"Er sollte Eier haben und sich stellen"

Jonas Schützeneder
13. Februar 201422:05
Zurück zum Fußball: Georg Koch will künftig als Torwart-Trainer arbeitengetty
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Lange Zeit lebte Torhüter Georg Koch von seiner unerschrockenen und selbstbewussten Art - bis ein explodierter Böller seine Karriere beendete. Im Interview blickt Koch auf den Unfall zurück, spricht über seine Stationen beim PSV Eindhoven und Dinamo Zagreb und verrät, wieso sein ehemaliger Kollege Tim Wiese in Hoffenheim scheiterte.

SPOX: Herr Koch, Sie wurden vor fünf Jahren von gegnerischen Fans mit Böllern beworfen. Einer explodierte in Ihrer Hand, woraufhin Sie Ihre Karriere letztlich beenden mussten. Wie schnell ist die Zeit seitdem vergangen und wie geht es Ihnen heute?

Georg Koch: Sie ist schnell vergangen, keine Frage. Anfangs war es relativ schwer. Ich war körperlich außer Gefecht, fast taub und hatte Probleme mit dem Gleichgewicht. Da fragt man sich natürlich, was man nun tut, wenn man so aus dem Leben gerissen wird. Fußball war immer mein Leben und plötzlich war das weg. Mittlerweile geht es mir wieder besser.

SPOX: Sie standen damals bei Rapid Wien im Tor. Beim Derby gegen Austria kam es dann zu dieser Böller-Explosion. Während Sie schwer verletzt auf dem Boden lagen, beschimpften Sie die Gästefans im Block hinter Ihnen. Haben Sie die Szenen später auf Video gesehen?

Koch: Ja, mehrmals. Ich dachte, es wäre ein bengalisches Feuer, habe es aufgehoben und wollte es wegwerfen. Bei der Explosion wurde mir schwarz vor Augen und alles war plötzlich weg. Als ich die Szene erstmals danach gesehen habe, war ich innerlich leer. Mittlerweile habe ich sie öfter gesehen, auch weil wir ja gerade einen Prozess führen.

SPOX: Dabei geht es um Schadensersatz, nach wie vor gibt es allerdings keinen Täter. Es wird mittlerweile gegen die Sicherheitsfirma am Einlass prozessiert.

Koch: Richtig, der Prozess läuft noch, es geht da um eine Schmerzensgeldsumme und es ist wirklich mühselig. Mal sehen, was rauskommt. Mir geht es darum, dass die Fehler aufgezeigt und aufgedeckt werden.

SPOX: Sind Sie im Rückblick enttäuscht von Rapid und hätten sich mehr Unterstützung erhofft?

Koch: Nein. Enttäuscht bin ich weder von Rapid noch von der Austria. Ich bin enttäuscht von dem Zuschauer. Er sollte die Eier haben, sich zu stellen und zu seinem Fehler zu stehen. Wenn ich heute sehe, was in den Stadien los ist, dass Menschen verletzt werden und Verletzungen in Kauf genommen werden, kann ich das nicht nachvollziehen.

SPOX: Sie haben einige Monate nach Ihrem Rücktritt psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Wie schwer war die Überwindung?

Koch: Man merkt am Anfang nicht, wie schnell man in ein Loch fällt. Ich war es gewohnt, täglich zu trainieren und Vollgas zu geben. Plötzlich war ich nach einer Übung völlig fertig, hatte keine Kraft mehr. Zum Glück ist mein Schwiegervater Arzt und hat sehr früh gemerkt, wie verzweifelt ich wurde. Mittlerweile habe ich die psychologische Behandlung erfolgreich abgeschlossen und schaue zuversichtlich nach vorne.

SPOX: Maßgeblichen Anteil daran hat Ihre Familie. Wie hoch war die Belastung für Ihre Frau und Kinder?

Koch: Natürlich groß. Ohne sie und meine Freunde wäre das nicht zu schaffen gewesen. Meine Tochter war damals auch im Stadion, aber zu klein um zu verstehen, was mit ihrem Papa da passiert. Mittlerweile kann ich mit ihr und meinem Sohn im Garten Fußball spielen, ein tolles Gefühl.

SPOX: Zuletzt waren Sie in Dubai Torwart-Trainer. Der erste Schritt in Richtung Trainer-Karriere?

Koch: Ich hoffe es. Mir macht die Arbeit mit Torhütern extrem viel Spaß, ich kann da viel weitergeben. In Dubai habe ich jedenfalls viel Erfahrung gesammelt, auch wenn sich der Eigentümer zum Schluss entschlossen hat, ein neues Trainer-Team einzustellen. Dann kam die Kündigung per Email. Derzeit bereite ich mich weiter vor und plane auch einige Hospitanzen bei verschiedenen Vereinen. Dann bin ich für die neue Saison sicher bereit. Nebenbei bin ich auch bei einer Werbeagentur, um etwas hinter die Kulissen des Sports zu schauen. SPOX

SPOX: Mit Blick auf Ihre Karriere: Sind Sie - unabhängig vom tragischen Ende - zufrieden?

Koch: Ja, absolut. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und war insgesamt 20 Jahre lang Profi, das muss man erst mal schaffen. Über das Ende kann man streiten, darüber ärgere ich mich natürlich heute noch. Man will sich ja vom Publikum verabschieden. Aber ich schaue jetzt nach vorne und will wieder zurück auf den Markt.

SPOX: Gibt es etwas, das Sie im Rückblick anders machen würden?

