SPOX: Herr Breitenreiter, vor fünf Jahren musste man Sie ein wenig dazu überreden, Trainer beim TSV Havelse zu werden. Weshalb?
Andre Breitenreiter: Nachdem ich in der Vorsaison noch als Spieler mit dem TSV in die Regionalliga aufgestiegen bin, beendete ich meine aktive Karriere und probierte daraufhin einige Dinge aus, um zu sehen, welche berufliche Perspektive am besten zu mir passen könnte. Ich habe eine Sport-Agentur geleitet, war Trainer in einer Fußballschule und habe für den 1. FC Kaiserslautern gescoutet.
SPOX: Plötzlich kam der Anruf aus Havelse.
Breitenreiter: Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich am Bahnhof stand und einen Anruf von Manager Stefan Pralle bekam. Er meinte, man habe sich entschieden, Aufstiegstrainer Jürgen Stoffregen zu ersetzen - und nur ich käme als Nachfolger in Frage. Ich habe sofort abgesagt. Ich wollte nicht der Grund sein, dass Jürgen entlassen wird.
SPOX: Und dann?
Breitenreiter: Wir haben zunächst über weitere mögliche Kandidaten gesprochen. Es sind ein paar Tage vergangen. Da Mannschaft und Trainerteam aber nicht mehr harmonierten, entschied der Verein, den Trainer auch ohne fixe Nachfolgeregelung freizustellen.
SPOX: Warum haben Sie es sich dann anders überlegt und zugesagt?
Breitenreiter: Natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht beziehungsweise sie intensiviert. Das war meine Heimat, Havelse lag nur 15 Minuten von meinem Zuhause entfernt, ich konnte gleich in der Regionalliga erste Erfahrungen als Coach sammeln und hatte eigentlich nichts zu verlieren, da die Mannschaft sowieso so gut wie abgestiegen war. Wir haben dann das Wunder noch geschafft - und seitdem bin ich Trainer. (lacht)
SPOX: Zwei Manager aus der Bundesliga gaben Ihnen so gute Rückmeldungen, dass Sie sich entschlossen, den Fußballlehrerschein machen. Welche Manager waren denn das und woher wussten die, was im Detail in Havelse vor sich ging?
Breitenreiter: Die Namen möchte ich nicht nennen. Am Ende meiner Spielerkarriere hatte ich bereits die ersten Trainerscheine in der Tasche und habe Sportmanagement studiert, um einfach breit aufgestellt zu sein. Als ich in Havelse begann, hatte ich die A-Lizenz. Da wir von Sieg zu Sieg eilten, saßen immer mal wieder einige Manager auf der Tribüne und wollten sehen, was da gerade passiert. Es hatte sich einfach herumgesprochen. Dabei wurde mir gesagt, man sähe eindeutig eine klare Handschrift, ich solle doch so schnell wie möglich den Fußballlehrerschein machen. Dann könnte mir eine große Karriere bevorstehen.
SPOX: Ihr Aufstieg als Trainer war in der Tat sehr steil und pausenlos. Nach Havelse und Paderborn steht Ihnen jetzt auf Schalke eine vollkommen andere Infrastruktur zur Verfügung: es gibt ein richtiges Trainingszentrum mit mehreren Plätzen, eine Rasenheizung und einen Videoanalysten. Inwiefern hat das Ihre Arbeit beeinflusst oder gar verändert?
Breitenreiter: Beeinflusst schon, verändert aber gar nicht. Entscheidend ist und bleibt ja ganz unabhängig davon, wie viele Mitarbeiter um einen herum sind, dass ich als Coach meine Spielidee auf die Mannschaft übertrage und sie die Spielprinzipien verinnerlicht. In Havelse und Paderborn mussten wir leider noch viel Energie dafür verschwenden, die Trainingsbedingungen so optimal wie möglich zu gestalten. Hier dagegen brauche ich mich nicht darum kümmern, ob beispielsweise der Rasen gepflegt wird. Schalke ist ein Top-10-Verein in Europa, der einem in dieser Hinsicht vieles erleichtert und vereinfacht. Wir müssen jetzt keine unnötigen Diskussionen mehr führen. Andererseits ist die reine Arbeit nicht weniger geworden, da es hier einen größeren Stab rund um die Mannschaft gibt. Es ist intensiver geworden, das Team um das Team zu führen und zusammen zu halten.
SPOX: Nach der verkorksten Vorsaison erzeugten Sie schon während der Vorbereitungszeit eine neue Aufbruchstimmung auf Schalke. Als man in Wolfsburg verlor und kurz darauf Julian Draxler ging, herrschte wurde sie wieder etwas gedämpft. War das ein erster Einblick, wie schnell sich der Wind bei einem Verein wie dem S04 auch drehen kann?
Breitenreiter: Da ist in meinen Augen vieles von außen hineingetragen worden. Das gilt auch für die Jahre zuvor, das hat Schalke auch ein Stück weit ausgemacht: man denkt in Superlativen - entweder alles super oder alles komplett mies. Dieses Spiel spielen wir aber nicht mit. Uns war bewusst, dass es kleinere Rückschläge geben wird. Man kann in Wolfsburg auch mal ein Spiel verlieren. Und dass Darmstadt nicht nur bei uns einen Punkt mitgenommen hat, weiß man jetzt auch. Wir haben deshalb nichts in Frage gestellt.
SPOX: Als Draxlers Wechsel feststand, haben Sie Alarm geschlagen und gemeint: "Verein und Umfeld müssen sich fragen, warum ein Julian Draxler geht." Wie lautet Ihre Antwort?
Breitenreiter: Ob ich Alarm geschlagen habe ist Interpretationssache. Ich gab meiner Meinung nach einzig und allein eine realistische Einschätzung ab. Ich habe in den Vorjahren sehr wohl wahrgenommen, was auf Schalke passiert ist. Da gab es viele Dinge, die gut liefen - aber auch welche, die man noch verbessern kann. Der Hype um junge Spieler, der auch von den Medien zusätzlich befeuert wird, ist mir an vielen Standorten zu schnell zu groß.
SPOX: Als Draxler vor zwei Jahren seinen Vertrag bis 2018 verlängerte, fuhren LKWs mit Plakaten von Draxlers Konterfei durch das Ruhrgebiet. Ein Fehler?
Breitenreiter: Der Verein sowie Julians Management hielten das damals für eine gute Idee. Es geht jetzt vor allem darum, aus solchen Fehlern zu lernen. So etwas sollte man in dieser Art und Weise künftig nicht mehr machen. Es ist nicht klug, junge Spieler nach kurzer Zeit bereits in den Himmel zu heben. Die Erwartungen werden dann einfach zu groß, der Spieler kann sich nicht mehr ohne Druck frei entfalten und verliert seine Unbekümmertheit. Deshalb habe ich warnend den Finger gehoben - und nicht den Verein kritisiert, weil er in den Vorjahren angeblich diesbezüglich alles falsch gemacht habe.
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