Der BVB steckt in einer schwierigen Phase: Vermeintliche Ergänzungsspieler sind voll gefordert, die Bewährungschancen nutzt bisher aber nicht jeder. Der eine oder andere bräuchte auch mal eine Pause. Auch gegen den RSC Anderlecht wird Trainer Jürgen Klopp wieder kräftig improvisieren müssen.
In seinen sechs Jahre bei Borussia Dortmund ist Jürgen Klopp bisher nahezu komplett ohne Durchhalteparolen ausgekommen. Wenn Klopp etwas sagt, dann darf man getrost davon ausgehen, dass er es auch genau so meint, wie er es sagt.
Seine Mannschaft hat in der Liga jetzt drei von sechs Spielen verloren und damit früh in der Saison den Anschluss an die Bayern. Die wollte der BVB eigentlich deutlich hartnäckiger ärgern als in den letzten beiden Jahren. Momentan haben die Dortmunder aber ganz andere Probleme als sich um den Dauerrivalen aus München zu kümmern.
Umso überraschender kam Klopps Einschätzung nach dem verlorenen Derby auf Schalke am vergangenen Samstag. Unter anderem resümierte Dortmunds Trainer da, dass "das eine absolute Katstrophe für den Moment" sei. Klopp meinte die Probleme, die seine Mannschaft nun schon die ganze Spielzeit über verfolgen: Die vielen Verletzten, die fehlenden Abläufe, die Konzentrationsmängel Einzelner, das ständige Improvisieren.
Klopp: "Wir kommen!"
Aber Klopp wäre nicht Klopp, hätte er mit Ausblick auf die baldige Rückkehr einiger Spieler bereits eine deutlich rosigere Zukunft ausgemacht. "Ich habe ein saugutes Gefühl, dass wir den Trend drehen", sagte er also auf Schalke noch. "Glaubt mir eins: Wir kommen! Es kann einen Moment dauern - aber wir kommen!"
Bis der BVB wieder zur vollständigen Leistungsfähigkeit finden kann, muss Klopp aber noch ein paar Spiele lang tüfteln. Auch in Brüssel, wenn die Borussia am Mittwoch (ab 20.45 im LIVE-TICKER) in der Champions League auf der RSC Anderlecht trifft.
Klopp musste in dieser Saison bereits 22 verschiedene Spieler einsetzen. Nur der HSV (23) und die Hertha (24) haben ihr Personal schon bunter durchgewechselt. Nur sind weder Hamburger noch Berliner wie der BVB inklusive der Königsklasse dreifachbelastet, dem BVB geht zudem mehr als ein Dutzend Leistungsträger verletzungsbedingt ab.
Deshalb muss Klopp vom ersten Spieltag an das tun, was er unter einigermaßen normalen Umständen nicht tun würde: Er wirft Spieler ins Rennen, die nach teilweise langen Verletzungen noch nicht bei hundert Prozent ihrer Leistungsfähigkeit sind. Oder die sich, weil sie neu zur Mannschaft gestoßen sind, eigentlich erst langsam mit dem BVB-Fußball vertraut machen müssten.
Diese Spieler sind ungeplant plötzlich tragende Säulen in einer schwierigen Situation. Aber nicht jeder kommt mit der neuen Herausforderung auch zurecht.
Matthias Ginter (270 BL-Minuten, 45 CL-Minuten):
Der ehemalige Freiburger wurde vom BVB in erster Linie für die Planstelle im Abwehrzentrum eingekauft. Bei seinem Ex-Klub ist Ginter aber auch im defensiven Mittelfeld positiv aufgefallen - wie Klopp dann auch beim Test des BVB gegen Waldhof Mannheim. Da spielte Ginter eine Stunde lang auf der Doppel-Sechs neben Milos Jojic und konnte überzeugen.
In Abwesenheit von Mats Hummels spielte Ginter zweimal in der Innenverteidigung, zuletzt auf Schalke dann nach Hummels' Rückkehr auf der Doppel-Sechs. Wie fast alle anderen vermeintlichen Ergänzungsspieler rotierte auch Ginter - je nachdem, wo er gerade am nötigsten gebraucht wurde. Angesichts von fünf verletzten, potenziellen Sechsern im Kader rückte der 20-Jährige im Derby also ins Mittelfeld auf.
