Der Worst Case blieb Marco Rose und Borussia Mönchengladbach am Dienstagabend in Budapest erspart. "Nur" 0:2 verloren, keine Abreibung kassiert gegen eine Mannschaft, in der alle Gladbacher Protagonisten, die sich nach dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League äußerten, berechtigterweise "eine der besten Mannschaften der Welt" sahen.
Zu dominant war die Art und Weise, wie sich Manchester City in 180 Minuten gegen die Elf vom Niederrhein präsentierte. Zu chancenlos waren die Gladbacher, die erst recht in ihrer momentanen, aber wohl auch zu besseren Phasen etwas weiter unter dem Leistungsniveau des Premier-League-Spitzenreiters spielen. Auch darüber herrschte Einigkeit.
"Eine Nummer zu groß", sagte Kapitän Lars Stindl hinterher, "bärenstark", meinte Rose. Und Torhüter Yann Sommer merkte zurecht an, dass man sich für die Auftritte "nicht schämen" müsse. Gleichzeitig warf der Schweizer Schlussmann schon den Blick nach vorne. Am Samstag soll die seit Wochen anhaltende Krise gegen Schalke 04 beendet werden: "Wir sind uns einiges schuldig. Wir müssen wütend sein und uns wehren gegen diese Situation."
Eine Situation, die mittlerweile ein kompliziertes Konstrukt in Gladbach ist. Eine Lage, die ratlos macht, die emotional aufgeladen ist und von der niemand so ganz genau weiß, wo sie ihren Ursprung hatte.
Borussia Mönchengladbach: Wie schlimm ist die Krise?
Mit der Niederlage gegen City hat Gladbachs Krise historische Züge angenommen. Zuvor hatten die Gladbacher erst dreimal sieben Pflichtspiele oder mehr in Folge verloren. 1982 unter Jupp Heynckes, 1999 unter Rainer Bonhof (saisonübergreifend) und 1989 unter Wolf Werner, der damals am 18. November sogar erst nach der achten Pflichtspielpleite in Serie entlassen wurde.
Die Lage am Niederrhein ist also mehr als brenzlig. Schon weniger schlimme Niederlagenserien hatten beispielsweise Gladbachs Retter und Reformer Lucien Favre 2015 zum Rücktritt bewegt. Damals verloren die Fohlen unter der Ägide des Schweizers zum Saisonstart fünf Bundesliga-Spiele in Folge und setzten auch den CL-Start gegen Sevilla mit 0:3 in den Sand. Favre sagte Adieu - entgegen aller Bitten und Unternehmungen von Manager Max Eberl.
So weit wird es dieses Mal aber wohl nicht kommen. Obwohl Gladbach unter Rose nun bereits das siebte Pflichtspiel in Folge verloren hat, obwohl er gerade bei vielen Fans nach seinem Mitte Februar verkündeten Abschied für den kommenden Sommer Richtung Borussia Dortmund keinerlei Sympathien mehr genießt und obwohl in der Bundesliga das Verpassen eines internationalen Wettbewerbs nicht nur droht, sondern sogar wahrscheinlich ist.
Für diesen internationalen Wettbewerb hatten die Gladbacher sich selbst im letzten Jahr unter Trainer Dieter Hecking qualifiziert, als wie bei Rose schon feststand, dass er in der darauffolgenden Saison nicht mehr Trainer in Mönchengladbach sein wird. "Die Idee war, dass wir eine Veränderung unseres Fußballs wollten", begründete Eberl damals die Entscheidung.
Mit dem neuen Trainer sollte "eine neue Grundidee" kommen, die Gladbachs Anspruch auf regelmäßige Teilnahmen am internationalen Geschäft zementieren sollte. Auch weil dieses Unterfangen nun im Jahr zwei unter Rose krachend zu scheitern droht, ist die Stimmung am Niederrhein trotz des Erreichens des Pokal-Viertelfinals und dem respektablen Erreichen des Champions-League-Achtelfinals (inklusive einem großen finanziellen Bonus) gefühlt so schlecht wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Und zur Erinnerung: Damals rettete sich Gladbach hauchzart in der Relegation gegen den VfL Bochum vor dem schon sicher geglaubten Abstieg.
Borussia Mönchengladbach: Wo hat die Krise ihren Ursprung?
Dass es ein gewisser Torsten "Knippi" Knippertz aufgrund einer Fußball-Parodie über Floskeln in Field-Interviews zur Internet-Berühmtheit geschafft hat, entbehrt aktuell nicht einer gewissen Ironie. Denn Knippertz ist Gladbachs Stadionsprecher und er stellte in dem Kult-Video (mehrfach in verschiedenen Formulierungen) die Frage, die bei der Borussia in der momentanen Situation prägend ist: "Woran hat et jelegen?"
