DFB-Team: Das sind die Erkenntnisse aus Frankreich gegen Deutschland

Stefan Petri
17. Oktober 201812:42
Joachim Löw unter den Lichtern des Stade de France in Paris.getty
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Durch das 1:2 bei Weltmeister Frankreich hat Deutschland innerhalb von drei Tagen das zweite Pflichtspiel verloren. Die DFB-Elf zeigte in Paris ein neues Gesicht und verbreitete Optimismus. Es zeigten sich allerdings auch bekannte Schwächen, die man einfach nicht abstellt.

SPOX fasst die Erkenntnisse aus dem Spiel zusammen.

Frankreich - Deutschland: Diese Dinge haben gut funktioniert

Positiv: Löw zeigt Mut zur Veränderung

Es war vielerorts kritisiert worden, dass sich der Bundestrainer nach der verkorksten WM nicht von seiner "Achse" um die Weltmeister 2014 trennen wollte. So blieb in den folgenden Spielen das Spielsystem das Gleiche, auch Veränderungen in der Startelf gab es in den Nations-League-Spielen nur punktuell.

In dieser Hinsicht kann das Spiel am Dienstag durchaus als bisher größter "Umbruch" gewertet werden. Löw brachte nicht nur fünf neue Spieler in die Startelf, er krempelte auch System und Taktik um. Ob seine mutige Aufstellung nun ein Beweis dafür war, dass er sich um seinen Job als Bundestrainer keinen Kopf macht, oder ob nach dem 0:3 in Amsterdam auch eine Prise Verzweiflung dabei war, nach dem Motto "alles, nur nicht wieder abgeschossen werden", ist nicht zu 100 Prozent aufzulösen.

Nach dem Spiel gab es auf jeden Fall nur Zuspruch für Löw. Die Beteiligten - und Verantwortlichen - waren sich einig, dass es sich um eine neue Zeitrechnung handeln könnte. "Ich finde, dass wir ein Stück Umbruch gesehen haben", sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel, und Oliver Bierhoff bestätigte das: "Esprit und Energie" bekomme man nur mit "neuen, unverbrauchten Spielern" ins Team, das sei klar gewesen.

Positiv: Die neue Dreierkette

Ohne den angeschlagen abgereisten Jerome Boateng rückte wie erwartet Niklas Süle ins Team. Löw setzte neben die beiden Bayern aber auch noch Matthias Ginter ins Zentrum. So spielte man mit Ballbesitz ein 3-4-3, gegen den Ball rückten Nico Schulz und Thilo Kehrer in die Kette. Weg mit der Viererkette? Löw wolle immer modernen Fußball spielen, betonte Manuel Neuer anschließend: "Jogi entwickelt sich mit uns weiter."

Der Bundestrainer hatte dabei aber auch im Auge, wie das neue System konkret gegen Frankreich funktionieren würde. So spielte der wuchtige Süle (80 Prozent Zweikampfquote) zentral in der Kette und war so erster Gegenspieler von Sturmtank Giroud (21,4 Prozent Zweikämpfe), den er im Spielverlauf immer besser in den Griff bekam.

Im Spielaufbau wirkten sich die drei Innenverteidiger ebenfalls positiv aus, zumal Frankreich zumeist nur mit Giroud und Griezmann störte. So war ein Innenverteidiger frei, der mit ruhigem Passspiel gefunden wurde, bevor der Ball weiter auf die Außen oder die zentralen Mittelfeldspieler verteilt wurde. Resultat: mehr Sicherheit im Spiel von hinten heraus. Gerade über links fanden Mats Hummels und Toni Kroos Nico Schulz oft mit viel Platz, zumal Kylian Mbappe auf Arbeit nach hinten größtenteils verzichtete.

Positiv: Die neuen Außen

Beide Außen hatten von Löw den Auftrag bekommen, konsequent an den Seitenlinien zu bleiben und das Spiel so breit zu machen. Gegen den Ball wurde der gegnerische Außenverteidiger sofort attackiert, um gerade auf der eigenen linken Seite die Bälle auf Mbappe zu verhindern. Das funktionierte in der geordneten Defensive insgesamt sehr gut. Schulz und Kehrer führten zusammen 20 Zweikämpfe und gewannen davon 55 Prozent.

