Während das Abschlusstraining des FC Bayern ohne große Zwischenfälle ablief, bangt Inter vor dem Spiel am Mittwochabend noch um Innenverteidiger Andrea Ranocchia, der nach einem Schlag auf den Knöchel auszufallen droht. Erste Alternative für den Youngster wäre Ivan Cordoba. Ansonsten sieht alles danach aus, dass Trainer Leonardo Dejan Stankovic bringen und sein System auf 4-3-2-1 umstellen wird.
Bei Bayern München ist die Besetzung des zweiten Sechsers neben Bastian Schweinsteiger bzw. des Linksverteidigers noch offen: Danijel Pranjic oder Luiz Gustavo? Als weitere Alternative für die Sechs gilt Toni Kroos. Nach van Gaals Aufbauplan (erst 30 Minuten, dann 60 Minuten, etc.) wäre der Nationalspieler immerhin für eine Stunde einsatzfähig.
Am Dienstag meinte van Gaal noch: "Er wird sicher eine Rolle spielen - aber ob er von Anfang an spielt, werden sie morgen sehen." Die Zielsetzung für die Bayern ist indes klar: "Wir sind hier, um zu gewinnen", formulierte Kapitän Lahm am Dienstag ein ehrgeiziges Ziel. Doch wie muss Bayern spielen, um Inter zu knacken? Auf welche Spieler ist besonders zu achten? Die fünf zentralen Punkte.
1) Das Duell: Maicon vs. Ribery
So spielt Inter: Egal, ob 4-3-1-2 oder 4-3-2-1 - Maicon gibt bei Inter in der Vorwärtsbewegung einen weiteren Angreifer und setzt unter Leonardo bei Ballgewinn Inter ähnlich kompromisslos zum Außenliniensprint an wie Barcelonas Dani Alves. Beim 3:2-Sieg gegen US Palermo brachte Maicon sage und schreibe 15 Flanken von rechts in den gegnerischen Strafraum und hatte mit 113 die meisten Ballkontakte aller Inter-Spieler. "Jeder Ballverlust gegen Inter wird bestraft, das wissen wir noch vom Finale", sagt Philipp Lahm. Um Maicons Vorstöße abzusichern, rückt Javier Zanetti aus dem Dreier-Mittelfeld nach rechts und sichert ab. Der Argentinier ist Maicons Defensiv-Bodyguard. Auf der anderen Seite birgt Maicons mehr oder weniger rücksichtsloses Vorpreschen auch Gefahren - Ribery könnte bei einem schnellen Ballgewinn der Bayern allein auf weiter Flur stehen.
Das heißt für Bayern: Allerhöchste Alarmstufe auf der linken Seite. Franck Ribery und Luis Gustavo haben auf der linken Seite erst eine Handvoll Spiele zusammen absolviert. Die Abstimmung ist noch nicht perfekt, zudem vernachlässigt der Franzose gerne mal die Defensivarbeit - ein Luxus, den sich Ribery gegen Inter nicht erlauben darf. Mit Dejan Stankovic, Wesley Sneijder und Samuel Eto'o hat Inter sehr bewegliche Spieler in vorderster Front, die für Überzahlsituationen gegen Bayerns Linksverteidiger sorgen könnten. Hier ist auch Bayerns linker defensiver Mittelfeldspieler gefordert - ein Argument dafür, dass Schweinsteiger diesmal eher den rechten, weil offensiveren Part übernehmen wird. In der Offensive sollte Ribery Maicon so gut es geht beschäftigen, um den Brasilianer hinten zu binden.
2) Die Gefahr: Inters torhungriges Mittelfeld
So spielt Inter: In den letzten Wochen entwickelten sich die Inter-Mittelfeldspieler zu Tormaschinen: Esteban Cambiasso (6), Dejan Stankovic (5) und Thiago Motta (4), erzielten 15 der letzten 37 Inter-Tore. Zum Vergleich: Bei Bayern haben Bastian Schweinsteiger (5), Anatolij Tymoschtschuk (4), Hamit Altintop (2), Toni Kroos (1), Luiz Gustavo, Andreas Ottl, Danijel Pranjic (alle 0) insgesamt erst 13 Tore erzielt.
