Auf Schalke geht's mal wieder rund. Warum musste Jens Keller gehen? Unterscheidet sich sein Nachfolger Roberto Di Matteo wirklich von seinem Vorgänger? Und welche Rolle spielen Sportvorstand Horst Heldt und Klub-Boss Clemens Tönnies? Eine Einordnung.
Ist die Entlassung aus sportlicher Sicht gerechtfertigt?
Jens Keller zu entlassen, ist eine nachvollziehbare Entscheidung. Schalke dümpelt in der Bundesliga auf Platz elf, hat nur zwei von zehn Pflichtspielen bisher gewonnen, in der Champions League wurde der Bonuspunkt beim Remis gegen Chelsea durch die Maribor-Partie bereits wieder hergeschenkt. Und im Pokal ereilte die Mannschaft das Aus bei Drittligist Dynamo Dresden. Das sind die nackten Zahlen und sie sprachen nicht für Jens Keller.
Davor hatte er die Mindestziele jeweils erfüllen können, wenngleich auch unter größten Mühen. Mit Keller zog Schalke zweimal in die Champions League ein. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, den es auf Schalke gibt. Aber das genügt den Ansprüchen auf Dauer nicht.
Im Tagesgeschäft Bundesliga hat die Mannschaft einen regelrechten Schlingerkurs hingelegt. Nimmt man saisonübergreifend die letzten 20 Partien in der Liga, gab es gut durchmischt neun Siege, fünf Remis und sechs Niederlagen. Über ein halbes Jahr ziehen sich die Leistungsschwankungen, auch in der Endphase der abgelaufenen Saison, wo das Argument der vielen Verletzten kaum ziehen konnte, ging es stets auf und ab.
"Es fehlt die notwendige Konstanz, um unsere gesteckten Ziele zu erreichen", begründet Horst Heldt die Trennung von Keller. Das klingt so, als wären die gesteckten Ziele in höchster Gefahr. Es sind in der Liga aber erst sieben Spieltage absolviert und auch in der Königsklasse hat Schalke noch alle Chancen. Es klingt wie Schadensbegrenzung, wie Heldt den Wechsel moderiert. Die Lage auf Schalke ist ernst, aber sie ist noch lange nicht aussichtslos.
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Seite 3: Welche Rolle spielt Horst Heldt?
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Was stand Jens Keller noch im Weg?
Die sportliche Talfahrt unter Keller ist aber auch nur ein Teil der Wahrheit. Der Trainer war vom ersten Tag an auf Schalke die B-Wahl, eine Interimslösung mit geringer Halbwertszeit. Keller stand permanent unter besonderer Beobachtung.
Die Siege gegen Werder Bremen (mittlerweile Tabellenletzter) und im Derby gegen Borussia Dortmund (in einer veritablen Krise) sollte man nicht zu hoch hängen. Schalke hat kein echtes Spielsystem mehr präsentieren können und am Ende zu viel von der individuellen Qualität seiner Spieler gelebt. Die Tatsache, dass die Mannschaft in Partien mit einem Übergewicht an Ballbesitzzeiten keine einzige gewinnen konnte, die beiden Siege und das Remis in Chelsea aber aus einer abwartenden Position heraus erzielte, unterstützt diese These.
Lediglich Gerüchte dürften die Debatten um Kellers Trainingssteuerung gewesen sein, die angeblich zu den vielen Verletzten geführt hätte. Es blieb trotzdem etwas hängen. Nicht von der Hand zu weisen sind aber die drei Platzverweise nach sieben Spieltagen - Negativrekord in Schalkes Bundesligageschichte. Der Mannschaft fehlte nicht nur im Zweikampf die nötige Disziplin, sondern auch in gruppen- und mannschaftstaktischen Teilbereichen, was dann immer wieder zu Gegentoren führte. Lediglich in Bremen blieb die Mannschaft ohne Gegentreffer.
Keller hat sich am Ende an den Job geklammert. Das war für den Beobachter nicht immer angenehm zu sehen, wie da einer förmlich darum bettelte, weiter auf Schalke arbeiten zu dürfen. Keller musste sich fast immer aus der Defensive heraus erklären, sich rechtfertigen und um Verständnis bitten.
