Die Suche nach den Streichkandidaten

Stefan Rommel
09. Mai 201414:02
Joachim Löw wird nach dem Trainingslager in Südtirol einige Spieler nach Hause schickengetty
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Der vorläufige WM-Kader steht - ab Montag werden sich bis zum ersten Spiel gegen Portugal aber noch sieben Spieler aus dem 30er-Aufgebot verabschieden müssen. Die schlechtesten Chancen werden fast allen Newcomern zugeschrieben. Aber auch zwei Etablierte müssen ab sofort richtig um ihr Ticket kämpfen.

Am Donnerstagnachmittag hat sie also auch für den Deutschen Fußball Bund zumindest inoffiziell begonnen, die 20. Weltmeisterschaft in der Geschichte dieses geschichtsträchtigen Wettbewerbs. Für das Trainerteam Joachim Löw, Hansi Flick und Andreas Köpke und für Scout Urs Siegenthaler ist ja irgendwie immer etwas zu tun im Hinblick ein Großturnier.

Ganz besonders intensiv waren die letzten Tage gewesen, als die Beteiligten das letzte Mal in Klausur gingen, um den umfangreichsten Kader zusammenzubasteln, den der DFB jemals vor einem großen Turnier dann der Öffentlichkeit präsentieren konnte.

Auf 30 Spieler haben sich die Verantwortlichen einigen können, spätestens am 2. Juni schrumpft der Kader dann auf das vom Weltverband FIFA vorgeschriebene Maß von 23 Akteuren. Etwas mehr als drei Wochen bleiben zum finalen Casting, ins Trainingslager ins Passeiertal in Südtirol Mitte Mai wird Löw bereits weniger als die vorerst 30 Auserwählten mitnehmen.

Den Auftakt der Sichtungstage macht das Testspiel des DFB am kommenden Dienstag in Hamburg gegen Polen. Dort dürfen sich einige bisher nicht erprobte Spieler ein erstes Mal zeigen und einige andere, in die zweite Reihe gerutschte, erneut ins Gespräch bringen. SPOX

Das Gros der Mannschaft, die Spieler von Bayern München (sieben Akteure) und Borussia Dortmund (sechs), bereiten sich ebenso auf ein Finale vor wie der Arsenal-Block und Sami Khedira von Real Madrid.

Ohnehin steht von den Etablierten in den kommenden Tagen kaum einer im Fokus. Fast alle dürften ihr Ticket sicher haben, bei den Torhütern und im Angriff scheinen die Dinge auch längst geregelt. Knifflig und besonders eng wird dagegen der Kampf um die Plätze in Abwehr und Mittelfeld. Eine Bestandsaufnahme.

Die Torhüter:

Manuel Neuer und Roman Weidenfeller waren auch vor dem Donnerstag bereits als zwei von drei Kandidaten gesetzt. Weidenfeller geht jetzt sogar als Nummer zwei in sein erstes großes Turnier. Der Dortmunder schwankte in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen Neuer-Vertreter und Nummer drei. Jetzt ist die Sache geklärt, die Hierarchie unter den drei Nominierten eindeutig.

Dass sich Ron-Robert Zieler wie schon vor zwei Jahren bei der EM in den Kader spielte, kam doch etwas überraschend. Zieler spielte eine ordentliche Saison und hat sich als stummer Mitfahrer schon in Polen und der Ukraine bewährt. Bis zuletzt wurden allerdings seinem Kontrahenten Marc-Andre ter Stegen etwas bessere Chancen eingeräumt. Auch Leverkusens Bernd Leno galt als durchaus aussichtsreicher Kandidat. Rene Adler hat sich in der Rückrunde zu viele individuelle Fehler geleistet und verpasst nun schon zum zweitenmal nach 2010 eine WM-Endrunde.

Die Entscheidung für den 25-jährigen Zieler sei "auch ein Signal für die Zukunft", wie Löw es formulierte. Ter Stegen und Leno - beide erst vor kurzem 22 Jahre alt geworden - hätten gemäß dieser Logik aber auch gut ins Konzept gepasst. Sollte sich keiner der drei Auserwählten mehr verletzen, steht das Kontingent der Torhüter fest.

Seite 1: Die Torhüter

Seite 2: Die Abwehr

Seite 3: Das Mittelfeld

Seite 4: Der Angriff

Die Abwehr:

Insgesamt zehn Spieler umfasst der Mannschaftsteil. Jerome Boateng, Philipp Lahm, Mats Hummels, Marcel Schmelzer und Per Mertsacker sind gesetzt. Sehr gute Chancen dürften auch Kevin Großkreutz eingeräumt werden, den Löw auf Grund seiner Flexibilität und Mentalität schätzen gelernt hat und für den er am ehesten rechts in der Viererkettet Verwendung finden könnte. Als Ersatz für Lahm - oder als gesetzter Rechtsverteidiger, wenn Löw mit Lahm im defensiven Mittelfeld plant.