Hier spielte er zwar defensiv einen soliden Part, konnte aber die großen Probleme, die der BVB derzeit im Spielaufbau hat, nicht entscheidend lösen. In der Besetzung Ginter/Bender fehlt es der Mannschaft an Impulsen im Offensivspiel. Dem gelernten Innenverteidiger Ginter kann man da kaum einen Vorwurf machen. Er dürfte allenfalls eine Notlösung für die Position im defensiven Mittelfeld bleiben oder eine Option für bestimmte Spielsituationen.
Dass der BVB übrigens alle drei Saisonniederlagen mit Ginter in der Startelf kassierte, ist auch eher ein Zufall...
Neven Subotic (360 BL-Minuten, 90 CL-Minuten, 90 Pokalminuten):
Der Serbe ist nach seinem Kreuzbandriss wieder da. Dass Subotic aber so früh in der Saison quasi im Dauereinsatz ist, war so nicht geplant. "Es fühlt sich nach Zuhause an und hat jede Menge Spaß gemacht", sagt Subotic nach seinen ersten Gehversuchen in den Testspielen des Sommers. "Ich will der Mannschaft endlich wieder helfen."
Bis Ende Juli war er der einzige von vier nominellen Innenverteidigern, der Rest (Hummels, Ginter, Sokratis) genoss da noch den verlängerten Urlaub nach der strapaziösen Weltmeisterschaft. In der Defensive sieht das schon wieder ganz gut aus, was Subotic abliefert. In einigen Szenen ist ihm vielleicht noch anzumerken, dass er noch ein wenig Rückstand hat. Das Timing im Zweikampf passt nicht immer, die Abstimmung mit nun schon drei verschiedenen Kollegen im Abwehrzentrum kann gar nicht optimal sein.
Woran es aber noch gehörig hapert, ist seine Spieleröffnung. Besonders auffällig wurde dies gegen den VfB. Der ließ Subotic im Aufbau gewähren, um dann mit dem Pass des Serben ins Mittelfeld zum (erfolgreichen) Pressing anzusetzen.
Vom 25-Jährigen wird aber in erster Linie Stabilität in der Defensive erwartet. Bis auf den groben Schnitzer gegen Stuttgart beim 0:2 spielt Subotic angesichts für seine lange Verletzungspause davor eine ordentliche Saison. Auf Schalke agierte er erstmals wieder in der ehemaligen Stammformation neben Hummels. So soll die Innenverteidigung auch in Zukunft aussehen.
Seite 1: Der Neue und der Langzeitverletzte
Seite 2: Dauerbrenner, Sturkopf und Torjäger
Milos Jojic (410 BL-Minuten, elf CL-Minuten, 90 Pokalminuten):
Unter normalen Umständen wäre der Serbe ein Teilzeitarbeiter. Angesichts der enormen Konkurrenz im Mittelfeldzentrum gilt Jojic als Ergänzungsspieler, der immer dann zur Stelle ist, wenn der eine oder andere Stammspieler eine kleine Pause benötigt. Die Zahlen bisher weisen den 22-Jährigen aber als Dauerbrenner aus.
Jojic stand bisher in jedem Pflichtspiel auf dem Platz, durfte in der Bundesliga sogar fünfmal beginnen. Er ist die einzige Konstante im defensiven Mittelfeld - weil er weder nach einer langen Verletzungspause zurückkehren musste, bei der WM im Einsatz war noch in dieser Saison schon mal verletzt war. Diese Voraussetzungen spülen Jojic quasi von allein stets in die Startelf.
Dabei macht er seine Sache durchaus ordentlich. Als eher offensiv denkender Sechser liegt die enorme Last des Aufbauspiels auf seinen Schultern. Jojic ist bemüht um Struktur und Ordnung, besonders gegen tief stehende Gegner hapert es daran aber auch ein wenig. Bis in die gefährliche Zone vor dem Tor dringt der an sich abschlussstarke Jojic im Moment kaum vor: Es steht bisher weder ein Tor noch ein Assist auf seinem Konto.
Als Klopp gegen Schalke auf ein defensive stabilieres 4-4-2 umstellte, saß Jojic in der Bundesliga erstmals auf der Bank. Nach der Länderspielpause, wenn Kehl, Mhkytarian, Kuba und Kirch zurückerwartet werden, dürfte Jojic auf mittelfristige Sicht wieder den Part des Ergänzungsspielers einnehmen.