Am Ende rückten erst die Mannschaft, die er in großen Teilen nicht mehr erreichen konnte und bei der es von einigen Spielern hieß, sie würden Keller nicht mehr folgen (wollen), von ihm ab und dann seine Vorgesetzten. Kellers Argumentation, das Spiel der Mannschaft leide unter den Verletzten und der großen Belastung der Spieler, wollte Heldt nicht mehr gelten lassen.
"Keine Belastung und auch nicht die Verletzungen können als Entschuldigung herhalten", sagte Heldt nach der Niederlage in Hoffenheim. "Es geht nicht darum, sich Alibis zu verschaffen. Alle haben die Champions League gewollt, dann muss man sich mit der Belastung auseinandersetzen."
Am Dienstag spielte Heldt dann bei einer ersten Presseerklärung mit offenen Karten und kam ohne große Umschweife auf das Kernproblem, das Keller dauerhaft begleitete.
"Roberto weiß, wie man mit Stars umzugehen hat. Es ist manchmal nicht ganz einfach, bei uns eine Mannschaft zu führen. Wir haben nicht nur unerfahrene Spieler, sondern auch erfahrene, die einen gewissen Anspruch und Qualität haben", sagte Heldt über seinen neuen Trainer. Das heißt im Umkehrschluss in etwa: Jens Keller konnte all dies nicht so gut.
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Welche Rolle spielt Horst Heldt?
Der Sportvorstand hätte im Sommer genügend Zeit gehabt, einen sauberen Schnitt zu machen und Keller einen würdigen Abgang zu verschaffen. Die erfolgreichste Rückrunde der Vereinsgeschichte kann dabei nicht als Gegenargument pro Keller dienen. Schalke hatte davor auch Huub Stevens entlassen, kurze Zeit nachdem der zum Trainer des Jahrhunderts auf Schalke gewählt worden war.
Heldt begleiteten wie weite Teile der Bosse und der Fans die steten Zweifel, dass Keller nicht die nötige Stabilität herbeiführen kann. Anders ist der zwar unregelmäßige, aber doch auch dauerhafte Kontakt zu Di Matteo nicht zu erklären. Im Winter soll Thomas Tuchel quasi schon vor der Haustüre gestanden haben, bestätigt wurde dies aber nie.
Jetzt wirkt die Entlassung trotz aller nachvollziehbarer Gründe wie eine Panikaktion. Schalke benötigt Platz vier in der Liga, ohne die Gelder aus der Königsklasse ist der überdimensioniert teure Kader auf Dauer nicht zu finanzieren. Den hat Heldt zusammengestellt, noch viel mehr als der geschasste Keller. Das Gehaltsgefüge variiert offenbar enorm, aber nicht alle Topverdiener sind auch zuverlässige Leistungsträger.
Jetzt hat Heldt die Reißleine gezogen in den endlosen Debatten um den von ihm ins Amt gehievten ehemaligen U-17-Trainer. Bereits damals gab es erhebliche Zweifel, ob und wie Keller den Job würde meistern können. Heldts Schicksal schien damals auch an dem von Keller zu hängen. Nun ist der Trainer weg, Heldt aber immer noch da - und zumindest für eine kurze Zeit aus der Schusslinie.
In den nächsten Tagen und Wochen wird sich fast alles auf Di Matteo konzentrieren. Es bleibt aber auch dabei, dass Heldt durch diese neuerliche Entlassung und die Art und Weise, wie er dabei vorgegangen ist, auch im Blickpunkt stehen wird. Vermutlich mehr als je zuvor in seiner Zeit in Gelsenkirchen.
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Die Frage des Stils
Bundesligafußball ist ein hartes Geschäft, da bleibt kaum Zeit für Gefühlsduselei. Im Fall von Jens Keller liefen aber einige Dinge sehr schräg. Dass der Trainer am Sonntag noch in einer Live-Sendung über seine Lage auf Schalke parlieren durfte und sich dort zwischen Kampfparolen und Zuversicht bewegte, während sein Vorgesetzter quasi zur selben Zeit den Vertrag mit seinem Nachfolger aushandelte, war sehr unglücklich und kommt im Nachklapp einer öffentlichen Vorführung gleich.
