BVB: Shinji und der Sinn

Jochen Tittmar
01. September 201418:17
Shinji Kagawa erzielte in seinen bislang 49 Bundesligaspielen für den BVB 21 Toregetty
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Shinji Kagawa spielt nach zwei Jahren bei Manchester United wieder für Borussia Dortmund. Dass der Japaner zu diesem Zeitpunkt den Weg zurück wählt, macht Sinn - auch für das Spiel sowie die Zukunft des BVB.

Der Transfer aus Sicht von Shinji Kagawa:

Rein äußerlich betrachtet wirkte Kagawa nicht hochgradig glücklich, wenn man sich die Bilder anschaut, die rund um die Vollzugsmeldung am Sonntag veröffentlicht wurden.

Auch wenn über das wahre Seelenleben des Japaners nur spekuliert werden kann, wird auch er gemerkt haben: Der einstige Kindheitstraum Premier League ist ausgelebt, die sportliche Bilanz mager.

In Kagawas Heimatland ist die englische Liga das Maß aller Dinge und ein unglaublicher Zuschauermagnet. Es war verständlich, dass ihn vor zwei Jahren diese Perspektive reizte. Dass Kagawa auf der Insel sein Glück nicht fand, ist auch nicht gänzlich ihm selbst zuzuschreiben.

Sir Alex Ferguson beging den Fehler, sich erst in den wendig-trickreichen Bundesliga-Zehner Kagawa zu verlieben - und ihn dann doch umfunktionieren zu wollen. Kagawa war es nicht gewohnt, auf einmal nur noch situativ im Zentrum aufzutauchen und ansonsten die Breite auf dem Flügel zu halten.

In mehr als zwei Dritteln seiner Spiele für die Red Devils musste er auf der Außenbahn ran. Dort beraubte man ihn seiner Stärken im Pressing, die Torgefahr ging flöten und von seiner hohen Beweglichkeit und den Drehungen auf engstem Raum war auch kaum mehr etwas zu sehen.

Andererseits darf es bei einem Spieler seiner Klasse nicht in Stein gemeißelt sein, ein anderes Aufgabengebiet im Mittelfeld nicht beackern zu können. Kagawa wird bei United wohl kaum mit der Gewissheit unterschrieben haben, eine vollkommen identische Rolle wie in Dortmund einzunehmen. Ob man es Kagawa nun ankreidet oder nicht, er war unter zwei verschiedenen Trainern nicht in der Lage, die fußballerischen Anforderungen an ihn zu erfüllen.

Kagawa spielte im Old Trafford daher lediglich 14 Mal über die vollen 90 Minuten. Nach David Moyes sah auch Louis van Gaal keine weitere Verwendung für ihn. Deshalb machte es jetzt Sinn, das Kapitel England endgültig zuzuschlagen.

Dass dieser Schritt und somit wohl auch unterschwellig die Einsicht, gescheitert zu sein, zu spät kam, ist allerdings ein kaum berechtigter Vorwurf. Kagawa musste in Manchester ungeachtet seiner genauen Position mit Anlaufschwierigkeiten rechnen. Wieso dann also gleich nach einem wenig konstanten Jahr die Flinte ins Korn werfen, zumal sich im Klub auf entscheidender Position eine historische Veränderung ergab?

Als van Gaal nun gewohnt unmissverständlich klarmachte, dass sich Kagawas Situation unter ihm eher verschlimmern als verbessern wird, fand beim 25-Jährigen ein nötiges Umdenken statt. Der Zeitpunkt des Abgangs kommt also weder zu spät, noch zu früh.

Erneut den BVB als Arbeitgeber auszuwählen, ist ebenso nachvollziehbar. Dort kennt Kagawa Trainerteam, Mitspieler und Umfeld. Hilfreich für das Unterbewusstsein dürfte dazu das Wissen sein, an genau diesem Ort schon einmal prächtig funktioniert zu haben.

Für Kagawa bedeutet der Transfer einen sportlichen Neustart - im warmen Dortmunder Nest.

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Seite 3: Die Wirkung des Kagawa-Transfers

Der Transfer aus Sicht des BVB:

Dass Dortmund kurz vor Ende der Wechselperiode noch einmal reagiert hat, obwohl Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor drei Monaten bezüglich der Personalie Kagawa ein relativ klares Nein verkündete, liegt zum einen an der derzeit dünnen Personaldecke im Mittelfeld.

Nuri Sahin fällt noch eine Weile lang aus, Jakub Blaszczykowskis Wiedergenesung nach Kreuzbandriss kann wie jene von Ilkay Gündogan nur etappenweise erfolgen, Dong-Won Ji, Sven Bender und Oliver Kirch sind dazu nicht fit - da steht dem BVB ein weiterer Mittelfeldspieler mit Qualität durchaus gut zu Gesicht.

Andererseits spielt die Kurzfristigkeit eine Rolle. Nachdem van Gaal verlauten ließ, dass Kagawa nicht nach seiner Philosophie spiele und dem japanischen Nationalspieler erstmals eine klare Ansage erteilt wurde, versetzte dies die Dortmunder Verantwortlichen in Alarmbereitschaft. Wohl wissend, dass sie bei Kagawa eine Chance haben würden, beratschlagte man sich und ergriff die Gelegenheit, "diese enorme Qualität wieder für uns zu gewinnen", so Manager Michael Zorc.

Daran anschließend stellt sich nun natürlich die Frage, wie und wo der BVB mit seinem Rückkehrer plant. Trainer Jürgen Klopp ließ sich in englischen Medien vor einiger Zeit damit zitieren, dass Kagawa für ihn "einer der besten Zehner der Welt" sei - und es ihm Tränen in die Augen treibt, wenn er sieht, wie dessen kreatives Potential abseits des Mittelfeldzentrums nicht zum Tragen kommt.