Inters Masche: Sneijder lässt sich bei Ballbesitz fallen, um sich der Bewachung der gegnerischen Sechser zu entziehen. Die anderen Mittelfeldspieler stoßen dann abwechselnd in die freien Räume - selbst Thiago Motta, der zuletzt zentral vor der eigenen Abwehr agierte. Sneijder wählt dann zwischen zwei Varianten: Entweder er schickt jemanden direkt steil in den Strafraum, oder er öffnet das Spiel nach außen, bevorzugt bedient er Maicon. Erfolgt eine Flanke, befindet sich neben dem oder den Stürmern dann auch mindestens ein aufgerückter Mittelfeldspieler im Strafraum. So erzielte Cambiasso beispielsweise beide Tore beim 2:0-Sieg in Catania. Auf der anderen Seite ist der Weg zurück bei einer sauber geklärten Situation natürlich extrem weit.
Das heißt für Bayern: Sneijders Passwege zustellen und im Strafraum auf die nachrückenden Spieler achten. "Sneijder ist ein sehr guter und wichtiger Spieler für Inter, eine echte Gefahr. Als Trainer habe ich gegen ihn jedoch immer eine Lösung gefunden", meinte van Gaal am Dienstag. Bayerns defensive Mittelfeldspieler müssen noch sauberer spielen und Ballverluste vermeiden, weil Inters Mittelfeld sonst ausschwärmt. "Wir müssen in Ballbesitz defensiv geordnet spielen. Zuletzt hatten wir öfter mal Probleme, wenn wir das Spiel kontrolliert, uns dann aber einfache Ballverluste geleistet haben, die dann zu Konter führten - das gilt es zu verbessern", fordert Kapitän Lahm.
Die Rückwärtsbewegung von Schweinsteiger und seinem Nebenmann ist mindestens so wichtig wie das Spiel nach vorne - außerdem braucht Bayern defensiv möglichst enge Abstände zwischen den Sechsern und den Innenverteidigern. In dieses Quadrat wollen Inters Mittelfeldspieler stoßen, dort muss Bayern stets Zugriff haben. Auf der anderen Seite sagt Schweinsteiger aber auch zu Recht: "Wir können uns nicht hinten rein stellen, das ist nicht unser Spiel."
3) Der Torjäger: Samuel Eto'o
So spielt Inter: Die Nerazzurri haben viele torgefährliche Spieler, Samuel Eto'o sticht in dieser Saison aber besonders heraus: 27 Pflichtspiel-Tore hat der Kameruner bereits erzielt, sieben davon in der Königsklasse. Da Diego Milito mit einer Oberschenkelverletzung ausfällt und Winter-Neuzugang Giampaolo Pazzini nicht spielberechtigt ist, ist Eto'o der einzig verbliebene Goalgetter im CL-Kader.
Seine Rolle wird sich deshalb im Vergleich zur Liga am meisten verändern: Spielt Pazzini oder Milito in vorderster Front, lässt sich Eto'o nämlich oft auf die Flügel fallen, um einen gegnerischen Verteidiger aus dem Zentrum zu locken und dann mit Zug in die Mitte zu ziehen. Gegen Bayern wird er nun aber wieder als klassischer Mittelstürmer gebraucht. Müßig zu erwähnen, dass er auch das kann - am besten mal bei Werder Bremen nachfragen (drei Eto'o-Tore im Gruppenspiel).
Das heißt für Bayern: Auch wenn Trainer Louis van Gaal keine Kritik an seiner Defensive ("die zweitbeste Abwehr Deutschlands") duldet: Eto'o kann Holger Badstuber und besonders Anatolij Tymoschtschuk mit seiner Wendigkeit und Schnelligkeit vor große Probleme stellen. Am besten man stört den Kameruner schon bei der Ballannahme - wenn Eto'o einmal Fahrt aufgenommen hat, ist es meist schon zu spät. Achtung auch vor Sneijders Pässen in die Tiefe und Maicons scharfen Flanken: Eto'o ist nämlich sowohl als pfeilschneller Sprinter am Rande der Abseitslinie als auch als Kopfballspieler brandgefährlich.
