Im November 2017 galt Thomas Lemar als Transferziel des FC Bayern München. Der damals 21-jährige Offensivspieler vom AS Monaco war zu diesem Zeitpunkt als großes Talent. Nicht aber der nie verwirklichte Transfer war das große Thema, sondern die Art und Weise, wie der damalige Sportdirektor damit umgegangen sein soll.
Denn Hasan Salihamidzic soll den Spieler, als er von der hauseigenen Scouting-Abteilung vorgeschlagen wurde, gar nicht gekannt haben. Salihamidzic war damals im August überraschend Sportdirektor des FC Bayern München, quasi über Nacht vom Repräsentanten zum Funktionär geworden. Berichtet wurde in jenem November, dass er sich via YouTube über Lemar informiert habe. Ungefähr 100 Tage war der Ex-Bayern-Star im Amt, da ergoss sich bereits die ganz große Häme über ihn. "Der Sportdirektor Salihamidzic ist in seiner Außendarstellung bisher das, was der Spieler Salihamidzic nie war: zaghaft, zögerlich, ängstlich", urteilte damals der ZDF-Moderator Jochen Breyer.
Noch mal mehr als 1.700 Tage später ist der einstige Sportdirektor, der mittlerweile Sportvorstand des FC Bayern ist, der gefeierte Held einer historischen Transferperiode. Sein Vertrag wurde auch deshalb nun bis 2026 verlängert. Eine bemerkenswerte Entwicklung, die umso bemerkenswerter wird, wenn man nicht fünf Jahre, sondern nur ein Jahr zurückblickt.
FC Bayern: Streit mit Flick wurde nur Salihamidzic angelastet
Zwar hatten die Bayern 2020 alle Titel abgeräumt, die es zu gewinnen gab. Aber schon wenige Monate später gab es großen Ärger. Der Konflikt zwischen Salihamidzic und Hansi Flick führte dazu, dass der Erfolgscoach zum DFB wechselte. Eine Geschichte, die oft einseitig und oft aus der Perspektive des vergraulten Trainers erzählt wurde. Dass zu einem solchen Dissens immer mehr Parteien dazugehören und Flick auch deshalb ging, weil ihm Transferwünsche nicht erfüllt wurden, die aus sportlich und finanziell vernünftigen Gründen abgelehnt wurden? Das blieb oft unerwähnt.
Die Geschichte von Salihamidzic als Verantwortlicher des großen FC Bayern war oft eine ambivalente, die meist gar nicht so ambivalent erzählt wurde. In vielen Fällen war der sportliche Leiter für alles verantwortlich, was nicht gut lief - wohingegen Erfolge so verteilt wurden, dass für ihn nur wenig vom Kuchen übrig blieb.
Selbstredend macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Kritik an jenem "Brazzo", der einst beim FC Bayern begann und sich über Jahre schwertat, seinen Platz im Haifischbecken an der Säbener Straße zu finden, war nicht bodenlos. Seine Außendarstellung war in der Tat ängstlich und zurückhaltend. Grund dafür war aber auch, dass er sich zwischen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zu oft darum bemühte, einen Graubereich abzudecken. Diesen gab es aber nicht.
"Im Rückblick lässt sich sagen, dass ich mich klarer hätte positionieren müssen", sagte Salihamidzic jüngst selbst in der Zeit: "Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass die beiden, um es vorsichtig auszudrücken, manch Dinge unterschiedlich bewertet haben." Der schwammige Eindruck sei deshalb entstanden, weil er nach außen hin versucht habe, "mit Rücksicht auf beide, sowohl A als auch B zu sagen."
FC Bayern: Salihamidzic wollte einst Tuchel
Das vielleicht beste Beispiel dafür bietet die Verpflichtung von Niko Kovac im Jahr 2018. Salihamidzic erntete damals den Großteil einer Kritik, die eigentlich vornehmlich an Rummenigge und Hoeneß hätte gehen sollen. Das Narrativ damals: Rummenigge wollte Thomas Tuchel, während Uli Hoeneß auf den Verbleib von Jupp Heynckes spekulierte. Salihamidzic habe sich nicht positionieren wollen und so zu seinem Mentor Hoeneß gehalten. Tatsächlich aber war aus dem engsten Umfeld schon damals zu vernehmen, dass auch der Sportdirektor Tuchel wollte und sich intern klar gegen Hoeneß gestellt habe. Letzterer setzte sich dennoch durch, Kovac hieß die Notlösung.
Es wurde in den letzten Jahren viel darüber diskutiert, wohin die Reise des FC Bayern geht, wenn die beiden schillernden Führungspersönlichkeiten in den Hintergrund treten. Auch weil Salihamidzic lange den Eindruck erweckte, dass er nicht durchsetzungsfähig sei. Heute deutet der Sportvorstand selbst an, dass ihm nichts Besseres hätte passieren können, als auf sich gestellt zu sein.
"Uli Hoeneß weiß, dass es gut für mich ist, mich in meiner Rolle zu emanzipieren, auch von ihm", erklärte er im Zeit-Interview. Deshalb entscheide er "die Dinge inzwischen so, wie sie meiner Überzeugung nach für den FC Bayern richtig sind." Mit Herbert Hainer und vor allem Oliver Kahn, die sich ebenfalls erst positionieren mussten, konnte Salihamidzic seinen Platz beim Rekordmeister endgültig finden.
FC Bayern: Aus Brazzo wurde Hasan Salihamidzic
Aus "Brazzo", das Bürschchen, wurde Hasan Salihamidzic. Schon in der Vergangenheit machte er sich intern für Spieler stark, die heute zum wichtigen Stamm des Teams gehören. Lucas Hernández, der für 80 Millionen Euro Ablöse zum Rekordtransfer wurde, oder auch die teure Verpflichtung von Benjamin Pavard (35 Millionen Euro) sind da beispielhaft.
Beide Transfers wurden ihm zwischenzeitlich negativ ausgelegt, beide haben mittlerweile bewiesen, dass sie zu Recht bei einem Top-Klub unter Vertrag stehen. Auch die Entscheidung gegen Timo Werner und Kai Havertz war mit Blick auf deren Entwicklung beim FC Chelsea wohl eine gute. Stattdessen kam Leroy Sané, der ebenfalls viel Kritik einstecken musste, aber insgesamt besser zu den Bedürfnissen innerhalb des Kaders passt.
Solche selbstbewussten Entscheidungen waren es auch, die zum Streit mit Flick führten. Dass der Rekordtrainer München vor allem wegen Salihamidzic verließ, sorgte für eine heftige Welle an Kritik. Vielleicht aber hat der Sportvorstand auch hier zum Wohle des Klubs entschieden. Im zweiten Jahr mit Flick deutete sich bereits an, dass er das Team nicht nochmal weiterentwickeln kann.
Ob mit Julian Nagelsmann jetzt die richtigen Impulse kommen, wird sich in dieser Saison zeigen. Das Verhältnis zwischen Trainer und Sportvorstand soll aber deutlich besser sein. Was wiederum auch daran liegt, dass Salihamidzic sich als Persönlichkeit entwickelt hat.