Benedikt Höwedes ist in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten. Der Schalker war wegen einer Muskelverletzung lange ausgefallen und musste sogar um seine vorläufige Nominierung zittern. Höwedes muss in den Tagen bis zum 2. Juni schnell den Anschluss finden, mit Boateng, Mertesacker und Hummels sind drei Innenverteidiger fix.

Löw meinte wohl auch Höwedes, als er sagte: "Mit Blick auf Verletzungen und Ausfälle liefen die vergangenen Wochen und Monate für die Nationalmannschaft nicht optimal. Doch wir werden die Herausforderungen meistern, wir werden Lösungen finden und genügend Alternativen haben." Die erste Alternative des Bundestrainers für den geforderten vierten Innenverteidiger ist Höwedes - der muss aber ab Montag zeigen, dass er den Rückstand bis zum Turnierauftakt aufholen kann.

Druck machen soll Shkodran Mustafi, die größte Überraschung im Kreis der Abwehrspieler. Der Innenverteidiger von Sampdoria Genua war zuletzt gegen Chile schon einmal eingeladen, durfte aber nicht spielen. Das wird sich wohl schon gegen die Polen ändern. Echte Chancen auf ein Flugticket nach Porto Seguro werden dem 22-Jährigen aber nicht eingeräumt. Mustafi erscheint momentan als sicherstes Streichkandidat und klassischer "Vorgriff auf die Zukunft".

Dass Marcell Jansen doch noch vorspielen darf, ist wohl eher dem Notstand links in der Viererkette zu verdanken als den Leistungen des Routiniers in dieser Saison beim Hamburger SV. Jansen war dazu zuletzt fast zwei Monate lang verletzt. Da aber auch Schmelzer in den letzten Wochen nur zuschauen konnte und Erik Durm im Nationaldress erst beweisen muss, wozu er fähig ist, darf Jansen den Konkurrenzkampf aufnehmen.

Dann geht es - sollte Schmelzer in den kommenden Wochen fit werden - um die Planstelle als Backup für den Dortmunder. Derzeit hat Durm (null Länderspiele) gegen Jansen (45 Länderspiele) die Nase vorn. Durm hat sich in den Top-Spielen in der Bundesliga und der Champions League beim BVB selbst gegen die ganz Großen im Weltfußball bewährt und spielt im Moment in bestechender Form. Jansen wird schon mächtig zulegen müssen, zumal die Lage in seinem "Ausweichgebiet" Mittelfeld noch umkämpfter ist.

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Das Mittelfeld:

Traditionell immer der umfangreichste Mannschaftsteil, nun mit 15 Spielern aber schon über die Maßen aufgebläht. Hier wird es am meisten "Härtefälle" geben. Für gewöhnlich besteht der Mannschaftsteil aus neun oder zehn Spielern.

Das Herz von Löws Mannschaft sind im Mittelfeld beheimatet, hier kann er auch auf die größte Erfahrung einzelner Spieler zurückgreifen. "Das Gerüst der Mannschaft ist bereits seit vielen Jahren zusammen. Viele unserer Spieler wissen, worauf es bei einem großen Turnier ankommt. Ich bin sicher, dass wir von davon profitieren werden, dass ein Großteil des Kaders international schon viel erlebt hat."

Gemeint sind damit Lukas Podolski (112 Länderspiele), Bastian Schweinsteiger (101), Mesut Özil (53), Thomas Müller (47), Toni Kroos (42), Andre Schürrle (31), Mario Götze (27), Marco Reus (19) - und Sami Khedira (44). Während alle anderen Genannten gesetzt sind, stellt Khedira die eine Ausnahme ein, die sich Löw angesichts der angespannten Personallage in den letzten Wochen selbst zugestanden hatte.

Khedira ist erst vor zwei Wochen ins Mannschaftstraining von Real Madrid zurückgekehrt und hat erst einTestspiel für die Königlichen seit seinem Kreuzbandriss im Herbst absolviert. Vom Credo, nur absolut fitte Spieler, die voll im Rhythmus sind, mitzunehmen, ist Löw im Fall Khedira abgewichen.

"Seine Perspektive sehen wir sehr positiv, das hat Sami seinem Willen, seiner Disziplin und Zielstrebigkeit zu verdanken. Er gehört zu den Spielern, die eine große Bedeutung für das Team haben, auf und neben dem Platz. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass wir ihn noch an die höchsten Belastungen, die eine WM mit sich bringt, heranführen können", sagt Löw.

Das große Fragezeichen hinter Khedira versucht Löw offenbar mit den Nominierungen von Lars Bender und Matthias Ginter abzufedern. Bender hat mit Bayer Leverkusen eine verkorkste Rückrunde absolviert und dürfte es schwer haben, die Reise nach Brasilien mitanzutreten. Ginter gilt als Geheimtipp. Auch, weil der Freiburger sowohl im defensiven Mittelfeld als auch in der Innenverteidigung spielen kann und seine Qualitäten auf beiden Positionen in dieser Saison abermals unter Beweis gestellt hat.

