deutschland fabuliert. Ein so schmackhaftes Fladenfleisch wie in seiner Heimat Berlin habe er nämlich weder in Hamburg noch in München gegessen, berichtete er neulich Journalisten.
Nun isst man in München bekanntlich zur Oktoberwende eher überteuerte Grillhähnchen in Hälften, das Wiesn-Hendl ist nicht nur sprichwörtlich in aller Munde. Die Einstiegsfrage an Boateng beim Pressetalk am Donnerstag konnte also nur lauten: "Wiesn-Hendl oder Döner?"
Boateng stutzte kurz und antwortete dann, wohl wahrheitsgetreu: "So ein Wiesn-Dings habe ich noch nie gegessen. Aber ich werde es mal probieren." Auf dem Oktoberfest sei er bislang ohnehin noch nie gewesen. "Ich habe nur davon gehört. Es soll ja da ganz lustig sein."
Die Töne dazwischen
Boateng hat viel abzuarbeiten in München. Stammplatz, feste Größe in der Nationalmannschaft, Erfolge, Titel - so in etwa. Dass es den Boulevard angesichts von acht Pflichtspielen ohne Gegentor in Serie nach brauchbaren Überschriften dürstet, ist Boateng einerlei.
Seine Einzeiler taugen sicherlich nicht zum Blattaufmacher. Es sind eher die Töne dazwischen, die nach dem Gespräch haften bleiben. "Wir sind zufrieden, dürfen aber nicht nachlassen", sagt er beispielsweise zum formidablen Bayern-Beton in der Abwehr. Und: "Die Saison ist noch lang, wir stehen aber erst am Anfang."
Wie er, als Spieler des Rekordmeisters. Die Integration ins Team sei problemlos verlaufen, sagt er. Trainer Jupp Heynckes, ein erfahrener Mann mit guten Manieren und dem Hang zu Einzelgesprächen, habe ihm den Einstieg vereinfacht. "Das Team hat mich gut aufgenommen, es wurde mir sehr leicht gemacht", so Boateng.
Die Chemie stimmt
Das Geheimnis des derzeitigen Erfolgs? Man könnte sagen: Die Chemie im Team stimmt. "Wir sind gut abgestimmt, haben keine weiten Abstände, weil auch die Offensivspieler nach hinten arbeiten", sagt der 22-Jährige.
Trainer Heynckes bringe einfach "die richtige Mischung" mit und vermittle jedem im Kader, dass er gebraucht wird. "Er geht gut mit den Spielern um. Die Ansprachen und das Training sind gut, er legt viel Wert auf Passspiel und Konzentration."
Heynckes' Faustpfand: "Alle Spieler fühlen sich wohl. Nicht nur die, die meistens spielen, sondern auch die anderen. Er ist nicht so, dass sich die anderen so fühlen, als würden sie nicht dazu gehören."
Kommunikator Heynckes
So oft habe er das noch nicht erlebt, gibt Boateng zu. "Das hier, das ist schon was Besonderes." Bei ManCity habe man ja "doppelt so viele Spieler" gehabt, da war es schwierig, alle bei Laune zu halten.
Er selbst, der sich als Innenverteidiger sieht, habe auch weiterhin kein Problem damit, mal als Rechtsverteidiger auszuhelfen oder gar ein Spiel auf der Bank zu verbringen: "Wenn man mal draußen sitzt, dann erklärt der Trainer, warum."
Wenn Heynckes mit einem spricht, habe man gleich ein besseres Gefühl, als wenn man immer nur kommentarlos hin und her geschoben wird, berichtet Boateng weiter.
Beim Spiel in Zürich beispielsweise wollte Heynckes Rafinha eine Pause geben, deswegen spielte Boateng rechts. Gegen den 1. FC Kaiserslautern ging es dem Coach dann um die bessere Absicherung bei Standards, deswegen spielte Boateng wieder außen. "Kleinigkeiten, eben", sagt er.
Verbesserungspotenzial bei Torquote
Die Leistungen des 22-Jährigen können sich auch durchaus sehen lassen. Seit dem 0:1 gegen Borussia Mönchengladbach zum Auftakt ist ihm kein grober Fehler unterlaufen. Seine Statistiken sind mit 92,5 Prozent angekommener Pässe gut bzw. mit 73 Prozent gewonnener Zweikämpfe sehr gut.
Boateng ist im Schnitt knapp 60-mal pro Spiel am Ball und scheut sich nicht, auch mal in die gegnerische Hälfte vorzustoßen. Bei Standards schiebt er mit seinen 1,92 Metern Körpergröße meist mit in den gegnerischen Strafraum - auch wenn ihm als Profi noch kein einziges Liga-Tor gelang.
Bislang stehen nur je ein Treffer in der Europa League, der Europa-League-Qualifikation, der Regionalliga Nord und in der deutschen U 21 auf Boatengs Habenseite - ein Bundesliga-Tor ist ein weiteres Ziel, dass sich der Innenverteidiger gesteckt hat.
"Klar kommen da dann Sprüche"
Mit seinem Ex-Klub Manchester City, in der nächsten Woche in München zu Gast, habe er sich indes noch nicht beschäftigt, gibt er zum Ende des Gesprächs zu.
Die Citizens haben ein "sehr starkes Team, viele starke Einzelspieler". Man müsse aber auch als Team auftreten, das hätten die Münchner den Engländern voraus, sagt Boateng.
Nach der Champions-League-Auslosung habe er bereits mit Edin Dzeko, Vincent Kompany, Nigel de Jong und Micah Richards Kontakt gehabt, meist per SMS. Da wurde hier und da schon mal ein bisschen gefrotzelt, die echten Ansagen werden aber wohl erst nach dem kommenden Spieltag verschickt. "Klar kommen da dann Sprüche", ist sich Boateng sicher.
Eine Ansage hat Boateng jetzt schon für die Ex-Kollegen: "Wir spielen zuhause, wir sind favorisiert. Wenn wir spielen, was wir können, werden wir auch gewinnen." Und wenn Bayern-Serie auch die Spiele gegen Leverkusen, ManCity und Hoffenheim übersteht, wird sich Boateng am Sonntag in einer Woche sicher auch so ein Wiesn-Dings schmecken lassen.
Der Kader des FC Bayern München 2011/12