SPOX: Ilkay Gündogan ist wieder dabei. Niemand weiß, wie er vom Publikum in München empfangen werden wird. Sie hatten nach Ihrer Schwalbe 2016 auch heftige Kritik und Pfiffe der Fans durchzustehen. Können Sie deshalb besser nachvollziehen, was er und Mesut Özil durchmachen mussten?
Werner: Ja, ich kann mich in ihre Situation hineinversetzen. Es tut weh, von den eigenen Fans ausgepfiffen zu werden.
SPOX: Der Bundestrainer hat neue Spieler nominiert, Sie gehören jetzt trotz Ihrer erst 22 Jahre fast schon zu den Etablierten. Wird sich Ihre Rolle im Team ändern?
Werner: Ich bin noch nicht ganz zwei Jahre dabei, aber natürlich bin ich nicht mehr der Neue. Ich würde aber nicht sagen, dass ich jetzt einer bin, der vorneweg marschiert. Ich bin vielleicht "im Mittelfeld". Jemand, der den Anderen auch mal einen Hinweis gibt, wenn mir im Spiel etwas auffällt. Aber niemand, der Anweisungen gibt. Das entspricht auch nicht unbedingt meiner Persönlichkeit. Wir haben so viel Qualität im Kader, da muss ein 22-Jähriger nicht schon Führungsspieler sein.
Timo Werner über das Spiel gegen Frankreich
SPOX: Welche Bedeutung hat das Spiel gegen Frankreich?
Werner: Wir spielen gegen den neuen Weltmeister, das ist ein guter Maßstab, ein Kräftemessen auf hohem Niveau. Das Spiel kann für die kommenden Monate richtungsweisend sein. Ich freue mich darauf. Wir haben eine sehr gute Mannschaft, die wieder gewinnen will und hoffentlich auch bald wieder Titel holen wird.
SPOX: Was kann man von den Franzosen lernen?
Werner: Sie sind das Paradebeispiel für schnelles Umschaltspiel. So haben sie den Titel gewonnen, mit schnellen Spielern nach vorne wie Mbappe, Dembele oder Griezmann. Das machen sie sehr gut, da können wir uns etwas abschauen.
SPOX: Der Bundestrainer will das Spiel der DFB-Elf ebenfalls nicht mehr so stark auf Ballbesitz auslegen. Freuen Sie sich darauf?
Werner: Natürlich käme das meinem Spiel entgegen. Aber ich funktioniere auch im Ballbesitzspiel ganz gut. Dass ich bei der WM kein Tor geschossen habe, lag nicht an unserem Spielstil. Wir haben unser Spiel nicht gut umgesetzt und zu viele leichte Fehler gemacht. Aber wir werden jetzt etwas variabler, können uns auch mal zurückziehen und kontern. Das ist eine sehr gute Alternative. Und wir sind nun die Jäger, nicht mehr die Gejagten.
Timo Werner über den Druck während der WM
SPOX: Sie hatten am Montag schon betont, dass man jetzt frei aufspielen kann. Das hört sich an, als habe auf dem Team bei der WM ein ziemlicher Rucksack gelastet. Hat der Druck das Team gelähmt?
Werner: Wir sind nicht in der Vorrunde ausgeschieden, weil wir als Weltmeister zu viel Druck hatten. Das wäre eine zu leichte Ausrede. Viele Spieler aus dem Team haben im Klub auch enorm hohen Druck, wenn sie bei Real oder Bayern jedes Jahr Meister werden müssen. Bei einer WM kann alles passieren: Niemand geht als klarer Favorit ins Turnier, auch eine kleinere Nationen können weit kommen. Druck war nicht entscheidend dafür, dass wir unsere Leistung nicht gebracht haben. Aber in den letzten Jahren haben alle Gegner gesagt: Wir spielen gegen den Weltmeister! Das hat schon eine andere Kraft. Man könnte es mit den Bayern in der Bundesliga vergleichen, da ist jedes Auswärtsspiel das absolute Highlight für den Gegner. Jetzt hat Frankreich dieses Los gezogen. Sie kommen als Weltmeister zu Besuch - und wir sind heiß darauf, gegen den Weltmeister spielen zu dürfen.
SPOX: Ist eine Aufbruchsstimmung im Team spürbar?
Werner: Ich empfinde es als eine "Wiedergutmachungsstimmung": Wir wollen zeigen, dass wir es besser können. Jeder freut sich darüber, wieder dabei zu sein und die Chance zu bekommen, das WM-Debakel wiedergutmachen zu können. Und dazu noch direkt gegen einen so starken Gegner.