Sprich: Was ist passiert, dass aus den Bayern- und BVB-Besiegern aus Gladbach vom Januar binnen zwei Monaten eine Mannschaft wurde, die seit Anfang Februar ergebnistechnisch gesehen noch schlechter punktet als Schalke 04?
Seit der Derby-Niederlage gegen den 1. FC Köln am 6. Februar holte die Borussia nur noch einen Punkt in der Bundesliga, die so gut wie abgestiegenen Knappen immerhin derer zwei. Die 1:2-Pleite gegen den Erzrivalen aus der Domstadt markiert so etwas wie den Beginn des emotionalen Zerfalls - weil Rose eine Großrotation im Kader vornahm und die Derby-Niederlage somit "verschuldet" habe, so der Vorwurf der Fans in einem offenen Brief mit dem Titel "Mit dem Derby spielt man nicht".
Zu diesem Zeitpunkt kursierten zwar bereits Gerüchte, Rose könne von seiner Ausstiegsklausel Gebrauch machen und im Sommer zum BVB wechseln, aber dennoch sprachen die Fans damals noch davon, ihrem Trainer "sehr gerne" am Ende seiner Laufbahn in Gladbach "ein Denkmal" bauen zu wollen. Dann kam jedoch der 15. Februar, der sogenannte "Rose-Montag", an dem der Wechsel des Gladbacher Trainers zum BVB offiziell wurde.
Es ist der Tag, an dem die Borussia die Saison emotional komplett entglitten ist. Die Gladbacher Fan-Vereinigung sprach im Nachhinein davon, dass ihnen der Rose-Abschied für "diese Saison den Stecker gezogen" habe und die sportliche Talfahrt nahm ihren Lauf. Seitdem gab es nur noch Niederlagen für Gladbach, besonders schmerzlich dabei: die Pokalniederlage gegen Roses künftigen Arbeitgeber. Das Aus im Viertelfinale gegen den BVB besiegelte das Ende aller Hoffnungen auf einen versöhnlichen Rose-Abschied, der beispielsweise Niko Kovac bei Eintracht Frankfurt vergönnt war.
Borussia Mönchengladbach: Fußball-Feste kaschieren Defizite
Drei Jahre ist es her, als die Eintracht Kurs auf das internationale Geschäft nahm und nach der Verkündung, Kovac werde ab Sommer Trainer des FC Bayern, die Champions League und Europa League noch mit vier Pleiten in fünf Partien verspielte. Am Ende rettete der sensationelle Triumph im DFB-Pokal Kovacs Standing in der Mainmetropole, diese Rettung gibt es für Rose und Gladbach aber nicht mehr. Die Derby-Niederlage nach Großrotation, der BVB-Wechsel und das Pokal-Aus. Es sind die prägenden Ereignisse der Gladbacher Krise, die ihr eine hochgradige Emotionalität verleihen. Ereignisse, die die ohnehin schon vorhandenen Probleme nochmal verstärkten.
Denn schon vor der Verkündung des Rose-Abschieds baute die Borussia spielerisch massiv ab - gerade in der Offensive und der Chancenproduktion. Beim 1:0-Sieg gegen Werder Bremen Mitte Januar betrug der Expected-Goals-Wert nur 0,65 (Bremen: 0,85), beim 4:2 Sieg gegen den BVB gaben drei Tore nach Standards und ein Geschenk von Roman Bürki den Ausschlag, beim 3:2-Sieg gegen die Bayern war es die eigentliche Problemzone der Gladbacher - nämlich die Effizienz, aus drei Chancen drei Tore zu machen.
Es sind jene gute Ergebnisse wie auch das hauchzarte Weiterkommen in der Champions-League-Gruppenphase mit Fußball-Festen gegen Real Madrid, Inter Mailand und Shakhtar Donezk, die Gladbachs Inkonstanz in dieser Spielzeit kaschiert haben. Ergebnisse, die im zurückliegenden Gladbacher Mammutprogramm im Februar und März mit Spielen gegen Manchester City (2), den BVB, Bayer Leverkusen und RB Leipzig aber nicht da waren und auch gegen die leichteren Gegner aus Mainz und Augsburg fehlten.
Ohne eine längere Winterpause, mit der Belastung der regelmäßigen englischen Wochen, die eigentlich nur Regeneration, nicht aber Grundlagentraining zulassen, hat Gladbach außerdem mittlerweile auch ein konditionelles Problem: Sieben der letzten zehn Bundesliga-Gegentreffer kassierte Gladbach in der letzten halben Stunde, Leistungsträger wie Florian Neuhaus, Marcus Thuram, Alassane Plea oder Jonas Hofmann laufen ihrer guten Form aus dem ersten Halbjahr größtenteils nur hinterher.