Koch: Eigentlich nur eines: Als ich damals nach Eindhoven gewechselt bin, hatte ich zu wenig Geduld. Ich war jung und kurz vor dem Nationalteam. Da bin ich dann bei meiner ersten Auslandsstation zu ungeduldig gewesen und habe vorzeitig abgebrochen, anstatt auf meine Chance zu warten.

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SPOX: In Eindhoven haben Sie unter Dick Advocaat gearbeitet, später unter Otto Rehhagel und Erik Gerets. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Koch: Schwer zu sagen. Rehhagel und Gerets waren auf jeden Fall sehr starke Persönlichkeiten, die viel Eindruck gemacht haben. Am meisten habe ich aber Alex Ristic zu verdanken. Er hat mich ungemein gefördert und aus mir einen Bundesliga-Torhüter gemacht.

SPOX: Sie selbst galten damals als starke Persönlichkeit, teilweise auch als unbequem.

Koch: Das möchte ich nicht abstreiten. Ich bin sicher auch mal über das Ziel hinausgeschossen. Entscheidend war, dass ich immer gewinnen wollte. Das wusste auch jeder Verein. Wenn mich wer verpflichtet hat, dann mit der Gewissheit: Der gibt immer 150 Prozent.

SPOX: Außerdem sind Sie Aufstiegsexperte. Bei welchem der fünf war die Party am besten?

Koch: Schwer zu sagen. Eigentlich waren die größten Parties immer die, wenn der Klassenerhalt geschafft wurde (lacht). Aber wenn ich mich entscheiden muss, würde ich den Durchmarsch mit Fortuna Düsseldorf nennen. Der Verein war damals fast pleite, ohne den Aufstieg in die 2. Liga wäre er tot gewesen. Wir Spieler haben mehrere Monate keine Gehälter bekommen und sind deshalb noch enger zusammengerückt. Wir haben zusammen gefrühstückt und uns gegenseitig ausgeholfen. Wir waren jung und mussten öfter schauen, wie wir die Miete bezahlen. Da waren die beiden Aufstiege nacheinander einfach eine unglaubliche Befreiung, sowas gibt es heute nicht mehr. SPOX

SPOX: Gegen Ende Ihrer Karriere waren Sie bei Dinamo Zagreb aktiv. Die Zugabe Ihrer langen Laufbahn?

Koch: Auf jeden Fall. Kroatien war Wahnsinn. Erstmals nach dem Bürgerkrieg haben wir uns wieder für den internationalen Wettbewerb qualifiziert. Das war gewaltig. Wir sind seitdem Helden, noch heute muss ich meinen Kaffee nicht bezahlen, wenn ich dort unterwegs bin. Die Atmosphäre in den alten Stadien war Wahnsinn. Diese alten Betonschüsseln, die intensive Stimmung und dann diese Erfolge! Die Anerkennung dort ist bis heute überragend. Ich bin dort wie ein Politiker, wie Helmut Schmidt.

SPOX: Ihre Torhüter-Generation war von explosiven Typen wie Oliver Kahn und Jens Lehmann geprägt. Dagegen wirken die heutigen Torhüter teils wie unschuldige Jugendspieler, oder?

Koch: Natürlich hat sich das verändert. Aber man sieht sofort, dass die heutigen Keeper wie Manuel Neuer, Marc-Andre ter Stegen oder Bernd Leno alle eine großartige Ausstrahlung und Persönlichkeit haben. Mir wird da etwas zu viel interpretiert. Man wird nicht Weltmeister, weil man einen Spieler hat, der das Maul aufreißt, sondern weil man als Team zusammen gewinnt. Bayern hat alles gewonnen - angeführt von Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, die das Team führen, ohne laut rumzubrüllen. Darum geht es.

SPOX: Stichwort ter Stegen: Ihr ehemaliger Kollege Jörg Stiel meinte kürzlich im SPOX-Interview, dass der Gladbacher stark genug für Barcelona ist und nach der WM dann auch an Neuer vorbeiziehen könne. Wie sehen Sie das?

Koch: Ich bin überzeugt, dass ter Stegen bereit für Barcelona ist. Er hat eine große Ruhe, spielt gut mit und macht kaum Fehler. Falls der Wechsel klappt und er wirklich spielt, wird es richtig spannend. Dann weiß Neuer, dass er einen starken Konkurrenten bei einem Top-Klub hat und wird sich dadurch selbst nochmal steigern.

SPOX: Den wohl größten Absturz erlebte derweil Tim Wiese. Er hat Sie damals in Kaiserslautern als Stammtorwart verdrängt. Warum ist er als Nationalkeeper in Hoffenheim gescheitert?

Koch: Es hat einfach nicht zusammengepasst. Tim ist mit seiner Art ein besonderer Torhüter. Ich vermute, dass er sich vor dem Wechsel nicht exakt genug gefragt hat, ob der neue Klub wirklich zu ihm passt. Ganz unabhängig davon, dass es sportlich nicht gelaufen ist, war das Umfeld wohl ein großes Problem. Ich bin gespannt, ob er nochmal zurückkommt.

SPOX: Angeblich hatte Wiese auch Angebote großer europäischer Klubs. Bei Ihnen ist damals ein Wechsel zum AC Milan geplatzt. Wie kam es dazu?

Koch: Das ist eine verrückte Geschichte. Es war 1997 und ich war kurz vor dem Nationalteam, als das Angebot aus Mailand kam. Ich war schon kurz vor einer Unterschrift und habe mich dann verletzt. Eigentlich hätte ich nach Italien fliegen sollen, lag aber mit einem Nasenbeinbruch und weiteren Frakturen im Krankenhaus. Der AC wollte danach erst den Heilungsverlauf abwarten und hat sich dann für eine andere Lösung entschieden. Ich bin dann nach Eindhoven gewechselt.

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