Hasan Salihamidzic hat seinen Vertrag beim FC Bayern München verlängert. Noch vor einem Jahr gab es Gerüchte, dass sein Arbeitspapier 2023 auslaufen könnte, jetzt ist er der gefeierte Held eines großen Transfersommers. Wie hat sich der 45-Jährige in seinen fünf Jahren als Funktionär verändert?
Im November 2017 galt Thomas Lemar als Transferziel des FC Bayern München. Der damals 21-jährige Offensivspieler vom AS Monaco war zu diesem Zeitpunkt als großes Talent. Nicht aber der nie verwirklichte Transfer war das große Thema, sondern die Art und Weise, wie der damalige Sportdirektor damit umgegangen sein soll.
Denn Hasan Salihamidzic soll den Spieler, als er von der hauseigenen Scouting-Abteilung vorgeschlagen wurde, gar nicht gekannt haben. Salihamidzic war damals im August überraschend Sportdirektor des FC Bayern München, quasi über Nacht vom Repräsentanten zum Funktionär geworden. Berichtet wurde in jenem November, dass er sich via YouTube über Lemar informiert habe. Ungefähr 100 Tage war der Ex-Bayern-Star im Amt, da ergoss sich bereits die ganz große Häme über ihn. "Der Sportdirektor Salihamidzic ist in seiner Außendarstellung bisher das, was der Spieler Salihamidzic nie war: zaghaft, zögerlich, ängstlich", urteilte damals der ZDF-Moderator Jochen Breyer.
Noch mal mehr als 1.700 Tage später ist der einstige Sportdirektor, der mittlerweile Sportvorstand des FC Bayern ist, der gefeierte Held einer historischen Transferperiode. Sein Vertrag wurde auch deshalb nun bis 2026 verlängert. Eine bemerkenswerte Entwicklung, die umso bemerkenswerter wird, wenn man nicht fünf Jahre, sondern nur ein Jahr zurückblickt.
FC Bayern: Streit mit Flick wurde nur Salihamidzic angelastet
Zwar hatten die Bayern 2020 alle Titel abgeräumt, die es zu gewinnen gab. Aber schon wenige Monate später gab es großen Ärger. Der Konflikt zwischen Salihamidzic und Hansi Flick führte dazu, dass der Erfolgscoach zum DFB wechselte. Eine Geschichte, die oft einseitig und oft aus der Perspektive des vergraulten Trainers erzählt wurde. Dass zu einem solchen Dissens immer mehr Parteien dazugehören und Flick auch deshalb ging, weil ihm Transferwünsche nicht erfüllt wurden, die aus sportlich und finanziell vernünftigen Gründen abgelehnt wurden? Das blieb oft unerwähnt.
Die Geschichte von Salihamidzic als Verantwortlicher des großen FC Bayern war oft eine ambivalente, die meist gar nicht so ambivalent erzählt wurde. In vielen Fällen war der sportliche Leiter für alles verantwortlich, was nicht gut lief - wohingegen Erfolge so verteilt wurden, dass für ihn nur wenig vom Kuchen übrig blieb.
Selbstredend macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Kritik an jenem "Brazzo", der einst beim FC Bayern begann und sich über Jahre schwertat, seinen Platz im Haifischbecken an der Säbener Straße zu finden, war nicht bodenlos. Seine Außendarstellung war in der Tat ängstlich und zurückhaltend. Grund dafür war aber auch, dass er sich zwischen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zu oft darum bemühte, einen Graubereich abzudecken. Diesen gab es aber nicht.
"Im Rückblick lässt sich sagen, dass ich mich klarer hätte positionieren müssen", sagte Salihamidzic jüngst selbst in der Zeit: "Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass die beiden, um es vorsichtig auszudrücken, manch Dinge unterschiedlich bewertet haben." Der schwammige Eindruck sei deshalb entstanden, weil er nach außen hin versucht habe, "mit Rücksicht auf beide, sowohl A als auch B zu sagen."