4) Die Chance: Inters entblößte Defensive
So spielt Inter: Leonardo hat dem Team seinen Offensivstempel aufgedrückt und damit Probleme in der Rückwärtsbewegung billigend in Kauf genommen. Intensität und Konzentration erinnern an Mourinhos Inter, aber anders als beim Portugiesen steht nicht mehr die Kontrolle der eigenen Spielhälfte im Vordergrund, sondern die der gegnerischen. "Wir wollen dem Gegner immer unser Spiel aufzwingen", sagt Leonardo.
Bei gegnerischem Ballbesitz setzt der Brasilianer auf Aggressivität und Pressing im Mittelfeld. So sollen früh die Bälle erobert werden. Agieren statt reagieren heißt die Devise. Dieses Risiko war in der Liga auch nötig, schließlich musste ein großer Rückstand schnellstmöglich aufgeholt werden. Dieser Stil bringt aber bei Ballverlusten unweigerlich große Löcher zwischen Abwehr und Mittelfeld mit sich - vor allen Dingen, da die Inter-Mittelfeldspieler aufgrund der vielen Spiele zuletzt (13 in sieben Wochen) ziemlich übermüdet sind. Auch deshalb wird Leonardo gegen die Bayern wohl auf einen Stürmer verzichten und Stankovic ins Team bringen. "Wir müssen kompakt stehen und ihnen keine Räume lassen", weiß Kapitän Javier Zanetti. Vorsicht Bayern: Stankovic ist gleichzeitig auch der gefährlichste Weitschütze der Nerazzurri. Lässt man ihm auch nur ein bisschen Platz, zieht er ab.
Das heißt für Bayern: Thomas Müller muss die sich bietenden Räume nutzen. Da Inters Mittelfeld konsequent aufrückt (siehe Punkt 2), gibt es Platz für schnelle Gegenzüge. Zudem sollte Müller den zentral-defensiven Mittelfeldspieler so oft wie möglich aus dem Zentrum locken, um Platz für den nachrückenden Schweinsteiger zu machen. Der sieht in diesem Punkt durchaus Chancen: "Inter spielt ein bisschen offensiver als noch in Madrid. Ob uns das entgegen kommt? Das kommt darauf an, ob sie sich nach uns richten, oder nicht." Und Lahm ergänzt: "Wenn wir den Rhythmus hoch halten und zeigen, was wir offensiv können, hat Inter Probleme."
5) Der Neuling: Wie stark ist Andrea Ranocchia?
So spielt Inter: In Inters Innenverteidigung streiten sich Youngster Andrea Ranocchia, Ivan Cordoba und der wiedergenesene Lucio um die zwei Plätze. Letzterer steht nach einer wochenlangen Pause wieder zur Verfügung und Leonardo wird den Brasilianer nur schwer draußen lassen können.
Von den anderen beiden war Ranocchia zuletzt der konstantere: Der 23-Jährige übernimmt Spiel für Spiel mehr Verantwortung und organisiert bereits die Defensive. Ranocchia zeichnet ein gutes Stellungsspiel und eine starke Spieleröffnung aus. "Er ist ein großer Spieler und wird noch einen beeindruckenden Karriereweg gehen", ist Co-Trainer Giuseppe Baresi überzeugt. Für Stankovic könnte Ranocchia sogar zum neuen Alessandro Nesta werden: "Obwohl er noch jung ist, scheint er bereits verdammt erfahren. Er ist ruhig und sich seiner Sache sicher."
Allerdings musste der Ex-Genua-Verteidiger, der gegen Deutschland sein Nationalmannschaftsdebüt feierte, am Montag beim Training aussetzen, weil er gegen Cagliari einen Schlag auf den Fuß bekommen hatte - auch beim Abschlusstraining gab es noch Probleme. Cordoba wäre die erfahrene Alternative.
Das heißt für Bayern: Was Eto'o für Mailand ist Mario Gomez für Bayern. 27 Tore in 31 Pflichtspielen sind ein schlicht überragender Wert. Fünf seiner sechs CL-Tore erzielte Gomez zudem auswärts - Inter ist also gewarnt. Sollte Ranocchia spielen, ist Gomez vor allem bei Pässen in die Tiefe gefährlich. Lucio und Cordoba, der über einen blitzschnellen Antritt verfügt, wird der Bayern-Stürmer jedoch kaum überlaufen können.
Heimsiege? Fehlanzeige! Die Bilanz zwischen Inter und Bayern