Andre Hahn, Leon Goretzka und Max Meyer sind die krassen Außenseiter. Goretzka und Meyer gehören wie die anderen Neulinge Durm und Kevin Volland zu jener Gruppe von Spielern, die sich über starke Leistungen unter anderem in den Juniorenteams in den Fokus gespielt haben und als Perspektivspieler eingeladen wurden. SPOX

Augsburgs Hahn war gegen Chile immerhin schon einmal bei der Nationalmannschaft dabei, verpasste beim Test Anfang März aber sein Debüt für Deutschland. Der Senkrechtstarter hat sein kleines Tief Mitte der Rückrunde überwunden und scheint auf Grund seiner überragenden körperlichen Voraussetzungen wie geschaffen für das "Turnier der Urkräfte", wie Löw die besonderen Bedingungen in Brasilien gerne einstuft.

Hahn wird sich als klassischer Außenbahnspieler mit Julian Draxler um einen Platz streiten. Der Schalker war wie heute seine Kollegen Goretzka und Meyer vor zwei Jahren einer derjenigen, die ins vorläufige Aufgebot berufen wurden und kurz vor der Abreise nach Danzig noch aus dem Kader gestrichen wurden.

Mittlerweile ist Draxler längst kein Emporkömmling mehr, sondern ein etablierter Bundesliga- und auch Nationalspieler (zehn Einsätze). Trotzdem muss der Schalker gehörig aufpassen: Zum einen fehlte ihm in den letzten Wochen etwas die Form und zum anderen haben auf seinen Lieblingspositionen im linken oder zentralen offensiven Mittelfeld die Konkurrenten zuletzt mächtig aufgedreht.

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Der Angriff:

Früher war Deutschland einmal eine Nation der Torhüter, Vorstopper - und Stürmer. Morlock, Seeler, Müller, Rummenigge, Fischer, Völler, Kirsten: Die Liste war bis ins neue Jahrtausend lang. Seit einigen Jahren herrscht in Deutschland aber neben den Positionen auf den Außen der Abwehrkette auch im Angriff ein Notstand.

Dass die Nationalmannschaft auf mittelfristige Sicht ein Personalproblem bekommen würde, war schon vor vier, fünf Jahren absehbar. Dass die Lage aber wenige Wochen vor einem WM-Endturnier derart angespannt ist, hat mehrere Gründe. Nach den Ausbootungen von Kevin Kuranyi und zuletzt Stefan Kießling hat sich der Kreis potenzieller Kandidaten enorm verkleinert.

Bereits zur EM vor zwei Jahren hatte Löw nur noch zwei nominelle Spitzen eingeladen. Bei der letzten WM waren es noch vier (Klose, Gomez, Kießling, Cacau), bei der Heim-WM 2006 fünf (Klose, Podolski, Neuville, Asamoah, Hanke) und bei der Europameisterschaft 2008 waren offiziell sogar sechs Angreifer gelistet (Klose, Podolski, Kuranyi, Gomez, Neuville, Odonkor).

Das Seuchenjahr von Mario Gomez hat dessen Nichtberücksichtigung zu verantworten. In seinem ersten Jahr in Florenz hat er rund dreiviertel der Saison wegen diverser Verletzungen auf der Tribüne verbracht, nicht umsonst bezeichnete er die letzten knapp zehn Monate als "die hässlichste Saison meiner Karriere".

Löw bleiben der ewige Miro Klose bei seiner vierten WM-Teilnahme und Newcomer Kevin Volland. Der U-21-Kapitän hat gewissermaßen den Vorzug von Max Kruse bekommen. Ein gewagtes Manöver von Löw: Kruse hat sich zuletzt aus seinem persönlichen Tal befreit und bei Borussia Mönchengladbach merklich die Kurve bekommen. Die doch sehr außergewöhnliche und unberechenbare Spielweise von Kruse hätte durchaus etwas Überraschendes für den Gegner parat gehabt.

Volland passt aufgrund seiner Spielweise aber auch recht gut ins Anforderungsprofil und hat sich wie Durm, Goretzka und Meyer "seine Chance verdient, sich in unserem Kreis zu präsentieren". Die Chancen, letztlich dann auch in Brasilien dabei zu sein, stehen für Volland gar nicht so schlecht.

Klose ist als erster Stürmer selbstredend gesetzt, muss aber wie vor den letzten Großereignissen auch dieses Mal bewiesen, dass er sich auf den Punkt topfit bekommt. "Er weiß, wie er seine beste Form erreichen kann. Wir sind überzeugt, dass er der Mannschaft - in welcher Form auch immer - helfen kann", betont Löw. Zumindest eine Alternative für Klose, der wenige Tage vor dem ersten Spiel gegen Portugal 36 Jahre alt wird, wird sich aber auch Löw leisten müssen.

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