Offensiv fühlte sich gerade Schulz im System, das er aus Hoffenheim kennt, sichtlich wohl und nutzte die Freiheiten, die sich ihm boten, für einige Vorstöße bis an die Grundlinie - obwohl man nicht umhin konnte, sich zu fragen, ob ein Philipp Max aus diesen Flanken nicht noch mehr hätte herausholen können. Kehrer war für die rechte Seite eine überraschende Besetzung, ließ aber im Spielverlauf ebenfalls zunehmend seine Schnelligkeit aufblitzen.

Fazit: Setzt Löw auch in Zukunft auf das 3-4-3, dürfte er auch andere Spieler auf diesen Außenpositionen testen, gerade auf rechts. Mit Kehrer und Schulz ist aber auf jeden Fall ein guter Anfang gemacht.

Positiv: Gefahr durch schnelle Stürmer

Als die Aufstellung eine Stunde vor Spielbeginn veröffentlicht wurde, sahen nicht wenige Timo Werner erneut zentral in der Spitze, flankiert von Leroy Sane und Serge Gnabry. Faktisch spielte jedoch vor allem Gnabry zentral, womöglich bedingt durch seinen etwas bulligeren Körperbau.

So konsequent hatte Löw in seiner Spielerauswahl vielleicht noch nie auf Konter gesetzt: Kein Platz mehr für Raumdeuter und Zwischenspieler Müller, stattdessen ein pfeilschnelles Trio, das in die Räume geschickt werden sollte. So entstand das 1:0, und so ergaben sich auch weitere hochkarätige Chancen.

Ob das Experiment funktioniert hätte, wenn die Franzosen umgekehrt früh in Führung gegangen wäre, ist offen. Auch, ob gegen kleinere Gegner, etwa in der kommenden EM-Qualifikation, nicht wieder ein Vollstrecker im Strafraum gefragt ist. Ist jedoch ein defensiverer Stil mitsamt Kontern gefragt, hat Löw mehr als nur eine Alternative an der Hand.

Positiv: Kroos und Kimmich in der Zentrale

Kimmich hatte sich ja eigentlich schon nach seinem ersten Spiel in der Zentrale festgespielt. Gegen Frankreich zeigte er, dass er es nicht nur als Ausputzer hinter zwei Achtern kann, sondern auch neben Kroos. In einer Rolle, in der er neben seinen Defensiv-Aufgaben auch das Spiel ankurbeln soll. Kimmich war spritzig, giftig im Zweikampf und bewies, dass auch er hervorragende Steilpässe spielen kann.

Für Kroos war es ebenfalls ein gelungener Abend. Zwar präsentierte er sich in der Mixed Zone betont grummelig, schließlich hatte man erneut verloren - und das sei schwierig für Spieler, "die das Gewinnen gewohnt sind - so wie ich." Aber auch er musste zugeben, dass es mit den vielen Optionen nach vorn selbst mit der Niederlage auf dem Rasen Spaß gemacht hatte. Dass es seinem Spiel zuträglich war, war offensichtlich: mehr Bälle in die Spitze und kluge Spielverlagerungen, weniger "Querpass-Toni".

Positiv: Manuel Neuer

Über die Qualitäten der Nummer eins muss man eigentlich nicht diskutieren, wobei nach seinem unterlaufenen Eckball gegen Holland die öffentliche Debatte, ob nicht endlich Marc-Andre ter Stegen spielen müsste, erneut aufgebrandet war.

Löw stärkte seinem Schlussmann jedoch den Rücken, und der zeigte gegen den Weltmeister eine tadellose Leistung. Einmal hielt er stark gegen Mbappe, auch in der Strafraumbeherrschung und den Ausflügen außerhalb des Strafraums ging alles glatt. Bei den Gegentoren hätte auch ter Stegen nichts ausrichten können. Torhüterdebatte zumindest bis auf weiteres vertagt.

Frankreich - Deutschland: Diese Dinge haben nicht funktioniert

Negativ: Die schwache Chancenverwertung

Bei allem Lob für einen weitestgehend gelungenen Abend: Bis auf einen Elfmeter, den vielleicht auch nicht jeder Schiedsrichter gibt, landete kein Ball im gegnerischen Tor - und der Strafstoß war von Kroos eher reingezittert.

Mit nur elf Torschüssen waren es diesmal nicht so viele wie zuletzt - angesichts des Gegners keine Überraschung -, dennoch ergab sich die eine oder andere gute Möglichkeit: Bei mehreren Kontern fehlte es am präzisen letzten Pass, auch bei Ecken wurde teilweise Gefahr ausgestrahlt. Drin war wieder nichts.

