Es ist erst ein halbes Jahr her, dass Davie Selke seinen Vertrag bei Werder bis 2018 verlängerte. Er sprach von einer "Herzensangelegenheit". Sechs Monate später fliegt ihm diese Vokabel um die Ohren. Nachdem sein Wechsel zu RB Leipzig bekannt wurde, fand sich Selke im Auge des Shitstorms wieder.
Wie er nur eine Klasse runtergehen und das Geld so klar über den Sport stellen könne, wurde gefragt. Wie er Tradition gegen Retorte eintauschen könne. Selke wurde von vielen verärgerten Fans als typischer geldgeiler Jungprofi dargestellt.
So ist das eben, wenn ein polarisierender Klub wie RB auf den Plan tritt. Jeder hat eine Meinung zu verkünden, und größtenteils fällt diese nicht positiv aus - ganz egal, wie viele der Kritiker sich in einer vergleichbaren Situation genauso verhalten hätten. Moral und Doppelmoral liegen nah beinander.
Die Bundesliga geht in die heiße Phase - Jetzt bei Tipico wetten!
Im Schatten des Selke-Shitstorms bekam aber auch Bremen sein Fett weg. Die Ablöse sei zu niedrig, Werder werfe seine Zukunft für ein paar Millionen weg und gehe das Risiko ein, in der nächsten Saison direkt wieder gegen den Abstieg zu spielen. Zusammengefasst: Ein Armutszeugnis für Bremen, ein eigenes Talent an einen Zweitligaklub abgeben zu müssen.
Auf die Ablöse angewiesen
All diese Kritikpunkte mögen nicht vollkommen an der Wahrheit vorbeizielen. Den Bremern einen Strick daraus zu drehen, ist jedoch falsch. Zumal sie an einer Tatsache nichts ändern: Der Verkauf war für Werder zu diesem Zeitpunkt vollkommen richtig.
Da ist zum einen der finanzielle Aspekt. Werder ist auf das Geld angewiesen, daraus macht auch niemand ein Geheimnis. Thomas Eichin sagte auf der Pressekonferenz am Donnerstag ganz offen, dass die Vertragsverlängerung von Zlatko Junuzovic ansonsten nicht realistisch gewesen wäre. Das verdeutlicht auch einen weiteren Aspekt: Der Verkauf war schon länger geplant.
Bereits im letzten Sommer meldeten Leipzig sowie Benfica Lissabon bei Werder Interesse an Selke an. Damals weigerte man sich aber gegen einen Verkauf. Stattdessen wurde der Vertrag verlängert, um eine künftige Ablöse in die Höhe zu treiben und den Youngster ins Schaufenster zu stellen.
Di Santo hat Priorität
Diese Strategie ging auf. Werder holte Selke Anfang 2013 für 50.000 Euro aus Hoffenheim, nun wurde er für angeblich acht Millionen Euro plus mögliche Zusatzzahlungen weiterverkauft. Eine mindestens 160-fache Wertsteigerung - und darüber hinaus ein Modell, das Werder schon seit Ewigkeiten praktiziert.
Ein weiterer Kritikpunkt war die vermeintlich niedrige Ablöse. Zwar hat Selke starke Ansätze gezeigt, unterm Strich stehen bisher aber "nur" 26 Bundesliga-Spiele und sechs Tore. Für den Moment ist die Ablöse eher erstaunlich hoch. Die Bremer haben einen günstigen Zeitpunkt ausgewählt. Wer garantiert denn, dass Selkes Marktwert jemals höher sein wird?
Das Geld kann Werder zudem gut gebrauchen, um wichtigere Personalien zu klären. Die höchste Priorität hat Franco Di Santo: Die Selke-Millionen statten die Bremer mit neuen Argumenten aus, um den Argentinier länger halten zu können. Wenn dies gelingen sollte, kann man Eichin keinen Vorwurf machen. Di Santo muss auf der Prioritätenliste einfach höher stehen als Selke.
Eichins Gespür für das richtige Timing
Zumal dessen potenzieller Nachfolger schon bereitsteht, selbst wenn Eichin für mehr Kadertiefe noch einen externen Ersatz holen möchte. Vor seinem Außenmeniskuseinriss hatte Talent Melvyn Lorenzen Selke bereits ein wenig den Rang abgelaufen, weil sein Spiel im Prinzip sogar besser zu Di Santo passt.
Natürlich besteht ein gewisses Restrisiko. Di Santo könnte wechseln, Lorenzen sich nicht wie erhofft entwickeln und Werder letztendlich von Anthony Ujah oder vergleichbaren Kalibern abhängig sein.
Doch all das ändert nichts daran, dass Werder die zu diesem Zeitpunkt richtige Entscheidung getroffen hat. Eichin trägt keine Schuld an den finanziellen Problemen des Vereins. Mit der Selke-Personalie hat er ein gutes Gespür für das richtige Timing bewiesen. Denn unter diesen Bedingungen war ein Verkauf alternativlos.
Davie Selke im Steckbrief