Nur hat Klopp während der Rückrunde der vergangenen Saison bereits die Besetzung des Zehnerraums dahingehend verändert, dass er Marco Reus vom Flügel nach innen und Henrikh Mkhitaryan in die entgegengesetzte Richtung geschickt hat.

Diese Maßnahme ging wunderbar auf und der Coach stützte zumindest die Versetzung Mkhitaryans erst kürzlich, als er darauf hinwies, wie wertvoll der Armenier aus dem linken Mittelfeldhalbraum kommend momentan für das Team sei.

Daher erscheint es wahrscheinlicher, dass künftig Reus, sollte Kagawa wie früher als zentraler Mittelfeldspieler eingeplant werden, eine neue Positionierung erhalten wird. Rückt Reus etwa als zweite oder vielmehr hängende Spitze eine Linie nach vorne, würde dies die Statik des Spiels auch nur unwesentlich verändern. Bei Reus dürfte man mit dieser Umstellung, die er sowohl aus Gladbach kennt, als auch bereits in Dortmund eingenommen hat, kaum Schwierigkeiten erwarten.

Klopp hat sich bislang noch nicht dazu geäußert, wie seine Gedankenspiele genau aussehen. Er wird sie auch kaum mit der gesamten Öffentlichkeit teilen. Die Diskussionen um die Systemfrage, ob nun das traditionelle 4-2-3-1 oder die zuletzt häufiger praktizierten 4-4-2- und 4-1-4-1-Formationen, scheinen dem Trainer in letzter Zeit sowieso ein Dorn im Auge zu sein.

Klopp will das Dortmunder Spiel so flexibel wie möglich interpretiert sehen, insbesondere im Offensivbereich. Wenngleich jeder Spieler aus einer Grundposition heraus startet, ergeben sich situativ immer wieder verschiedene Pärchen und damit auch Zahlenkombinationen.

Fest steht: Kagawas Rückkehr muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Japaner wie in seiner ersten Zeit in Schwarzgelb die Rolle des klassischen Zehners einnimmt. Ein 4-1-4-1-Grundgerüst mit Reus und Kagawa im Halbraum sowie Mkhitaryan auf einem der Flügel sähe beispielsweise keinen alleinigen Spielgestalter vor - und würde der Spielverlauf doch einen benötigen, ließe sich das auch ohne Änderung des Personals bewerkstelligen.

Dass Klopp mit Kagawa einen Spieler hinzu bekommt, der in der Enge des Zentrums nur wenig zusätzlichen Raum zur Entfaltung seiner Stärken benötigt, ist unter dem Strich systemunabhängig und gerade gegen tief stehende Gegner eine gute Nachricht für den Coach.

Wie schnell Kagawa helfen kann, ist schwer zu prognostizieren. Man wird gerade auf Seiten der enorm euphorisierten Anhänger gut daran tun, Geduld zu haben und dem neuen Alten Zeit einzuräumen. Kagawa muss sich und dann den für ihn veränderten Dortmunder Fußball erst finden. Einen Freifahrtschein bekommt auch er nicht.

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Seite 3: Die Wirkung des Kagawa-Transfers

Die Wirkung des Kagawa-Transfers:

Dem Umfeld hat der BVB einen lange gehegten Wunsch erfüllt und damit wie schon bei Nuri Sahin Wort gehalten: Es gab wie zum Zeitpunkt der jeweiligen Abgänge angekündigt sowohl für den Ex-Madrilenen, als auch für Kagawa die Möglichkeit, den Weg zurück nach Dortmund zu gehen.

Dass auch Kagawa diese Option wahrnahm, obwohl laut Zorc weitere namhafte Klubs Interesse signalisierten, unterstreicht das leistungsfördernde sowie familiäre Umfeld, das die Führungstroika der Borussia installiert hat.

Der Transfer zeigt aber auch, dass Dortmund weiterhin gewillt ist, seinem Kader Qualität hinzuzuführen. Insofern ist die Kagawa-Rückkehr, die die BVB-Transferausgaben in diesem Sommer auf über 50 Millionen Euro steigen lässt, natürlich auch als Signal an die aktuelle Belegschaft zu werten.

Ob dies begehrte Spieler wie Marco Reus davon abbringen wird, sich an anderer Stelle verdingen zu wollen, muss aufgrund der speziellen Faktoren, die der Einzelne als Bewertungsmaßstab seiner individuellen Perspektive heranzieht, allerdings vage bleiben.

Wer aufgrund hochkarätiger Angebote seinen persönlichen Karriereplan auch außerhalb Dortmunds umsetzbar sieht, dürfte weiterhin nicht davor zurückschrecken. Die finanzielle Kluft, die der BVB zu Vereinen wie dem FC Bayern oder den üblich Verdächtigen im Ausland aufweist, wird weiterhin beträchtlich bleiben.

Doch nicht nur Reus, beispielsweise auch Mats Hummels, Neven Subotic oder Sven Bender, die seit langer Zeit in Dortmund spielen und fast genauso lange im Fokus vor allem ausländischer Klubs stehen, werden genau wahrgenommen haben, dass in so gut wie jedem Fall die Kurve des Karriereverlaufs nach unten zeigte, sobald er den Westfalen den Rücken kehrte.

Der BVB sei wie eine Familie für ihn, hieß es von Kagawa in der offiziellen Pressemitteilung. Vielleicht ist die Kagawa-Rückkehr ein kleines Puzzleteil dafür, dass sich die Spieler der Borussia künftig häufiger für die funktionierende Gemeinschaft als die Einzelinteressen entscheiden.

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