FC Bayern: Salihamidzic wollte einst Tuchel
Das vielleicht beste Beispiel dafür bietet die Verpflichtung von Niko Kovac im Jahr 2018. Salihamidzic erntete damals den Großteil einer Kritik, die eigentlich vornehmlich an Rummenigge und Hoeneß hätte gehen sollen. Das Narrativ damals: Rummenigge wollte Thomas Tuchel, während Uli Hoeneß auf den Verbleib von Jupp Heynckes spekulierte. Salihamidzic habe sich nicht positionieren wollen und so zu seinem Mentor Hoeneß gehalten. Tatsächlich aber war aus dem engsten Umfeld schon damals zu vernehmen, dass auch der Sportdirektor Tuchel wollte und sich intern klar gegen Hoeneß gestellt habe. Letzterer setzte sich dennoch durch, Kovac hieß die Notlösung.
Es wurde in den letzten Jahren viel darüber diskutiert, wohin die Reise des FC Bayern geht, wenn die beiden schillernden Führungspersönlichkeiten in den Hintergrund treten. Auch weil Salihamidzic lange den Eindruck erweckte, dass er nicht durchsetzungsfähig sei. Heute deutet der Sportvorstand selbst an, dass ihm nichts Besseres hätte passieren können, als auf sich gestellt zu sein.
"Uli Hoeneß weiß, dass es gut für mich ist, mich in meiner Rolle zu emanzipieren, auch von ihm", erklärte er im Zeit-Interview. Deshalb entscheide er "die Dinge inzwischen so, wie sie meiner Überzeugung nach für den FC Bayern richtig sind." Mit Herbert Hainer und vor allem Oliver Kahn, die sich ebenfalls erst positionieren mussten, konnte Salihamidzic seinen Platz beim Rekordmeister endgültig finden.
imago imagesFC Bayern: Aus Brazzo wurde Hasan Salihamidzic
Aus "Brazzo", das Bürschchen, wurde Hasan Salihamidzic. Schon in der Vergangenheit machte er sich intern für Spieler stark, die heute zum wichtigen Stamm des Teams gehören. Lucas Hernández, der für 80 Millionen Euro Ablöse zum Rekordtransfer wurde, oder auch die teure Verpflichtung von Benjamin Pavard (35 Millionen Euro) sind da beispielhaft.
Beide Transfers wurden ihm zwischenzeitlich negativ ausgelegt, beide haben mittlerweile bewiesen, dass sie zu Recht bei einem Top-Klub unter Vertrag stehen. Auch die Entscheidung gegen Timo Werner und Kai Havertz war mit Blick auf deren Entwicklung beim FC Chelsea wohl eine gute. Stattdessen kam Leroy Sané, der ebenfalls viel Kritik einstecken musste, aber insgesamt besser zu den Bedürfnissen innerhalb des Kaders passt.
Solche selbstbewussten Entscheidungen waren es auch, die zum Streit mit Flick führten. Dass der Rekordtrainer München vor allem wegen Salihamidzic verließ, sorgte für eine heftige Welle an Kritik. Vielleicht aber hat der Sportvorstand auch hier zum Wohle des Klubs entschieden. Im zweiten Jahr mit Flick deutete sich bereits an, dass er das Team nicht nochmal weiterentwickeln kann.
Ob mit Julian Nagelsmann jetzt die richtigen Impulse kommen, wird sich in dieser Saison zeigen. Das Verhältnis zwischen Trainer und Sportvorstand soll aber deutlich besser sein. Was wiederum auch daran liegt, dass Salihamidzic sich als Persönlichkeit entwickelt hat.
FC Bayern: Hasan Salihamidzic und Marco Neppe als Dreamteam?
Es gab eine Zeit, in der ihm aus dem Umfeld des Klubs Verbissenheit vorgeworfen wurde. Auch sein Kompetenzbereich wurde immer wieder diskutiert. Salihamidzic war und ist das Gesicht für die Entwicklungen am Campus und bei den Profis. Gerade in den letzten Jahren hat sich mit Marco Neppe aber ein weiteres Gesicht immer häufiger in die Berichterstattung geschlichen.