So blieb nach Abpfiff das mittlerweile bekannte Lamentieren. "Aus dem Spiel heraus haben wir uns leider nicht belohnt", sagte Neuer. "Die Kaltschnäuzigkeit fehlt noch ein bisschen." Kroos blies ins gleiche Horn: "Du musst dich für deine guten Aktionen auch belohnen. Ein ähnliches Problem hatten wir vor ein paar Tagen."

Diesmal könnte man die Abschlussschwäche vielleicht sogar mit Fug und Recht den jungen Spielern in der Spitze zuschreiben. Nur: Die Arrivierten haben es in den Partien zuvor keinen Deut besser gemacht. Es ist und bleibt Baustelle Nummer eins für Löw und sein Trainerteam.

Negativ: Die mangelnde Feinabstimmung

Es war eine gute Leistung, aber es gab gleichzeitig genügend Aktionen, in denen sichtbar wurde, dass das Team in dieser Zusammensetzung eben noch nie zusammengespielt und wohl auch selten trainiert hat.

Es fehlte im Kombinationsspiel das blinde Verständnis, das sich erst entwickeln muss: Wo willst du den Ball haben? Wie steil kann ich dich schicken? Damit lassen sich die vergebenen Konterchancen zumindest teilweise erklären.

Defensiv klappte es gut: Mit viel Einsatz und Unterstützung für den Nebenmann gewann das DFB-Team insgesamt stolze 60,8 Prozent aller geführten Zweikämpfe. Hier waren die Spieler in doppelter Hinsicht hervorragend eingestellt. Im Spiel nach vorn müssen die Laufwege erst noch abgestimmt werden: So mancher Steilpass wurde in Halbzeit eins in einen freien Raum geschickt, der auch frei von Mitspielern war.

Die gute Nachricht: Sollte Löw dieser Elf auch in diesem System weiter das Vertrauen schenken, sind Verbesserungen vorgezeichnet.

Negativ: Mats Hummels mit dem entscheidenden Fehler

Jerome Boateng war vorzeitig abgereist. Stattdessen geriet der zweite etablierte Innenverteidiger zum Pechvogel. Hummels machte seine Sache lange Zeit gut, gewann 75 Prozent seiner Zweikämpfe und spielte ein paar kluge Pässe. Doch seine fehlende Schnelligkeit machte sich erneut negativ bemerkbar.

Gegen Mbappe alt auszusehen, das gelingt so ziemlich jedem Innenverteidiger der Welt dieser Tage. Bei Hummels reichte aber hier und da auch ein tüchtiger Vorsprung nicht, stattdessen mussten Fouls und einmal ein cleveres Reinstellen des Körpers herhalten, dass glücklicherweise nicht gepfiffen wurde.

Dass er aber auch Matuidi in den Strafraum ziehen lassen musste, ist kein gutes Zeichen - selbst wenn der Elfmeter extrem großzügiger Auslegung bedurfte. Da half alles Reklamieren nicht, auch nach Abpfiff. Hummels geht die Souveränität vergangener Tage derzeit ab. Das lässt sich auch an seinen oft stachligen Interviews erkennen.

Negativ: Das fehlende "Spielglück"

Ein Begriff, der zuletzt von der deutschen Mannschaft mehrfach bemüht wurde, wenn es darum ging zu beschreiben, warum es derzeit nicht läuft - ebenfalls übrigens vom FC Bayern. "Spielglück" fasst so ziemlich alles zusammen, was man so braucht, um ein Spiel zu gewinnen, bei dem man nicht die bessere Mannschaft war. Oder umgekehrt das "mangelnde Spielglück", wenn man ein Spiel verliert, das man eben nicht verlieren muss.

Weltmeister Frankreich hat dieses Spielglück derzeit gefühlt gepachtet. Auch deshalb kann man sich bei der Equipe Tricolore die erste Hälfte gefühlt freinehmen: im Bewusstsein der eigenen Stärke und der Tatsache, dass es am Ende schon irgendwie laufen wird.

Bei den Deutschen läuft es nicht. Vorn fehlen Zentimeter, hinten hat Neuer kein Spielglück. So entscheiden am Ende ein Kopfball, den Antoine Griezmann so perfekt nur selten treffen wird, und ein geschenkter Elfmeter zugunsten Frankreichs. Es ist kein Wunder, dass bei den DFB-Akteuren zuletzt immer öfter der Frust durchschien. Toni Kroos fasste es treffend zusammen: "Aktuell wird uns einfach nichts geschenkt."