Im Überschwang der Gefühle war Florian Wirtz kurzzeitig sogar sein Abitur egal. "Ich würde lieber das Turnier gewinnen als ein gutes Abi zu haben", sagte der 18-Jährige nach seinem Doppelpack im EM-Halbfinale, der die deutsche U21 völlig unerwartet vom Titel träumen lässt. Noch wartet der Jungstar von Bayer Leverkusen auf seine Klausurergebnisse, doch schon jetzt lautet sein Motto: "Hauptsache bestehen."
Auf dem Rasen hat Wirtz seine Reifeprüfung bereits mit Bravour bestanden. Der jüngste Spieler im DFB-Aufgebot erzielte beim 2:1 gegen die Niederlande nach 29 Sekunden nicht nur das schnellste Tor der U21-EM-Geschichte, sondern legte schon in der achten Minute den zweiten Treffer nach. Kein Wunder, dass der Teenager sein Glück kaum fassen konnte.
"Ich musste nach ein paar Minuten gucken, ob das überhaupt stimmt - und wie es eigentlich steht", sagte Wirtz, der nie zuvor im DFB-Trikot getroffen hatte. Doch es stimmte, und es reichte: Zum dritten Mal in Folge steht das Team von DFB-Trainer Stefan Kuntz im Endspiel und greift am Sonntag gegen Portugal (21 Uhr im LIVETICKER) nach dem dritten Titel nach 2009 und 2017.
Wirz bekommt Lob von Havertz: "Er ist ein super Spieler"
Dabei hatte der aktuellen U21 zu Beginn der EM-Qualifikation kaum jemand einen solchen Siegeszug zugetraut. Doch am Ende machte nicht zuletzt der von Kuntz stets beschworenen Teamgeist den Unterschied. Matchwinner Wirtz ist wohl das beste Beispiel für die rasante Entwicklung der Mannschaft in den vergangenen Monaten. Als die Qualifikation für die EM im Herbst 2019 begann, spielte der Teenager noch in der U19 des 1. FC Köln. Im März 2021 weilte er schon bei der A-Nationalmannschaft, blieb aber ohne im Einsatz.
Für seine Vorstellung ggegen die Niederlande heimste er ein dickes Lob von Ex-Teamkollege Kai Havertz ein. "Überragende Leistung. Er ist ein super Spieler", sagte der Champions-League-Held des FC Chelsea im Traininingslager des deutschen A-Teams: "Er hätte es auch verdient, hier dabei zu sein. Die U21-EM tut ihm aber gut, um sich weiterzuentwickeln."
Trotz seines Aufstiegs will Wirtz aber bescheiden bleiben. "Die letzten zwölf Monate gingen sehr schnell und mit vielen Erlebnissen vorbei. Aber ich habe von meinen Eltern immer mitgegeben bekommen, dass ich auf dem Boden und immer der Gleiche bleibe. Das wird sich auch nicht ändern", sagte Wirtz nach seinem Doppelpack.
DFB-Trainer Stefan Kuntz warnte derweil vor übertriebenen Erwartungen an den Mann des Tages. "Wir sollten den Ball flachhalten. Im letzten Spiel gegen Dänemark hat er laut den Kritikern enttäuscht, jetzt wird er in den Himmel gehoben. Ein bisschen Mittelmaß ist da besser. Er ist ein sehr junger Mensch, der schon mit sehr viel Erfolg und vielen Schlagzeilen umgehen muss", sagte Kuntz.
Theoretisch dürfte Wirtz auch 2023 und 2025 noch an der U21-EM teilnehmen. Doch sein Ziel lautet längst A-Nationalmannschaft. Ob Joachim Löw ihn nicht noch schnell für die "große" EM nachnominieren müsse, wurde Wirtz noch gefragt. Doch auch da blieb der Matchwinner ganz cool: "Ich konzentriere mich auf die U21", sagte Wirtz: "Und mit der möchte ich jetzt das Turnier gewinnen."