Sven Bender (282 BL-Minuten, 90 CL-Minuten, eine Pokalminute):
Der Dauerläufer bringt alle Voraussetzungen mit, um eine tragende Rolle im Spiel des BVB einzunehmen: Bender hat seine Verletzung vom Ende der abgelaufenen Saison längst überwunden, er hat kein Großereignis in den Knochen und die Vorbereitung voll mitgemacht.
Aber Benders Spiel stockt noch und es ist offensichtlich, dass er bei aller Stärke und Dominanz in der Defensive in der Balleroberung auf die Vorarbeit seiner Vorderleute angewiesen ist. "Im Verschieben nach außen und im Schließen der Lücken im Mittelfeld agieren wir nicht perfekt, wir sind individuell und taktisch nicht am Limit", sagt Klopp.
Selbst einem Spieler wie Bender, der das Spiel lesen und den Kombinationsfluss des Gegners zerstören kann, bereitet das große Probleme. Ebenso wie der stockende Spielaufbau. Der war noch nie Benders Spezialgebiet und wird es wohl auch nicht mehr werden. Auch für ihn ist noch kein Tor und keine Torvorlage notiert.
Kevin Großkreutz (410 BL-Minuten, 90 CL-Minuten, sieben Pokalminuten):
Großkreutz ist das Paradebeispiel für Dortmunds Personalmisere. Eigentlich gehört der Nationalspieler auf die Bank. Nicht, weil er keine Leistung bringen würde. Sondern weil Großkreutz zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison schon wieder so viele Minuten und Kilometer runtergerissen hat, wie kaum ein anderer. In jedem Pflichtspiel mit dem BVB stand er auf dem Platz, dazu kommen 90 Minuten im DFB-Dress gegen Argentinien.
Großkreutz ist wie die anderen WM-Fahrer erst spät aus dem Urlaub zurückgekehrt, hat "nur zwei Wochen trainiert", wie Klopp betont. Und spielt trotzdem jede Partie. Das hat mit seiner Flexibilität zu tun, bisher wurde er auf vier verschiedenen Positionen eingesetzt: Auf jedem Flügel sowohl in der Abwehr- als auch in der Mittelfeldkette.
Es hat aber auch damit zu tun, dass Großkreutz ehrgeizig ist und unbedingt helfen will - und dabei auch seinen Sturkopf immer durchsetzen will. In der schwierigen Lage im Moment will der Dortmunder unbedingt vorne weg gehen. Nach der Niederlage in Mainz handelte sich Großkreutz deshalb auch einen Rüffel von Klopp ein.
Unter normalen Umständen hätte der 26-Jährige längst eine Pause bekommen. Vermutlich muss er jetzt noch bis zur Länderspielpause durchhalten, danach dürfte auch Großkreutz erstmals in dieser Saison durchschnaufen.
Pierre-Emerick Aubameyang (449 BL-Minuten, 90 CL-Minuten, 90 Pokalminuten):
Der Gabuner ist Stammgast in Dortmunds Offensive. Nur im Heimspiel gegen Freiburg saß Aubameyang zunächst auf der Bank, wurde dann aber eingewechselt und traf drei Minuten später zur Entscheidung.
Aubameyang ist mit drei Toren in der Liga, zwei im Pokal und einem in der Champions League derzeit mit Abstand der gefährlichste Dortmunder Angreifer.
"Ich bin total begeistert von ihm. Er hat unsere Spielweise nun endlich gefressen. Im Gegensatz zu anderen hat er auch den Vorteil gehabt, eine richtige Vorbereitung machen zu können", lobte Klopp schon früh in der Saison.
Aubameyang hatte auch in der letzten Saison einige starke Auftritte, 16 Tore in allen drei Wettbewerben waren in seiner ersten Spielzeit in Dortmund auch ordentlich. Aber Klopp musste sich über Aubameyang auch einige Male ärgern. Weil sein Spieler nicht immer an die Vorgaben hielt, in der Defensivbewegung schlampte.
Jetzt funktioniert das alles deutlich runder und Aubameyang hat die Chance, die ihm durch die Ausfälle von Reus, Kuba, Mhkytarian und Ji offeriert wurde, auch bestens genutzt. Derzeit ist er auf einer der offensiven Positionen gesetzt und präsentiert sich stärker als die Zugänge Immobile und Ramos - obwohl beide auch nicht enttäuschen.
Seite 1: Der Neue und der Langzeitverletzte
Seite 2: Dauerbrenner, Sturkopf und Torjäger
Die Gruppe D im Überblick