Seit 2014 ist der 36-Jährige bereits beim FC Bayern tätig, sein Verhältnis zu Salihamidzic soll eng und vertrauensvoll sein. Fast schon folgerichtig stieg er im Dezember 2021 zum Technischen Direktor auf. "Man könnte fast sagen, es ist wie bei Sherlock Holmes und Dr. Watson, die immer auf der Suche sind und die richtigen Schlüsse ziehen", lobte Präsident Herbert Hainer vor wenigen Tagen in der Abendzeitung: "Marco macht die Analyse, Hasan hat unheimlich viel Erfahrung in dieser Branche und im Umgang mit Spielern."
Salihamidzic hat gelernt, Kompetenzbereiche sinnvoll abzugeben und sich in den richtigen Momenten zurückzunehmen. So verzichtet er seit dieser Saison auch auf seinen Platz auf der Bank. "Ich habe mir darüber schon lange Gedanken gemacht", erklärte der Sportvorstand seine Entscheidung in der Bild: "Marco Neppe, unser Technischer Direktor, hat in der vergangenen Saison in der Kabine ein sehr gutes Verhältnis zur Mannschaft aufgebaut."
Hasan Salihamidzic vor seiner entspanntesten Saison
Von der Tribüne aus kann Salihamidzic vielleicht so entspannt wie nie auf das Geschehen dieser Saison blicken. Er und sein Team haben ihre Aufgabe erledigt. Mit Sadio Mané und Matthijs de Ligt kamen Spieler mit Weltklassepotenzial nach München. Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui schließen zudem Baustellen, die in den vergangenen Jahren stets offen blieben. Auch Mathys Tel passt in den eingeschlagenen Weg, der vorsieht, junge Talente frühzeitig an den Klub zu binden.
In enger Abstimmung mit Nagelsmann ist ein Kader entstanden, der den Verlust von Robert Lewandowski auffangen kann und vielleicht sogar leistungsfähiger ist als in den letzten Jahren. Zumal die Einkäufe auch finanziell klug kompensiert wurden. Neben den 45 Millionen Euro fester Ablösesumme für den Polen konnte der FC Bayern den Kader auch an den richtigen Stellen ausdünnen - und richtig Geld einnehmen.
Eigentlich galten die Münchner nie als Verkäuferverein. Doch Salihamidzic gelang es in diesem Sommer nicht nur, aussortierte Spieler wie Chris Richards, Marc Roca (beide 12 Millionen Euro) oder Omar Richards (8,5 Millionen Euro) teuer zu verkaufen. Er machte mitunter auch noch Gewinn mit Verpflichtungen, die sportlich gefloppt sind.
Auch der Deal rund um Tanguy Nianzou inklusive einiger Klauseln, die eine Rückholaktion vereinfachen und dem Spieler jetzt die Möglichkeit der Entwicklung bieten, war sehr durchdacht und clever.
FC Bayern: Die Verantwortung liegt nun bei Julian Nagelsmann
Die Emanzipation von Hoeneß und Rummenigge und die offenbar überstandene Coronakrise, wodurch mehr Ausgaben möglich waren, sind wohl wichtige Faktoren. Am wichtigsten dürfte aber sein, dass Salihamidzic nun ein Team um sich herum aufbauen konnte, dem er vertraut. Die Zusammenarbeit mit Neppe und Nagelsmann scheint in diesem Sommer erstmals Früchte zu tragen.
Vom einstigen YouTube-Brazzo ist nicht mehr viel übrig. Seine Außendarstellung ist deutlich selbstbewusster, die Erfolge der letzten Jahre sowie die eindrucksvolle Performance auf dem Transfermarkt in diesem Sommer sprechen für sich. Der einst ambivalente Sportdirektor ist nun ein erwachsener Sportvorstand, der Führungsqualitäten bewiesen hat.
Zweifelsohne kann sich im Tagesgeschäft Fußball schnell alles drehen. Und so berechtigt die Kritik einst war, so verdient sind das Lob und die Vertragsverlängerung jetzt. Wenngleich sich die auf dem Papier gute Arbeit des Transfersommers erst noch konstant auf dem Platz zeigen muss. Verantwortlich dafür ist aber nicht mehr Salihamidzic. Die Verantwortung liegt nun bei der Mannschaft und Julian Nagelsmann.