Home Sweet Home
WM 2006 in Deutschland: Was kann es Schöneres geben, als bei einer WM im eigenen Land das Team als Kapitän aufs Feld zu führen? Im ersten Spiel auch tatsächlich spielen zu können, zum Beispiel. Doch genau das kann Ballack nicht.
Beim letzten Testspiel vor der Heim-WM (3:0 gegen Kolumbien) verletzt er sich an der Wade und fällt damit gegen Costa Rica aus. Zwar beißt er in der Folge die Zähne zusammen, gibt eine Vorlage und trifft im Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Argentinien, doch das Sommermärchen endet für ihn in einem Meer aus Tränen.
Nach dem unglücklichen 0:2 in der Verlängerung des Halbfinals gegen Italien weint Ballack noch auf dem Platz.
Swoooosh!
EM 2008 in Österreich und der Schweiz: 121 Kilometer pro Stunde. Michael Ballacks Freistoß gegen Österreich bringt Deutschland ins Viertelfinale der EM - und wird später zum Tor des Jahres gewählt.
Doch was bringt es, wenn man gegen Österreich das entscheidende Tor schießt, gegen Portugal überragt und im Finale gegen Spanien trotz blutender Wunde weiterspielt, wenn man am Ende dann doch verliert? Schon wieder.
Das Endspiel-Trauma des Michael Ballack setzt sich fort: Zehnmal wurde er jetzt schon Zweiter. Mit 31 Jahren. Da hat sich einiges an Wut aufgestaut.
Plötzlich gestikuliert der Kapitän, brüllt und reckt den Arm zornig in Richtung von Oliver Bierhoff. Ballack ist so aufgebracht, dass Kevin Kuranyi und Co-Trainer Hansi Flick dazwischen gehen müssen. Der Haussegen hängt schief. Auch wenn weiterhin betont wird, dass es "keine Probleme" gäbe.
Klatsche von Poldi
1.4.2009, Millennium Stadium in Cardiff, 2:0 gegen Wales: Es ist der Aufreger der WM-Qualifikation. Die Akteure: Lukas Podolski und Michael Ballack. Der Tatort: Das Millennium Stadium in Cardiff. Die Tat: Die Ohrfeige der Nation.
Wir schreiben die 67. Spielminute, Ballack raunzt Podolski offenbar an, er solle sich gefälligst bewegen. Podolskis angebliche Antwort: "Halt's Maul! Lauf selber, du A...loch!" - plus eine stattliche Ohrfeige, die Lahm und Mertesacker zum Dazwischengehen animiert.
"Er ist ein junger Spieler, der noch viel lernen muss. Wenn ich eine taktische Anweisung gebe, hat er das zu befolgen und nicht noch handgreiflich zu werden", kontert Ballack.
Das Ergebnis: Bundestrainer Joachim Löw hält eine Ansprache, Poldi und Ballack schauen sich tief in die Augen. "Damit war die Sache gegessen", sagt Bierhoff. Offiziell jedenfalls.
Das letzte Spiel
3. März 2010, Allianz Arena München, 0:1 gegen Argentinien: Ballack führt die Nationalelf in seinem 98. Länderspiel zum 55. Mal als Kapitän aufs Feld. Dass es sein letzter Auftritt im DFB-Dress sein wird, kann er damals allerdings noch nicht ahnen.
Größter Aufreger bei der 0:1-Niederlage: Ballack trifft seinen Ex-Bayern-Teamkollegen Martin Demichelis so unglücklich mit dem Knie im Gesicht, dass dieser mit einem Jochbeinbruch ausgewechselt werden muss. Dafür, dass sich Ballack nicht entschuldigt, hagelt es Kritik.
"Was soll ich erwarten von Michael Ballack? Er ist ein großer Fußballer, aber über den Menschen Michael Ballack muss man nichts sagen. Ich bin enttäuscht. Wir haben drei Jahre zusammengespielt. Er hätte eine SMS schreiben, anrufen oder nach dem Spiel wenigstens einmal fragen können, wie es mir geht. Aber eigentlich war es keine Überraschung für mich, dass er sich nicht meldet", sagte Demichelis.
Der Tag, der den deutschen Fußball veränderte
15. Mai 2010, Wembley, FA-Cup-Finale: Ballack kämpft mit Chelsea um den englischen Pokal. Der Gegner: Der FC Portsmouth mit Kevin-Prince Boateng. Der ehemalige Berliner kommt gegen den Capitano viel zu spät und trifft ihn am Knöchel.
Die Folge: Ein Riss des Innenbandes und ein Teilabriss des Syndesmosebandes des Sprunggelenks. Und das Aus für die WM in Südafrika. Deutschland ist geschockt, die "ARD" zeigt eine Sondersendung zu Ballacks Verletzung und den Folgen.
In den folgenden Wochen wird der verletzte Capitano noch gefeiert wie ein Held. Als er bei "Wetten, dass ...???" auf Mallorca auf Krücken in die Stierkampfarena einläuft, erntet er frenetischen Beifall.
Doch der Schein trügt - in diesen Stunden beginnt längst der siechende Abschied.
Wo gehöre ich hin?
Juli 2010, WM in Südafrika: Wie schnell dieser vonstatten geht, zeigt die WM 2010. Hatte sich eine ganze Nation noch vor wenigen Wochen gefragt, wie man überhaupt ohne Michael Ballack auskommen könnte, begeistern plötzlich andere Spieler die Massen. Sami Khedira spielt an der Seite von Bastian Schweinsteiger stark auf. Mehr noch, er überholt den ehemaligen Capitano.
Wie weit sich er und seine ehemaligen Teamkollegen voneinander entfernt haben, zeigt sein Besuch vor dem Viertelfinale gegen Argentinien. Anstatt mit offenen Armen empfangen zu werden, steht Ballack oft scheinbar unbeteiligt herum und reist noch vor dem Halbfinale wieder ab.
Außerdem entbrennt ein Streit zwischen ihm und Ersatz-Kapitän Philipp Lahm. Der sagt: "Ich werde nach dem Turnier nicht zum Bundestrainer gehen und ihm die Binde zurückgeben."
Ballack erwidert: "Für mich ist das eigentlich kein Thema. Ich bin Kapitän der Nationalmannschaft. Philipp Lahm hat Ansprüche zu einem Zeitpunkt gestellt, den ich für unpassend halte. Ich war verletzt und konnte nicht eingreifen."
Das Spiel eins nach der WM
7. September 2010, RheinEnergieStadion Köln, 6:1 gegen Aserbaidschan: Ballack ist wieder fit, hat für Leverkusen am ersten Bundesliga-Spieltag sein Comeback gegeben. Dennoch verzichtet Löw auf den Routinier. Und das sollte auch so bleiben.
Zwar beteuert Löw zwischendurch, dass Ballack, wenn er denn zurückkehrt, wieder Kapitän ist, doch soweit wird es nie kommen. Für die meisten Beobachter ist klar, dass Ballacks Nationalmannschafts-Karriere vorüber ist, ihm andere Spieler den Rang abgelaufen haben.
Lange hält sich Löw eine Hintertür offen, bis er am 16. Juni 2011 nach diversen Gesprächen mit Ballack auf der DFB-Homepage seine Entscheidung verkündet.
Michael Ballack im Steckbrief