Keller klammerte an seinem Arbeitsverhältnis auf Schalke, dabei war er für die Entscheidungsträger schon Geschichte. "Ich habe einen richtig guten Job, es gibt viele Trainer, die mich darum beneiden. Ich denke nicht, dass der Verein ohne mich plant. Wir sind immer offen miteinander umgegangen, und ich bin immer noch Trainer", sagte er nach der Niederlage in Hoffenheim.
Ganz so offen waren die Unterredungen zwischen Keller auf der einen und Heldt und Tönnies auf der anderen Seite wohl doch nicht mehr. Es ist selbstverständlich, dass ein Klub und seine Vertreter im Hintergrund vorbauen müssen für den Fall der Fälle. Alles andere wäre fahrlässig. Insofern ist an der Kontaktaufnahme mit Di Matteo an sich gar nicht verwerflich. Die kurze Zeitspanne zwischen Kellers TV-Auftritt und der kurz darauf erfolgten Demission ist aber irritierend.
Und die selbstbewusst und wie selbstverständlich formulierten Vorträgen von Heldt und Tönnies erscheinen im Nachhinein auch in einem völlig anderen Licht. Beide hatten mehrmals und auch bis zuletzt einen Trainerwechsel ausgeschlossen. Besonders viel war diese demonstrative Rückendeckung jedenfalls nicht wert.
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Was ist von Roberto Di Matteo zu erwarten?
Schalke hat nicht nur seinen Cheftrainer, sondern auch den Co-Trainer Peter Herrmann (der sich im Sommer so gut wie einig war mit dem VfL Wolfsburg und nun arbeitslos ist) und Torwarttrainer Holger Gehrke freigestellt. Di Matteo wird also nicht alleine in Gelsenkirchen aufschlagen.
Der Italiener muss sofort anpacken, weil Schalke den kurzfristigen Erfolg genauso benötigt wie eine langfristige Planung. "Wenn sich der Erfolg nicht einstellt, wollten wir nicht einen Schnellschuss machen, sondern einen Trainer verpflichten, der uns weiterbringt", sagte Clemens Tönnies.
"Mit dem Trainerwechsel möchten wir einen neuen Impuls setzen", formulierte es Heldt." Auch positive Ansätze wie die sieben Punkte aus der englischen Woche mit dem i-Tüpfelchen des Derbysiegs haben leider keine nachhaltige Wirkung gezeigt."
Das trifft es aber auch nur halb. In Di Matteo - und daraus machte Heldt am Dienstag gar keinen Hehl - erwartet er einen Trainer, der den Spielern anders als sein Vorgänger Feuer machen kann. Dem 44-Jährigen eilt der Ruf des Champions-League- und FA-Cup-Siegers voraus und dass er beim FC Chelsea mit den Stars umzugehen vermochte.
Zumindest für ganze sieben Monate. Dann wurde er bei den Blues entlassen. Etwas mehr als ein halbes Jahr hat Di Matteo in einer ersten Liga gearbeitet, Erfahrung in der Bundesliga hat er selbstredend keine. Ein Kritikpunkt, der im Zusammenhang mit Keller immer wieder formuliert wurde, war dessen sprödes, eher zurückhaltendes Auftreten. Der Schwabe war in der Tat kein großer Kommunikator - das ist der ziemlich in sich gekehrte Di Matteo aber gewiss auch nicht.
Der mag einen deutlich größeren Namen haben als sein Vorgänger. Seine Berufung ist aber ebenso ein Experiment wie es die Liaison mit Keller war.
Immerhin: Die Zeit des Versteckens hinter den Diskussionen um Jens Keller ist für die Spieler nun vorbei. Der neue Trainer dürfte auf eine anders motivierte Mannschaft treffen als sein Vorgänger.
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